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FRAGEN/002: "Boykottiert Waffenexporteure!" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Boykottiert Waffenexporteure!"
Interview mit Jayantha Dhanapala, ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär für Abrüstungsfragen
und Präsident der Pugwash-Bewegung

Für die ZivilCourage sprach Guido Grünewald mit Jayantha Dhanapala


Im November 2007 fand die Jahrestagung des Internationalen Friedensbüros (International Peace Bureau - IPB) in Alexandria statt. Das zugehörige Seminar stand unter der Überschrift "Nachhaltige Abrüstung für nachhaltige Entwicklung". Seit 2005 befasst sich das Friedensbüro mit diesem Schwerpunktthema. Mit einer langjährigen und breit angelegten Kampagne soll versucht werden, an die Erkenntnisse der 1980er Jahre (als das Thema in den Vereinten Nationen und weiteren internationalen Foren breit diskutiert wurde) anzuknüpfen und über die Friedensbewegung hinaus andere soziale Bewegungen sowie breitere Teile der Zivilgesellschaft anzusprechen.

Die deutsche Fassung des Handbuchs zur IPB-Kampagne "Wessen Prioritäten? Ein Handbuch für Kampagnen zu militärischen und sozialen Ausgaben" ist auf der Homepage des IPB abrufbar (www.ipb.org/Prioritaten Deutsch.pdf, auf Seite 35 f. wird unter den Aktionsbeispielen die DFG-VK-Fahrradtour "Auf Achse für Frieden, Abrüstung und ein ziviles Europa" beschrieben.)

Das Seminar in Alexandria war m.E. ein gelungener Baustein in dieser Kampagne. Beobachter aus den Außenministerien arabischer Staaten waren ebenso anwesend wie (ehemalige) Diplomaten und Wissenschaftler. Für diesen Teilnehmerkreis stand (offiziell als Thema unter dem Aspekt atomare Abrüstung oder latent) der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern/Arabern im Vordergrund. Die sozialen Folgen des Wettrüstens bzw. Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung wurden von NGO-Vertretern aus Nord- und Südamerika, Asien, Europa und Afrika thematisiert und auf beachtlichem Niveau diskutiert. Darüber hinaus gab es für mich abseits des Konferenzprogramms u.a. eine spannende Diskussion mit einem aktiven Oberst der nigerianischen Armee über "humanitäre Interventionen", während abends im Café "Friedensdiplomatie von unten" bei schwierigen Gesprächen mit Ägyptern über "die Juden" angesagt war, die nach allgemeiner Überzeugung der Anwesenden alle Araber vernichten wollen.

Da ein Konferenzbericht ohnehin nur begrenzte Einblicke geben kann, habe ich mich entschlossen, in einer Folge von 3 Beiträgen (2 Interviews und ein Gastbeitrag) die Bandbreite des in Alexandria diskutierten Spektrums in dieser und den folgenden Ausgaben der ZivilCourage vorzustellen. Zu Beginn steht ein Interview mit Jayantha Dhanapala, der kürzlich zum Präsidenten der Pugwash-Bewegung gewählt wurde.

Guido Grünewald ist Internationaler Sprecher der DFG-VK und Vertreter beim IPB.


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ZivilCourage: Herr Dhanapala, Sie engagieren sich sehr für die atomare Abrüstung. Das "Fenster der Möglichkeit" (window of oppportunity), das sich nach dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren öffnete, wurde leider nicht genutzt. Welche Chancen sehen Sie, eine atomwaffenfreie Welt zu erreiche", und was sind in Ihrer Sicht geeignete Strategien?

Jayantha Dhanapala: Die Pugwash-Bewegung war während des Kalten Krieges und auch danach eine treibende Kraft der Bewegung für atomare Abrüstung, und dies wurde durch die Verleihung des Friedensnobelpreises 1996 anerkannt. Wir haben uns damals grundsätzlich für dieselbe Sache eingesetzt wie heute, dass wir uns an unsere Menschlichkeit erinnern und die zerstörerischste Waffe, die jemals von Menschen erfunden wurde, abschaffen. Dass seit Hiroshima und Nagasaki 1945 keine Atomwaffen mehr zum Einsatz gekommen sind, ist mehr auf schieres Glück zurückzuführen als auf die Klugheit der Atomwaffenstaaten. Heute können wir mit der Weiterverbreitung von Atomwaffen an andere Staaten und möglicherweise sogar an terroristische Gruppen nicht länger auf das Glück vertrauen, insbesondere nicht nach den Aktivitäten von Akteuren wie Dr. A.Q. Khan und seinem Netzwerk. Außerdem wird der Einsatz von Atomwaffen von einigen Atomwaffenstaaten, die bunkersprengende Bomben und "zuverlässig austauschbare Sprengköpfe" (Reliable Replacement Weapon RRW) entwickeln, vorsätzlich eingeplant. Daher ist es eine reale Möglichkeit, dass Atomwaffen unabsichtlich oder absichtlich von Staaten oder nichtstaatlichen Akteuren zum Einsatz gebracht werden mit all ihren schrecklichen Konsequenzen für die Menschheit. Auch das zunehmende Vertrauen in die Atomenergie im Zuge des Klimawandels erhöht die Gefahr der atomaren Weiterverbreitung. Konventionelle Waffen können die Zwecke der nationalen Verteidigung und Abschreckung, die für Atomwaffen reklamiert werden, genau so gut erfüllen. Wir müssen daher mit Unterstützung der Zivilgesellschaft die Behauptung, Atomwaffen seien legitime Waffen, zurückweisen und ihre Abschaffung verlangen. Wenn es keine Atomwaffen mehr gibt, hat auch das Problem der Weiterverbreitung aufgehört zu existieren.

