Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/319: Der Nordstrahl der Sternfahrt Rostock-Berlin (Zivilcourage)


ZivilCourage Nr. 4 - November 2014
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Der Nordstrahl der Sternfahrt Rostock-Berlin
Die enge Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart

Von Cornelia Mannewitz



Nach ihrer Aktionswoche Anfang August waren Rostocker Friedensbündnis und Regionalgruppe Mittleres Mecklenburg der DFG-VK vom 13. bis 16. August auf einer Friedens-Fahrradtour nach Berlin. Der Anlass war derselbe: das Gedenkjahr 1914-2014. Seinetwegen hatte sich der DFG-VK-Landesverband Bayern überlegt, seine jährliche Radtour auszuweiten und auf dem Friedensfestival auf dem Alexanderplatz in Berlin enden zu lassen. Mehr als das: Eine Sternfahrt mehrerer Landesverbände sollte es werden. Nachdem aus einem internationalen Strahl des Sterns von Osten kurzfristig leider nichts geworden war, setzten sich am 9. August Süd- und Weststrahl in Bewegung. Wir, die es ja nicht so weit hatten, am 13. August - als der Nordstrahl.

In Meck-Pomm die bundesweit höchste Militärdichte

Auch im Nachhinein müssen wir sagen: Der Weg war das Ziel. Er führte uns über verschiedene Stationen des Krieges und der Militarisierung. Dafür bietet Mecklenburg-Vorpommern mit der bundesweit höchsten Militärdichte inmitten idyllischer Landschaften viel Auswahl. Am nächsten, sogar geographisch, lagen aber doch unsere Hauptthemen am Weg: der Fliegerhorst Laage-Kronskamp, Eurofighter-Ausbildungszentrum, und der Standort Neustrelitz des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). In Laage waren wir vor Jahren schon einmal, an der Baustelle des zivilen Terminals, der trotz auch unserer Proteste nach dem Heinkel-Ingenieur Hans Joachim Pabst von Ohain benannt wurde. Jetzt standen wir mit einem Transparent "Bundeswehr abschaffen!" vor dem Tor des Fliegerhorsts. Grund genug für die Kronskamper Polizei, auszuschwärmen und uns sogar beim abschließenden Pizzaessen im Ort aus der Ferne zu observieren. In Neustrelitz beobachteten wir das Sich-Drehen der Satellitenantennen. Das DLR ist nationale Raumfahrtagentur und Forschungsinstitution - natürlich auch für militärische Themen.

In Brandenburg interessierten uns zunächst Fürstenberg und Oranienburg mit ihren KZ-Gedenkstätten: Ravensbrück und Sachsenhausen. Ravensbrück, pünktlich im Kriegsjahr 1939 eröffnet, hat dieses Jahr auch "Jubiläum". Es war das größte Frauenkonzentrationslager auf deutschem Boden mit 140.000 Häftlingen aus 40 Ländern, fast ausschließlich Frauen, Mädchen und Kindern. Hier wurden medizinische Experimente durchgeführt, ab 1944 wurden auch Häftlinge vergast. In der übrigen Zeit gab es auszehrende Arbeit - unter anderem bei der Firma Siemens und Halske, die sich in der Nachbarschaft einquartiert hatte -, Hunger und Krankheiten.

Schon der Fußweg ins Lager ist mit Angaben versehen, wie viele Häftlinge bei seinem Bau starben. Rechts davon liegt ein Gelände brach: Hier sollte Anfang der 90-er Jahre ein Supermarkt entstehen; letztlich wagte man das aber doch nicht. Eine Ausstellung von Bildern der österreichischen Romni Ceija Stojka, die gerade läuft, zeigt den Lageralltag mit den Mitteln einer naiven Künstlerin. Szenen auf dem Appellplatz und bei einer Weihnachtsfeier ließen den Widerspruch zwischen dem Elend hinter dem Tor und dem bürgerlichen Leben in den Wohnhäusern der SS im umgebenden lichten Wald noch plastischer erscheinen. Mecklenburg-Vorpommern war auch nicht weit: Wir mussten daran denken, dass kürzlich in Sassnitz 15 Stolpersteine aus dem Pflaster gerissen wurden. Sie sollten an Häftlinge des Sassnitzer Außenlagers des KZ Ravensbrück erinnern.

Sachsenhausen war Muster- und Schulungs-KZ. Hier wurden schon in den ersten Monaten nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 10.000 sowjetische Kriegsgefangene in einer speziellen Genickschussanlage getötet und in mobilen Krematoriumsöfen verbrannt. Verantwortliche aus anderen Konzentrationslagern waren dabei und lernten von dieser Technologie - vielleicht konnte man sie im weiteren Vernichtungskrieg ja noch gebrauchen.

