Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT


BERICHT/327: "Wir wollen das Begonnene offensiv fortsetzen!" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2015
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Wir wollen das Begonnene offensiv fortsetzen!"
Was 40 Jahre fusionierte DFG-VK heute bedeuten - ein Geburtstagstreffen der anderen Art

Von Tobias Damjanov, Heinrich Häberlein, Manfred Lesch, Hartwig Müller-Reiß-Wiek und Christian Schmidt und Christian Schmidt


"Was ist aus uns geworden? Welche Bedeutung hat(te) unser Engagement in und mit der DFGVK in unserem Leben? Was bedeutet uns (noch) politischer Pazifismus in unserem Heute: War das nur eine Lebensphase oder ist es eine Lebensüberzeugung geblieben?" Sätze, mit denen zwei langjährige Verbandsmitglieder, Heinrich Häberlein und Tobias Damjanov, anlässlich 40 Jahre fusionierter DFG-VK zu einem Treffen nach Dortmund am 16. und 17. Mai eingeladen hatten.

Der Rückblick, der immer noch ein Blick nach vorne ist

Es waren nicht nur diejenigen FriedensfreundInnen angereist, die Anfang der 70er Jahre maßgeblich den Prozess einleiteten, der 1974 zum Zusammenschluss von DFG-IdK (Deutsche Friedensgesellschaft - Internationale der Kriegsdienstgegner) und VK (Verband der Kriegsdienstverweigerer) führte und der bis heute die Programmatik des politischen Pazifismus der DFG-VK manifestiert. Es waren auch viele von denen gekommen, die in den darauf folgenden Jahren und Jahrzehnten die begonnene Verbandsentwicklung entscheidend fortführten. Was hatten sie alle sich zu sagen, was haben sie heute der DFG-VK zu sagen?

Die DFG-VK ist - bis heute - ein Unikum. Weltanschauungen, Religionsverständnisse, Parteizugehörigkeiten - so unterschiedlich, doch alle unter einem Dach wegen des einen einigenden Ziels: Den Krieg und seine Ursachen abschaffen. Beim Dortmunder Treffen drückte sich das beispielsweise so aus: "Auch wenn ich nicht mehr in der DFG-VK aktiv bin, sondern inzwischen in anderen Bereichen, so vertrete ich doch immer noch ihre politischen Ziele", oder auch: "Die Arbeit in und mit der DFG-VK hat mir - persönlich, für mein Leben - sehr viel gegeben." Die Gesprächsrunden blieben allerdings nicht in individuellen Bekenntnissen hängen. Vielmehr richteten alle ihr politisches Hauptaugenmerk auf den Ist-Zustand des Verbandes und damit auch auf seine Zukunft. Das war insofern eine positive (wenn auch stellenweise schmerzhafte) Geburtstagsüberraschung, als nicht vorauszusehen war, dass sich in einem Kreis wie diesem ein solches Ausmaß an sich ergänzenden Meinungen herauskristallisieren würde: Es waren ja Mitglieder, die teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr in der DFG-VK aktiv sind (den Verband aber offensichtlich nie aus dem Auge verloren), mit solchen zusammengekommen, die bis heute im Verbandsleben stehen, Mitglieder, die erst zehn oder mehr Jahre nach der Fusion eingetreten waren, mit Mitgliedern, die schon Jahre vor der Fusion (in einigen Fällen sogar Jahrzehnte zuvor) die Vorgängerorganisationen geprägt hatten. Auch ein Unikum. Denn die politische wie persönliche Atmosphäre, die dieses Treffen von Anfang bis Ende prägte, war im Sinne des Wortes solidarisch: Solidarisch im Verhältnis zueinander wie auch solidarisch in der Übereinstimmung: "Wir wollen das Begonnene offensiv fortsetzen!" Ein Spiegelbild des politisch-pazifistischen Charakters der DFG-VK, wie er mit der Fusion vor 40 Jahren gewollt war. Dabei kamen Erinnerungen an gemeinsame Aktionen, Kampagnen und an die in den 40 Jahren aktiven nicht mehr lebenden gemeinsamen Freundinnen und Freunde nicht zu kurz.