Das IPB-Seminar in Alexandria stand unter der Überschrift "Nachhaltige Abrüstung für nachhaltige Entwicklung". Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Verbindungslinien zwischen diesen beiden Bereichen?

Die Verbindung zwischen Abrüstung und Entwicklung geht weit über die simple Alternative hinaus, die in dem "Gewehre oder Butter"-Dilemma nahe gelegt wird, das sich der Menschheit seit Jahrhunderten stellt. Es stimmt, dass in einer Welt, in der für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind 184 US-Dollar jährlich für Rüstung ausgegeben werden, eine Milliarde Menschen in absoluter Armut leben mit einem Einkommen von weniger als einem Dollar pro Tag. Aber es geht nicht nur darum, dass die Verteilung von Ressourcen schief wird und falsche Prioritäten gesetzt werden, wenn Regierungen mehr für Waffen ausgeben als für Bildung und Gesundheit. Größere Bedeutung hat, dass durch die Verbreitung von Waffen Unsicherheit erzeugt wird und dass die Bedingungen absoluter Armut Gewalt und Terrorismus hervorbringen. Wettrüsten ist per se nicht mit Nachhaltigkeit vereinbar. Nur die vollständige und überprüfbare Vernichtung der Massenvernichtungswaffen und die Begrenzung konventioneller Waffen auf das geringstmögliche Niveau, das mit den Erfordernissen der nationalen Sicherheit vereinbar ist, kann als nachhaltige Abrüstung betrachtet werden. Die UN-Charta sieht keine völlig waffenfreie Welt vor, wie die Artikel 51 (Recht der Staaten auf Selbstverteidigung) und 42 (Recht auf kollektive Selbstverteidigung im Fall einer Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit) zeigen. Sicherheit auf dem geringstmöglichen Niveau von Rüstung wird eine nachhaltige Entwicklung unter Bedingungen von Stabilität und Ordnung ermöglichen. Die Umwelt muss vor den schädlichen Folgen von Atomtests, Kriegen, dem Einsatz von Landminen und anderer Waffen geschützt werden.

Viele Staaten, aber durchaus auch Teile der Bevölkerung, sehen ein Spannungsverhältnis zwischen Abrüstung und Sicherheit. Welches Sicherheitskonzept vertreten Sie und welche Rolle spielen in diesem Konzept Abrüstung und Entwicklung?

Sicherheit war in der Vergangenheit rein militärisch definiert. Es war daher logisch, ein auf Waffen basiertes Sicherheitskonzept als Zielvorstellung zu haben. Heute haben wir eine wesentlich erweiterte Vorstellung von Sicherheit. Ein bewaffneter Friede mit seinen inhärenten Spannungen kann den Bürgern eines Landes keine Sicherheit bieten. Die Vereinten Nationen haben ein Sicherheitskonzept entwickelt, das auf dem Dreiklang von Frieden und Sicherheit, Entwicklung sowie Menschenrechten beruht. Fehlt eine dieser drei Säulen, haben wir eine Welt, die deutlich weniger sicher ist. Dieses umfassende Sicherheitskonzept ist der komplexen Welt von heute angemessen, in der wir mit einer Vielzahl von Herausforderungen - politischen, wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und kulturellen - konfrontiert sind. Wir sind uns außerdem heute sehr viel mehr bewusst, wie stark wir global miteinander vernetzt sind, so dass die unsichere Lage einer Nation uns alle gefährden kann. Kein Staat kann heute mehr Sicherheit auf Kosten eines anderen Staates erreichen. Wir brauchen daher ein weltweites kollektives Sicherheitssystem, das auf Zusammenarbeit beruht. Mehr Rüstung erzeugt Spannungen zwischen den Staaten sowie Unsicherheit. Transparenz in Bezug auf Waffenarsenale und vertrauensbildende Maßnahmen stärken die Sicherheit.

In den 1980er Jahren wurde das Verhältnis von Abrüstung und Entwicklung in den Vereinten Nationen und darüber hinaus breit diskutiert. Aus welchen Gründen ist dieser Impuls verloren gegangen? Warum wird der Zusammenhang von Abrüstung und Entwicklung heute in den UN und anderen internationalen Foren nur noch selten erwähnt?

