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STANDPUNKT/086: Friedensnobelpreis für einen Kriegspräsidenten (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5/6 - Dezember 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Friedensnobelpreis für einen Kriegspräsidenten
Gedanken einer US-Amerikanerin, die in der deutschen Friedensbewegung aktiv ist

Von Elsa Rassbach


Als US-Amerikanerin bin ich natürlich etwas optimistisch veranlagt. Am 12. November kamen wieder diese "Change"-Hoffnungen auf, und zwar durch eine E-Mail der US-Friedensorganisation Granny Peace Brigade (Friedensbrigade der Großmütter) in New York: "Jetzt ist die Zeit. Drängt, drängt, drängt, ruft an, faxt, schickt E-Mails an whitehouse.gov. Obama zeigt endlich Rückgrat. Er akzeptiert keine der 'Mehr-Truppen'-Optionen, die andere ihm verkaufen wollen. Deshalb: Drängt jetzt darauf, den Krieg in Afghanistan zu beenden und unsere Truppen nach Hause zu holen."

Sollten unsere Anrufe und E-Mails an das Weiße Haus doch noch etwas bewirken können? Dann wäre der Friedensnobelpreis für Barack Obama doch nicht nur ein Hohn, sondern etwas, worauf wir US-Bürger und Bürgerinnen stolz sein können; genauso wie darüber, dass wir die Verbrechen der US-Geschichte insofern überwunden haben, als wir einen Schwarzen ins Weiße Haus geschickt haben.

Ja, bis zum letzten Augenblick hofften wir noch ein bisschen. Am Vorabend von Obamas Rede in der Militärakademie West Point bekam ich nochmals eine Aufforderung von US-Friedensaktivisten, das Weiße Haus zu kontaktieren. Diese Bitte war in Form eines offenen Briefs an Obama von Michael Moore, der bei der Wahl Obamas vor einem Jahr vor Freude geweint hatte. Moore schrieb: "Lieber Präsident Obama, willst Du wirklich der neue 'Kriegspräsident' werden? Wenn Du morgen nach West Point gehst und verkündest, dass Du den Truppeneinsatz in Afghanistan erhöhst, statt die Truppen zurückzuziehen, dann bist Du der neue Kriegspräsident. So einfach ist das. Und damit machst Du das Schlimmste, was Du überhaupt machen könntest - Du vernichtest die Hoffnungen und Träume, die so viele Millionen Menschen Dir anvertraut haben. Mit nur einer Rede morgen Abend wirst Du die Menge der jungen Menschen, die das Rückgrat Deiner Kampagne waren, in desillusionierte Zyniker verwandeln. Du wirst sie lehren, dass es stimmt, was sie immer gehört haben - dass alle Politiker gleich sind."

Nun hat sich Obama also entschieden, weitere 30.000 US-Soldaten nach Afghanistan zu schicken. In seiner Rede gab er die ganze Rhetorik des Bush-Regimes fast unverändert wieder. Obwohl weitgehend bekannt ist, dass weniger als einhundert al-Qaida-Mitglieder noch in Afghanistan sind, begründete Obama die Notwendigkeit einer Aufstockung der Truppen vor allem mit dem Anschlag in New York am 11. September 2001und der gefährlichen al-Qaida in Afghanistan. Laut Obama geht es vorwiegend um die "die Sicherheit des US-amerikanischen Volkes"; die Lage der Bevölkerung in Afghanistan hat er nicht einmal erwähnt, auch nicht, um etwa einen Versuch zu machen, irgendwelche fadenscheinigen Behauptungen über humanitäre Hilfe oder die Lage der Frauen zu liefern. Genau wie Bush versprach Obama, einen Krieg gegen den Terrorismus endlos und überall zu führen, auch jenseits von Afghanistan und Pakistan, zum Beispiel möglicherweise im Jemen oder in Somalia. Auffällig und natürlich etwas enttäuschend ist die relative Stetigkeit der US-Politik - unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. Bis jetzt erscheint die Außenpolitik der Obama-Administration mit der der zweiten Bush-Regierung fast identisch, inklusive der stets steigenden Rüstungsausgaben.

In den ersten (und vielleicht auch letzten) vier Jahren seiner Präsidentschaft wird Obama voraussichtlich mehr als jeder Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg für Rüstung ausgeben. Gleichzeitig erweitert er die geheimen "unbemannten" CIA-Einsätze. Als die USA 2003 den Irak angegriffen, waren nur eine Handvoll Drohnenflugzeuge im Einsatz, heute sind es mehr als 7.000. 2003 hatte das US-Militär keine militärischen Roboterfahrzeuge, heute sind 12.000 im Einsatz. In zehn Monaten hat Obama in Pakistan mehr Angriffe durch Drohnen autorisiert als Bush in den letzten drei Jahren seiner Amtzeit und gerade hat er noch mehr solcher Einsätze bewilligt.

Manchmal kann man sich kaum der Vermutung entziehen, dass die US-Politik durch den jeweiligen Präsidenten gar nicht zu beeinflussen sei. Vielleicht ist der Kern dieses ungeheuren, weltweit auf mehr als 1.000 Militärbasen gestützten Imperiums der "militärisch-industrielle Komplex", vor dem der Ex-General Eisenhower als US-Präsident 1961 seine Landsleute warnte, weil sie dadurch ihre Demokratie vielleicht bald - genauso wie Rom - verlieren würden. Die manchmal über Jahrzehnte andauernden Rüstungsprojekte, die 51 Prozent aller US-Steuergelder verschlingen, werden ungestört und profitabel realisiert, und mit der zunehmenden Privatisierung des Kriegs seit Bush gibt es ja noch zusätzliche Gewinnmöglichkeiten. Wenn jeder US-Präsident eigentlich dem militärisch-industriellen Komplex dienen muss, dann ist derjenige, dem es trotzdem gelingt, eine gewisse Menschlichkeit und Vernunft auszustrahlen, ja "irgendwie doch ein Held". Möglicherweise hat Obama schon alles getan, was ein US-Präsident heutzutage überhaupt tun kann. Vielleicht war dies der Beweggrund des Komitees in Oslo, ihn aus mehr als 200 Nominierungen für den Friedensnobelpreis auszuwählen. Wir wissen ja nicht, gegen wen und was Obama sich intern durchsetzen musste, um zum Beispiel in Kairo die schönen Worte zu sagen, dass der "Kampf der Kulturen" und der "Krieg gegen den Terror" vorbei sei (obwohl dies real nicht der Fall ist). Vielleicht meint nun mancher, dass ich als US-Amerikanerin natürlich gemäßigter als deutsche Friedensaktivisten mit Obama umgehen möchte. Keineswegs, im Gegenteil. Als er als Präsidentschaftskandidat im Juli letzten Jahres Berlin besuchte, wollte es die deutsche Friedensbewegung überhaupt nicht mit ihm aufnehmen. Es war ja klar gewesen, dass Obama bei seiner Rede an der Siegessäule für mehr Bundeswehrsoldaten in Afghanistan werben würde. Aber nur wir, eine kleine Gruppe von Frauen, haben zumindest das Schweigen durch ein Transparent mit der Aufschrift "Truppen raus aus Afghanistan" gebrochen. Und warum konnte in diesem Sommer die neue Berliner US-Botschaft von der Friedensbewegung fast ungestört und unter Mitwirkung der Bundeswehr, die ein großes Zelt auf den Pariser Platz stellte, eröffnet werden?

