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OFFENER BRIEF/062: An Andrej Holm (Anja Röhl)


Offener Brief an Andrej Holm

von Anja Röhl, 18. Januar 2017


Lieber Andrej Holm,

Die mediale Schlacht, die deinen Namen seit Tagen im 5-Minutentakt (Bsp: Radio BR) Millionen Menschen in die Ohren schrie, hat dich nun zum Rücktritt und offenbar nun auch um deinen Ursprungs-Arbeitsplatz gebracht. Das ist bitter. Schlimmer noch aber ist, was es bedeutet: Kniefall der Koalitions-Politik gegenüber der Miethai-Lobby, Kriegserklärung gegen die organisierte Mieterbewegung, deren Sprachrohr du bist, Exempelstatuierung an einem seiner engagiertesten Vertreter. Die Stasi-Beschuldigung (die für jeden gilt, der dort seinen einfachen Arbeitsplatz hatte) wird heutzutage, in extremer Verschiebung historischer Tatsachen, schlimmer als jede Nazi-Parteimitgliedschaft geahndet.

Aber fast der gesamte Führungsstab der Staatsbediensteten der ehemaligen BRD, in Polizei, BND, Verwaltung, Justiz und Medien wurde in den 60er, 70er, 80er Jahren durch Menschen mit Nazi-Funktionärshintergrund repräsentiert, ausgebildet und angeleitet, einer Diktatur, die 50 Millionen Menschen ermordete, die Juden, angebliche Slaven, Sinti und Roma, schwarze Menschen, und Kommunisten zusammen mit Zehntausenden Kranken als geistig minderwertig, unterhalb der Tiere ansiedelte und mittels grausamster Methoden der Vernichtung preisgab und dies bis zum letzten Tag 1945 rechtfertigte.

Zahllose dieser Menschen wurden schon ab 1952/56 nicht nur rehabilitiert, sondern auch wieder in wichtige staatliche Entscheidungsposten befördert, sie waren Staatsminister, Präsidenten, Oberstudienräte, Chefärzte, Justizminister, Staatsanwälte, leitende Angestellte, etliche haben das Bundesverdienstkreuz erhalten, warum wirft man dich 25 Jahre nach 89 aus dem Amt, obgleich du nichts getan hast und obgleich die Staatssicherheitsbehörde, bei der du gearbeitet hast, einen ganz normalen Staat gesichert hat, der nicht mal irgendwo einen Krieg führte. Seine Methoden, die durch den kalten Krieg diktiert wurden, die man historisch analysieren muss und die man auch kritisieren darf, haben nichts, aber auch nichts gemein mit den Methoden, die die Nazis anwandten, deren Vertreter und Nachkommen die Bundesrepublik Deutschland ab dem frühen 50er Jahren aufgebaut und bis 1989 entscheidend mitbestimmt haben, das ist ein Fakt, der durch zahllose Historiker belegt und bewiesen wurde und immer noch weiter bewiesen wird.

Das hier also nur ein Vorwand gesucht wurde, wie man dich als einen Vertreter der Mieterinitiativen und sozialen Mieterplaner so schnell wie möglich aus dem Amt wieder hinausbefördern kann, das scheint mir klar zu sein, und das geht uns alle an, denn damit sind wir gemeint, diejenigen, die sich über Jahrzehnte nicht haben kleinkriegen lassen, diejenigen, die im Film 'Mietrebellen' zu Wort kommen, deren Initiativen unermüdlich, unter Einsatz von Freizeit, Nerven und Lebenskraft für eine bessere Wohnqualität streiten und sich einsetzen. Es ist wichtig, dass wir uns das klarmachen. Wir sind gemeint, wenn sie über dich herziehen, wir sind gemeint, wenn sie dich rauswerfen!

Das zeigt aber, wie stark die Mietrechtsbewegung schon ist, die Lobby zittert vor Angst, unsere Vertreter könnten Entscheidungsgewalt bekommen. Das ist ein Zeichen in Zeiten, wo wir auf den Reißbrettern der Stadtplaner und Miethaie keine Menschen, sondern nur Negativzahlen ihrer Bilanzen sind. Das zeigt, dass wir nun auch einmal als etwas anderes wahrgenommen werden, nämlich als ernstzunehmende Faktoren.

Also: Nicht nachlassen im Widerstand gegen die Aufteilung des Wohnraums unter die Haifische! Nicht nachlassen im Kampf um eine menschenwürdige Stadt! Solidarität mit Andrej Holm!

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Quelle:
Anja Röhl, 18. Januar 2017
www.anjaroehl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2017

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