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STANDPUNKT/173: Fluchtgrund Waffenhandel (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 / 2018
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Fluchtgrund Waffenhandel
Wie die Bundesregierung daran mitwirkt, dass Menschen massenhaft aus ihrer Heimat fliehen müssen

Von Jürgen Grässlin


Was tun gegen Fluchtursachen?" Die Antwort der Bundesregerung auf diese Frage klingt empathisch: "Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit tragen dazu bei, Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben." Zu Recht sieht die Bundesregierung immensen Handlungsbedarf: Weltweit sei "die Zahl der Flüchtlinge so hoch wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg". Über 60 Millionen Menschen befänden sich auf der Flucht.

Derzeit, so die Bundesregierung, stammen die meisten Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, aus Syrien und dem Irak, zudem aus Afghanistan, Eritrea, Nigeria und Pakistan. "Sie flüchten vor der Terrormiliz IS und den Taliban, vor Bürgerkriegen und Diktatoren. Weil sie in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen, erhalten sie in vielen Fällen Schutz in Deutschland."

Schenkt man der Bundesregierung Glauben, dann unterstützt Deutschland "seit vielen Jahren den Kampf gegen Fluchtursachen". Angewandt würden Maßnahmen schneller humanitärer Hilfe oder langfristiger Entwicklungszusammenarbeit, gefragt seien des Weiteren "Diplomatie oder militärische Zusammenarbeit". Allerdings würden Menschen in Krisenregionen "oft auch mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt". Aus diesem Grund würden Bundespolizei und Zoll "gegen diese Schleuserkriminalität" vorgehen. Das Auswärtige Amt habe in einigen Herkunftsländern gezielte Aufklärungskampagnen gestartet, um Falschmeldungen und Gerüchten entgegenzuwirken und die Menschen vor den Gefahren einer Flucht zu warnen.

Was für viele Menschen zielgerichtet und konsequent klingen mag, verschweigt die Schattenseite der deutschen Außen-, Entwicklungshilfe und Wirtschaftspolitik. Denn wie ihre Vorgängerregierungen leistete auch die CDU/CSU-SPD-geführte Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel von 2013 bis 2017 aktiv Beihilfe zur Eskalation der Gewalt und zur Stabilisierung autokratischer, repressiver und diktatorischer Regime in Ländern, aus denen Menschen massenhaft fliehen mussten. Mit ihren milliardenschweren Rüstungsexportgenehmigungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Regierungen und Regimes trug und trägt die Bundesregierung massiv zum Fluchtgrund Waffenhandel bei. Die Folgen dieser ebenso verantwortungslosen wie menschenverachtenden Regierungspolitik wirken. Mehr als zwei Millionen Menschen flohen in den vergangenen Jahren in die Bundesrepublik Deutschland.

Dabei kann die Bundesregierung auf eine lange Tradition von Waffenausfuhrgenehmigungen zurückblicken. Allein in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ermordete die türkische Armee Zehntausende Kurd*innen im Südosten des Landes - maßgeblich mit Waffen von Heckler & Koch (H&K). Mehr als eine Million Menschen aus Türkisch-Kurdistan flohen maßgeblich vor dem Einsatz deutscher Maschinenpistolen des Typs MP5 und Sturmgewehre des Typs G3, in Lizenz von H&K und der Bundesregierung gefertigt bei MKEK in Ankara. Die allermeisten der Geflüchteten kamen nach Deutschland, vielfach nicht wissend, dass sie in einem Land von und Diktatorenfreunden Schutz suchten.

Was hat die Bundesregierung aus den Schandtaten der Vergangenheit gelernt? Offenbar nichts, wie ein Blick auf die derzeitige Rüstungsexportpolitik verrät.

Friedensforschungsinstitut Sipri schlägt Alarm

Die aktuellen Zahlen zum Waffenhandel mit Großwaffensystemen (wie Kampfpanzer und -flugzeuge sowie Militärhelikopter) sind ernüchternd. Im Dezember 2017 publizierte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri die globale Rüstungsexportbilanz für das Vorjahr. Demnach verkauften international agierende Rüstungskonzerne 2016 weltweit weitaus mehr Kriegswaffen als in den Jahren zuvor. Der Umsatz der Top 100 stieg bei Waffen und militärischen Dienstleistungen auf nunmehr 374,8 Milliarden US-Dollar (fast 318 Milliarden Euro). Erstmals - nach fünf Jahren verminderter Waffentransfers - nahmen die Rüstungsverkäufe 2016 wieder zu - laut Sipri um 1,9 Prozent im Vergleich zu 2015 und um 38 Prozent im Vergleich zu 2002.

Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Deutschland. Hierzulande steigerten Waffenschmieden ihre Rüstungsexporte um insgesamt 6,6 Prozent auf rund sechs Milliarden Dollar. Die Speerspitze bildeten dabei die Düsseldorfer Rheinmetall AG mit einem Zuwachs um 13,3 Prozent, gefolgt vom Kampfpanzerbauer Krauss-Maffei Wegmann in München und Kassel mit einem Plus von 12,8 Prozent.

Beide Unternehmen hätten von der Nachfrage nach Waffen profitiert, analysiert der Sipri-Experte Pieter Wezeman die aktuelle Entwicklung. Wezeman nennt neben den Empfängerregionen in Europa und in Südostasien vor allem den Mittleren Osten. Wahrlich ein lukrativer Absatzmarkt dank der dort tobenden Kriege.

Deutsche Kriegswaffenexporte an Diktatoren und Warlords

Überraschend erscheinen diese Sipri-Zahlen nicht, erschreckend sind sie dennoch. So offenbarte bereits ein Blick in den regierungsamtlichen Rüstungsexportbericht 2016 der Großen Koalition Monate zuvor eine fortgesetzt düstere Entwicklung. Allein der Wert der erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen betrug 6,848 Milliarden Euro - das zweithöchste Volumen, das jemals gemessen worden war.

Auch die Empfängerländer deutscher Kriegswaffentransfers sprechen für sich: So wurden umfangreich Ausfuhrgenehmigungen für Staaten im Maghreb, dem Nahen und Mittleren Osten erteilt: für Algerien 846,5, Ägypten 337,0, den Irak 10,9, Israel 2,8, Jordanien 10,1, Oman 7,1, Saudi-Arabien 21,3 und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) 13,2 Millionen Euro. Unter den Top 10 deutscher Empfängerländer befanden sich mit Saudi-Arabien, den VAE und Ägypten drei Staaten, die sich im Krieg mit dem Jemen beteiligten.

Allen voran die exorbitant hohen Steigerungen der Genehmigungen für den Export sogenannter Kleinwaffen (von Pistolen über Maschinenpistolen bis hin zu Sturm-, Maschinen- und Scharfschützengewehren) sprach für sich: Im Jahr 2016 wurden Kleinwaffenexporte im Wert von 46,89 Millionen Euro erteilt - im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um sage und schreibe 47 Prozent. 2016 wurden erneut Kleinwaffentransfers ins Kriegsland Irak genehmigt, u.a. für 4000 weitere Gewehre mit KWL-Nummer (Kriegswaffenliste) im Wert von mehr als 2,1 Millionen Euro.

Deutschland ist im weltweiten Ranking zum drittgrößten Exporteur von Kleinwaffen avanciert. Die Bundesregierung genehmigte einmal mehr Kriegswaffenexporte an Diktatoren und Warlords. Mit den Waffentransfers in den Irak nahm die Bundesregierung den Bruch des Völkerrechts und damit des Grundgesetzes in Kauf. Denn bis zum heutigen Tag gilt ein Waffenembargo der Vereinten Nationen für den Irak.

Deutsche Kriegswaffen in Händen von Terroristen

Weltweit schießen Terroristen mit Kriegswaffen aus deutscher Fertigung oder ausländischer Lizenzfertigung. Die Liste ist lang und umfassend. Seit langen Jahren nachgewiesen ist beispielsweise der Einsatz von G3-Schnellfeuergewehren von H&K durch Taliban in Afghanistan. Diese Kleinwaffen wurden in Lizenz bei Pakistan Ordnance Factory (POF) hergestellt und offensichtlich über Mittler des pakistanischen Geheimdienstes geliefert.

Auch im Kriegsland Irak sind deutsche Gewehre im Kampfeinsatz. Bereits am 1. September 2014 hatte der Bundestag beschlossen, Kleinwaffen an die Peschmerga im Nordirak zu liefern - was seither in großem Umfang auch passiert. Abertausende G3- und G36-Sturmgewehre fanden mittlerweile ihre Schützen im Norden des Irak, desgleichen wurden rund sechs Millionen Schuss Munition geliefert.

Längst konnte auf den Waffenmärkten im nordirakischen Kirkuk und Erbil nachgewiesen werden, dass G3 aus Bundeswehrbeständen vom IS gekauft und eben gegen die Peschmerga eingesetzt wurden. Die Herkunft dieser Kriegswaffen ist in den Schnellfeuergewehren eingestanzt.

Meine Erfahrung Jahrzehnte währender Vor-Ort-Recherchen lautet: Waffen bleiben selten dort, wo man sie hinliefert. Sie wandern dorthin, wo am meisten bezahlt wird. So lautet das Gesetz des Marktes auf den Kriegsschauplätzen in aller Welt.

Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten

Im genannten Berichtszeitraum 2016 forderten die Kriege im Irak und in Syrien weltweit die meisten Opfer. Dabei hatte Russland mit befreundeten Staaten das syrische Assad-Regime bis an die Zähne mit Waffen hochgerüstet und somit an der Macht gehalten, während die USA mit befreundeten Nationen in der Nato über Jahre Rebellengruppen mit Kriegswaffen ausgestattet hatten. Was dazu führte, dass die Region in Schutt und Asche lag und liegt und Millionen Menschen in die Flucht getrieben wurden.

Mit anderen Worten: Waffenexporte der reichen Industriestaaten an Diktatoren in den Krisen- und Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten, dem Maghreb und den Entwicklungsländern des Südens stellen einen absolut zentralen Fluchtgrund dar. Deutschland spielt dabei eine erhebliche Rolle.

Eine Unterscheidung nach guten und bösen Empfängern deutscher Kriegswaffen - wie sie der vormalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wiederholt zur Legitimierung derartiger Ausfuhrgenehmigungen ins Feld geführt hat - ist obsolet. Waffen wandern.

Menschen müssen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen - seien sie in Händen von Regierungstruppen, Guerillaeinheiten oder Terroristen - fliehen. Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten. Gabriel weiß das, die Bundesregierung weiß das - und genehmigt dennoch weiterhin Kriegswaffenexporte an Barbaren und Schlächter in Krisen- und Kriegsgebiete. Diese Politik der Bundesregierung ist weder sozial noch demokratisch noch christlich. Sie ist heuchlerisch, verlogen und inhuman.

Wer Fluchtgründe beseitigen will, muss da ansetzen, wo ein konkreter Ansatzpunkt besteht. Effizient und erfolgreich wäre ein sofortiger vollständiger Stopp aller Kriegswaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten - impulsgebend eingeleitet von der deutschen Bundesregierung.

Grenzen öffnen für Menschen, Grenzen schließen für Waffen!

Zu Recht fordert die Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!", deren Gründungsmitglied die DFG-VK ist: Öffnet die Grenzen für Menschen, schließt die Grenzen für Waffen! Wir wollen, dass unsere Forderungen in einem neuen Rüstungsexportvermeidungsgesetz festgeschrieben werden: kein Export von Rüstungsgütern an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten, Exportverbot für Kleinwaffen und Munition; keine Hermesbürgschaften zur staatlichen Absicherung von Rüstungsexportgeschäften, keine Lizenzvergabe an andere Länder.

In den kommenden Jahren müssen wir uns aber auch verstärkt den Unternehmen zuwenden, deren Geschäftspolitik das Rüstungsexportdesaster verursachen. Zeitnah bietet sich allen Friedensaktivist*innen die Gelegenheit, selbst aktiv zu werden: Bei der Mitgliederversammlung des RüstungsInformationsBüros gründen wir am 3. Februar im Alten Wiehrebahnhof in Freiburg die Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch. Interessent*innen wie Möchtegern-Aktionär*innen sind herzlich willkommen (www.rib-ev.de).

In den Tagen nach Pfingsten bietet der Staffellauf gegen Rüstungsexport "Frieden geht" von Oberndorf über Kassel nach Berlin die Chance zum aktiven Handeln gegen Waffenhandel (www.frieden-geht.de).


Jürgen Grässlin ist einer der Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" und Mitglied im DFG-VK-BundessprecherInnenkreis.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 / 2018, S. 26 - 27
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2018

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