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SCHIFF IRENE/014: Jüdisches Boot nach Gaza - Glyn Secker, der Kapitän der Irene, berichtet (Jewish Boat To Gaza)


Jüdisches Boot nach Gaza

Glyn Seckers Bericht

Ovales Logo: Stilisiertes Segelboot 'Irene' mit einer Friedenstaube als Segel - Text: Jewish Boat To Gaza - Two Peoples One Future
Die Fahrt nach Famagusta war eine lange, lange Reise; es war die längste Überfahrt - zwei Nächte und drei Tage -, und dabei mußte jede Minute das Steuerruder per Hand bedient werden, da es uns nicht gelang, den Autopiloten zum Funktionieren zu bringen. Gewöhnlicherweise kann man nach einer solchen Überfahrt mit Recht erwarten, etwas Schlaf aufzuholen, ein bißchen zu entspannen und wieder zu Kräften zu kommen. Aber uns war nur allzu klar, daß dieser Hafen als der letzte Stop der anstrengendste von allen sein würde: Wir hatten absichtlich einen Hafen gewählt, der nicht für kleine Schiffe ausgelegt war, und so wurde schon die Suche nach einem Anlegeplatz zu einer Herausforderung. Noch dazu hatten wir einen sehr enggepackten Zeitplan mit Pressekonferenzen, hatten Hilfsgüter und Flaggen an Bord zu bringen, aufzutanken und genügend Wasser für die doppelte Länge der Reise aufzunehmen (für den Fall, daß man uns zur Umkehr zwingen würde), die Passagiere an Bord zu bringen - und all das unter den wachsamen Augen der Hafenbehörde, über deren Einstellung wir uns nicht sicher sein konnten.

Wir kamen als "Sven-Y-Two", als Urlauberschiff an. Ein ortsansässiger Fischer erlaubte uns, einen seiner Anlegeplätze zu benutzen und organisierte dann auf unglaubliche Weise Treibstoff aus der Stadt, den er in großen Benzinkanistern kaufte, sowie Wasser, und half mir dann, den Außenbordmotor für die Fischer in Gaza zu kaufen. Er verbrachte den größten Teil des Nachmittags damit, mich in der Stadt auf der Suche nach einem Händler herumzufahren, der auch am Wochenende geöffnet hatte. Die Hafenpolizei war gleichermaßen freundlich, aber natürlich an ihre eigenen, hinderlichen Vorschriften gebunden. Sie überraschten uns dann aber damit, daß sie andere Beamte veranlaßten, zu uns zu kommen, statt daß wir diese in der Stadt aufsuchen mußten.

Das Treffen mit dem Londoner Team und den Passagieren war ganz unkompliziert und eine Mischung zwischen Küssen und Umarmungen, Sorge und hektischen Aktivitäten. Die Pressekonferenz am nächsten Morgen entwickelte ihre eigene Dynamik, und das war der Moment, in dem ich wirklich das Gefühl hatte, daß das ganze Projekt nun losging. Und das tat es auch mit einem Knall: das AP-Team bestand aus örtlichen türkischen Zyprioten und beantragte routinegemäß die Erlaubnis der Hafenbehörde, unsere Abfahrt trotz der Vorschrift, in Reichweite der Radarerfassung zu bleiben, zu filmen. Uns blieb fast das Herz stehen, als wir bei unserer Rückkehr in den Hafen von dem Anblick eines Polizeiautos begrüßt wurden. Um keinen Verdacht zu erwecken, erfanden wir die Geschichte, wir hätten gerade eine Gruppe von Freunden getroffen, die von uns unabhängig im Urlaub seien und die wir zu einem Kurztrip um die Bucht mitnehmen wollten. Aber wir mußten dann feststellen, daß die Bestimmungen erforderten, daß die Hafenpolizei die Pässe bis zur Rückkehr einbehielt. An diesem Punkt wurde uns klar, daß die Geschichte nicht wasserdicht war, und wir wußten nicht so recht weiter. Nach weiteren Diskussionen unter den Beamten zeigte sich, daß sie wahrscheinlich durchschaut hatten, wer wir wirklich waren, und sie meinten einfach: "Also, wenn Sie alle auf das Schiff wollen und dann abreisen und nicht wiederkommen, haben wir keine Einwände."! Wir verfielen dann in hektische Aktivitäten, um einen Alarmstart vorzubereiten und fort zu sein, bevor es irgendeinen Anruf bei einer vorgesetzten Behörde gab oder sie ihre Meinung änderten. Schnell legten wir alle Hilfsgüter für ein Photo bereit, hißten die Banner, holten alle Passagiere an Bord und waren im Verlauf einer halben Stunde bereits unterwegs. Der freundliche Fischer hatte die Medienleute von AP auf sein Boot eingeladen, und als wir den Hafen mit wehenden Fahnen verließen, legte er ab, umrundete uns und gab ihnen so die Gelegenheit, die Photos zu schießen, die dann um die Welt gingen und die israelische Armee (IVA) von unserer unmittelbar bevorstehenden Ankunft in Kenntnis setzten.

