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STANDPUNKT/045: Die Verwandlung der Gemeindebauten in Zinshäuser (Gilbert Karasek)


Die Verwandlung der Gemeindebauten in Zinshäuser

von Gilbert Karasek, 4. April 2013



Liebe Mieter und Mieterinnen,

man rätselt, prüft und spekuliert, woher es kommt, dass das Wohnen immer teurer wird. Für viele ist das Wohnen ohne staatliche Unterstützung nicht mehr leistbar. Schauen wir uns eine der Ursachen an.

Die Stadt Wien hat mit 220.000 Wohnungen den größten kommunalen Wohnungsbestand Europas. Leider hat der Zins diesen Wohnungsbereich mit seinem Virus erfasst, das heißt, das Wohnen ist für viele ohne staatliche Zuschüsse nicht mehr leistbar.

Aber was ist von dem ehemaligen sozialen Wohnbau noch übrig geblieben?

Nichts, als nur teure Zinshäuser. Man hat im Rathaus vergessen, dass neben Wasser und Ernährung auch das Wohnen zu den Grundbedürfnissen der Menschen gehört. Seit Jahren bereichert man sich durch die Verzinsung des Wohnraumes an dem Grundbedürfnis des Wohnens in den Gemeindebauten.

Der Zins hat viele Gesichter, Kreditzinsen, Bankzinsen, Währungszinsen usw. Der Zins auf den Sparbüchern macht Freude, aber der Zins hat nicht nur positive Seiten. Zum Beispiel ganz nach dem Gesetz, Angebot und Nachfrage, nach diesem sich der Zins regelt, verlangen einige Banken für die Kontoüberziehung den Wucher von 9,5 bis 14 Prozent an Zinsen. Davon sind gerade jene Personen betroffen, die am Monatsende keine Geldreserven mehr haben wie Alleinerziehende, Pensionistinnen, atypisch Beschäftigte usw. Daran zeigt sich das Wesen des Zinses.

Aber wir beschäftigen uns hier nicht mit den Bankzinsen, sondern mit dem Wohnungszins in den Wiener Gemeindebauten. In den Gemeindebauten frisst der Mietzins zirka 55% des durchschnittlichen Einkommens einer ArbeiterIn auf. Damit trägt der Zins im Wohnbereich zur Armut bei. Dagegen wurde früher nur 20% des durchschnittlichen Einkommens für das Wohnen in den Gemeindebauten aufgewandt.

Aber eins nach dem anderen. Der Zins an sich, als Preis betrachtet, hat mit realen Hauskosten überhaupt nichts zu tun. Der Zins wird bewusst von den Hauseigentümern verklärt und intransparent mit einer Vielzahl von Ausreden und von hochtrabenden juristischen Fachausdrücken belegt, die dem Zinswucher einen Schein von Seriosität verleihen sollen, damit die Vermieter den Wucher vor den beraubten Mietern rechtfertigen können. Zum Beispiel sind in der Regel öffentliche Unternehmen wie Krankenkassen, Pensionskassen usw. verpflichtet, für ihre Systemerhaltung kontrollierbare Kapitalreserven anzulegen, damit einerseits die Betriebskosten gedeckt werden und andererseits die Erhaltungskosten finanzierbar bleiben. Nur für die Hauseigentümer hat man eine juristische Ausnahme geschaffen was die Erhaltungskosten betrifft. Sie werden nicht wie üblich, wie zum Beispiel die Betriebskosten, als überprüfbare Geldanlage geführt, sondern in die Grauzone des Zinses verschoben. Demnach sind die Erhaltungsarbeiten, wie z.B. Einbauten von Aufzügen, Wegen, Dach- und Fenstererneuerungen, Durchlauferhitzern usw., aus dem anonymen Topf der sogenannten zehnjährigen Zinsreserven abzudecken. Mit diesem abgeschmackten juristischen Trick, indem sie Zins und Erhaltungskosten vermischen, bleibt den eiskalt berechnenden Politiker/Innen ein "guter" Vorwand für die Beibehaltung der Zinszahlung erhalten.

Kommen wir zur Frage, was der Zins ist. Generell entspringt der Zins aus keinen realen Kosten; er ist für die Besitzenden oder die verwaltende Klasse die kostenlose Einnahmequelle auf die Verwaltung bzw. auf ihr Privateigentum. Der Zins ist eine Zahlungsleistung, die bloß auf dem juristischen Titel des Privateigentums beruht, beziehungsweise der Zins ist eine kostenlose Zahlungsleistung an jene, die die Verfügungsgewalt über das Privateigentum haben. Das Verlangen der Grund- und Wohnungseigentümer auf Zinszahlungen ist zwar vom Staat zum Gesetz erhoben, dennoch bleibt diese Zahlungsleistung ein Unrecht, weil der Zins aus dem Raub abgeleitet ist. Nämlich der Zins ist eine Zahlungsleistung an den Grund-, Haus- und Wohnungseigentümer, für dessen Zahlungen sie keine Leistung erbringen.