Das Abschlussdokument der UN-Konferenz über das Verhältnis von Abrüstung und Entwicklung von 1987 enthält ein Programm, das immer noch auf seine Umsetzung wartet. Es bleibt Papier aufgrund der entschiedenen Opposition seitens der Industriestaaten und des fehlenden gemeinsamen Handelns seitens der Entwicklungsländer. Eine jüngere Studie der UN hat die Schlussfolgerungen des Dokuments von 1987 auf den aktuellen Stand unserer heutigen globalisierten Welt gebracht. Die Streitpunkte zwischen dem Norden und Süden bestehen weiter, aber es gibt auch Widersprüche zwischen den Entwicklungsländern, da Rüstungsausgaben den Vorzug vor Ausgaben für Entwicklung haben, entweder in Verfolgung einer aggressiven Politik oder aus Prestigegründen. Die Verbindungen zwischen Waffenproduzenten im industrialisierten Norden und Kunden im Süden blühen. Von 2002 bis 2006 hat der internationale Rüstungstransfer um mehr als 50 Prozent zugenommen, wobei auf die USA und Russland jeweils etwa 30 Prozent der weltweiten Waffenlieferungen entfallen. Ein Vertrag über den Waffenhandel, der vorgeschlagen wurde und im Rahmen der Vereinten Nationen geprüft wird, ist vielleicht ein Instrument, um die Umsetzung des Abschlussdokuments von 1987 voranzubringen und eine wirkliche, aus Abrüstung stammende Friedensdividende für eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten.

Welche Rolle können Organisationen der Zivilgesellschaft dabei spielen, wichtige Themen wie die Verbindung von Abrüstung und Entwicklung in den Mittelpunkt der internationalen Diskussion und Entscheidungsfindung zu bringen?

Ich habe immer daran geglaubt, dass der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle in der nationalen und internationalen Politik zukommt. Vor einiger Zeit beschrieb die New York Times die Zivilgesellschaft als "die andere Supermacht", und das ist sie tatsächlich. Allerdings müssen wir die Zivilgesellschaft mobilisieren, damit sie handelt. Ein herausragendes Beispiel ist, wie die Internationale Kampagne zur Ächtung von Bodenminen unter Führung von Jody Williams das einfache Instrument der eMails genutzt hat, um den Ottawa-Prozess in Gang zu bringen, der schließlich die Ächtung der Minen erreichte. Dies kann auch in anderen Bereichen von Abrüstung wiederholt werden. So könnten die momentanen Bemühungen der Zivilgesellschaft um die Ächtung von Streumunition an Fahrt gewinnen. Dieselbe Aufmerksamkeit benötigen wir, um auf die Verbindung von Abrüstung und Entwicklung aufmerksam zu machen. Wir brauchen Wachhunde der Zivilgesellschaft, die Vereinbarungen zwischen Regierungen und Waffenhändlern über Rüstungskäufe aufdecken. Wir müssen vollständige Transparenz fordern. Dazu sollten wir uns der nationalen Justiz und der Medien bedienen. Wir müssen den Bürgern erklären, dass Geld, das für Waffen ausgegeben wird, ihnen Mittel raubt, die für Nahrung, Schulen, Krankenhäuser und andere Wohlfahrtprojekte verwendet werden können.

In Alexandria haben Sie vorgeschlagen, die 25 weltweit größten Waffenproduzenten zu boykottieren. Bitte sagen Sie uns etwas zu den Möglichkeiten und Problemen einer derartigen Aktion.

Die Kampagne gegen die Apartheid war global wegen der breiten Abscheu über den Rassismus des damaligen Regimes in Pretoria. Der Boykott gegen südafrikanische Waren und südafrikanische Sportler war bemerkenswert erfolgreich. Wir können die gleiche Ablehnung hervorrufen gegen Waffenhändler, die von Waffenlieferungen an Entwicklungsländer profitieren und Konflikte verschärfen, während sie gleichzeitig nicht-staatlichen Akteuren Waffen für terroristische Zwecke verfügbar machen. Wir müssen der Welt die Fakten über den Waffenhandel zur Verfügung stellen - seinen Umfang, die teilweise verschlungenen Lieferwege und die schrecklichen Folgen. Bestimmte Waffenproduzenten in den Mittelpunkt zu stellen wird der Kampagne eine klare Stoßrichtung geben. Eine derartige Aktion muss von nichtstaatlichen Organisationen organisiert und weltweit koordiniert werden. Die NGOs sollten ihr Aktivisten-Netzwerk nutzen, um den Boykott dieser Firmen durchzuführen.


Jayantha Dhanapala ist Präsident der Pugwash-Bewegung. Der 69-Jährige hat eine herausragende Karriere im Auswärtigen Dienst Sri Lankas absolviert. 1995 war er Botschafter seines Landes in den USA sowie von 1998 bis 2003 stellvertretender UN-Generalsekretär für Abrüstungsfragen. Er hat in dieser Zeit vielfältige Initiativen für Abrüstung unternommen und sich bemüht, das Thema Abrüstung und Entwicklung in den UN wiederzubeleben. Jayantha Dhanapala hat sich als einer von wenigen hochrangigen Diplomaten stets dafür eingesetzt, den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft in den internationalen Foren und Körperschaften zu vergrößern. Das International Peace Bureau zeichnete ihn bei seiner Jahrestagung im November in Alexandria mit dem Sean MacBride-Preis aus.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Februar/März 2008, S. 18-20
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2008