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STANDPUNKT/091: Bundeswehreinsatz im Nordirak - Jenseits des Grundgesetzes (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung

Erklärung vom 5. Februar 2014

Bundeswehreinsatz im Nordirak: Jenseits des Grundgesetzes



1. Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat am 29.1.2015 auf Antrag der Bundesregierung (BT-Drs. 18/3561) der Entsendung von "bewaffneten deutschen Streitkräften" bis zum 16.1.2016 mit "bis zu 100 Soldatinnen und Soldaten" in den Nordirak zugestimmt. Der Einsatz soll der "Ausbildungsunterstützung" von "Sicherheitskräften der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte" gegen die Terrororganisation ISIS dienen, die sich selbst auch "Islamischer Staat (IS)" nennt. Die Bundeswehr soll beraten, ausbilden, führen und Lagebilder durch das militärische Nachrichtenwesen erstellen. Zudem ist dabei die Entsendung von Offizieren "im Rahmen der internationalen Allianz gegen ISIS" in die Stäbe der irakischen Streitkräfte und der US-geführten Kriegskoalition vorgesehen. Außerdem wird der Bundestagsbeschluss von der Bundesregierung als Mandat für weitere deutsche Waffenlieferungen ("militärische Ausrüstung", vgl. Ziff. 3 des BTBeschlusses) in die Region angesehen.

2. Damit wird Deutschland immer stärker in einen Krieg verwickelt, dessen Ende nicht abzusehen ist. Im Irak und in Syrien tobt kein Religionskrieg, sondern ein Machtkampf um Ressourcen und Einflussphären entlang ethnischer Linien: Schiitische, sunnitische und kurdische Machteliten wollen mit Waffengewalt Gebiete und Menschen unter ihre Kontrolle bringen, nachdem im Gefolge des völkerrechtswidrigen US-Krieges gegen das Saddam-Hussein-Regime seit 2003 staatliche Strukturen dort immer mehr zerfallen sind. Die Bomben des US-geführten Luftkrieges töten nicht nur IS-Kämpfer, sondern immer auch Zivilisten ("Kollateralschäden"). Dies schafft neue Opfer und schürt Hass bei den Überlebenden und ihren Angehörigen. Das führt dem IS und anderen Terrororganisationen immer neue Anhänger und Sympathisanten zu. Es ist absehbar: Im Gefolge dessen werden sich Terror und Gegenterror dann immer stärker auch "gegen den Westen" wenden.

3. Der jetzt von der Mehrheit des Bundestages gebilligte Einsatz der Bundeswehr ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Wie das Bundesverfassungsgericht zuletzt in seinem "Lissabon-Urteil" vom 30.6.2009 feststellte, ist der Auslandseinsatz der deutschen Streitkräfte nach dem Grundgesetz "außer im Verteidigungsfall nur in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt (Art. 24 Abs. 2 GG)." (Rn. 254).

Ein Mandat zum Einsatz von Streitkräften im Nordirak hat der UN-Sicherheitsrat weder Deutschland noch anderen Staaten erteilt. Kurzerhand behauptet die Bundesregierung nun, bei den sich an Kampfeinsätzen gegen den IS beteiligenden Staaten handele es sich um ein solches "System". Dem hat bereits der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten zu dieser Frage mit Recht widersprochen. Ad hoc gebildete Koalitionen von "willigen" Staaten sind eben nicht die von Art. 24 Abs. 2 GG gemeinten "Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit".

Der jetzt beschlossene Bundeswehr-Einsatz erfolgt weder "im Rahmen und nach den Regeln" der UNO noch mit Billigung der UNO durch die NATO. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes stellt denn auch fest, dass mit dem Bundeswehreinsatz im Nordirak "verfassungsrechtliches Neuland" betreten werde. Das ist nichts anderes als eine höfliche Umschreibung für den Verfassungsbruch.

Das Grundgesetz bricht, wie das BVerfG zu Recht festgestellt hat, "mit allen Formen des politischen Machiavellismus und einer rigiden Souveränitätsvorstellung, die noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Recht zur Kriegsführung - auch als Angriffskrieg - für ein selbstverständliches Recht des souveränen Staates hielt." Es "will die Mitwirkung Deutschlands an internationalen Organisationen, eine zwischen den Staaten hergestellte Ordnung des wechselseitigen friedlichen Interessenausgleichs und ein organisiertes Miteinander in Europa." (Rn. 222).

Die zahlreichen Konflikte in der Welt von heute lassen sich durch Militäreinsätze und den Export von immer mehr Waffen eben nicht lösen. Statt die Kriegsökonomie und die "Spirale des Terrors" noch weiter anzuheizen, gilt es, an den Ursachen anzusetzen und geeignete politische Initiativen zur Gegensteuerung einzuleiten - gerade darin bewährt sich "globale Verantwortung" im Einklang mit dem Grundgesetz! Die "Übernahme globaler Verantwortung" kann sich die Bundesregierung offenbar wieder einmal nur in Gestalt des Einsatzes von militärischer Gewalt vorstellen.

Dabei ist Krieg, wie Willy Brandt immer wieder betont hat, nicht die "ultimaratio", sondern die "ultima irratio". Nicht zuletzt auch die Münchner "Sicherheitskonferenz" soll offenbar dem Zweck dienen, die mit Recht skeptische Bevölkerung Deutschlands darauf einzustimmen, dass die Beteiligung der Bundeswehr an kriegerischen Auseinandersetzungen auf Krisenschauplätzen rund um die Welt immer mehr zur "Normalität" wird. Diesem verfassungswidrigen Treiben setzen wir unseren entschiedenen Protest entgegen!

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2015


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