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FREE GAZA/156: Augenzeuge Kevin Ovenden berichtet vom Angriff auf die Mavi Marmara (Socialist Worker)


Socialist Worker 2204 - 5. Juni 2010

Nachrichten

Augenzeuge Kevin Ovenden von der Freedom Flottille:
Ich sah, wie Menschen erschossen wurden

Kevin Ovenden, ein Mitglied von Viva Palestina, befand sich auf dem Leitschiff der Freedom Flottille, als sich israelische Soldaten auf das Deck abseilten. Aus der Türkei sprach er mit Siân Ruddick:

Wir wußten, daß uns die Israelis angreifen oder auf irgendeine andere Weise behindern würden. Um 23 Uhr hatten wir den ersten Sichtkontakt. Die deutliche Vorwarnung bestand aus zwei sich uns nähernden israelischen Kriegsschiffen, gefolgt von einem dritten.

Wir befanden uns 90 Meilen nördlich der israelischen Küste, noch 22 Meilen von der Pufferzone entfernt, mit der Israel seinen Küstenstreifen umgibt.

Wir hatten genaue Handlungsanweisungen ausgegeben, und die Leute waren alle vorbereitet.

Der Kapitän und die erfahrensten Aktivisten an Bord rieten den Leuten sich auszuruhen. Viele taten das, während andere weiter Wache hielten.

Um 4:25 Uhr begann der Überfall. Das eine Kriegsschiff hatte beigedreht, und Kommandoeinheiten ließen sich von Hubschraubern auf das Deck herunter. Auf jeder Seite des Schiffes befand sich ein kleineres Motorboot, auf denen sich jeweils 14 bis 20 Soldaten befanden.

Es war klar, daß sie bewaffnet waren - und es wirkte wie das Äquivalent zu einem SAS-Angriff. Alle trugen diese paramilitärtypischen Balaklavas (*).

Die ersten Soldaten landeten auf dem Dach des Schiffes, die Leute wehrten sich instinktiv mit ihren bloßen Händen und Dingen, die man so auf einem Schiff finden kann - Holzteile, Rohre und so weiter. Es wurden keine scharfen Gegenstände verwendet.

Zwei Soldaten wurden überwältigt und unter Deck gedrängt. Man entwaffnete sie, um weiteres Töten oder Verletzungen zu verhindern.

Der Überfall wurde mit Schallgranaten begonnen.

Diese machen nicht nur Lärm sie geben auch Schockwellen mit einer starken Vibration ab. Sie versuchten damit Terror und Panik zu verbreiten.

Anfangs benutzten sie auch Gummigeschosse. Doch sie gingen sehr schnell zu scharfer Munition über, und wir mußten schwere Verluste verzeichnen.

Niki Enchmarch befand sich auf dem Hauptdeck neben einem Türken, der eine Kamera dabei hatte. Ein israelischer Soldat schoß ihn mitten in die Stirn. Das Geschoß riß ihm den hinteren Schädelknochen weg, und er starb.

Ich befand mich auf dem zweiten Deck. Einem Mann etwa einen Meter weiter vor mir wurde ins Bein geschossen, dem Mann rechts von mir in den Unterleib. Das waren Terror und Inferno.

Die jüngste Person auf dem Schiff war noch nicht mal ganz ein Jahr alt, der Älteste war 88. Die Besatzung bestand aus deutschen und ägyptischen Parlamentariern, NGO-Mitarbeitern und Vertretern von verschiedenen Wohlfahrtsverbänden. Das waren die Leute auf die Israel abzielte.

Während sie das Feuer eröffneten, bemühten wir uns um unsere Verteidigung und darum, das Massaker einzugrenzen.

Sie griffen mit tödlicher Gewalt an, um die Bewegung zur Beendigung der Gaza-Blockade und das weitere Umfeld der Solidaritätsbewegung für Palästina zu terrorisieren. Sie setzen Gewalt ein, um politische Ziele zu erreichen. So definiert sich Terrorismus.

Aber sie hatten keinen Erfolg. Die Menschen an Bord, ihre Familien und die Menschen, die für die 20 Millionen Euro Hilfsgüter spendeten, haben keine Angst und auch nicht jene im weiteren Umfeld der Bewegung.

Dies muß der Wendepunkt sein, an dem die Blockade aufgehoben wird und die von den Regierungen Israel gegenüber verfolgte Politik ihr Ende hat.

Israel hat sich vollkommen isoliert. Auf der ganzen Welt müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln und in Aktion treten, um diese Belagerung zu beenden. Dies eine Gelegenheit für die Politik, bei der große Fortschritte gemacht werden können.

Die Verurteilungen durch David Cameron und William Hague verraten, wie isoliert Israel ist. Sie sind die Führer einer pro-israelischen Partei, und dennoch stellen ihre Erklärungen ein schärferes Urteil dar als alles, was Gordon Brown je geäußert hat, als Israel Gaza im December 2008 und Januar 2009 bombardierte.

Regierungen sagen, daß die Blockade nicht dauerhaft aufrechtzuerhalten sei. Wir müssen die UN, die EU und alle anderen Regierungen dazu zwingen, ihre verbale Verurteilung in die Tat umzusetzen."


(*) Balaklava - (wollene) Kopfschützer

URL des englischen Originaltextes:
Quelle: http://socialistworker.co.uk/art.php?id=21438


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Quelle:
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in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2010