Das Wetter meinte es noch immer gut mit uns, und wir kamen besser voran als erwartet. Da wir nicht im Dunkeln auf die IVA treffen wollten, verlangsamten wir unsere Fahrt. Und als es morgens warm geworden war, schlug ich als gute Möglichkeit zur Entspannung vor, das Schiff zu stoppen und ein Bad im funkelnden, tiefblauen Wasser zu nehmen. Wir legten eine lange Leine mit einem Fender am Ende aus und tauchten ins Wasser - ein denkwürdiges Schwimmabenteuer. Reuven war unglaublich. Während er ganz selbstbewußt vom Boot fortschwamm versuchte ich, ihn in Reichweite der Sicherheitsleine zu halten! Ich glaube, ich war der einzige, der gefrühstückt hatte: selbstgemachtes Müsli (wundervolle Mandeln).

Und dann schließlich, nach all den Tagen und Wochen gespannter Erwartung, machten wir am Horizont eine Fregatte aus. Sie beschattete uns für geraume Zeit und hielt sich in etwa fünf Meilen Entfernung auf unserer Backbordseite. Wir entdeckten zudem eine Anzahl kleinerer Boote, die aufgezogen waren, und uns wurde klar, daß die Begegnung kurz bevorstand. Wir sprachen noch einmal unsere Strategie durch und warteten, die Adrenalinspiegel stiegen allmählich. Kurze Zeit später kam auf Kanal 16 VHF ein Ruf von der Fregatte, die uns nach unseren Absichten und der Flagge des Schiffs befragte. Ich informierte sie, daß wir auf dem Weg zum Hafen von Gaza seien, daß wir uns in internationalen Gewässern befänden und nicht die Absicht hätten, in israelisches Gebiet einzudringen. Sie erwiderten, Gaza befinde sich in einer verbotenen Zone, und wir sollten unseren Kurs ändern. Ich argumentierte, daß das nicht internationalem Recht entspreche, daß wir unbewaffnet seien, kein Material geladen hätten, das militärisch genutzt werden könnte, und daß wir eine Hilfslieferung für Gaza an Bord hätten und eine sichere Überfahrt erwarteten. Sie warnten uns daraufhin, sie würden uns stoppen, und das könne gefährlich für die Besatzung werden und das Schiff könne Schaden nehmen. Ich wiederholte noch einmal, sie hätten nicht das Recht, uns abzufangen, und wir hätten die Absicht, unseren Kurs auf Gaza beizubehalten. Es kam keine Antwort, und wir setzten die Fahrt für vielleicht weitere 20 Minuten fort - wahrscheinlich warteten sie darauf, daß wir die Grenze der von ihnen einseitig erklärten, verbotenen Zone überquerten.

