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GRUNDSÄTZLICHES/014: Die Macht der Worte (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 24 - IV/2009
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Die Macht der Worte
Zum sensiblen Umgang mit "doppeldeutigen" Begriffen

Von Ute Finckh


Was für Regelungen enthält ein "Sekundierungsgesetz"? Was für Assoziationen stellen sich beim Begriff "Rekrutierung" ein? Oder beim englischen Begriff "collaboration"?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber meine erste Assoziation bei "Sekundierung" war ein Duell (nein, keines im Fernsehen!), bei "Rekrutierung" denke ich nach wie vor an die Bundeswehr, und bei "Collaboration" an Kollaboration mit einer Besatzungsmacht. Aber als ich einem deutschen Vertreter einer internationalen IT-Firma sagte, dass bei mir die Bezeichnung "collaboration suite" negative Assoziationen weckt und mich ein Begriff wie "cooperation suite" wesentlich weniger irritieren würde, verstand er überhaupt nicht, was mein Problem war.


"Rekrutierung" von Fachkräften

Irgendwann in unserer Schulzeit haben wir gelernt, dass gleich oder ähnlich klingende bzw. geschriebene Worte in verschiedenen Sprachen sehr Unterschiedliches bedeuten können. Die "Central Intelligence Agency" (besser bekannt als CIA) ist, wie wir alle wissen, keine Behörde zur Erforschung der menschlichen Intelligenz, sondern ein Geheimdienst. Obwohl daher die meisten von uns wissen sollten, dass das englische Wort "intelligence" anders als das deutsche Wort "Intelligenz" mehrere Bedeutungen hat, wird "artificial intelligence" im Deutschen selbstverständlich als "künstliche Intelligenz" übersetzt, was zu diversen Missverständnissen führte, als die ersten Prototypen "intelligenter" beweglicher Gegenstände vorgeführt wurden, deren "Intelligenz" sich im Wesentlichen darauf beschränkte, sich in einem Raum bewegen und dabei Hindernissen ausweichen zu können.

Wenn inzwischen in Deutschland nicht mehr nur SoldatInnen, sondern auch Fachleute oder StudienteilnehmerInnen "rekrutiert" werden, liegt das offensichtlich daran, dass das englische Wort "recruitment" ohne Nachdenken mit "Rekrutierung" übersetzt wird. Mal ehrlich: Möchten Sie für die Teilnahme an einer Studie oder gar für eine neue berufliche Aufgabe "rekrutiert" oder doch lieber "angeworben", vielleicht sogar "gewonnen" werden?

Fachkräftemangel gibt es in vielen Bereichen. Das Bundesinnenministerium macht sich aktuell Gedanken um einen drohenden Fachkräftemangel im IT-Bereich der Ministerien und Bundesbehörden, für den Zivilen Friedensdienst (ZFD) wird ein gravierender Mangel an Friedensfachkräften befürchtet. Und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) sucht laufend nach Personen, die für internationale Friedenseinsätze qualifiziert und dann z.B. in UN-, EU- oder OSZE-Missionen eingesetzt werden können. Preisfrage: In welchem Zusammenhang ist von "Fachkräftegewinnung" die Rede, in welchem von "Rekrutierung"? Auch die Bundeswehr klagt über Personalmangel (jedenfalls im Bereich der Zeit- und Berufssoldaten). Spricht sie eher von "Rekrutierung", von "Anwerbung" oder von "Personalgewinnung"? Und welchen Ausdruck verwendet die Friedensbewegung, wenn sie Werbeaktionen der Bundeswehr kritisiert?


Bewusster Bezug zum militärischen Gebrauch

Auf der Bund für Soziale Verteidigung-Jahrestagung 2007 haben wir intensiv und kontrovers darüber diskutiert, ob wir den eindeutig im zivilen Bereich (der internationalen entwicklungspolitischen Organisationen) entstandenen Begriff "human security" (menschliche Sicherheit) weiter verwenden dürfen, weil er inzwischen vielfach zur Rechtfertigung militärischer Interventionen missbraucht wurde. Die meisten von uns waren der Ansicht, dass wir den Begriff verteidigen sollten - natürlich gewaltfrei.

Der Begriff "soziale Verteidigung", den unser Gründungsvorsitzender Theodor Ebert als Übersetzung des englischen Begriffes "civil defence" etabliert hat, weil im Deutschen "Zivile Verteidigung" bereits durch die Bundeswehr besetzt war, hat einen ganz bewussten Bezug zum militärischen Gebrauch des Wortes "Verteidigung". Denn es ging in der Situation des Kalten Krieges darum, die Ängste vieler Menschen in der Bundesrepublik ernst zu nehmen, die sich militärisch bedroht fühlten und denen eine Alternative zum Rüstungswettlauf zwischen Nato und Warschauer Pakt aufgezeigt werden sollte. Dazu kommt, dass es eine ganze Reihe ziviler Bedeutungen von "Verteidigung" gab und gibt: in politischen Debatten (dazu passt dann das TV-Duell), im Sport (z.B. im Fußball oder im Schach), vor Gericht und in der Wissenschaft (Verteidigung einer Doktorarbeit). Auch Titel werden verteidigt, Wahlkreise oder ganz allgemein "Positionen". Dies hat inzwischen, rund 20 Jahre nach der Auflösung des Warschauer Paktes, allerdings zu einem gewissen Paradox geführt: Je weniger in unserer Gesellschaft das Militär mit dem Begriff "Verteidigung" assoziiert wird und je weniger Menschen Angst vor einem militärischen Angriff auf die Bundesrepublik haben, desto schwieriger wird es für Vorstand und Geschäftsstelle des BSV, den Namen "Bund für soziale Verteidigung" Außenstehenden zu erklären. Manche Probleme nehme ich auf den zweiten Blick gesehen ja ganz gerne in Kauf!


Mit dem Bedeutungswandel umgehen

Es sieht nun so aus, als müssten wir mit einem neuen Paradox fertig werden:

Der eine Teil der Friedensbewegung (durchaus nachvollziehbar) besteht darauf, Rekrutierungsversuche der Bundeswehr in Schulen und Arbeitsagenturen als solche zu bezeichnen und sich nicht auf Euphemismen wie "Personalgewinnung" einzulassen, weil mit dem Begriff "Rekrutierung" zumindest derzeit noch das Wissen darum verknüpft ist, dass "Soldat" kein Beruf, sondern ein besonderes Gewaltverhältnis ist.

Aber gleichzeitig ist aus dem Bereich der internationalen Organisationen der Begriff "recruitment" für die Gewinnung von zivilen ExpertInnen und Friedensfachkräften als "Rekrutierung" ins Deutsche gewandert.

Über kurz oder lang kann es dadurch zu Problemen kommen: Entweder geht der Bezug des Wortes "Rekrutierung" zum Zwangscharakter des Militärdienstes verloren. Das würde unseren Protest gegen die Rekrutierungspraktiken der Bundeswehr komplizierter machen. Oder der Begriff "Rekrutierung" bleibt mit der Assoziation "Militär" verbunden, was zu der Fehlassoziation führen könnte, dass Friedensfachkräfte für Konzepte der zivil-militärischen Zusammenarbeit zur Verfügung stehen (müssen). Da es in der deutschen Diskussion, z.B. in Bezug auf die Afghanistan-Strategie der Bundesregierung, durchaus Vereinnahmungsversuche in dieser Richtung gab und gibt, ist es in manchen Zusammenhängen riskant, von der "Rekrutierung" von Friedensfachkräften zu sprechen.

Im Umgang mit internationalen Organisationen ist es verlockend und manchmal unumgänglich, deren Sprachgebrauch zu übernehmen. Das "UN Peace Operations Recruitment Centre" sucht nicht nach SoldatInnen, sondern nach zivilen Fachkräften für Friedensmissionen. Also spricht auch die "Nonviolent Peaceforce" von "recruitment of field team members".

Andererseits meiden Organisationen wie der internationale Versöhnungsbund oder die Quäker (American Friends Service Committee) auch auf englisch strikt das Wort "recruitment", wenn es um die Gewinnung von Friedensfachkräften oder Freiwilligen geht. Sie benutzen dieses Wort nur, wenn es um Proteste gegen Rekrutierung für militärische Zwecke geht.

Wir sollten überall, wo es geht, ihrem Beispiel zu folgen und den Begriff "Rekrutierung" nur dort verwenden, wo der Kontext klar macht, dass hier ein Fachterminus verwendet wird bzw. im Zweifelsfall direkt darauf hinweisen.

Übrigens: "Sekundierung" ist die deutsche Übersetzung des englischen Begriffes "secunding". Wer "sekundiert" ist, arbeitet für eine andere Einrichtung als die, von der er bezahlt wird. Das Sekundierungsgesetz "regelt die Absicherung von sekundierten zivilen Personen, die im Interesse der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention bei internationalen, supranationalen oder ausländischen staatlichen Einrichtungen tätig werden, soweit diese Personen nicht durch Dritte, insbesondere durch die aufnehmende Einrichtung, bei der sie tätig werden, sozial abgesichert sind." Wundert sich etwa jemand, dass dieses Gesetz in der bundesdeutschen Presse und Öffentlichkeit keinerlei Aufmerksamkeit gefunden hat?


Dr. Ute Finckh ist Vorsitzende des Bunds für Soziale Verteidigung (BSV).


*


Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 24, IV/2009, S. 19 - 20
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2010