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STANDPUNKT/102: Elmau - Jeder neue Gipfel toppt den letzten Gipfel (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie - 4. Juni 2015

Elmau: Jeder neue Gipfel toppt den letzten Gipfel

Ein Blick zurück auf den Gipfel in Heiligendamm lässt die politisch-polizeiliche Propaganda rund um Elmau in anderem Licht erscheinen.


Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die Demonstrationen gegen die Gipfeltreffen schon häufiger beobachtend begleitet. Dieses Jahr können wir nicht vor Ort sein, möchten aber an die vielen Ungereimtheiten und Unwahrheiten erinnern, die den letzten Gipfel 2007 in Heiligendamm begleitet haben. Wer erinnert sich noch an die Konstruktion von terroristischen Vereinigungen und die Durchsuchung von Wohnungen und Büros mit 900 Polizist*innen? Wem ist noch geläufig, in welchem Maße die Polizei die Öffentlichkeit belogen hat, um vor dem Bundesverfassungsgericht recht zu bekommen? Und entgegen den jetzigen Darstellungen aus Politik und Polizei, hat das Oberverwaltungsgericht Greifswald im August 2012 in letzter Instanz geurteilt, dass das Verbot des Sternmarsches gegen den Gipfel rechtswidrig war.

Die diversen Allgemeinverfügungen und Auflagen, die nun vom Landratsamt Garmisch-Partenkirchen erlassen werden, machen vor allem deutlich, dass Demonstrationen politisch nicht gewollt sind und polizeilich verhindert werden sollen. In dieser von Bedenken - Hygiene, Naturschutz, Lärmschutz, Rettungsmöglichkeiten für die Feuerwehr - umstellten Region gibt es allerdings kein Problem für BMW, die Massen ins Tal zu holen und zu unterhalten. Dass die notwendigen Aufbauarbeiten Vorrang vor den Grundrechten hätten, müssten die Bürger*innen doch nun mal verstehen.

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälte Verein e.V. (RAV) meint: "Geschichte wiederholt sich immer zweimal, als Tragödie und als Farce; 2007 Heiligendamm - 2015 Schloss Elmau". Es ist zu befürchten, dass sie recht haben. Dagegen können die Bürger*innen nur eins machen: Gebrauch von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das nun mal auf der Straße verteidigt wird.


Elmau: Jeder neue Gipfel toppt den letzten Gipfel

Ein Blick zurück auf den Gipfel in Heiligendamm lässt die politisch-polizeiliche Propaganda rund um Elmau in anderem Licht erscheinen.

Man könnte sagen, das kennen wir doch alles schon. Wenn ein Treffen der mächtigsten Staatschefs der Welt ansteht, dann werden die Gefahren herbeigeredet, wird nur noch der Schein der Aufrechterhaltung von Grundrechten gewahrt und ansonsten das Leben der Hochsicherheit untergeordnet. Friedliche Demonstrierende seien selbstverständlich willkommen, aber da sich darunter "Gewalttäter*innen" verstecken könnten, müssten doch auch diese "Friedlichen" einsehen, dass sie ihren Protest lieber sein lassen sollten, um nicht den "Anderen" ein Forum zu bieten.


Von Heiligendamm nach Elmau

Die PR-Arbeit der Polizei wird immer ausgefeilter und zugleich dreister. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 war die "Besondere Aufbau Organisation (BAO) Kavala" dafür zuständig. Mit Falschmeldungen wurden die polizeilichen Maßnahmen gerechtfertigt. Bei der Auftakt-Großdemonstration in Rostock am Samstag trug die Polizei erheblich zur Eskalation der Auseinandersetzungen bei. Sie stürmte unverhältnismäßig in die Menge der Demonstrierenden, stieß und schlug Umherstehende weg. Die räumlich und zeitlich begrenzte Auseinandersetzung am Rande der Großdemonstration, wurde in den Polizeiberichten so dargestellt, als sei die Stadt Rostock in größter Gefahr gewesen. Über eine riesige Zahl "schwer verletzter" Polizist*innen wurde berichtet. Im Kontext der Migrationsdemonstration am folgenden Montag wurden von der Polizeipressestelle "Vermummte" und "gefährliche" Teilnehmer*innen in die Versammlung hinein imaginiert. Der Einsatz von "szenetypisch" verkleideten Polizeibeamt*innen in den Blockaden am Zaun um das Gipfelgelände in den folgenden Tagen wurde von der Polizeipressestelle konsequent geleugnet, obwohl jeder vor Ort längst wissen konnte, dass die Entdeckung richtig war. Von eben dieser Polizeipressestelle wurde lange auch gemeldet, dass die Seifenlauge der Clowns Army eine gefährliche, Polizist*innen verletzende Säure sei.

Der damalige Polizeipressesprecher, Axel Falkenberg, gab in einem Interview mit der taz ein Jahr später (6. Juni 2008) zu, oft falsch informiert zu haben - weil er falsch informiert gewesen sei. "Die Öffentlichkeit fühlte sich von mir oft falsch informiert - und zwar zu recht". Dass er den Einsatz von vermummten Zivilpolizisten im Outfit von "Autonomen" tagelang geleugnet hat, kommentiert er nun so: "Es war eine Peinlichkeit hoch drei, so vorgeführt zu werden."

So wird auch verständlich, dass man Journalist*innen den Zugang zur Region heute erschwert. Presseausweise werden nicht anerkannt. Journalist*innen müssen sich wieder einmal gesondert akkreditieren. Es könnte ja eine unabhängige Berichterstattung geben.


Politik mit der großen Zahl

Nach der Großdemonstration am Samstag (2. Juni 2007) berichtete die Polizei von 433 verletzten Polizeibeamt*innen, mindestens 33 davon schwer verletzt. Diese Zahlen und all die erlogenen Berichte über die Gewalttäter*innen in den weiteren Demonstrationen sollten auch das Bundesverfassungsgericht davon überzeugen, dass das Versammlungsverbot rechtmäßig sei. Schon kurz nach dem Gipfel berichtete Landesinnenminister Lorenz Caffier in der Plenarsitzung des Landtags Mecklenburg-Vorpommern nur noch von 43 Polizeibeamt*innen, die nach den "Krawallen" am Samstag vorübergehend dienstunfähig gewesen seien. Von den "schwer verletzten" Polizist*innen war tatsächlich nur einer über Nacht in einer Klinik gewesen. In der Polizeistatistik zu verletzten Polizist*innen werden auch all diejenigen mitgezählt, die irgendwo im Einsatz stolpern oder Pfefferspray und CS-Gas aus Polizeikartuschen abbekommen.


Lügen zahlen sich aus

In der medialen und öffentlichen Wahrnehmung dominiert die Berichterstattung der Polizei. Dass die Lügen sich aus zahlen, wird jetzt wieder deutlich. Rund um den G7-Gipfel in Elmau beziehen sich Politik und Polizei wie selbstverständlich auf die Falschmeldungen und rund um Heiligendamm. Sie schwadronieren davon, dass es solche Gewalttäter*innen wie damals in Bayern nicht geben dürfe. Sie machen aus den friedlichen Blockaden rund um den Zaun von Heiligendamm gewalttätige Ereignisse, die es in dem schönen Werdenfelser Land zu verhindern gelte. Das Verfassungsgerichtsurteil zu Heiligendamm, das den Lügen der Polizei folgte und in Bezug darauf die Verbote rechtfertigte, die es anderenfalls durchaus infrage gestellt hätte, wird jetzt pauschal zur Rechtfertigung der neuerlichen zeitlich und räumlich ausgedehnten Verboten angeführt. Das weiträumige Versammlungsverbot in Heiligendamm über die 200-Meter-Zone vor dem Zaun hinaus kritisierte das Gericht damals schon als verfassungsrechtlich bedenklich. Fünf Jahren später entschied das Oberverwaltungsgericht Greifswald im August 2012 in letzter Instanz, dass das Verbot des Sternmarsches gegen den Gipfel rechtswidrig war. Es kam zu dem Ergebnis, die Polizei habe damals ein völlig einseitiges Sicherheitskonzept vertreten. Die Interessen der Demonstrant*innen an der Durchführung der Proteste seien nicht berücksichtigt worden (taz,19.8.2012).


Tatsächliche Hinweise auf Gewalttaten?

Wer nun meint, vor diesem Gipfel in Elmau gäbe es tatsächlich Hinweise darauf, dass Gewalttäter*innen die bayerischen Alpen zum Ziel haben und den Gipfel stürmen wollen, der möge sich die vor dem Gipfel in Heiligendamm erzeugten Warnungen vor terroristischen Vereinigungen ansehen. 900 Polizist*innen durchsuchten damals 40 Wohn- und Geschäftsräume in sechs Bundesländern. Zwei Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung wurden eingeleitet. All diese Ermittlungen fielen danach in sich zusammen. Es ging ja auch nicht um Strafverfolgung, sondern um ein polizeiliches Durchdringen sozialer Netzwerke, darum, die Öffentlichkeit fügsam zu machen und jede noch so willkürliche Aktion der Polizei zu rechtfertigen. Damals hatte diese Polizeiaktion allerdings einen unerwünschten Effekt: Die Empörung über staatliche Willkür und Kriminalisierung des Protestes führte zu Solidarisierung und Mobilisierung.

Erinnert werden kann auch an den rechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr im Kontext des Gipfels in Heiligendamm. Tornadoflugzeuge sollten Camps überwachen. Eine Gefährlichkeit dieser Camps konnte nicht festgestellt werden, aber heute behauptet die Polizei pauschal, von diesen Camps würden Gefahren für den Gipfel ausgehen und deshalb in Bayern grundsätzlich verhindert werden. Da vor Gericht eventuell tatsächliche Nachweise für ein Verbot erbracht werden müssten, scheint es dann jedoch noch einfacher, das Verbot mit dem Schutz der Bürger*innen vor dem möglichen Hochwasser und anderen imaginierten Gefahren zu rechtfertigen.


Hochsicherheitstrakt Elmau

Dass die Grundrechte, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit an erster Stelle, in Bayern nicht viel zählen, dürfte nicht verwundern. Schon 2008 erließ die bayrische Landesregierung ein verfassungswidriges Landesversammlungsgesetz. Die Verfassungswidrigkeit von Teilen dieses Gesetzes stellte das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2492/08) in einer einstweiligen Anordnung fest. 2010 erließ das Land ein bereinigtes Gesetz.

Auch der "Arbeitskreis angreifbare Traditionspflege", der schon Anfang der 2000er Jahre in der Region Demonstrationen organisiert hat, wird wieder vor Ort sein. Eine geschichtspolitische Expedition durch München und Oberbayern bietet er an. Damals hatten sie auf das Treffen des "Kameradenkreis Gebirgstruppe" aufmerksam gemacht, der sich aus Veteranen der Wehrmacht und SS, aus Reservisten und Aktiven der Bundeswehr zusammensetzte. Entsprechend wurden sie in der Region angefeindet. Verharmlost und geleugnet wurden die Verbrechen der Wehrmacht, die aus diesem Kameradenkreis begangen wurden. Die Pflege der verdrehenden Erinnerung an die kriegerischen Heldentaten schien so selbstverständlich, dass jede Kritik daran als Verrat aufgefasst wurde. Die Versammlungen der Anhänger der "angreifbaren Traditionspflege" wurden autoritär-staatssichernd eingehegt (siehe Bericht des Grundrechtekomitees vom Mai 2005).

Im Jahr 2015 wird nun seit Monaten versucht, jeden Protest gegen den Gipfel abzuschrecken. Bauern wurden davor gewarnt, ihre Wiesen für Camps zur Verfügung zu stellen, sie wurden aufgefordert, Gülle auszufahren, um es Demonstrierenden ungemütlich zu machen. Als die Demonstrierenden trotzdem eine Wiese anmieten konnten, wurde das Camp aus Gründen der Sicherheit der Teilnehmenden verboten. Hochwasser könnte auch der Feuerwehr eine Rettung unmöglich machen. Ansonsten setzte die übliche Welle der Diffamierung des Protestes ein. Die bayrische Polizei gibt interne "Lageberichte" an die Presse weiter, in denen sie Horrorszenarien entwickelt, welche Gewalttaten bevorstehen könnten (siehe DIE WELT, 29. Mai 2015).

Ziviler Ungehorsam wird mit Gewalt gleichgesetzt, die Bevölkerung wird gegen die Demonstrierenden aufgebracht. Verbote, die auf handfesten Belegen für eine Gefährdung beruhen müssten, werden mit Vermutungen und Befürchtungen begründet. Zu wünschen wäre eine Gerichtsbarkeit, die endlich einmal tatsächlich und aktuell prüft, statt dieses allenfalls Jahre nachher zu tun.

Immerhin war die Klage gegen das Campverbot vor dem Verwaltungsgericht München am 2. Juni 2015 erfolgreich. Weitere Klagen sind eingereicht.


Behörden erschweren Protest

Die aktuellen Bescheide der Versammlungsbehörde des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen machen unverhüllt deutlich, dass es einzig darum geht, mit welchen hergeholten Begründungen auch immer, den Protest zu verhindern. Dauerkundgebungen sollen nicht möglich sein, weil sie eine "Gefahr für das Ruhebedürfnis der einheimischen Anwohner und Gäste" darstellen. Anliegende Rasenflächen im Michael-Ende-Kurpark könnten "zerstört", "übrige Pflanzen beschädigt" werden. Aufgrund starker Regenfälle und der "damit verbundenen Wiesenflächendurchweichung" sei aus "hygienischer Sicht" eine Beschränkung notwendig. ...

Wenn man dann allerdings liest, dass der Parkplatz an der Hausbergbahn nicht genutzt werden könne, da dem andere Verträge entgegenstünden, verschlägt es einem doch die Sprache. Selbstverständlich steht die sichere Unterbringung der Shuttle-Busse für das Internationale Media Center über dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Die Verträge sind halt schon lange geschlossen - wie auch der mit BMW. Und so hat sich "die Bundesrepublik Deutschland" schon im Februar 2015 verpflichtet: "Um insbesondere die parallel laufenden Vorarbeiten für die Veranstaltung "BMW Motorrad Days" sicherzustellen, wird eine jederzeitige Zu- und Abfahrtsmöglichkeit zum Hausbergparkplatz für den BMW-Lieferverkehr und die parallele Durchführung der Aufbauarbeiten gewährleistet." Also ist in dieser von Bedenken - Hygiene, Naturschutz, Lärmschutz, Rettungsmöglichkeiten für die Feuerwehr - umstellten Region für BMW nach dem Gipfel das Aufstellen von Zelten "für 100 Aussteller, ein Partyzelt für 5.000 Besucher*innen, ein Küchenzelt, ein Biergarten mit Elektro- und Wasserinfrastruktur, eine Bühne sowie sanitären Anlagen mit Toiletten und Duschen sowie ein Motodrom" möglich.


Steigende Kosten für staatliche Machtdemonstrationen

Erinnert sei daran, dass ein solches Gipfel-Treffen 1999 noch mitten in Köln stattfinden konnte. Auch damals war ein unverhältnismäßiges Eingreifen der Polizei zu beklagen. Aber ein Hochsicherheitstrakt war damals so wenig notwendig, wie er dies heute wäre. Die Kosten werden allerdings immer weiter gesteigert: Um Heiligendamm und das dortige Nobelhotel Kempinski wurde 2007 für zwölf Millionen Euro ein zwölf km langer und 2,50 m hoher Zaun auf- und wieder abgebaut. Nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler soll der Gipfel diesmal 360 Millionen Euro kosten. Ein 16-Kilometer-Maschendrahtzaun ist mitten durch das Naturschutzgebiet errichtet worden. Eine vier Quadratkilometer große Sicherheitszone um das Schloss darf bereits seit einer Woche vorher nicht betreten werden.

Gefahr für dieses Land geht von einer Politik aus, die solche Machtdemonstrationen nutzt, um die Grundrechte außer Kraft zu setzen.

Christian Schröder
(im Vorstand d. Grundrechtekomitees)

Dr. Elke Steven
(Referentin im Grundrechtekomitee)

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Quelle:
Pressemitteilung vom 4. Juni 2015
http://www.grundrechtekomitee.de/node/704
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Aquinostr. 7 -11, 50670 Köln
Telefon 0221 97269 -30; Fax -31
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2015

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