Schon damals war das Grundbedürfnis Wohnen eine Goldgrube für die privaten Hauseigentümer. Heute ist es nicht anders; für den einen schafft sie finanzielle Not und für den anderen Reichtum. Von der Existenz der Menschen ausgehend, ist die Verzinsung von Grundbedürfnissen ein Verbrechen. Dieses Zinsproblems im Wohnungsbereich waren sich die damaligen Sozialisten des Wiener Gemeinderates bewusst. Und um die ArbeiterInnen vor dem Zins der Hauseigentümer zu schützen, errichteten sie vor dem 2. Weltkrieg die ersten Wiener Gemeindebauten.

Kehren wir in die Gegenwart zurück. Die jetzige Generation des regierenden Gemeinderats hat nichts mehr mit ihren Vorgänger gemeinsam, bis auf das Schauspiel am Rathausplatz. An jedem 1. Mai singen sie mit erhobener Faust die Internationale. Den Rest des Jahres, die noch übrigen 364 Tage, verwalten sie den Kapitalismus und in diesem Sinne auch die Gemeindebauten. Für sie gibt es keine Klassengegensätze, weder zwischen Lohnarbeit und Kapital, noch zwischen Armut und Reichtum. Aus dieser Sicht heraus ist der Zins ebenso eine normale Leistung wie z.B. die Betriebskosten.

Um die verkomplizierten Geschäftspraktiken über die Gemeindebauten sichtbar zu machen, müssen wir uns einfacher Beispiele bedienen. Schließlich wurde die Geschäftskonstruktion so angelegt, damit ihr asozialer Charakter verborgen bleibt. In diesem Beispiel werden wir die Geschäfte der dafür zuständigen Abteilung mit Schürfaufgaben vergleichen. Dieser Vergleich ist nicht einmal so weit hergeholt. Außerdem hilft dieser Vergleich, die kompliziert angelegte Konstruktion klar darzustellen.

Geht man davon aus, dass alle Waren zugleich auch Kapital sind, weil man eine Ware in Geld und dann wieder in Waren zurückverwandeln kann, so sind nicht nur Öl und Gold, sondern auch die Häuser und Wohnungen Waren, die zugleich auch Kapital sind. Bei den Ölfeldern besteht der Wert im Öl, bei Goldminen besteht der Wert im Gold und bei den Zinshäusern besteht der Wert im Zins. Wenn es um die Abschürfung all dieser Werte geht, dann gibt es für die Wirtschaftsstrategen im Gemeinderat keinen Grund, warum man neben diesen Zinshäusern nicht auch die Gemeindebauten beim Abschürfen der Zinswerte miteinbeziehen kann. Genau diese Wirtschaftsüberlegung haben sie in die Tat umgesetzt.

Demnach wurden die Gemeindebauten von ihrem sozialen Zweck entbunden und die Wohnungen in ertragreiche Zins-Zellen verwandelt. Und damit das Abschürfen der Zinsen intransparent bleibt, haben sie dementsprechend das Geschäftsmodell dazu angepasst. Die dafür verantwortliche Abteilung wurde gegenüber den anderen Magistratsabteilungen mit besonderen Rechten ausgestattet. So hat sie das Öffentlichkeitsrecht, das im Sinne eines privatrechtlichen Unternehmens agiert. Damit hat auch diese Abteilung eine eigene und unabhängige Finanzgebarung, also ähnlich wie ein privatisierter Betrieb, aber im Status einer Magistratsabteilung, also nicht ausgegliedert.

Diese verworrene juristische Konstruktion verschleiert perfekt den Zweck des Unternehmens, eben das Abschürfen bzw. die Beraubung der Mieter mittels des Zinses. Zum Schluss wurde aus wahltaktischen Gründen dafür gesorgt, dass es zwischen der verantwortlichen Partei und dem Zinswucher in den Gemeindebauten keine Verbindung gibt. Überhaupt, am besten finden die Politiker den Zustand, in dem die Mieter nicht merken, dass sie nicht mehr in sozialen, sondern in Zins-Häuser leben. Dies ist also die Konstruktion, unter der die Politiker/Innen die Abteilung, die die Gemeindebauten verwaltet, gegründet haben.

Welch eine Ironie in der Geschichte des Gemeindebaus. Die heutigen Politiker/Innen im Wiener Rathaus haben die Gemeindebauten in Zinshäusern verwandelt, aber genau wegen dieser Zinshäuser haben die damaligen Genossen den kommunalen Wohnungsbau gegründet, aus diesen die Gemeindebauten hervorgegangen sind. Heute sind diese Häuser einfache Zinshäuser, die als Gemeindebauten getarnt sind.

Die vom Wiener Gemeinderat so mühevoll eingerichtete Abteilung, welche die Gemeindebauten verwaltet, deren Zweck darin besteht, ertragreich den Zins aus den Gemeindebauten abzuschürfen, hat uns gezeigt, dass es keinen Unterschied macht, ob es eine privatisierte oder kommunale Körperschaft ist. Dass es also darauf ankommt, dass nicht wieder Stellvertreter, sondern wir, die Arbeiter/Innen bzw. alle Gesellschaftsmitglieder, durch die Aufhebung der Teilung der Arbeit selbst und gleichberechtigt alle gesellschaftlichen Aufgaben übernehmen müssen.

Gilbert Karasek

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Quelle:
© 2013 by Gilbert Karasek, Wien
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2013