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SERIE/006: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 4. Brief - Polizeipräsidium


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 4. Brief

13.1.08

Polizeipräsidium München, Ettstraße


Am 23.2.07, einem Freitag, wurde ich verhaftet, ins Münchner Polizeipräsidium in der Ettstraße gebracht und nach meiner Vernehmung in dessen Gefängnistrakt geführt. Hier ein wahrer Bericht über die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe.

Es ist ca. 20.00 Uhr. Ich werde in eine rundherum weiß gekachelte Zelle, ca. 3 x 4 m groß, gesteckt, darin gibt es einen gemauerten Absatz mit einer festen Matratze darauf und eine Toilette mit Waschbecken, beides aus Metall und nur per Knopfdruck zu bedienen. Das Fenster ist mit milchiger Folie verklebt, es gibt keinen Tisch, Stuhl, Spiegel und auch kein Handtuch. Lediglich 2 Rollen grobes Toilettenpapier sind vorhanden. Die Zelle ist hell erleuchtet.

Hier werde ich bis zum 26.2., also dreieinhalb Tage, gefangen sein und erfahren, wie einfach es ist, einen Menschen innerhalb weniger Tage völlig zu zermürben, ohne daß man ihm dafür ein Haar krümmen muss.

Ich schaue mich in der Zelle um. In der dicken Metalltür befindet sich eine Durchreicheklappe und ein Spion. Auf den gelblichen Lack hat jemand mit Kugelschreiber "Egal, ob sie Dich lieben oder hassen, irgendwann müssen sie Dich entlassen" geschrieben. Irgendwie tröstlich. In der Wand neben der Tür zwei Knöpfe, ein roter mit der Aufschrift "Alarm" und ein grüner, auf dem "Licht" steht. Ich drücke den grünen, nichts passiert. Über der Tür in der Wand befindet sich hinter einer Glasverkleidung die Beleuchtung, an der Decke hängt etwas lampenähnliches, es könnte aber auch eine Überwachungskamera sein. Ein entwürdigendes Gefühl, beim Gang auf die Toilette auf einem Bildschirm zu erscheinen. Ich sitze auf der Pritsche, höre Schlüsselgerassel, das näher kommt. Die Klappe geht auf, eine Männerstimme. "Herkommen!", ein Befehl, "bitte" ist hier überflüssig. Ich bekomme zwei dünne Laken und eine braune Wolldecke. Klappe zu. Ich lege mich hin, benutze beide Laken als Kopfkissenersatz, schlüpfe unter die Decke und versuche zu schlafen. Das Licht brennt die ganze Nacht über weiter, es wird gegen 22 Uhr ganz leicht gedämpft, ist aber immer noch hell. Ich wälze mich hin und her, schlafe kaum.

Draußen höre ich eine Kirchenuhr, wohl die Marienkirche, die jede Viertelstunde schlägt, außerdem noch jede volle Stunde zu einem anderen Klang. Sie ist meine einzige Zeit-Orientierung, meine Armbanduhr liegt zuhause, ich habe sie in dem Chaos heute morgen nicht angelegt. Naja, hier drin hätte ich sie eh nicht tragen dürfen.

Um 5 Uhr früh werde ich von einem grellen, blendenden Licht geweckt, das der Beleuchtung zugeschaltet wurde. Eine Zeitlang ziehe ich mir die Decke über den Kopf, aber sogar da dringt das Licht hindurch. So setze ich mich hin und döse weiter. Bald darauf kommt eine Beamtin herein, nimmt mir das Laken weg und sagt freundlich "Die Decke lasse ich Ihnen noch." Irgendwann wird die Essensklappe geöffnet "Frühstück". Darauf habe ich mich gefreut, weil ich gestern nichts gegessen hatte. Eine Hand reicht eine trockene Semmel und einen Plastikbecher Kaffee, stark gesüßt und etwas Milch versetzt, herein. Das war's. Ganz langsam esse ich die Semmel, trinke dazu den Tee in kleinen Schlucken. Dann sitze ich wieder da, zähle Kacheln und denke an den gestrigen Tag. Was wird mit meinem Job, der Wohnung? Niemand weiß, wo ich bin, weder Familie noch Freunde. Es ist, als ob ich in ein Loch gefallen wäre und eine Falltür wäre über mir heruntergeklappt, ich bin völlig von der Bildfläche verschwunden.