Hier trafen wir auch wieder auf den Norden: Die Heinkel-Werke Oranienburg setzten als erster Rüstungsbetrieb systematisch KZ-Häftlinge in der industriellen Produktion ein. In diesem größten Außenlager von Sachsenhausen mussten bis zu 7000 Häftlinge für Heinkel arbeiten, vor allem an der Fertigung des Langstreckenbombers He 177. Bald waren sie auf dem Werksgelände auch untergebracht, bewacht von einer SS-Kompanie und umgeben von einer 30-Meter-Sperrzone mit Elektrozaun. Am 11. Oktober 1944 wurde in Sachsenhausen zusammen mit 23 deutschen und drei französischen Häftlingen der Rostocker Antifaschist Rudolf Mokry erschossen. Sie hatten eine illegale Gruppe gegründet und waren dabei, im Lager Widerstand zu organisieren. Und: Die Todesmärsche, auf die die Häftlinge beim Herannahen der Roten Armee getrieben wurden, führten Richtung Ostsee. Die letzten Überlebenden wurden in der Gegend von Schwerin befreit.

Als überdimensioniert empfanden wir die Darstellung des sowjetischen Speziallagers, das 1945 bis 1950 in Sachsenhausen existierte. Dabei sind weder die sowjetisch-deutschen Beziehungen in der Zeit bis 1945 noch die Gründe für die Inhaftierung der Insassen des Lagers ausreichend differenziert dargestellt. Problematisch erschien uns auch, dass ein großer Teil beider KZ-Gelände noch nicht erschlossen ist. Fehlt der tragenden Stiftung das Geld dafür?

Trainieren des Häuserkampfes in einer Großstadt

Auf der anderen Seite von Berlin lernten wir ein neues Wort: TrÜbPl. Solche Abkürzungen und Wörter wie "Schießanlage" und "Großsprenganlage" prägen die Gegend. Neben Schießen, Sprengen, Fahren in schwerem Gelände und Waldkampf wird auf dem Truppenübungsplatz Lehnin auch der Häuserkampf in einer Großstadt geübt. Was uns besonders angeht: Hier trainiert auch das neu geschaffene Kommando Spezialkräfte Marine. Berichten zufolge hat es dort schon das Einsickern in eine Stadt geübt. Für Einsätze in Küstengewässern sind übrigens die Korvetten entwickelt worden, die in Hohe Düne stehen.

Am Vormittag des letzten Tages waren wir in Potsdam und zeigten Flagge und Transparent vor dem geplanten Wiederaufbauort der Garnisonkirche, eines jahrhundertealten Symbols für den preußischen Militarismus und Orts des Handschlags zwischen Hindenburg und Hitler beim Festakt zur konstituierenden Sitzung des Reichstags am 21. März 1933.

Dabei trafen wir ein Mitglied der Potsdamer Bürgerinitiative, die sich mit geschichtspolitischen, architektonischen und finanziellen Argumenten gegen den Wiederaufbau einsetzt. Wir erfuhren, dass die Stadtverordnetenversammlung durch ihr Abstimmungsverhalten einen von über 14.000 Potsdamern geforderten Bürgerentscheid verhindert hat. Stattdessen hat sie den Oberbürgermeister beauftragt, auf die Auflösung der den Wiederaufbau betreibenden Stiftung hinzuwirken. Ein Erfolg gilt aber als wenig wahrscheinlich. Es wird in den nächsten Monaten also viel darauf ankommen, dass der Druck der Öffentlichkeit nicht nachlässt. Anschließend rodeten wir Unkraut vor dem benachbarten Gebäude. Dort war nämlich ein Marx-Zitat aus den "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie" in die Fassade eingelassen. Nun ist es wieder gut zu lesen.

Militär macht die schöne Landschaft hässlich

Trotzdem kamen wir noch rechtzeitig zur Zwischenkundgebung der letzten Etappe der Sternfahrt am Brandenburger Tor. Alle Strahlen waren hier versammelt. Wir zogen mit vor die nahegelegenen Botschaften von Teilnehmerländern des Ersten Weltkriegs, um dort Briefe für Frieden und Abrüstung an die Bevölkerung ihrer Länder abzugeben. Allerdings nahm in unserem Beisein nur die russische Botschaft den Brief an. Nun ging es im Konvoi zum Friedensfestival, das sich als eine leider ziemlich unstrukturierte Veranstaltung mit unklarem Friedensbegriff und vielen indifferenten Besuchern entpuppte. Den geplanten Auftritt der DFG-VK auf der Bühne verhinderte dann auch noch ein Platzregen. Vielen Dank an unseren unermüdlichen "Ritter des Gaspedals", der uns am selben Abend noch heil und trocken auf vier breiten luftbereiften Rädern zurück nach Rostock brachte!

Was sich mancher schon gedacht hat: Natürlich sind wir nicht den ganzen Weg Fahrrad gefahren. Leider konnten wir aber trotzdem nicht alles wahrnehmen. "Nochmal einen ganzen Tag hier" haben wir öfter gesagt. Von den Campingplätzen her geriet das Ganze auch zur "Seentour". Da ist es nur konsequent, dass wir begonnen haben, Pläne für eine Bootsfahrt zu wälzen. Vielleicht im nächsten Jahr. Das wäre doch was, gegen den Strom mitten durch die schöne Landschaft und gegen das Militär, das sie so hässlich macht!


Cornelia Mannewitz ist Mitglied im BundessprecherInnenkreis der DFG-VK und aktiv im Landesverband Mecklenburg-Vorpommern.

*

Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - November 2014, S. 18-20
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart, Telefon 0711/5189 2626
Redaktion: ZivilCourage, Am Angelweiher 6, 77974 Meißenheim
Telefon: 07824/664 67 94, Telefax: 03212/102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. November 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang