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FRAGEN/012: "Mit Pauken und Trompeten" für Frieden (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 1 / 2019
Magazin der DFG-VK

Friedenskultur
"Mit Pauken und Trompeten" für Frieden

Interview mit der DFG-VK- und Lebenslaute-Aktivistin Hedi Sauer-Gürth von Stefan Philipp


Hedi, was hat klassische Musik mit Frieden zu tun?

Harmonien in Dur oder Moll zu spielen oder zu singen, dazu passend zum Thema ein Auftritt in Konzertkleidung ist nur an Unrechtsorten außergewöhnlich. Allein dies drückt Frieden aus. Wenn es um Tod geht wie z.B. beim Requiem von Mozart, dann kann das den Tod ausdrücken, so wie wir dies in Stuttgart zum Thema Drohnen gesungen haben. Denn von der US-Kommandozentrale "Africom" in Stuttgart geht der Tod aus, weil dortTodeslisten von Menschen erstellt werden, die ohne Gerichtsverfahren durch Drohneneinsätze getötet werden; diese Listen werden dann vorm "Abschuss" vom US-Präsident persönlich unterschrieben.

Wie entscheidet ihr, bei welcher Aktion Ihr Euch beteiligen wollt?

Zum Jahresbeginn treffen sich 20 bis 30 Menschen von den Lebenslauten mit Aktionsideen und sammeln die Anfragen, die an uns gestellt wurden. Günstig ist es, wenn es unter uns welche gibt, die für ein bestimmtes Thema "Feuer und Flamme" oder persönlich betroffen sind. Dann entscheiden wir im Konsensverfahren zwischen einer Handvoll Aktionsmöglichkeiten. Das ist nicht einfach, weil die meisten Vorschläge wichtig und spannend sind. Manche Aktionsanfragen werden an Regionalgruppen weitergegeben.

Bei den Themen und Vorschlägen leiten uns bei der Entscheidung Kriterien wie Wichtigkeit, Aktualität, Unterstützung sowie Möglichkeit, wie dabei ziviler Ungehorsam geleistet werden kann. Bei unserer Entscheidungsfindung bleiben dann schließlich eine oder zwei Aktionsmöglichkeit übrig. Im Jahr 2013 haben wir dann sogar auch zwei Aktionen durchgeführt.

Seid ihr überwiegend zum Thema Frieden aktiv?

Ja, weil wir unsere Konzerte vor Waffenfabriken, Abschiebe-Flughäfen und Abschiebegefängnissen, vor Atomfabriken und Raketendepots, an Militärübungsplätzen, aber auch in Behörden machen, wo sich Geflüchtete melden sollen. Vergangenes Jahr wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz blockierend bespielt - also menschenbedrohende Orte. Durch Gesetzesübertretungen, die wir vorher ankündigen, suchen wir die politische Konfrontation. Wir wollen, dass diese Orte verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gelangen, indem wir mit unserem Widerstand, mit politischen und künstlerischen Mitteln, Präsenz zeigen.

Seit wann bist Du bei den Lebenslauten aktiv? Was hat Dich motiviert, dabei mitzumachen?

Meine erste Aktion war im Jahr 2012, wo die Waffenfabrik Heckler & Koch blockiert wurde. Vorher hatte ich von den Lebenslauten eigentlich noch nichts gewusst. Ich war zu der Zeit bei der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" aktiv, und da ich schon immer gerne singe u.a. auch in verschiedenen Chören, fand ich es besonders reizend, beides zu verbinden. Ansprechend war für mich dabei, dass im Konsens entschieden wurde, ein Verfahren, mit der ich auch in anderen Zusammenhängen arbeite bzw. umgehe.

Warum hast du Dich für dieses Engagement entschieden? Das ist ja zusätzlich zu dem, was du bereits mannigfaltig in der und für die DFGVK machst.

Für mich ist die Verbindung - gewaltfrei handeln, ziviler Ungehorsam, klassische Musik, gemeinsame Aktion, Unrechtsorte benennen - einmalig, eben nur bei den Lebenslauten möglich. Andererseits möchte ich die Arbeit in der DFG-VK mit den Aktionen der Lebenslaute verbinden - dies gelingt mir immer wieder, gerade weil ich über den Bundausschuss die Fäden spinnen kann.

Sind auch andere Lebenslaute-Mitglieder in der DFG-VK Mitglied und/oder dort aktiv?

Ja, einige der Lebenslaute-Menschen waren es früher, andere sind zur Zeit bei der DFG-VK ebenfalls aktiv.

Nach welchen Kriterien entscheidet Ihr, welche Stücke ihr bei welcher Aktion präsentiert?

Es bildet sich bei Lebenslaute sehr schnell eine Arbeitsgruppe, die sich mit den Musikstücken beschäftigt. Beim Januartreffen werden Vorschläge gesammelt, die vielleicht zu dem Thema passen - die Arbeitsgruppe, meistens sind ProfimusikerInnen darunter - hört sich die Musik an, achtet auf den Text und macht dann einen Vorschlag, der im Groben zum Einladungsflyer schon fertig ist. Wenn die Texte nicht passend sind, werden neue getextet und in den Notensatz gesetzt.

Wann, warum und von wem wurden die Lebenslaute gegründet?

Vor nunmehr 33 Jahren entstand die Idee von Lebenslaute. Eine ungewöhnliche, sehr kreative Fügung, die wir Wolfgang und Frieder Dehlinger und Rudolf Schmid verdanken. Der Name "Lebenslaute" wurde von Uwe Painke geprägt, einem Mitarbeiter des Tübinger Friedensbüros.

Bei einer Gruppe von Blockade-Aktiven, die sich immer nach Silvester ein paar Tage zum Musizieren und Ausspannen trafen, entstand die Idee, die Zeit bis zur Räumung, statt still dazusitzen, zu nutzen, um Musik zu machen. Die Idee war auch, mit dem musikalischen Protest dem Zerstörenden etwas Lebensbejahendes, Grenzüberschreitendes entgegenzusetzen. Die Idee der Konzertblockade war geboren. Im Jahr 1986 fanden sich Menschen in Mutlangen die während der Blockaden sich mit Musik die Zeit verschönen wollten.

2019 bestehen die Lebenslaute nun 33 Jahre: Dazu wird es eine Dokumentation geben. Unter anderem gibt es für jedes Jahr einen Bericht und allgemeine Artikel - hoffentlich wird dieses Jahr das Buch erhältlich sein.

Was sind die Ziele der Lebenslaute?

Auf Unrechtsorte aufmerksam machen, nachhaltig Umdenken bewirken, langfristige Veränderungen und Frieden schaffen.

Lebenslaute machen nicht einfach nur Konzerte mit zivilem Ungehorsam und klassischer Musik an Unrechtsorten - bei uns steht die Pressearbeit im besonderen Fokus. Wir wollen, dass diese Unrechtsorte wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gelangen, indem wir mit unserem Widerstand, mit politischen und künstlerischen Mitteln Präsenz zeigen. Wir treten bewusst in Konzertkleidung auf.

Wie viele Menschen sind bei den Lebenslauten aktiv?

Es gibt verschiedene Listen, wo wir Lebenslaute-Menschen intern für Aktionen ansprechen - jede Aktion wird örtlich und über die Homepage bundesweit beworben. Bei einer bundesweiten Aktion sind zwischen 70 und 100 Menschen aktiv, im Orchester, im Chor und bei der Aktionsunterstützung. Bei der bundesweiten Jahresaktion sind bis zu drei Konzerte geplant: ein Vorkonzert - dort ist der musikalische Höhepunkt und die Information in der Region. Eine Blockade; in Fällen, wo wir mehrere Tore blockieren und uns deshalb teilen müssen. Dabei geht es in erster Linie um zivilen Ungehorsam, es werden "kleine" Stücke auf kleinen Bühnen gespielt. Ein Aktionskonzert findet nach der Blockade statt, hierfür laden wir öffentlich ein, es gibt meist eine behördliche Anmeldung.

Es gibt auch Regionalgruppen, die in Kleingruppen Aktionen, Konzerte oder sogar Blockaden durchführen. In unserm Netzwerk erreichen wir ca. 400 Menschen.

Welche Konzertaktion ist dir besonders in Erinnerung bzw. hat dich besonders berührt und warum? Was war das Besondere?

Ich kann mich nicht wirklich nur für eine Konzertaktion entscheiden denn jedes Thema hat unterschiedliche Schwerpunkte, jedes Bild, welches beim Aktionskonzert entsteht, drückt eine Einmaligkeit aus. Auch wenn wir zum Beispiel 2015 ein "Go in" in den Kohletagebau Hambach mit wenig Publikum hatten, war das Bild von Chor und Orchester in der "Öde vor dem Riesenbagger" eben einmalig.

Oder 2017, da musizierten wir das Aktionskonzert vor den Toren des Fliegerhorstes Jagel, zuvor hatten wir acht Tore blockiert. Das Lebenslaute-Konzert war für die DFG-VK-Gruppe dort die bis dahin größte Aktion am Fliegerhorst Jagel, obwohl es an einem Werktag stattfand.

Wie sieht dein Engagement bei den Lebenslauten aus, spielst du ein Instrument?

Ich singe Sopran. Seit 2013 bin ich in der Vorbereitungsgruppe aktiv, innerhalb dieser bringe ich mich gerne bei den Organisationsaufgaben ein. Ich male sehr gerne, so gestalte ich passend für die Aktion jährlich mehrere Banner und organisiere während der Aktionswoche u.a. das Malen von Bannern.

Wenn die Lebenslaute bei einer Aktion mitmachen, dann kommen dabei ja viele Menschen zusammen, die nicht ständig miteinander musizieren. Und ihr seid ja wohl überwiegend keine professionellen MusikerInnen. Erfordert ein Aktionskonzert nicht eine intensive Probephase? Wie organisiert Ihr das?

Lebenslaute hat bundesweit drei Termine. Im Januar treffen sich 20 bis 30 Personen und entscheiden über Thema, Ort und Termin der bundesweiten Aktion. Das zweite Wochenende ist meistens im Mai oder Juni, dabei proben wir die Musikstücke, und es gibt einen Infoteil, wozu wir Referenten und/oder Menschen der jeweiligen Bürgerinitiative einladen. Das dritte Treffen ist dann die Aktionswoche; während dieser Woche wird musikalisch geprobt, in Bezugsgruppen wird die Aktion im Detail besprochen und entschieden, intensiv läuft die Pressearbeit, die Aktionsunterstützung hat einen 20-Stunden-Tag. Trotz sehr intensivem Arbeiten von allen ist die Stimmung dabei sehr positiv.

Sind die Lebenslaute-MusikerInnen und - SängerInnen in "normalen" Orchestern und Chören aktiv und wie kommt ihr politisches Engagement z.B. in einem Kirchenchor oder einem Symphonieorchester an?

Die meisten Lebenslaute-MusikerInnen und -SängerInnen sind in "normalen" Orchestern und Chören aktiv, manchmal gehen Menschen sogar in einen Chor, um z.B. das Mozart-Requiem zu üben. Wie das politische Engagement bei den anderen ankommt, ist sehr unterschiedlich. In meinem Chor wird es teilweise sehr positiv gesehen. "Das verändert doch nicht die Welt", habe ich zwar auch schon vernommen, und doch möchte ich die Hoffnung niemals aufgeben.

Was plant ihr für dieses Jahr?

Unsere Sommeraktion 2019 findet statt am Erstaufnahmelager NostorfHorst in Mecklenburg-Vorpommern. Wir solidarisieren uns mit den Geflüchteten im Lager sowie "Pro Bleiberecht" und anderen Unterstützer*innen. Mit ihnen fordern wir: "Schluss mit Isolation und Abschiebungen! Horst schließen!" Aktionsvorbereitungs- und Probewochenende ist vom 14. bis 16. Juni in Waltershausen. Die Aktionstage in Nostorf-Horst sind dann vom 13. bis 19. August. Alle Informationen dazu gibt es auf unserer Homepage unter https://www.lebenslaute.net/

Gibt es vergleichbare Gruppen wie die Lebenslaute auch in anderen Ländern?

Manchmal beteiligen sich Menschen aus anderen Ländern an regionalen oder bundesweiten Aktionen, wir hatten auch mal für einige Jahre eine Dirigentin aus Österreich. Mir ist aber nicht bekannt, dass es anderswo so etwas wir unser Netzwerk Lebenslaute gibt.

Ihr habt euch beispielsweise in Büchel mit einem Konzert gegen die dort stationierten US-Atomwaffen und die sog. nukleare Teilhabe Deutschlands engagiert. Macht ihr dann auch bei Blockaden mit, sitzt ihr dann mit einer Violine oder einem Kontrabass vor dem Tor des Fliegerhorsts?

2013 hatten sich die Lebenslaute für zwei bundesweite Aktionen entschieden. In Berlin die Flüchtlingsorganisationen "Karawane" und "The Voice" mit einer Blockade des Bundesinnenministerium und Unterstützung des "Internationalen Tribunals gegen die Bundesrepublik Deutschland".

Und eben in Büchel die Unterstützung der 24-Stundenmahnwache der Kampagne "atomwaffenfrei.jetzt". Wir von Lebenslaute waren bei der Büchel-Aktion im Vorfeld bei der Aktionserkundung sowie -planung und auch dem Aktionstraining eingebunden. Wir haben dann die 24-Stunden-Blockade mit einem Konzert gestartet. Anschließend waren wir am zweitgrößten Tor des Fliegerhorsts, und es kam niemand mehr rein. Nach 24 Stunden gab es noch einen musikalischen Abschluss.

Wie wirkt sich nach deiner Erfahrung euer Ansatz, klassische Musik mit dem Engagement für Frieden und gegen Krieg zu verbinden, auf die Gruppen, mit denen ihr eine Aktion gemeinsam macht, aus?

Ich habe meist Positives von den örtlichen Gruppen erfahren. Es ist uns wichtig, dass wir den örtlichen Widerstand unterstützen.

Spielt Kultur nach deiner Erfahrung in der Arbeit der Friedens- und Antikriegsbewegung eine Rolle - bzw. welche Art, welcher Aspekt von Kultur sollte welche Rolle spielen?

Meiner Meinung nach spielt Kultur in jeder Richtung eine Rolle, ob musikalisch oder durch Theaterstücke, durch Skulpturen oder Gebäudebaukunst. Schaue ich in die Vergangenheit, so wurden kulturelle Zeichen zu Frieden als auch für Krieg geschaffen. Unser Leben ist von allem geprägt, wir selbst können in unserer Arbeit die Richtung zur Friedens- und Antikriegsbewegung zeigen durch Bild, Schrift und Tun.

Geht Gesellschaftsveränderung ohne kulturelle Rückbezüge bzw. welche Implikationen hat es, wenn man friedenspolitisches Engagement nicht nur "äußerlich" versteht, sondern als Ziel von einer gesellschaftlichen Kultur des Friedens ausgeht?

Wir stehen vielseitig wir im Leben; die Vielfalt gibt uns die Möglichkeit des Respekts füreinander, aber auch, zu uns selbst zu finden. Nur im Einklang mit uns selbst können wir den Weg des Friedens gehen. Ich kann dabei auf Mahatma Gandhi verweisen, der sagte: "Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg". Wenn wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen als Teil der Natur mit Verantwortung für alles Leben, dann schaffen wir das meiner Meinung nach nur mit friedenspolitischem Engagement in uns und nach außen. Daraus entsteht die gesellschaftliche Veränderung, die wir eben kulturell zum Ausdruck bringen. Wir bewirken durch kulturelle Darbietungen andererseits Nachdenken und Anregung zur Veränderung.


Hedwig ("Hedi") Sauer-Gürth
ist seit Langem aktiv in der DFG-VK-Gruppe Mannheim-Ludwigshafen, Mitglied im baden-württembergischen LandessprecherInnenkreis, repräsentiert ihren Landesverband im DFG-VK-Bundesausschuss und ist Vertreterin der DFG-VK bei der Kampagne "Stopp Air Base Ramstein" - und engagiert sich bei den Lebenslauten (https://www.lebenslaute.net).

Die Fragen zu diesem Engagement stellte ZivilCourage-Chefredakteur Stefan Philipp.

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Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 1 / 2019, S. 18 - 19
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
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Einzelheft: 2,80 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2019

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