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STANDPUNKT/100: Nicht nur für die Sicherheit Israels - Psychologie statt Kriegsmaschinerie (Edith Lutz)


Nicht nur für die Sicherheit Israels:
Psychologie statt Kriegsmaschinerie

von Edith Lutz, 10. Mai 2015


Förderung von Empathiefähigkeit und die Unterstützung von Einrichtungen, die sich dieser Aufgabe widmen, sind wirkungsvollere Maßnahmen für eine Wegbereitung in Richtung Frieden - vielleicht die einzig wirksamen.


Und finanziell bedeutend günstigere. Wie das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut (SIPRI) angibt, betrug die Summe der Militärausgaben aller Länder 1.776 Milliarden Dollar allein für das Jahr 2014. Mit 610 Milliarden liegen die Vereinigten Staaten (noch) weit an der Spitze. Sie führen mit über zwanzig Milliarden [1] auch die Liste der Exporte für das gleiche Jahr an. In einigen Fällen sind die Vereinigten Staaten sehr freigiebig und bieten neben dem regulären Export großzügige militärische Hilfe an (wobei gleichzeitig auch der eigenen Rüstungsindustrie geholfen wird). Ein solcher Nutznießer ist zum Beispiel Israel, das eine jährliche Hilfe in Höhe von drei Milliarden Dollar erhält. Darüber hinaus wird Finanzhilfe für besondere Fälle gewährt, wie beispielsweise den Raketenabwehrsystemen "Iron Dome" mit 429 Millionen Dollar im März 2014 oder "Tamir" mit 576 Millionen (Haaretz, 10.3./18.8. 2014). Ägypten ist der zweitgrößte Empfänger von US-amerikanischer Militärhilfe. Der aus Anlass des Militärputsches verhängte Exportstopp ist aufgehoben. Präsident Obama versprach den Putschisten, die jährliche Militärhilfe 2015 in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar wieder aufzunehmen (Reuters, 31.03.15).

Es gibt einen weiteren großzügigen Spender in der Militärszene. Deutschland nimmt 2014 mit 1,2 Milliarden Dollar den fünften Platz auf der Liste der Waffenexporte ein und den zweiten für Exporte nach Israel. Deutschland hilft sogar, Israels nukleare Kapazitäten zu verbessern. Israel erwartet noch in diesem Jahr das fünfte Unterseeboot der Marke "Dolphin" mit einem Wert von 550 Millionen Euro, wobei ein Drittel (135 Millinen Euro) wie beim Kauf des vierten U-Boots subventioniert sind. Das erste und zweite Boot erhielt Israel gratis, das dritte zum halben Preis. Nach Medienberichten plant die Bundesregierung, auch weitere Kriegsschiffe - Korvetten im Wert von mehr als einer Millarde Dollar - mit $336 Millionen zu subventionieren (Der Spiegel, 14.12.14).

Das Motiv für diese außergewöhnliche Großzügigkeit muss zweifellos in der nationalsozialistischen Vergangenheit gesehen werden. Der deutsch-israelische Waffenhandel begann in den frühen sechziger Jahren unter Geheimhaltung - zum einen wollte man die guten wirtschaftlichen Beziehungen zu arabischen Ländern nicht gefährden, zum anderen stand das gerade eingeführte Gesetz im Wege, das den Waffentransport in Konfliktzonen verbot. Als der Waffenhandel 1964 aufflog, sah sich Deutschland zunächst gezwungen, die Waffenlieferungen, zu denen Boote und Flugzeuge im Wert von 200 Millionen DM gehörten, einzustellen. Aber da gab es Gegendruck aus Israel. "Deutschland darf das Waffenabkommen mit Israel nicht kündigen", warnte Shimon Peres, der damalige Direktor des Verteidigungsministeriums. "Deutschland muss sich verpflichtet fühlen, seine historische Schuld gegenüber dem jüdischen Volk zu korrigieren" (Haaretz, 27.02.14). Eine Hintertüre wurde gefunden, indem man die zugesagten Waffen im Ausland produzieren ließ (BITS, Berlin Information-center for Transatlantic Security, No.6, Nov/Dez, 2002).

Wie Deutschlands Erpressbarkeit angesichts historischer Schuld eine positive Entwicklung in Nahost verhindert, zeigt sich deutlich an der Ausfuhr der U-Boote. Als mehreren Medienberichten zufolge in der Regierung Merkel Bedenken gegen die Lieferung des sechsten U-Boots an Israel wegen des fortgesetzten Siedlungsbaus geäußert wurden, bedrängte das Simon Wiesenthal Zentrum die Kanzlerin heftig, die Meldungen zu widerlegen. Kurze Zeit darauf ließ das Verteidigungsministerium die Meldungen dementieren und bestätigte die von der israelischen Regierung gewünschte Subventionierung. Staatssekretär Schmidt gab zu verstehen, dass der Verkauf des U-Boots eine Verpflichtung seines Landes zu Israels Sicherheit sei (Jerusalem Post, 5.2.12).

Deutschland und die USA beteuern, dass sie der Sicherheit Israels verpflichtet seien. Entspricht ihr Handeln dieser Beteuerung? Das steigende Ausmaß von Waffentransporten an arabische Länder, vor allem an die Golfstaaten (GCC) - darunter auch Staaten, die für extreme Menschenrechtsverletzungen bekannt sind - gibt zu Zweifel Anlass. Die Regierung der Bundesrepublik verteidigt die Waffengeschäfte mit der Begründung, man wolle die Region stabilisieren und den Terrorismus bekämpfen (Huffington Post, 23.8.13).

Auch Barak Obama, David Cameron, François Hollande beteuern, den Terrorismus zu bekämpfen. Aber wie ist das möglich: den Terrorismus bekämpfen? Zunehmend wächst die Einsicht, dass Konfrontation von Gewalt mit Gewalt zu vermehrter Gewalt führt.

Als 1985 Pläne für deutsche Waffenexporte nach Saudi Arabien den Staatsbesuch des damaligen Bundespräsidenten Richard Weizsäcker nach Israel überschatteten, ermahnte sein israelischer Amtskollege Chaim Herzog ihn: "Tag für Tag erfahren wir von der Ankunft weiterer Todeswaffen in unserer Region, jedes Mal sind sie tödlicher und mörderischer als die vorherigen. (...) Ist nicht die Zeit gekommen, dem tödlichen Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten Einhalt zu gebieten? Haben wir nicht unseren vollen Anteil an Katastrophen und Kriegen gehabt? Nicht Waffen fehlen uns - sondern Frieden." (Der Spiegel, 14.10.85) Dreißig Jahre später ist es höchste Zeit. Warnende Stimmen, die zur Vermeidung einer tödlichen Katastrophe in der Menschheitsepoche aufrufen, sind nicht zu überhören.

Was wären mögliche Alternativen, um den Terrorismus zu stoppen? Welches sind die Mittel, um dem verhängnisvollen Kreislauf der Gewalt, der Menschen und - wenn er nicht gestoppt wird - vielleicht die Menschheit vernichtet? Es gibt verschiedene Wege und Mittel; allen gemeinsam ist, dass sie sich psychologischer Erkenntnisse und nicht zerstörerischer Waffen bedienen. Sie basieren auf der Einsicht in die Notwendigkeit, den so genannten Feind nicht als ein seelenloses Objekt zu betrachten, sondern als ein lebendiges Wesen mit einem menschlichen Gesicht. Dann kann die Frage gestellt werden, was ihn zu seinem Verhalten, das sein Gegenüber als gefährlich oder böse einstuft, bewogen haben mag. Was veranlasste ihn, anzugreifen, zu zerstören, zu töten? Für eine friedliche Lösung wird ein psychologisch geschulter Mediator gebraucht, der Vorurteile, Aggressivität und Angst abzubauen hilft, damit Einsicht und Vertrauen deren Stelle einnimmt.

Eines dieser Mittel ist die Gewaltfreie Kommunikation (GfK). Diese Methode wurde von Marshall Rosenberg (1934 - 2015) entwickelt. Rosenbergs praxisbezogene Psychologie ist von den Lehren Gandhis, Martin Bubers, Carl Rogers und Erich Fromms beeinflusst. Er lehrte GfK als einen Kommunikationsprozess, der eine anteilnehmende Beziehung zu anderen aufbauen hilft. Gewaltfreie Kommunikation konzentriert sich auf drei Aspekte: der Empathie zu sich selber als einem mitfühlenden Bewusstsein der eigenen inneren Gefühlswelt, der Empathie als eine Fähigkeit, dem anderen mitempfindend zuzuhören und drittens auf die eigene ehrliche Ausdrucksfähigkeit. In seinem Hauptwerk (Gewaltfreie Kommunikation. Die Sprache des Lebens) berichtet Rosenberg von beträchtlichen Erfolgen bei politischen Auseinandersetzungen, wie beispielsweise zwischen Israelis und Palästinensern.

Ein anderes auf Empathie gegründetes Mittel ist die Methode des "Storytelling", die der israelische Psychologe Dan Bar-On (1938-2008) vorstellte. Indem die Teilnehmenden eines Gesprächskreises lernen, der Geschichte eines anderen zuzuhören, lernen sie, sich gegenseitig als menschliche Wesen wahrzunehmen und die durch Leid verursachte Gewalt durch Mit-Erfahren und Mit-Erleiden in Mitgefühl zu verwandeln.

Solche und ähnliche Methoden werden häufig in Israelisch-Palästinensischen Friedensgruppen wie den Combatants for Peace, dem Parents Circle (PCFF) und anderen Einrichtungen wie den Hand-in-Hand-Schulen angewendet. Sie erhalten ein Training von professionellen Psychologen. Aber erhalten sie Finanzhilfe? Gemessen an den riesigen Militärausgaben ist sie extrem gering. Normalerweise sind sie von Spenden wohlwollender Organisationen, wie kirchlichen Einrichtungen oder Institutionen der zivilen Konfliktverarbeitung abhängig. Aber diese Zuwendungen sind ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn sie großzügigere Finanzhilfen bekämen, könnten Friedensinitiativen wirkungsvoller arbeiten. Eine Folge der Wirkung wäre eine gesteigerte Motivation, der Friedensbewegung beizutreten. Auf palästinensischer Seite ist die Motivation aus Angst vor der gefürchteten "Normalisierung" ('normalisation') stark gesunken.[2] Eine durch Finanzhilfe gesteigerte Effizienz ließe diese Befürchtung sinken.

"Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik", so kommentiert eine Website des Auswärtigen Amts den 2004 von der Bundesregierung geschaffenen Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung". Verschiedene Institutionen und Gruppen werden mit öffentlichen Mitteln aus verschiedenen "Töpfen" finanziell unterstützt und beraten. Aber die vergleichsweise geringen Beträge erreichen die Bittsteller auf der untersten Skala nur selten oder in unzureichendem Maße. Starre Verfahrens- und Vergaberegeln verhindern leider nicht selten die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für außergewöhnliche, Friedensprozesse fördernde Projektideen, deren Umsetzung auf direkte Finanzhilfe angewiesen ist.

Ein solches Projekt ist beispielsweise das Konzert "Über Grenzen hinweg" (Cross Borders Concert), das planmäßig am 4. Juni in Kfar Aza, in unmittelbarer Nähe von Israels Grenze zu Gaza, stattfinden wird. Mit dem Anliegen der Musiker und Organisatoren, in der festgefahrenen Situation neue Wege anzugehen, hätten sie die Unterstützung aller derer verdient, die sich der Sicherheit Israels verpflichtet fühlen. Jüdische und arabische Musiker gestalten das Programm gemeinsam. Mit der Betonung von Empathie für den Leidenden halten sie einen Schlüssel für die ersten Schritte auf dem langen Versöhnungsweg bereit. Ihr Schlüssel ist ein Notenschlüssel. Seit Wochen, Monaten, bemühen sich die Organisatoren die finanziellen Mittel aufzubringen, die für die geplante Aufführung erforderlich sind. Während der gleichen Zeit verschwenden Politiker Milliarden zur Zerstörung der Menschheit.

Mehr Informationen zum Konzert auf:
http://www.hope-against-despair.de/index.php/en/


Anmerkungen:

[1] Genaue Daten sind kaum zu ermitteln. Die Angaben schwanken zwischen zwanzig und sechzig Milliarden Dollar.

[2] Der Begriff "Normalisierung" wurde geprägt, um vor israelischen Absichten, den unerträglichen Status Quo beizubehalten, zu warnen. Unter diesem Aspekt werden Begegnungen eher behindert als gefördert.


Erstveröffentlichung (englisch):
http://www.tikkun.org/tikkundaily/2015/05/08/call-off-the-warriors-and-call-in-the-mediators-or-psychologists-or-musicians/3/

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Quelle:
© 2015 by Edith Lutz
www.edith-lutz.de
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2015

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