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STANDPUNKT/118: Kritik am Koalitionsvertrag - Der Waffenhandel bleibt ungebremst (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2013/Januar 2014
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Der Waffenhandel bleibt ungebremst
Der Koalitionsvertrag täuscht die Öffentlichkeit über die dramatischen Folgen beim Rüstungsexport

von Jürgen Grässlin



Mit wohlklingenden Worten zum Waffenhandel wird im Koalitionsvertrag ein hoher Anspruch formuliert. Bereits die Präambel weckt Hoffnungen. So wollen die Koalitionäre von CDU/CSU und SPD Stabilität durch "neue Initiativen der Abrüstung und durch eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik fördern". (S. 12) Im Passus "Rüstungsexporte" folgen Konkretisierungen. Bei Waffentransfers in Drittstaaten - gemeint sind diejenigen Länder, die nicht der Nato angehören bzw. mit ihr assoziiert sind - sollen die am 19. Januar 2000 beschlossenen "strengen Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" für das kommende Regierungshandeln als verbindlich gelten. Über die abschließenden Genehmigungsentscheidungen im Bundessicherheitsrat werde "die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich unterrichten".

Weitere Fortschritte gegenüber der christlich-liberalen Vorgängerregierung werden klar zugewiesen. So liegt die Entscheidung darüber, wem gegenüber die Unterrichtung erfolgt, beim Deutschen Bundestag. Und mehr noch: Die Transparenz gegenüber Parlament und Öffentlichkeit werde durch die fortan früher erfolgende Publikation des Rüstungsexportberichtes "noch vor der Sommerpause" des jeweiligen Folgejahres erhöht, zudem durch "einen zusätzlichen Zwischenbericht verbessert". (S. 16)

Die neue Bundesregierung denkt über Deutschland hinaus: Innerhalb der Europäischen Union setzt sie sich "für eine Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien" ein. Europäische Harmonisierungen müssten "so umgesetzt werden, dass sie die Mindestanforderungen des Gemeinsamen Standpunkts der EU aus dem Jahr 2008 nicht unterschreiten." (S. 16)

In der Erkenntnis der desaströsen Wirkung so genannter "Kleinwaffen" - wie Pistolen und Maschinenpistolen, Sturm-, Scharfschützen- und Maschinengewehre sowie Mörser - bei Kriegen und Bürgerkriegen, wird sich die christlich-soziale Bundesregierung auf internationaler Ebene für die "vollständige Implementierung des VN-Kleinwaffenabkommens einsetzen". Und sie wird "die Umsetzung in adäquate nationale Kontrollmechanismen unterstützen". (S. 170)

Alle "im nichtstaatlichen Bereich" in Deutschland gehandelten und geführten sowie für den Export vorgesehenen und vom VN-Kleinwaffenaktionsprogramm erfassten Klein- und Leichtwaffen sollten zukünftig mit einer "möglichst unauslöschlichen Markierung" versehen werden. Damit soll deren Nachverfolgbarkeit ermöglicht werden. Auch die weltweite Umsetzung des internationalen Waffenhandelsvertrags (ATT) soll "energisch" vorangetrieben werden. (S. 170)

Die Wirklichkeit: Weltweiter Waffenhandel mit Schurkenstaaten

Drei Viertel der SPD-Mitglieder honorierten die Vereinbarungen zum Waffenhandel und zu weiteren Themenbereichen mit ihrem Votum pro Koalitionsvertrag. Erneut schmieden die Sozialdemokraten ein Regierungsbündnis mit eben den Christdemokraten, deren skrupellose Genehmigungspolitik im Rüstungsexportbereich sie als Oppositionspartei vor der Bundestagswahl harsch kritisiert hatten.

Dabei ist die SPD weitgehend auf den industriekonformen Kurs der CDU/CDU eingeschwenkt. Herausgekommen ist ein Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags, der eine klare Linie pro Förderung der Rüstungsproduktion und pro kontrolliert ungehemmtem Waffenhandel für vier weitere Jahre festschreibt.

