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FREE GAZA/212: Tagebuch - Free Gaza-Flottille II, letzter Eintrag vom 6.7.2011 (Gerald Oberansmayr)


Tagebuch: Free Gaza-Flottille II, 2011

6. Juli 2011 - Letzter Eintrag

Von Gerald Oberansmayr


Die Gaza-Flottille in diesem Jahr ist auch ein Zeichen, dass diese Politik der Einschüchterung nicht funktionieren darf. Gerald Oberansmayr, Aktivist der Solidarwerkstatt und Teilnehmer der Gaza-Flottille II, führt ein Tagebuch über seine Eindrücke.[*]



6. Juli 2011

Am Vormittag unterhalte ich mich mit einigen Flottille-Teilnehmern aus den USA, die ebenfalls im Hotel Exarchion nächtigen. Jimbo Simmons ist Vertreter von AIM, dem American Indian Movement. Sein Beweggrund, sich an der Gaza-Flottille zu beteiligen: "Das Schicksal der Palästinenser erinnert mich daran, wie die US-Regierung mit der indianischen Bevölkerung umgegangen ist und umgeht." Gaza scheint ihm "wie ein Reservat, nur dass man bei uns noch ein und ausgehen kann." Ein anderer Amerikaner erzählt mir von der wachsenden Opposition unter US-Juden und Jüdinnen gegen die Nahostpolitik der USA und der Regierung Netanjahu in Israel. So hat die Organisation "Jewish Voice for Peace", die auch die free-Gaza-Bewegung und das US-Boot nach Gaza mitträgt, bereits 100.000 Mitglieder in den USA.

Auch aus Israel erreicht uns eine erfreuliche Nachricht: Zehn israelische Friedensorganisationen haben einen Aufruf veröffentlicht, dass sie "aus vollem Herzen die Gaza-Flottille unterstützen". Sie verurteilen die fortgesetzte Greuelpropaganda in Israelischen Medien gegen diese gewaltfreie Aktion und fordern die griechische Regierung auf, die Schiffe endlich segeln zu lassen.

Am Nachmittag wird es nochmals hektisch, denn einem weiteren Schiff, der "Juliano" gelingt es, aus dem Hafen in Athen auszulaufen. Sie war vor einer Woche bei einem Sabotageakt beschädigt, aber mittlerweile wieder repariert worden. Die Auseinandersetzung mit den griechischen Behörden und der Küstenwache gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel, das mir einen wunderbaren Einblick in die Vorstädte Athens und die Finessen griechischer Organisationskunst gewährt, hier aber im Detail schwerlich wiedergegeben werden kann. Leo Gabriel von der österreichischen Delegation schafft noch den Sprung auf das Schiff, ehe die "Juliano" Richtung Süden entschwindet, um vor Kreta mit der französischen "Dignite al Kamar" zusammenzutreffen.

Doch nicht nur zur See soll der Protest gegen die Blockade- und Besatzungspolitik gegenüber Palästina weitergehen. Am Freitag wollen hunderte Menschen von verschiedenen Menschenrechts- und Palästina-Solidaritäts-Gruppen über den Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv nach Palästina einreisen. Ihre schlichte Form des Protests besteht in einer einzigen Aussagen: Sie geben gegenüber den israelischen Behörden "Palästina" als Reiseziel an, da sie in das besetzte Westjordanland einreisen wollen. Israels Sicherheitsminister Yitzhak Aharonowitz schäumt vor Wut und stellt diese Einreisenden als "Gesetze brechende Hooligans" an den Pranger, denen er mit einen Großaufgebot von Polizei zu Leibe rücken werde. Unwillkürlich fällt mir das Zitat von Paul Watzlawick ein: "Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel."

Morgen in der Früh werde ich gemeinsam mit Fernando die Rückreise nach Österreich antreten. Geld- und Zeitmangel setzen individuelle Grenzen, viele reisen in diesen Tagen in ihre Heimatländer zurück. Nach all den vielen hektischen Tagen mit viel Ungewissheit und Spannungen beginne ich damit Resümee zu ziehen: Auch wenn wir unser unmittelbares Ziel - das physische Durchbrechen der Blockade - nicht geschafft haben, ein sehr viel wichtigeres Ziel haben wir erreicht: Die Augen der Weltöffentlichkeit haben sich auf das Unrecht gerichtet, das jenen 1,5 Millionen Menschen widerfährt, die im größten Freiluftgefängnis der Welt leben. Wir haben die Blockade des Schweigens gebrochen, die gerade in den westlichen Ländern über diese permanente Unterdrückung und Demütigung der Menschen in Palästina verhängt worden ist. Immer wieder erreichen uns in diesen Tagen Stimmen aus Gaza, die betonen, wie sehr ihnen unsere Aktion Mut macht. Sie spüren, dass sie nicht vergessen sind und viel Unterstützung auch in den Bevölkerungen jener Länder haben, deren Machthaber mit der israelischen Besatzungspolitik kollaborieren. Ein paar hundert Menschen, die bereit sind, auf völlig gewaltfreie Weise einer waffenstarrenden Militärmacht zu begegnen, getragen von tausenden AktivistInnen und der Sympathie von Millionen, haben die Großmächte in Aufregung versetzt. Der EU-Befehl an Griechenland hat uns zwar die Ausreise aus den griechischen Häfen weitgehend verwehrt, aber uns ungemeine Zuneigung und großes Ansehen in der griechischen Bevölkerung verschafft. Die Stimmung unter den AktivistInnen ist klar: Wenn die Blockade bleibt, wird die nächste Flottille kommen. Und solange die "Juliano" und die "Dignite al Kamar" in See sind, ist auch diese noch nicht beendet.

Wer sich weiterhin täglich über die Ereignisse rund um die Gaza-Flottille informieren will, sei www.jungewelt.de empfohlen.

[*] http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=474&Itemid=43


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Quelle:
© 2011 by Gerald Oberansmayr
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2011