Irgendwann öffnet sich die Tür: "Ihr Anwalt ist da". Sie führen mich zu ihm, dann ist der Termin beim Haftrichter. Es ist eine junge Frau, die sofort sagt, dass sie mich bei dieser Anklage nicht auf freien Fuß setzen kann. Mein Anwalt probiert einiges, aber sie bleibt hart. Wir beantragen mündliche Haftprüfung, die innerhalb von 2 Wochen stattfinden muss. Die ganze Zeit über steht ein martialischer Beamter in Uniform in meiner Nähe, breitbeinig, mit gezwirbeltem Schnurrbart und langem Schlagstock an seiner Seite, immer wenn ich ihn anschaue, kommt mir die Fernsehserie "Königlich-Bayerisches Amtsgericht" in den Sinn.

Als ich in den Zellentrakt zurückkomme, werde ich wieder durchsucht und muss meine Brille abgeben "Die brauchen Sie hier nicht". Begründung: Angeblich war bei einer Metallplatte in meiner Zelle eine Schraube halb herausgedreht. Ich war's nicht und habe auch nichts dergleichen gesehen.

Was soll ich auch mit einer Schraube und meine Brille werde ich mir ganz bestimmt nicht dadurch ruinieren. Dann gibt es ein Mordstheater wegen meiner Blutdrucktabletten, die ich seit Jahren nehme. Ich hatte sie eingepackt und mitgenommen, als ich verhaftet wurde. Sie wollen sie mir nicht geben, erst muss ich zum Arzt, zum Glück ist gerade einer im Haus. Ihm sage ich, daß die Herrschaften wohl befürchten, ich könnte hier sterben. Kommentar eines der anwesenden Justizbeamten: "Davor haben die keine Angst, die haben nur Angst vor der "Bild"-Zeitung." Naja, das war wenigstens ehrlich. Schließlich gibt der Arzt meine Medikamente frei.

Heute morgen hieß es noch, ich würde nachmittags in ein reguläres Gefängnis verlegt werden. Jetzt sagen sie, nicht ohne Häme, ich dürfte das Wochenende noch bei ihnen verbringen und würde erst am Montag verlegt. Das darf nicht wahr sein. Mein Gott!

Zurück in der Zelle fließt die Zeit wie Sirup dahin. Was ist mit meinem Job, meiner Wohnung, was weiß meine Familie mittlerweile, wie wird sie reagieren und wie meine Freunde? Tausend Fragen. Keine Antworten. Immer wieder Panikattacken, ich will raus, weiß aber, daß ich ihnen niemals den Gefallen tun werde, hier in der Zelle herumzurandalieren.

Irgendwann öffnet sich die Klappe wieder. Mittagessen, eine dünne Suppe und so etwas ähnliches wie Bratkartoffeln, dazu ein Stück Leberkäse. Dann wieder warten auf nichts. Ich laufe in der Zelle herum wie ein Tier im Käfig, setze mich zwischendurch immer wieder auf die Liege. Hier drin beikommt man nichts, keinen Stift, kein Papier, keine Zeitschrift, kein Buch, kann sich weder waschen noch die Zähne putzen oder die Kleidung wechseln. Zu trinken gibt es, außer einem Becher Kaffee früh und Tee abends nur Leitungswasser. Abends gibt es zwei Scheiben Brot ohne Butter und wahlweise eine Scheibe Wurst oder Käse. Dann wieder warten. Ich drehe mir aus nassem Toilettenpapier einen kleinen Ball und werfe ihn aus einiger Entfernung in den leeren Teebecher, etliche Male. Das ist immer noch besser, als nur die Wand anzustarren. Dann bekomme ich durch die Luke wieder das Laken und die Decke. Ich wandere noch eine Zeitlang in der Zelle umher und pfeife so laut ich kann die Melodie von "Die Gedanken sind frei", das Lied stammt von Hugo von Hoffmansthal, glaube ich. Irgendwann lege ich mich hin, ziehe mir zum Schutz vor dem Licht die Decke über den Kopf und döse ein. Weit vor Mitternacht wache ich wieder auf und wälze mich auf der Matratze hin und her, tausend Gedanken im Kopf. Ich stehe auf, hole mir den leeren, großen Plastikbecher vom Abendbrot-Tee, lege mich wieder hin und stülpe mir die Öffnung über Mund und Nase. Vielleicht ist es ja ganz einfach, das hier zu beenden. Aber schon nach ein paar Atemzügen bekomme ich eine solche Panik, daß ich aufgebe und den Becher wieder zurückstelle.

Sonntag früh. Dasselbe wie gestern, Wecken durch Blendlicht um 5 Uhr. Kurz darauf muss ich wieder mein Bettzeug abgeben, diesmal auch die Decke. Die nette Beamtin von gestern ist heute nicht da. Dann wieder eine trockene Semmel und Kaffee. Wieder habe ich nur die Wahl zwischen Kacheln anstarren oder herumlaufen. Ich bastle aus Verzweiflung sechs kleine Mini-Kegel aus nassem Toilettenpapier, stelle sie auf die Pritsche und kegle durch Fingerschnippen mit der Kugel, die ich mir gestern schon gemacht hatte. Irgendwann ödet mich auch das an. Mein Gott, wie unendlich lang kann eine Viertelstunde sein. Ich kann mich hier ja nur an dem Schlagen der Turmuhr draußen orientieren. Dann geht die Klappe auf, das Mittagessen kommt, schon gegen 10.30 Uhr. Eine Scheibe Brot und eine Schüssel mit Gemüsesuppe, klare Brühe mit großen Stücken Blumenkohl, Möhren und anderen Gemüsen enthält. Zum ersten Mal hier habe ich das Gefühl, etwas zu essen, das ein paar Vitamine enthält. Dann wieder nichts, totale Leere. Ich frage mich, was das soll. Strafe, Machtdemonstration, Erniedrigung oder was? Donnerstag, vor drei Tagen also, habe ich das letzte Mal gebadet, trage seit Freitag früh die gleiche Kleidung inklusive Unterwäschen. Ich versuche, mich notdürftig mit angefeuchtetem Toilettenpapier zu waschen, wobei ich ein mulmiges Gefühl wegen der möglicherweise über mir hängenden Überwachungskamera habe. Später, als ich dasitze und die Wandkacheln länger anschaue, sehe ich darin seltsame Figuren. Halluzinationen? Drehe ich jetzt durch?

In meiner Nachbarzelle sitzt seit heute eine - wie ich später erfahre - junge Jamaikanerin, die mit Drogen am Flughafen verhaftet wurde. Sie schreit, jammert, betet und weint den ganzen Tag, rüttelt wie wild an der Tür und drückt x-mal den Notrufknopf. Sie will Tee, reden oder einfach nur raus hier. Einmal kommt ein junger JVA-Beamter, ein Netter, mit einer sanften, freundlichen Stimme: "Na, was ist denn? Drogen? Marihuana? Heroin? Sie redet wie wild in Englisch auf ihn ein. "Ich kann kein Englisch, nur Russisch". Er geht wieder. Später am Abend höre ich eine Beamtin mit greller Stimme und schnellem, lautem Schritt herankommen. Bei ihr ist ein Begleiter, der Englisch spricht und kurz mit der Jamaikanerin redet. Dann erklärt er der Beamtin, was die junge Frau will. Die schreit laut los: "Das ist mir scheißegal, was die will! Alles, was die braucht, ist eine gescheite Watschn." Ich traue meinen Ohren nicht, versuche von innen durch den Spion irgendetwas zu sehen. Da erscheint ihr Auge, riesengroß. Es ist wie in einem Horrorfilm. Jetzt schreit sie mich an: "Und was wollen Sie schon wieder? Geben's endlich a Ruh'!" Wieso schon wieder und wieso endlich? Wie sagt ein Sprichwort: Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, gib ihm Macht. Diese Frau genoß das Zipfelchen Macht, das ihr verliehen wurde, offenbar sehr.

Lieber Himmel, nur ein paar Meter von hier entfernt ist die Neuhauser Straße, die Einkaufsmeile Münchens. Hundertmal bin ich hier vorbeigelaufen, ohne zu ahnen, was sich hier drinnen abspielt. Ich laufe wieder in der Zelle herum, pfeife - wie schon gestern - laut "Die Gedanken sind frei". Irgendwie gibt mir das Kraft. Dann lege ich mich hin und versuche, zu schlafen. Wieder ziemlich erfolglos, auch aufgrund der ständig brennenden Lichter.

Montag. Wie immer. Blendlicht, Bettzeug abgeben, oberflächliche Wäsche mit Toilettenpapier, dann wieder Kacheln anstarren. Heute bekomme ich ein Geschirrtuch durch die Luke gereicht, keine Ahnung, wozu. Als der Kaffee und die Semmel kommen, sagt die Beamtin: "Sie werden heute früh verlegt". Gott sei Dank, bloß weg von hier. Es wird 8 Uhr, 9, 10. Das Mittagessen kommt, trockene Nudeln mit ein bisschen Fleisch. Jemand sagt, heute Mittag geht der Transport. Gegen 14 Uhr werde ich endlich aus der Zelle geholt und mit schroffen Anweisungen zusammen mit einigen anderen Gefangenen - auch die Jamaikanerin ist darunter - in einen Transportbus kommandiert. Plötzlich fällt mir siedendheiß ein, daß meine Mutter diese Woche ihren 81. Geburtstag feiert. Auch das noch.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2008