Den Friedensnobelpreis finde ich persönlich ziemlich langweilig. Mit 60 Prozent der US-Bevölkerung weiß auch ich nicht, warum Obama ihn bekommen sollte. Aber seitdem Henry Kissinger 1973, zwei Jahre, bevor die USA aus Vietnam abzogen, den Friedensnobelpreis bekommen hat, erwarte ich nicht mehr viel und bin auch durch nichts mehr überrascht. Kissinger ist übrigens damals nicht zur Preisverleihung gefahren; er bedauerte, gab terminliche Gründe an, und das Osloer Komitee hatte natürlich Verständnis dafür. Obama würdigt anscheinend den Friedensnobelpreis etwas mehr. Er wird nach Oslo kommen, wo er zweifelsohne eine seiner wunderbaren Reden halten wird - wie glaubwürdig kann diese aber nach seiner West-Point-Ankündigung sein? Aber ich habe eine Idee, wie er seinen Ruf wie auch den des Friedensnobelpreises noch retten könnte:

Barack, das Nobel-Komitee war ja besonders von Deiner "Vision" und Deiner "Arbeit für eine Welt ohne Atomwaffen" überzeugt. Und als Amerikanerin war ich durch Deine Rede in Prag tatsächlich "umgeworfen", als Du gewagt hast, unsere nationale Schuld zur Sprache zu bringen: "Als die einzige Weltmacht, die schon eine Atomwaffe eingesetzt hat, haben wir eine moralische Verpflichtung, zu handeln." Wow! Darauf solltest Du doch bauen.

Als Du im November in Japan warst, sagtest Du, dass es Dir "eine Ehre" wäre, als erster amtierender US-Präsident Hiroshima und Nagasaki zu besuchen, wo am 6. und. 9. August 1945 US-amerikanische Atombomben abgeworfen wurden. Manche behaupten, dass dieses Verbrechen nicht so sehr der letzte Akt des Zweiten Weltkriegs war, sondern die erste Operation im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion: 200.000 bis 500.000 Menschen sind damals Opfer des Machtkalküls der USA geworden. Und Eisenhower sagte, die Atombombenabwürfe wären eigentlich gar nicht nötig gewesen, denn "Japan suchte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Weg zu kapitulieren." Dennoch heißt es nach wie vor offiziell, die Atombomben hätten Japans Kapitulation herbeigeführt und damit vielen US-Soldaten und auch Japanern das Leben gerettet, die sonst im Endkampf um Japan gestorben wären. Diese Sichtweise bestimmt bis heute das Geschichtsbild der meisten US-Amerikaner. Präsident George Bush senior sagte 1991, die Atombomben hätten "Millionen von Leben gerettet".

Du aber, Barack, bringst unsere historische Kriegsschuld zur Sprache. Ohne das Bewusstsein und die Akzeptanz dieser Schuld wird es in der US-Außenpolitik nie eine wirkliche Änderung, einen Change geben können; ein Grund, warum ich die US-Soldaten und Veteranen so sehr bewundere, die unsere Kriegsschuld durch ihre Erzählungen der gemachten Erfahrungen offen legen. Ich bewundere auch Dich, dass Du unsere Verbrechen in Hiroshima und Nagasaki offen angesprochen hast. wofür manche in den USA Dich als Verräter beschimpft haben. Wer weiß, vielleicht wird irgendwann sogar ein neues Denkmal in Washington errichtet, das neben dem für die mehr als 50.000 in Vietnam gestorbenen US-Soldaten auch der drei Millionen vietnamesischer Ermordeter gedenkt.

Also, Barack, hier meine Idee: Weil Du leider bei Deinem Besuch in Japan die Einladungen nach Hiroshima und Nagasaki aus terminlichen Gründen nicht wahrnehmen konntest - das holst Du jetzt nach. An dem Tag, an dem die Air Force One nach Oslo startet, befiehlst Du, das Flugzeug stattdessen in Richtung Japan zu lenken. Dem Komitee in Oslo schickst Du einfach eine SMS: Wie Kissinger damals bedauerst auch Du, aus terminlichen Gründen doch nicht persönlich nach Oslo kommen zu können. Dann gehst Du am 10. Dezember direkt nach Hiroshima und Nagasaki. Dort muss Du gar keine Rede halten. Lieber schweigst Du. - "Yes, we can."


Elsa Rassbach lebt in Berlin, ist US-Amerikanerin, DFG-VK-Mitglied und Initiatorin der DFG-VK-Arbeitsgruppe "GIs und US-Stützpunkte".


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5/6 - Dezember 2009, S. 22-23
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010