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STANDPUNKT/101: Wann endet die Bündnistreue? (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - April 2011
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Wann endet die Bündnistreue?
Der Nato-Partner USA mordet völkerrechtswidrig mit Drohnen

Von Ulrich Finckh


Bekanntlich kennzeichnen die Staaten diejenigen Staatsbürger, die sie zum Abschuss freigeben, durch Uniformen. Das gilt auch noch heute, obwohl ausschließlich die direkte Selbstverteidigung bis zum Tätigwerden des UN-Sicherheitsrates und vom Sicherheitsrat beschlossene Interventionen als militärische Aktionen erlaubt sind. Soldaten dürfen im Krieg beschossen werden, und sie dürfen ebenso auf die Uniformierten der anderen Seite schießen. Nicht schießen darf man auf Zivilisten, es sei denn, diese haben Waffen und beteiligen sich illegal direkt am Kampf.

Natürlich ist das schöne Theorie des internationalen Rechts. Die Waffenentwicklung hat dazu geführt, dass viele Geschosse, Bomben, Minen und Raketen keineswegs nur Soldaten in ihren Uniformen treffen, sondern als "Kollateralschäden" zunehmend auch Zivilisten. Militär ist verpflichtet, solche zivilen Opfer zu vermeiden oder mindestens ihre Zahl so gering wie möglich zu halten, aber das funktioniert immer weniger.

Als Kriegsverbrechen gilt jedenfalls nach wie vor der gezielte Angriff auf Zivilpersonen. Dazu kommt es aber regelmäßig im Kampf gegen Terroristen. Überlegene militärische Macht offen anzugreifen, verspricht wenig Erfolg. Man kann aber versuchen, sie mit Guerillataktik zu zermürben. Das geschieht derzeit in Afghanistan mit Sprengfallen, lokalen Überfällen, Sabotage und Selbstmordattentaten. Die Anführer dieser Aktionen verstecken sich nicht selten sogar in anderen Staaten. Sichtbar sind sie Zivilisten. Nur wenn sie Waffen tragen und selbst in Kämpfe eingreifen, ist es (rechtlich) kein Problem, auf sie zu schießen. Sonst aber erlaubt das Völkerrecht nur, sie zu verhaften und vor Gericht zu stellen.


Staatlicher Mord

Da es schwierig ist, die Anführer terroristischer Aktionen zu fassen, haben die USA entschieden, andere Wege zu gehen. Präsident George W. Bush und mehr noch jetzt Präsident Obama lassen die bekannt werdenden Anführer, auch solche, bei denen nur ein entsprechender Verdacht besteht, gezielt töten. Das geschieht mit modernen Drohnen, deren Raketen auf Ziele programmiert werden und sehr genau treffen. Nach offiziellen Meldungen sind auf diese Weise schon eine ganze Reihe von Anführern des Guerillakrieges gegen die USA umgebracht worden. Mit ihnen sind freilich regelmäßig andere Zivilisten, die sich gerade bei ihnen aufhielten, tödlich getroffen oder schwer verwundet worden.

Dieses Töten als Antiterrorkampf praktiziert der US-Geheimdienst CIA nicht nur in Afghanistan sondern auch im verbündeten Pakistan und im Jemen. Die Sprengkörper der Drohnen treffen viel genauer als die von Flugzeugen abgeschossenen Raketen oder Bomben, die z.B. Israel schon seit einiger Zeit gegen feindliche Palästinenser eingesetzt hat. Das war auch völkerrechtswidriges Morden, Todesstrafe ohne Gerichtsverfahren gegen Zivilisten, denen man illegales Kämpfen vorwarf, die man aber nicht dabei erwischen konnte. Doch aus verständlichen Gründen wurde das in Deutschland nicht weiter diskutiert und schon gar nicht verurteilt.


"Sonst muss Deutschland aus der Nato austreten!"

Die Praxis der mit uns verbündeten USA wirft viele Fragen auf: Soll gegen Guerillaaktionen alles erlaubt sein? Wer sichert, dass Vorwürfe zutreffen und dass es keine Verwechslungen gibt? Wer hat das Recht, ohne gründliches Gerichtsverfahren über Tod und Leben zu entscheiden? Was wird, wenn das Schule macht und andere Staaten ebenso gegen Gegner vorgehen? Muss man damit rechnen, dass auch in Deutschland "Terrorzellen" eines Tages einfach bombardiert werden, etwa die Moschee, in der die Attentäter von 9/11 aus- und eingingen?

Natürlich ist es einfacher, Gegner, die man nicht erwischen kann, auf Verdacht samt allen, die womöglich gerade in ihrer Nähe sind, umzubringen. Aber die gesamte moderne Zivilisation hängt daran, dass an die Stelle von Rache und Selbstjustiz, erst recht an die Stelle tödlicher Angriffe auf Zivilisten, die als Terroristen verdächtigt werden aber von keinem Gericht in einem korrekten Verfahren verurteilt wurden, geordnetes Recht tritt. Das wird derzeit von den USA missachtet, genauer gesagt, zerbombt.

Wenn ein verbündeter Staat sich vom internationalen Recht verabschiedet, was ist dann ein Bündnis mit ihm wert? Ist es dann noch vertretbar oder nicht mehr zu rechtfertigen? Kriegsverbrechen sind nicht zu rechtfertigen, auch nicht die von noch so wichtigen Verbündeten. Konsequenz: Entweder tut die Bundesregierung alles, um die völkerrechtswidrigen Praktiken des Bündnispartners USA zu beenden, und hat damit Erfolg, oder Deutschland muss aus der NATO austreten. Sonst sind wir für diese Verbrechen mitverantwortlich, und Deutschland hört auf, ein Rechtsstaat zu sein.


Ulrich Finckh war bis zu seiner Pensionierung evangelischer Pastor und mehr als drei Jahrzehnte bis 2003 Vorsitzender der Zentralstelle KDV.

Mehr Informationen: http://www.kein-frieden-mit-der-nato.de


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - April 2011, S. 22
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2011