Dies wird schon daran augenscheinlich, dass die Rubrik "Rüstungsexporte" dem Kapitel 1.1. "Deutschlands Wirtschaft stärken" subsumiert ist. Im Unterkapitel "Schlüsselindustrien weiter unterstützen" wird explizit die Bedeutung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie betont. Diese sei "nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus technologie- und sicherheitspolitischer Sicht von nationalem Interesse". Die neue Bundesregierung werde "sicherstellen, dass Kernkompetenzen und Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben sowie Technologien und Fähigkeiten weiterentwickelt werden". (S. 126)

Klarer kann ein Bekenntnis zur Entwicklung neuer Waffensysteme und zu ungebremstem Waffenhandel kaum ausfallen. Explizit betont wird dabei der Bereich der in Norddeutschland ansässigen Marineindustrie. So wollen CDU/CSU/SPD die Schiffbauindustrie "stärken, Deutschland weiter zu einem maritimen Hightech-Standort ausbauen und die Nationalen Maritimen Konferenzen fortführen". Des Weiteren werde die Zukunftsstrategie "LeaderSHIP Deutschland" weiterentwickelt. An den bereits bestehenden Finanzierungsinstrumenten, insbesondere Zinsausgleichsgarantien und den Hermes-Exportgarantien für den Schiffbau werde festgehalten. (S. 20)

Das folgenschwere Erbe der Vorgängerregierungen

Wie konnte es so weit kommen? Noch zur Jahrtausendwende noch hatte es danach ausgesehen, als würde die rot-grüne Schröder/Fischer-Regierung den Grundstock dafür legen, dass die Nachfolgeregierungen ihre Genehmigungspolitik bei Rüstungsexporten drastisch zurückfahren müssten. Denn die unter Rot-Grün verabschiedeten Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport vom 19. Januar 2000 erhoben die Menschenrechtslage im Empfängerland deutscher Kriegswaffen in erfreulicher Klarheit zum Ausschlusskriterium für Waffenlieferungen.

Eben diese Politischen Grundsätze gelten seither, übernommen von allen Nachfolgeregierungen wechselnder parteipolitischer Couleur. Und sie sollen nach der Vorgabe im GroKo-Vertrag auch für Amtsperiode von 2013 bis 2017 Gültigkeit behalten.

Doch im Gegensatz zum Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und Außenwirtschaftsgesetz (AWG) sind die Politischen Grundsätze rechtlich nicht verbindlich. Was erklärt, dass Klageverfahren ausgeschlossen sind, obwohl sich keine der Bundesregierungen seither an die Vorgaben gehalten hat. Schlimmer noch: In ihrer zweiten Legislaturperiode (2002 bis 2005) verfünffachten SPD und Bündnis 90/Die Grünen die real erfolgten Rüstungsexporte auf ein neues Rekordniveau - nicht zuletzt durch vielfache Waffentransfers an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten. Selbst die Diktaturen in Saudi-Arabien, Ägypten und Libyen, um pars pro toto drei der Empfängerländer zu nennen, wurden hemmungslos hochgerüstet. Belegt ist dies alles in meinem Schwarzbuch Waffenhandel (München 2013, S. 65 ff.)

Gerade die Erfahrungen der ersten Großen Koalition dieses Jahrhunderts lassen das Schlimmste für das neuerliche Bündnis von CDU/CSU und SPD befürchten. In den Jahren 2005 bis 2009 katapultierte der üppig florierende Waffenhandel die Bundesrepublik Deutschland auf Platz 3 der Weltwaffenexporteure. Gemäß der deutschen Macht- und Sicherheitsinteressen wurden die Rüstungsexporte seither auf exorbitant hohem Niveau stabilisiert. Ungebrochen wurden unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) beispielsweise repressive Regimes im Maghreb, dem Nahen und Mittleren Osten bis an die Zähne bewaffnet und in ihrer Macht stabilisiert.

Dieses Täterduo Merkel/Steinmeier - biografiert im Schwarzbuch Waffenhandel - verantwortet auch den bis dato tödlichsten Export des noch jungen Jahrhunderts: Die 2008 genehmigte Lizenzvergabe für das Heckler & Koch-Sturmgewehr G36 an das mit unerbittlicher Härte agierende konservativ-islamische wahhabitische Herrscherhaus in Riad. Mittlerweile produziert das saudi-arabische Staatsunternehmens MIC das todbringende Schnellfeuergewehr von Heckler & Koch im Eigenbau. Der Einsatz dieser Schusswaffen gegen die Demokratiebewegung im eigenen Land ist ebenso vorprogrammiert wie der widerrechtliche Export unter Bruch der Endverbleibserklärungen an andere Staaten - wie die Geschehnisse in der Vergangenheit nachdrücklich belegen.

Müßig zu erwähnen, dass die christlich-liberale Regierungskoalition unter Führung von Merkel/Westerwelle bzw. Merkel/Rösler die unrühmliche Tradition des Waffenhandels mit befreundeten Schurkenstaaten von 2009 bis 2013 nahtlos fortführte. Im Jahr 2010 wurde sogar der bis heute unerreichte Rekord realer Kriegswaffenausfuhren im Volumen von rund 2,119 Milliarden Euro aufgestellt. Dabei sind die Ausfuhren im Bereich zivil wie militärisch nutzbarer Dual-Use-Güter, die ein Vielfaches der reinen Kriegswaffenexporte umfassen, noch nicht einmal einberechnet.

Wollte man es sich leicht machen, könnte man positiver Weise die schrittweise Absenkung der Kriegswaffenexporte von 1,285 Milliarden (2011) auf 946 Millionen Euro (2012) würdigen. Doch die zukunftsweisenden Zahlen verbergen sich in einer anderen, der Öffentlichkeit weithin verborgenen Rubrik: der der über mehrere Jahre hinweg reichenden bzw. mehrere Empfänger betreffenden Sammel- und Einzelausfuhrgenehmigungen. Diese umfassen für 2012 einen Gesamtwert von unglaublichen 8,874 Milliarden Euro.

Am dramatischsten aber ist die Entwicklung in einem Bereich, der in der Gesamtbilanz finanziell eher marginal zu Buche schlägt, dessen Folgewirkungen aufgrund der immens hohen Opferzahlen zweifelsfrei aber die tödlichsten darstellen: der der Kleinwaffen. Allein die Opferzahlen von Europas tödlichstem Unternehmen, der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch, haben längst die Zwei-Millionen-Marke überschritten.

Bislang hatte die GroKo Merkel/Steinmeier die Rekordmarken gesetzt, indem sie 2008 Kleinwaffenexporte im Wert von 68,85 Millionen und 2009 von 70,40 Millionen Euro genehmigte. Die christlich-liberale Nachfolgeregierung steigerte dieses Volumen auf unglaubliche 76,15 Millionen.

Fazit Mortale - es droht die Fortführung der Beihilfe zum Massenmorden

Helmut Schmidt hat den Kern des Problems erkannt. "Die Koalitionsverhandlungen" - und man mag ergänzen: im Folgenden auch der Koalitionsvertrag - "haben nicht den Anschein erweckt, als ob in Zukunft mit einem starken Rückgang der Genehmigungen für den Export von Kleinwaffen zu rechnen wäre." So der frühere Bundeskanzler in seinem bundesweit vielbeachteten Statement "Bremst die deutschen Waffenexporte!", der Titelgeschichte der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 12. Dezember 2013.

Allerdings steht die große Koalition noch ganz am Anfang ihrer Regierungstätigkeit. Noch bestünde die Chance zur Umkehr. Kleinwaffentransfers und -lizenzvergaben der Firmen H&K und Walther könnten verboten, die laufenden Eurofighter-Lieferungen der EADS an das Terrorregime in Riad gestoppt, der Export der 270 Leopard-Panzer von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall an Saudi-Arabien nicht genehmigt werden. Weitere Kampfpanzerlieferungen in den Nahen und Mittleren Osten könnten untersagt, die Auslieferung des sechsten U-Bootes von ThyssenKrupp Marine Systems an Israel verhindert werden. Immerhin dienen die bisher gelieferten Kriegsschiffe als Träger israelischer Atomwaffen.

Transparenz könnte nicht nur alibimäßig im Nachhinein erfolgen, Hermes-Bürgschaften könnten abgeschafft, der undemokratische Bundessicherheitsrat aufgelöst werden. Darüber hinaus könnte sich die CDU/CSU/SPD-geführte Bundesregierung dafür stark machen, dass Waffenhandel auf der Ebene der Europäischen Union wesentlich strikter gefasst - noch besser verboten - wird.

Dafür, dass dies so geschieht, spricht wenig bis nichts. Die Formulierungen des Koalitionsvertrags bleiben Barbiturat fürs Wahl- wie Parteivolk. Denn anstatt aus den folgenschweren Fehlern der Vorgängerregierungen zu lernen, setzt auch die zweite Große Koalition in diesem Jahrhundert auf Rüstungsindustrie als Schlüsselindustrie, auf genehmigungsfreie Rüstungslieferungen an kriegführende Nato-Partner, an - den selbst kritisierten aber bislang ungehemmt durchgeführten - Waffenhandel mit menschenrechtsverletzenden Staaten.

Auch in Zukunft sollen Rüstungsexportgenehmigungen an befreundete Repressoren und Diktaturen bar jeglicher demokratischer Entscheidungsprozesse im geheim tagenden Bundessicherheitsrat erfolgen. Die versprochene Transparenz bleibt weit hinter der Praxis anderer europäischer Staaten zurück, in denen Rüstungsexportberichte halb- bzw. vierteljährlich publiziert werden. Im besten Fall wird die Öffentlichkeit allenfalls etwas zeitnäher über bereits erfolgte Waffentransfers an befreundete Schurkenstaaten informiert.

Der ATT-Vertrag wird selbst im Falle seiner weltweiten Umsetzung keine ernstzunehmenden Exportrestriktionen für Deutschland nach sich ziehen. Weitere Hermes-Bürgschaften sind im neuen Koalitionsvertrag ausdrücklich festgeschrieben. Selbst die angestrebten unauslöschlichen Markierungen der vom Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen erfassten Klein- und Leichtwaffen betrifft lediglich den "nichtstaatlichen Bereich" - also vor allem die Sportwaffen. In diesem Sinne bleibt der Koalitionsvertrag ein bösartiges Blendwerk.

In seiner verharmlosenden Wortwahl stellt er ein perfides Täuschungsmanöver von CDU/CSU und SPD dar. Der weitere Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern an kriegführende Nato-Partner wie die USA, Großbritannien, Frankreich u.a. sowie an massiv menschenrechtsverletzende Staaten, wie Saudi-Arabien, Algerien, die Vereinigten Arabischen Emirate, gießt Deutschland weiterhin Öl ins Feuer von Kriegen und Bürgerkriegen. In diesem Sinne droht die weitere Beihilfe zum weltweiten Massenmorden.

Die "Aktion Aufschrei" geht weiter

Nicht zuletzt deshalb plant "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" die Fortführung ihrer Aktivitäten bis 2017.

Am 26. Februar, dem Aktionstag der Kampagne, sollen rund 100.000 Unterschriften mit der Forderung eines grundsätzlichen Exportverbots im Grundgesetz an Repräsentanten des Deutschen Bundestags übergeben werden. Mit einem Grabeskreuz der TeilnehmerInnen wird an diesem Tag vor dem Reichstagsgebäude der Kampagnenschwerpunkt "Legt den Leo an die Kette" zur Verhinderung der Kampfpanzerexporte nach Saudi-Arabien und andere Länder symbolisiert.

Im Vorfeld der Hauptversammlung der Daimler AG am 9. April soll in bundesweiten Aktionen auf die Lieferungen von Mercedes-Military-Fahrzeugen an Diktaturen hingewiesen werden.

Im Sommer wird - vier Jahre nach meiner Strafanzeige - der Prozessauftakt gegen Verantwortliche von Heckler & Koch vor dem Landgericht in Stuttgart erwartet. Die Friedensbewegung und mit ihr die DFG-VK wird präsent sein.


Jürgen Grässlin ist Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis, Kampagnensprecher der "Aktion Aufschrei: Stoppt den Waffenhandel!" (www.aufschrei-waffenhandel.de) und Träger des Aachener Friedenspreises (2011). Im letzten Herbst publizierte er das Buch "Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient" (siehe die Besprechung in ZivilCourage 2/2013, S. 18).

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2013/Januar 2014, S. 4 - 6
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2014