Dann entwickelte sich eine Szenerie, die ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen werde: Mit der Fregatte im Hintergrund schwärmten zwei Kanonenboote, zwei Landungsboote und vier RIB-Schlauchboote [1] in einen Halbkreis aus und rasten mit einer Geschwindigkeit von etwa 35 Knoten auf uns zu. Ihre Bugwellen und das Kielwasser glitzerten im Sonnenlicht. Es war surreal, es war wie in einem Actionfilm, und vom Anblick überwältigt, mußte ich mir in Erinnerung rufen, daß das gerade wirklich passierte: eine derartige Übermacht für ein 9,7 Meter langes, 40 Jahre altes Boot, die meisten jüdischen Menschen an Bord über 60 Jahre alt, ohne Waffen und mit einer öffentlich erklärten Strategie des passiven Widerstands.

Das nächste, was wir registrierten, war daß zwei der Schlauchboote längsseits aufzogen und sehr dicht an uns herankamen. Der Kommandant war am Megaphon und warnte uns erneut vor den mit dem Entern verbundenen Gefahren. Ich wiederholte unseren legalen Anspruch und beschleunigte, wozu immer es auch gut sein mochte, nur um deutlich zu machen, daß es illusorisch sei, diese Rechte zu ignorieren. Dann wandte sich Itamar wie geplant auf hebräisch und englisch an die Soldaten, und forderte sie auf, den Befehl zu Handlungen zu verweigern, die internationalem Recht zufolge illegal sind. Die Schlauchboote machten fest, und sie begannen zu entern.

Die ganze Mannschaft und die Passagiere (abgesehen von meiner Person, da ich das Steuerruder festhielt) hielten sich bei den Händen. Sie kamen simultan von beiden Seiten an Bord. Im gleichen Moment stoppten wir die Maschinen und setzten uns auf die Zugänge zu den Schaltern, um zu verhindern, daß sie die Maschinen wieder starteten. Das Ruder befindet sich auf der Steuerbordseite des Schiffs. Ich wurde von drei Soldaten umstellt, ich hielt das Steuer so fest, wie ich nur konnte. Das ganze erinnerte mich an hitzige Streikpostenketten, die die Polizei zu durchbrechen sucht. Einer griff meinen linken Arm, der nächste meinen rechten Arm. Der dritte stand mit einer Tazerwaffe daneben. Nach etwas Gerangel gelang es ihnen, meine Hände vom Steuer wegzuzerren und mich zu Boden zu werfen. Ich konnte noch hinter sie kriechen und die Zündschlüssel entfernen, aber einer von ihnen sah mich dabei und riß mir den Schlüssel aus den Händen.

An der anderen Seite des Führerstands hatte der befehlshabende IVA-Kommandeur die Identität von Yonatan Shapira und seinem Bruder Itamar festgestellt. Er versuchte, sie von den anderen zu trennen. Yonatan umklammerte Rami, um zu verhindern, daß man ihn fortbrachte. Der leitende Offizier schob daraufhin seine Rettungsweste über der linken Brust zur Seite, drückte ihm den Tazer auf die Kleidung und feuerte ihn direkt aufs Herz ab. Yonatan stieß einen fürchterlichen Schrei aus, und er verlor durch die Gewalt des Tazers die Kontrolle über seine Muskeln. Er wurde von Rami weg und quer durch den Führerstand in die Mitte geschleift. Man beschoß ihn noch zweimal mit dem Tazer, und er schrie erneut. Er und Itamar wurden gewaltsam vom Schiff auf das IVA-Boot an der Backbordseite gezerrt. Man transportierte sie dann mit hoher Geschwindigkeit über die See, die in der Zwischenzeit etwas rauher geworden war (der Wind hatte auf Stärke 4 zugenommen) und besonders für Yonatan sehr unbequem sein mußte, der noch dabei war, sich von den Tazerschlägen zu erholen. Sie wurden zunächst zur Fregatte gebracht, wo man sie normal behandelte, dann zum Ufer, wo man sie gegen Kaution ohne Anklage entließ.

Mittlerweile hatte ich die Treibstoffzufuhr zu den Maschinen abgeschaltet (die Motoren verbrauchen nur 1 1/2 Liter in der Stunde), als der Treibstoff in der Zuleitung verbraucht war, versagte der Backbordmotor. (Die Treibstoffzufuhr steuerbords abzuschalten funktionierte nicht). Nach vielen Versuchen, die Maschine wieder in Gang zu setzen, nahm die IVA das Schiff ins Schlepptau. Das Schiff ist für eine maximale Geschwindigkeit von 8 Knoten ausgelegt. Sie zogen uns mit einer Geschwindigkeit von 12-14 Knoten durchs Wasser. Das Schiff hüpfte heftig hin und her, es war gefährlich für die verbliebenen Passagiere und die Mannschaft, einschließlich Reuvan, unserem 82jährigen Holocaustüberlebenden. Wir trugen alle Prellungen davon, und die Fahrt nach Ashdod war ermüdend. Abgesehen von uns befanden sich noch etwa acht Soldaten zusätzlich an Bord, und so war das Schiff viel zu schwer beladen. Erstaunlicherweise begann es nicht auseinanderzubrechen, aber die ganze Struktur stöhnte und krachte. Es war deutlich, daß sie die Absicht hatten, dem Schiff ernstlich zu schaden. Während der Fahrt rissen sie alle Banner und Flaggen einschließlich der roten Nationalflagge (die Fahne des Vereinigten Königreichs) herunter, die den Vorschriften nach in allen ausländischen Gewässern gezeigt werden muß.

In einem Anflug von Trotz beschloß ich, Lunch vorzubereiten! Das war nicht einfach unter den Umständen, aber es gelang mir, Omelette-Sandwiches (mit Knoblauch) zu produzieren, die ich mir mit Reuvan, Lillian und Eli, glaube ich, teilte. Als ich in der Kombüse war, nahm ich die Gelegenheit wahr, das Schnitzmesser, das Brotmesser, einen Meißel und zwei Hammer aus der Werkzeugkiste aus dem Fenster zu werfen, weil ich mich daran erinnerte, daß man ähnliche Dinge auf den vorangehenden Schiffen als Beweis für Waffen fotographiert hatte.

Ich möchte darauf hinweisen, daß es der Polizei oder dem Militär in den USA verboten ist, Tazerwaffen direkt aufs Herz zu richten, da es infolge solcher Schüsse zu einer Reihe von Herzversagen und Todesfällen gekommen ist.

Die Tatsache, daß Yonatan ohne Anklage entlassen wurde, weist sehr deutlich darauf hin, daß der Tazereinsatz gegen ihn nur aus Boshaftigkeit geschah.

Entgegen den IVA-Berichten leisteten wir also beachtlichen Widerstand, wenn auch gewaltfrei, gegen die illegale Kaperung unseres Schiffes, und die IVA wendete erhebliche, nicht provozierte und sehr gefährliche Gewalt an.

