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STANDPUNKT/161: Aktive Neutraliät zur Friedenssicherung (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - August 2017
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Aktive Neutralität zur Friedenssicherung
Für den Austritt Deutschlands aus allen Militärbündnissen und die Umwandlung der Bundeswehr

Von Thomas Bauer


Die Ausgangssituation: Es klang nach dem Zweiten Weltkrieg für manche friedenspolitisch sinnvoll und vernünftig, gerade (West-)Deutschland in ein Verteidigungsbündnis aufzunehmen. Im Potsdamer Abkommen der drei Großmächte USA, Sowjetunion und Großbritannien war 1945 die Entmilitarisierung Deutschlands durch Abrüstung und die Auflösung aller Streitkräfte beschlossen werden. Aus geostrategischen Gründen und im Zuge der zunehmenden Blockkonfrontation wurde auf Betreiben der USA zunächst 1949 die Nato gegründet und 1955 dann die Bundesrepublik remilitarisiert und in sie aufgenommen. Auch um den Interessengegensatz zwischen Deutschland und Russland bzw. der Sowjetunion künstlich existent zu halten. Dies ist eine belegbare und weit zurückreichende Absicht von Seiten der USA, ihren militärischen Einfluss auf Europa gegenüber der Sowjetunion nicht preiszugeben.

Die meisten Menschen konnten nicht ahnen, in welch aggressiver Art sich die Nato entwickeln würde - erst recht seit dem Ende der Blockkonfrontation und damit des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion und auch nicht, wie stark sich seitdem die Militarisierung in den meisten westlichen Staaten und in ihren Gesellschaften in Folge ausweiten würde.

Es fällt nun anscheinend selbst Teilen der Friedensbewegung schwer, diesen Fehler durch die Forderung zu korrigieren, Deutschland solle die Mitgliedschaft in der Nato sowie in sämtlichen Militärbündnissen, auch denen im EU-Vertrag von Lissabon festgeschriebenen, sofort aufkündigen und diese verlassen.

Beteiligung an militärischer Expansion des Westens als erklärte Absicht

Statt einer "Friedensdividende" haben wir seit den 1990er Jahren eine Interventions- und Söldnerarmee bekommen. Das und entstehende Heimatsschutzkompanien und Bürgerkriegsvorbereitungen müssen als Indiz dafür angesehen werden, dass sich die für das Ausbeutungssystem zu Lasten schwächerer Länder und bis hin zum eigenen Staatsbankrott Verantwortlichen durch die Militarisierung ihrer Länder auf zu erwartende Unruhen der Bevölkerung in ihren Ländern vorbereiten - statt durch Verzicht auf Rüstung die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Staaten nicht zu beeinträchtigen, um bis zum Übergang in gewaltfreie Gesellschaftsformen durch militärische Garantien auf der Grundlage der Vereinten Nationen die Entfaltung menschlicher Gesellschaftsformen zu ermöglichen.

Besonders die weit fortgeschrittene militärische Osterweiterung der Nato, die in unstrittiger Weise die Sicherheitsbedürfnisse Russlands gefährdet, sei hier genannt. Aber spätestens seit dem Jugoslawienkrieg und den Irakkriegen, die mit erlogenen Begründungen und völkerrechtswidrig geführt wurden, hätte in den etablierten Friedensorganisationen in ihrer Haltung zu den Militärbündnissen ein Umdenken erfolgen müssen.

Friedensaufgabe erfüllen

Denn auch die Forderung, die zum 2+4 Vertrag von 1990 gehört, dass "von deutschem Boden nur noch Frieden ausgehen solle", wurde bis heute nicht eingelöst, sondern das Gegenteil ist der Fall. Obwohl wir wissen, dass ohne Gewaltverzicht, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit die Weltprobleme unlösbar sind.

Seit Bestehen der Bundeswehr gibt es auch die Forderung sie abzuschaffen. Für viele als eine Art Lippenbekenntnis, ohne dass es eigene Bemühungen der Friedensbewegung gab oder gibt, um das konkret zu realisieren.

Militärbündnisse verlassen

Zweifelsfrei sind die steten Forderungen der Friedensbewegung nach weltweiter Abrüstung und der Ächtung von ABC-Waffen unverzichtbar, weil ihre Realisierung für die gesamte Menschheit überlebensnotwendig ist. Aber das erfordert und begründet nicht das weitere Vorhandensein von Militärbündnissen, in denen Deutschland verbleiben müsste, um dort bestenfalls durch mäßigenden Einfluss auf gewaltbereitere Mitglieder einwirken zu können. Stattdessen macht sich Deutschland durch seine untaugliche Mitgliedschaft zum Mittäter, weil es z.B. in der Nato durch sein Veto keine wirksame Möglichkeit hat, kriegerische Auseinandersetzungen real abzuwenden.

Militärische Unkontrollierbarkeit Deutschlands

Es darf nicht das Ziel sein, dass sich Deutschland sicherheitspolitisch im militärischen Sinne für unabhängig erklärt, um sich so selbsttätig auf das Terrain militärischer Handlungsweisen zu begeben.

Dieser durchaus begründeten Gefahr, trotz fortbestehender "Feindstaatenklausel der Vereinten Nationen", die sich aus einem militärisch wieder erstarkten und ohne eine Militärbündnisbindung unkontrollierbar gewordenen Deutschland ergibt und was oft aus der politischen Linken sowie aus der Friedensbewegung gegen das Verlassen von bestehenden Militärbündnissen vorgebracht wird, ist entgegen zu halten:

Wir alle erleben derzeit, wie sich Militärbündnisse und Allianzen insbesondere unter "federführender" Mitwirkung unserer "eigenen" Militärbündnispartner bilden und unter dem Vorwand der IS-Bekämpfung zum Terror beitragen, für dessen Entstehen in der Vergangenheit teilweise sie selbst mitverantwortlich sind und auch noch bis in die Gegenwart als "Terrorpaten der Welt" zu gelten haben.

Sie selbst haben oft durch das gezielte Schüren ethnischer und konfessioneller Konflikte zwischen den Menschen für die jeweilig gerade benötigte Zwietracht gesorgt, die dann zur Grundlage der daraus entstehenden Gewalteskalationen missbraucht werden konnte.

Ganze Gesellschaften nebst ihren weit zurückreichenden Kulturen werden so der Zerstörung und Auslöschung preisgegeben und das meist nur, um die hinter den vorgeschobenen Konflikten erkennbaren Rohstoff und Energieressourcen der Großmächte zu bedienen. Dafür, dieses zu wissen, ohne aber zu handeln, gibt es keine Rechtfertigung, außer dass man das Geschehen und die daraus resultierenden Folgen selber gutheißt.

Es gilt bewahren zu helfen, dass Deutschland eine Demokratie bleibt, die sich weiter entfaltet und kein Militärstaat wird. Und dass wir uns nicht zusätzlich in die inszenierten weltanschaulichen und militärischen Auseinandersetzungen mit anderen Staaten hineinziehen lassen und so das Risiko einer militärischen Kurzschlusshandlung der Großmächte zusätzlich erhöhen!

Lösungsvorschläge an die bisherige und für die gegenwärtige Friedensbewegung

Das bereits in den 1980er Jahren mit aktiven "Naturwissenschaftlern für den Frieden" besonders von Professor Erich Huster entwickelte Konzept einer freiwilligen Entmilitarisierung Deutschlands, um zukunftsorientierte Sicherheitsstrukturen zu entwickeln, wird angesichts des neuen Weltherrschaftsstrebens einzelner Staaten immer dringender. Nicht zuletzt auch als Lehre aus unserer Geschichte können wir uns nur noch für eine Politik "aktiver Neutralität" entscheiden.

Auch für seinen Vorschlag zur Umwandlung der Bundeswehr in einen zivilen Hilfs- und Katastrophendienst ohne Waffen unterblieb bis jetzt die notwendige Diskussion in der Friedensbewegung.

Ähnlich zukunftsorientiert hatte bereits 1990 auch der ehemalige stellvertretende Nato-Oberbefehlshaber und Bundeswehr-General a. D. Gerd Schmückle in dem "Spiegel"-Artikel "Neue Lösungen müssen her" argumentiert, als er eine grundsätzliche Änderung anmahnte bis hin zur Aufstellung von Öko-Verbänden:

"Vieles wäre möglich: entgiften verseuchten Bodens, eindämmen von Erosionen im Gebirge, aufforsten von Mischwäldern, Pflege von Neuanpflanzungen etc. Erstmalig könnten die Verantwortlichen ganzheitliche Konzepte für Umweltkontrolle und -verbesserung erarbeiten. Die eingezogenen Öko-Männer sollten unterrichtet, ausgebildet und in praktischer Umweltarbeit eingesetzt werden." Und weiter: "So entstünde für die Ausbilder rasch das Berufsbild 'Umweltschützer'. Und bei den Auszubildenden würde sich großes Wissen über Umweltfragen entwickeln, auf breitester Basis."

Auch diese Diskussion wurde bisher nicht von der Friedensbewegung aufgriffen.

Das Jubiläumsjahr 2017 der DFG (-VK) bietet sich an, daran zu erinnern, dass grundsätzlich wichtige Diskussionen wie diese jetzt zu führen sind. Dieser Artikel sollte als ein ermutigender Aufruf dazu verstanden werden.

Thomas Bauer ist DFG-VK-Mitglied und u.a. aktiv in der Initiative: "Kein Militär mehr!"

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - August 2017, S. 6 - 7
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2017

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