Wo immer Geschichtsdetails der Fusion zur Sprache kamen, was sich natürlich besonders in der sehr ausführlichen Vorstellungsrunde der Anwesenden niederschlug, war das Zurückblicken auch in die Zukunft der DFG-VK gerichtet. Selbst ein Großteil derjenigen, die an der Teilnahme verhindert waren, hatte in ihren Absagen Anmerkungen und Hinweise formuliert, wie sie sich eine zukünftige DFG-VK vorstellen. Dazu muss man wissen: Ein gutes Viertel der knapp einhundert Eingeladenen nahmen in Dortmund teil, nicht ganz ein weiteres Viertel reagierte, und vom Rest gab es rund 15 ungültige Adressen.

Veränderungen im Vergleich zum Zeitpunkt der Fusion

Obwohl der Meinungsaustausch absichtlich keiner vorgegebenen Struktur oder gar Themenfestlegungen folgte, zeichneten sich Linien ab. Eine davon umriss den Vergleich von damals und heute. Womöglich können sich DFG-VK-Mitglieder, die in den letzten zehn Jahren eingetreten und die, sagen wir, nach 1980 geboren sind, nur schlecht vorstellen, dass es zum Zeitpunkt der Fusion fast noch ein Sakrileg war, sich öffentlich gegen Atomwaffen auszusprechen - während heute eine Mehrheit in der Öffentlichkeit (zumindest passiv) gegen Atomwaffen eingestellt ist. Ähnliches gilt für deutsche Rüstungsexporte. Andererseits sind zu Zeiten des sogenannten Nato-Nachrüstungsbeschlusses Hunderttausende im Protest auf die Straße gegangen, während heute zwar deutlich eine wachsende Skepsis gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr feststellbar ist und der Legitimationsdruck für militaristische und Kriegspolitik immer mehr zunimmt - aber diejenigen, die dagegen auf die Straße gehen, überdeutlich weniger sind. Woran liegt das? Warum schlägt sich das damals wie heute nicht in einem eindeutigen Verhalten der Wähler nieder? Und wahrlich nicht zuletzt: Was lernt die DFG-VK strategisch daraus? Wann lernt sie in ihrer Praxis daraus?

Die Bedeutung der DFG-VK als Kriegsdienstverweigerer-Organisation: Als Formierung politischen Willens war die KDV Ausdruck von Kämpfen gegen einen anderen Zeitgeist - bis Anfang der 1980er Jahre. Die DFG-VK konnte sich auf den Effekt verlassen, dass ihre politisch-individuell emanzipatorische KDV-Beratung, ihre Zusammenarbeit mit Zivildienstleistenden und sogar Totalverweigerern kontinuierlich zu Verbandseintritten führte. Das änderte sich spätestens mit der Einführung des überwiegend rein schriftlichen KDV-Aberkennungsverfahrens, bei dem es nur noch in wenigen Fällen zu mündlichen Verhandlungen kam, und noch viel mehr mit der Aussetzung der Wehrpflicht. Warum hat der Verband auf beides so gut wie gar nicht reagiert, was das systematische Werben um Mitglieder in anderen Bereichen, mit anderen Argumenten angeht?

Dabei haben sich bestimmte politische Bedingungen sogar verbessert: Für die Feststellung "Soldaten sind Mörder" zerren nur noch ganz dumme oder ganz rechte Richter politische Pazifisten auf die Anklagebank, das aber erfolglos, weil es ein DFG-VK-Anwalt war (der auch an dem Treffen teilnahm), der eine höchstrichterliche Entscheidung zu unseren Gunsten erwirken konnte. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten ist bei direkten Aktionen der Rückgang von Verboten auffällig. Erst kürzlich ist ein Atomwaffengegner für seine Aktionen freigesprochen worden, für die er noch in den 70er Jahren wenigstens eine Geldstrafe oder Gefängnis auf Bewährung erhalten hätte - wenn nicht sogar Schlimmeres (siehe frühere Berufsverbote).

