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APPELL/141: Polizeigesetz Sachsen - Schwerwiegende Kritikpunkte wurden nicht umgesetzt (Digitalcourage)


digitalcourage e.V. - Pressemitteilung vom 8. April 2019

Schwerwiegende Kritikpunkte von Grundrechts-, Menschenrechts-, Sozial-, Polizeirechts- und Datenschutz-Sachverständigen wurden nicht umgesetzt - trotz vorhandener Alternativen


Die Grundrechte- und Datenschutzorganisation Digitalcourage versendet am Montag, 8. April 2019 einen Appell-Brief an Abgeordnete im Sächsischen Landtag. Digitalcourage appelliert in dem Schreiben an die Abgeordneten zwei Tage vor der entscheidenden Abstimmung über die Neustrukturierung des Polizeigesetzes: Stimmen Sie am Mittwoch, 10. April gegen die Verschärfung des Sächsischen Polizeirechts!

Das Bündnis "Sachsens Demokratie" erklärt:
"Als Begründung für das Gesetz wird (...) Terrorismus und Schwerkriminalität vorgeschoben. Jedoch steht dies im klaren Widerspruch zu einer seit über 20 Jahren rückläufigen Kriminalitätsstatistik, sowohl in der gesamten BRD als auch in Sachsen. Dabei sind CDU und SPD bereit, bis an die Grenzen der Verfassungsmäßigkeit und zum Teil auch darüber hinaus zu gehen."


Appell-Brief an Abgeordnete im Sächsischen Landtag:

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Grund- und Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage appelliert an Sie als Mitglied des Sächsischen Landtags: Stimmen Sie am Mittwoch, 10. April gegen die Verschärfungen des Sächsischen Polizeirechts, denn:

• schwerwiegende Kritikpunkte von Grundrechts-, Menschenrechts-, Sozial-, Polizeirechts- und Datenschutz-Sachverständigen wurden nicht umgesetzt - trotz vorhandener Alternativen; [1]

• der sächsische Datenschutzbeauftragte bewertet das geplante Polizeigesetz in Teilen als verfassungswidrig; [2]

• mehr als 21.000 Menschen haben die Petition "Grundrechte schützen - Neues Polizeigesetz in Sachsen verhindern!" unterzeichnet. Mitinitiatorin der Petition ist die Sächsische Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns; [3]

• die verschärften Grundrechtseingriffe sind insbesondere vor dem Hintergrund der tatsächlichen Entwicklung von Kriminalität im Freistaat unverhältnismäßig. Die Polizei Sachsen informiert: "Die Zahl der Straftaten im Freistaat Sachsen ist im vergangenen Jahr gesunken (...) Zahl der Wohnungseinbrüche zurückgegangen (...) Kfz-Diebstähle in Sachsen rückläufig (...) Gewaltkriminalität nimmt ab (...) Grenzkriminalität auf niedrigstem Stand seit zehn Jahren". Grundrechtsschonende Alternativen sind der angemessene Weg im Rechtsstaat; [4]

• für die geplanten Regelungen wurden mildere Alternativen, wie sozialpolitische Maßnahmen zur Reduzierung von Gewaltursachen, nicht geprüft. In Anbetracht der Tragweite des Gesetzes erfordert das die gesetzgeberische Sorgfalt;

• für die Neustrukturierung des Polizeirechts in Sachsen wurde keine vollumfängliche und unabhängige Begutachtung durchgeführt. Es existiert keine Gesamtbetrachtung der rechtsstaatlichen und demokratischen Folgen der geplanten Ausweitung von Überwachungs- und Repressionsbefugnissen;

• Beispiel Maschinengewehre: Weitere Kriegswaffen für Polizeieinheiten sind nicht begründbar. Die in der Anhörung am 12. November 2018 von den Sachverständigen geäußerten Argumente sprechen klar und deutlich gegen die Aufrüstung der Polizei mit weiteren Kriegswaffen; [5]

• Beispiel Bodycams: Im aktuellen Entwurf ist als alleiniger Zweck für die geplanten Körperkameras der Schutz von Polizistinnen und Polizisten vorgesehen. Studien belegen sowohl gewaltsteigernde, als auch gewaltreduzierende Wirkungen von Bodycams. Es spricht kein Argument dagegen, dass der Schutz aller Beteiligten als Zweck der Körperkameras in das Gesetz aufgenommen wird. Diese Kritik wurde in der Anhörung am 12. März 2019 geäußert.

• die geplante Kennzeichen- und Gesichtserfassung im 30-Kilometer-Grenzgebiet zu Polen und Tschechien wird hauptsächlich Menschen betreffen, die sich absolut rechtskonform verhalten. Artikel 12 der Verfassung des Freistaates Sachsen fordert: "Das Land strebt grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit an, die auf den Ausbau nachbarschaftlicher Beziehungen, auf das Zusammenwachsen Europas und auf eine friedliche Entwicklung in der Welt gerichtet ist." Kritik kommt auch von tschechischen und polnischen Organisationen [6] und

• weitere Kritikpunkte finden Sie in Stellungnahmen, unter anderem an den geplanten Änderungen zum Einsatz von V-Leuten, Kontaktverboten und Aufenthaltsgeboten [7].

Die geplante Neustrukturierung ist aus diesen Gründen unverhältnismäßig. Darum: setzen Sie sich für einen freiheits- und grundrechtsfreundlicheren innenpolitischen Kurs ein. Tragen Sie die Neustrukturierung des Sächsischen Polizeirechts in der Form nicht mit!

Stimmen Sie am Mittwoch, 10. April 2019 gegen die Verschärfungen des Sächsischen Polizeirechts!

Wir freuen uns über Rückmeldungen und stehen für den Austausch über Sicherheit, Überwachung und Grundrechte zur Verfügung.

Mit vielen Grüßen

Friedemann Ebelt
Referent Digitalcourage


Weitere Informationen:
https://digitalcourage.de/blog/2019/sachsen-nein-zum-polizeirecht-am-10.4.

und:
https://digitalcourage.de/polizeigesetze

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Quelle
Pressemitteilung vom 8. April 2019
digitalcourage e.V.
Marktstraße 18, 33602 Bielefeld
Telefon: +49-521-1639-1639, Fax: +49-521-61172
E-Mail: mail@digitalcourage.de
Internet: www.digitalcourage.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2019

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