Als wir in Ashdod ankamen, wurden wir in einer durch Schiffskontainer abgesperrten Sicherheitszone von etwa 100 Menschen mit unterschiedlicher Uniform empfangen. Wir wurden durch ein Zelt geschleust, in dem wir einer eingehenden Leibesvisitation und Gepäckkontrolle unterzogen wurden. Ich war als letzter fertig, weil ich darauf bestanden hatte, eine Liste der auf dem Schiff befindlichen Wertsachen zu erstellen. Auch wenn ich keinen Beamten dazu bewegen konnte, diese zu unterschreiben, wurde sie von einer Beamtin des Außenministeriums, glaube ich, mitgenommen, aber das war nicht ganz klar. Bevor man mich zurück auf's Schiff ließ, um die Bestandsliste zu erstellen, wurde es inklusive eines Hundes durchsucht. Natürlich besaß keiner von uns illegale Drogen, aber ich wurde zugegebenermaßen doch einen Moment lang nervös, als jemand mich fragte, ob ein Vorbesitzer vielleicht etwas versteckt haben könnte - auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. Während ich wartete, kam ein Major auf mich zu, erklärte, er sei für die Sicherung der Grenze nach Gaza zuständig, und bot an, unsere Hilfsgüter nach Gaza zu transportieren. Er sorgte dafür, daß wir auf's Schiff konnten, ich holte die unter Verschluß befindlichen Hilfsgüter heraus, und er legte sie sich für später bereit. Das Schiff befand sich in chaotischem Zustand, es war bei der Durchsuchung völlig durchwühlt worden. Ich glaube nicht, daß sie die Absicht haben, den Kühlschrank zu leeren und die Lebensmittel mitzunehmen, Gott weiß also, was damit angesichts der noch immer heißen Jahreszeit in ein paar Wochen sein wird. Das kommt zusammen mit dem aufgeschlitzten Gebläse der Toilettenpumpe, und so wird jeder, der als nächster das Schiff betritt, eine gute Gasmaske und einen starken Magen brauchen.

Ich wurde zur Einwanderungs- und Grenzbehörde gebracht, wo ich einen wahrhaft kafkaesken Moment erlebte. Man legte uns ein Formular zur Unterschrift vor, das besagte, daß man mich abschob, weil ich unter Verdacht stünde, illegal in Israel wohnhaft zu sein. Als ich klarstellte, daß ich mich nur deshalb in Israel aufhielt, weil die IVA mich auf Anordnung der Regierung gekidnappt und gewaltsam nach Israel verschleppt hatte, kam die Antwort, daß unwichtig sei, wer mich ins Land gebracht habe. Allein die Tatsache, daß ich mich ohne Erlaubnis dort aufhalte, spiele eine Rolle, und deshalb müsse ich abgeschoben werden. Sie waren nicht gerade erfreut über mein Lachen.

Die Bestimmungen erlaubten eine schnelle Abreise auf ihre Kosten, wenn ich das Dokument unterschrieb. Ich wollte jedoch mit meiner Unterschrift nicht gleichzeitig das israelische Recht anerkennen, das für die Blockade verantwortlich und deshalb Grundlage für die Abschiebung ist. Ihre Antwort darauf war genauso sonderbar wie zuvor. Ich könne dem Vordruck jede von mir gewünschte Erklärung hinzufügen und auch eine Fotokopie von dem ganzen mitnehmen. Also setzte ich einen Passus dazu, daß ich die rechtliche Grundlage für die Abschiebung nicht akzeptiere, da sie nicht auf internationalem Recht beruhe, und habe vorschriftsmäßig unterzeichnet.

Dann kamen schließlich die Anwälte - wirklich großartige Leute. Ich fragte sie, ob ich die rechtliche Seite richtig verstanden hätte und ob das Ergebnis wirklich das gleiche gewesen wäre, wenn ich der Abschiebung vor Gericht widersprochen hätte, und sie bestätigten mir meine Sicht der Dinge. Die IVA hat das von mir gemietete Satellitentelephon vor meinen Augen zerstört. Ich hoffe, sie erklären der Versicherung, warum sie es nicht einfach an sich genommen haben, damit man es später zurückgeben kann.

Man brachte mich dann in das Haftzentrum am Flughafen Ben Gurion. Und wieder waren wir und unser Gepäck das Objekt eingehender Durchsuchungen. Wie kleinlich das Bewußtsein der Menschen sein mag, deren Arbeit tagein tagaus in dieser abstumpfenden Tätigkeit besteht, kann man höchstens raten. Dann war ich allein mit Vash für die Nacht hinter Gitter gesperrt - ein sehr passender Begriff dafür, daß die Tür hinter einem zuschlägt [2]. Da ich als Sozialarbeiter schon häufiger Klienten in Untersuchungshaft oder im Gefängnis besucht hatte, fühlte es sich in der Tat ziemlich merkwürdig an, sich nun auf der anderen Seite zu befinden. Aber daran, daß unsere Prinzipien und unser Verständnis des internationalen Rechts absolut richtig waren, haben ich keinen Moment lang gezweifelt.

Man ließ mich 12 Stunden lang ohne etwas zu trinken, obwohl ich um Wasser bat. Als ich am Morgen noch einmal danach fragte, erwiderte man mir, ich solle das Leitungswasser trinken - es war warm. Später kamen sie mit einer Tasse Tee, einem Brötchen und einem Handtuch, damit ich duschen konnte. Bei den Beamten, die mich zum Flughafen bringen sollten, handelte es sich um äthiopische Juden. Sie mußten mir für die Fahrt Fußfesseln anlegen. Ich erklärte ihnen, das sei nicht nötig. Es war ihnen ziemlich peinlich, und sie entschuldigten sich dafür, waren jedoch dazu verpflichtet, die Fesseln zu benutzen. Wenigstens trugen sie mir die Tasche zum Minibus. Man brachte mich direkt zum Flugzeug, das auf dem Rollfeld stand, und ich mußte eine Metalltreppe zum Eingang hinaufsteigen. Die Kette der Fußfessel klackte gegen die Stufen - und erinnerte mich an den Song von Winton Marsarlis über die Chaingangs.[3]

Außer Sichtweite der anderen Passagiere entfernten sie die Fußfessel, und dann erlebte ich einen weiteren kafkaesken Augenblick, als mich der Chefstewart wie jeden anderen Passagier an Bord begrüßte, mich darüber informierte, daß es eine Mahlzeit und Getränke geben würde, und mir eine angenehme Reise wünschte! Man bot hochwertige Unterhaltung während des Fluges - es handelte sich um eine Boeing 777 - aber es gab keine Nachrichten, das war sehr merkwürdig. Ich befand mich abgeschirmt in einer Art "El Al-Blase".

Ich hatte nicht damit gerechnet, daß man zuhause die Ankunftszeit meines Fluges kannte, da sie auch mir bis zum Abflug nicht bekannt war. Aber die Anwälte müssen sie Miri mitgeteilt haben, und es war absolut wundervoll, in der Tat überwältigend, von Vanessa und einer Willkommensgesellschaft aus engen Freunden begrüßt zu werden - absolut unglaublich, das waren zwei Tage, die ich nie vergessen werde.

Es ist fantastisch, bei der Rückkehr auf eine so unglaublich lebhafte Unterstützung zu treffen. Ich bin überwältigt von dem Ergebnis, ich glaube, daß unsere Mission wirklich erfolgreich war. Wir haben der Welt unseren Standpunkt sehr nachdrücklich klargemacht und gezeigt, daß es vermutlich Hunderttausende Juden weltweit gibt, die entsetzt sind über die israelische Palästinenser-Politik und über die Verstöße gegen die Menschlichkeit und die Menschenrechte.

Glyn Secker, Kapitän des Jüdischen Boots nach Gaza


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick:

[1] RIB-Schlauchboot - Festrumpfschlauchboot

[2] im Original: "banged up for the night". Im Englischen macht das Wortspiel Sinn: "banged being a very appropriate word describing the door slam behind you".

[3] Chaingang - Trupp aneinandergeketteter Sträflinge

Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Quelle des englischen Originals:
http://jewishboattogaza.org


Auch Dr. Edith Lutz ist mittlerweile - am vergangenem Freitag und damit früher als ursprünglich erwartet - nach Hause zurückgekehrt.

Schriftzug: Jewish Boat to Gaza - Two Peoples One Future

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Quelle:
http://jewishboattogaza.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2010