Zusammengefasst: Es ist etwas bewegt worden, das Bestand hat - in unserem Sinne. Wie sähe es ohne die DFG-VK aus? Ohne uns hätte das Militär, hätte der Militarismus ganz andere Möglichkeiten gehabt. Aber: Es bleibt widersprüchlich. Die Widersprüche sehen zwar anders aus als vor 40 Jahren, haben aber in unserem Land, in unserer Systemeinbindung, die gleichen gesellschaftspolitischen Ursachen.

Die Epochenwende von 1989/90

Könnten wir aus einer weit entfernten Zukunft zurückblicken auf unser Heute, so sind wir - und damit gerade auch diejenigen, die in Dortmund zusammenkamen - politisch-historisch Privilegierte. Privilegiert, weil wir eine Epochenwende miterlebt haben: Ein vom Anspruch her nichtkapitalistisches Staatensystem ist 1989/90 zumindest von der europäischen Bildfläche verschwunden. Die DFG-VK, die immer nur ein vergleichsweise kleines Rad in dieser bis dahin bestimmenden Systemauseinandersetzung war und von ihr innerverbandlich wie außenorientiert geprägt wurde, hat bis jetzt diesen Epochenwandel überlebt, jedoch keineswegs folgenlos. Hier wurde eine zweite Linie in den Gesprächen deutlich: Das Originäre der DFG-VK, wie zum Beispiel ihr Antimilitarismus, sei insofern nicht mehr erkennbar, weil sich die Unterschiede zu anderen antimilitaristischen Organisationen eingeebnet hätten - oder zugespitzt: Der politische Pazifismus habe seine Identität verloren. Es war der Anlage dieses Treffens geschuldet, dass dies nicht ausdiskutiert wurde. Gleichzeitig zeigte sich hier bereits das Bedürfnis der Anwesenden, es nicht bei dieser Zusammenkunft als einmaligem Ereignis zu belassen (dazu weiter unten Genaueres).

Was wir an der heutigen DFG-VK vermissen

Kaum verwunderlich, dass dieses Unterthema einen recht breiten Raum einnahm. Einmal abgesehen von beruflichen und familiären Schwerpunkten und Alters- wie Gesundheitsbelastungen ausgeklammert, gibt es ja auch andere, politische Gründe, warum ehedem Aktive der DFG-VK den Rücken gekehrt haben; besonders deutlich wird das dort, wo sich Mitglieder weiterhin aktiv engagieren - aber in anderen Bereichen, Verbänden oder in Parteien.

Die DFG-VK nur ein Durchlauferhitzer? Wohl kaum, lässt sich zusammenfassend antworten. Die Fragen, die in den Gesprächsrunden dazu aufgeworfen wurden, berühren den Nerv der heutigen DFG-VK: Wo bleibt unser Profil? Welchen Charakter soll die DFG-VK zukünftig haben? Die Politikbefähigung des Verbandes: Was ist das konkret, und wer setzt sich strategisch dafür ein? Niemand - und das war beeindruckend - hat den Verband abgeschrieben, ganz im Gegenteil. Was ist der Wert unseres Verbandes? Wie sieht unser persönliches Einbringen aus, was sind unsere persönlichen Motive für politisches Engagement?

Man darf immer noch getrost sagen: Typisch DFG-VK wurde es an diesen Stellen konkret. Nicht lamentieren, sondern konstruktive Vorschläge. Einige Beispiele: Der Verband braucht eine Fokussierung auf politische Punktziele. Wir brauchen wieder Persönlichkeiten in der und für die DFG-VK, Persönlichkeiten mit auch starker Außenwirkung, Persönlichkeiten, die nicht nur mit einzelnen Projekten identifiziert werden, sondern für die Weiterentwicklung des politischen Pazifismus der DFG-VK insgesamt stehen. Hierzu wurde angemerkt, dass es bei aller nötigen Bündnispolitik im friedenspolitischen Alltagsgeschäft nötig ist, die eigenen Grundsätze der DFG-VK wieder stärker in den Vordergrund zu stellen. Vielleicht ist es für den Bundesverband Signal und Ansporn zu sehen, dass auch Menschen, die gestern dabei waren und nicht mehr so aktiv in der DFG-VK tätig sind, sich immer noch mit der DFG-VK identifizieren und sich Gedanken machen, wie es weitergehen sollte und könnte.

Erste Konsequenzen

Eingeladen war wegen des 40. Geburtstages der Fusion zur DFG-VK. Kein Sekt, keine Spur geschichtsverklärender Nostalgie. Stattdessen der übereinstimmende Wunsch, mit dem Gedankenaustausch über geschichtliche Fixpunkte nach 40 Jahren Zusammenschluss Denkanstöße zu geben, Duftnoten zu setzen; und der Wunsch, Treffen dieser Art nicht nur von runden Verbandsgeburtstagen abhängig zu machen - angestrebt ist, sich zukünftig - auch angesichts des Alters vieler InteressentInnen - einmal pro Jahr zu treffen. Die Überlegung, "uns Alte" speziell ins Verbandsleben der DFG-VK einzubringen: Wir Älteren stehen der Vermittlungsfrage gegenüber Jüngeren, weniger Erfahrenen gegenüber: Wie lösen wir die? Wir können unsere Erfahrungen anbieten, wir können Impulse geben und wir haben im Unterschied zu früher (zu vor 1989/90) den Vorteil, dass bestimmte ideologische Konkurrenzen weggefallen sind. Und nicht zuletzt: Sowohl unter denen, die eine Teilnahme absagen mussten, als auch unter denen, die wir erst nach dem Treffen erreichen konnten, gibt es so viele, die sich für Informationen und an dieser Art von Engagement, wie sie sich beim Dortmunder Treffen zeigte, sofort interessierten.

Kontinuität und Aufschwung: Wir wollen das Begonnene offensiv fortsetzen!


Tobias Damjanov, Heinrich Häberlein, Manfred Lesch, Hartwig Müller-Reiß-Wiek und Christian Schmidt waren in den vergangenen Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen im DFG-VK-Bundesverband aktiv.


An dem Treffen in Dortmund am 16./17. Mai nahmen teil: Christa Clausen (Essen), Tobias Damjanov (Wattenscheid), Hans Decruppe (Bergheim), Heiner Häberlein (Nürnberg), Dieter Hink (Bremen), Christa Kalisch (Xanten), Norbert Kalisch (Xanten), Thomas Kniwel (Oberhausen), Manfred Lesch (Frankfurt am Main), Hartwig Müller-Reiß-Wiek (Hannover), Walter Picard (Düsseldorf), Juliane Pilz (Essen), Christian Schmidt (Adelsdorf), Joachim Schramm (Witten), Brigitte Schubert (Dortmund), Thomas C. Schwoerer (Frankfurt am Main), Joachim Sensebusch (Hamm), Alois Stoff (Essen), Stefan Urbach (Essen), Willi van Ooyen (Frankfurt am Main)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die DFG-VK-Gründungsurkunde vom 24. November 1974 mit den Unterschriften des Präsidenten Martin Niemöller, der Vorsitzenden Klaus Mannhardt und Helmut Michael Vogel sowie der Vorstandsmitglieder Bernd Kehrer, Joachim Schwammborn, Günter Knebel, Guido Grünewald, Ulli Thiel, Wilfried Twachtmann, Manfred Lesch und Heinrich Häberlein (von oben nach unten und von links nach rechts)

*

Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August/September 2015, S. 17-19
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage, Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20, Telefax: 03212 - 102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang