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SERIE/018: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 16. Brief - Neudeck 7


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 16. Brief

6.4.2008

Neudeck VII


Fast vier Wochen sind jetzt schon seit meiner Verhaftung, den wahrlich unvergesslichen Tagen im Polizeipräsidium München und der anschließenden Einlieferung in die JVA Neudeck vergangen.

Ich tue mich schwer in der Dreierzelle, in der ich untergebracht bin. Einen großen Teil meines Lebens habe ich alleine verbracht und mich wohl dabei gefühlt. Ich hatte immer viel Freiheit, jetzt, zu dritt in einer Zelle fühle ich mich bedrängt und ständig beobachtet. Auch schlafe ich extrem schlecht, beim kleinsten Geräusch wache ich auf. Eine meiner beiden Mitbewohnerinnen schnarcht, wenn ich davon aufwache, klopfe ich mit der flachen Hand gegen den Bettrahmen. Das hatten wir so abgesprochen, aber das Ergebnis ist, dass wir irgendwann alle wach und genervt sind.

Als ich den Gang entlang der Zellen herunterlaufe, sehe ich, daß zwei davon leer sind. Ich spreche eine Beamtin an, weise darauf hin, daß mir als Untersuchungshäftling eine Einzelzelle zusteht und daß ich heute erneut einen Antrag dafür einreichen werde. Sie sagt nur: "Können Sie machen, Papier ist geduldig". Also schreibe ich: "Ich wurde bei meiner Einlieferung hier darauf hingewiesen, daß mir als Untersuchungshäftling eine Einzelzelle zusteht und bitte um schnellstmögliche Verlegung in eine solche. Vielen Dank im Voraus." Noch am selben Tag werfe ich den Zettel in den entsprechenden Kasten. Schon am nächsten Morgen steht die Abteilungsleiterin, Beamtin S. in der Tür. Ob ich meinen Antrag nicht "normal" schreiben könne? Ich bin verblüfft "Er ist doch normal". "Für Sie vielleicht." Sie hassen es, wenn man auf seine Rechte hinweist oder sogar auf ihnen besteht, viel lieber sehen sie uns in der Bittsteller-Position, bildlich gesprochen "auf den Knien". Selbstbewusstsein gilt hier drinnen nicht als Tugend. Immerhin, Fr. S. hat mir zugesagt, mich auf die Warteliste zu setzen, wobei ich keine Ahnung habe, wie lang die ist.

Nachmittags kommt mein Anwalt und lässt mir die Akte da, die er nach meiner abgeschmetterten Haftprüfung vom Richter bekommen hat. Außerdem erzählt er mir, der Staatsanwalt habe vor, ca. vier Jahre Gefängnis für mich zu fordern. Schöne Aussichten. Als ich wissen will, ob die Gefahr besteht, dass dieser wegen des für mich eher günstigen psychatrischen Gutachtens noch einmal ein Gegengutachten beantragen könnte, verneint er. "Zu teuer" - eins kostet ca. 3000,- Euro. Gut, das beruhigt mich. Abends schmökere ich in der Akte und lese, daß ich vor meiner Verhaftung ein paar Tage lang observiert wurde. Das überrascht mich nicht wirklich, so ganz unauffällig waren die Herren ja nicht, zumindest einige von ihnen. Jetzt erfahre ich auch, warum sie in der Ettstraße so scharf auf meine DNA waren und mir dort als erstes Abstriche von der Mundschleimhaut abgenommen haben. Sie gehen davon aus, daß bei "meiner Persönlichkeit" und anderen Faktoren (welchen, steht leider nicht dabei) auch zukünftig mit weiteren Straftaten von mir zu rechnen ist. Deshalb hat der Richter die Speicherung meiner DNA genehmigt. Am nächsten Tag bekomme ich ein paar Bücher, die ich vor 2 Wochen aus dem Verzeichnis der hiesigen Gefängnisbibliothek ausgesucht und bestellt hatte. Gott sei Dank, endlich wieder etwas zu lesen. Keine Spur dagegen von den gleichzeitig bestellten Englisch-Lehrbüchern aus der Bücherei in Stadelheim. Naja, auch die werden irgendwann kommen, hoffe ich wenigstens.

Nachmittags ertönt auf dem Flur großes Geschrei. Es gibt irgendwelche Streitereien, dabei wird laut geschimpft und mit Schlägen gedroht. Genauso schnell, wie sich die Gemüter erhitzt haben, beruhigen sie sich wieder. Wohl auch deshalb, weil die Beamtinnen allgegenwärtig sind und auf dem Flur eine Überwachungskamera hängt. Gewalt wird, ebenso wie Beleidigungen gegen Beamte, Drogen- und Alkoholbesitz und einige andere Vergehen, hart bestraft. Die gängigen Strafen hier im Gefängnis sind Einkaufssperren, die besonders Raucher hart treffen und Freizeitsperren, d.h. den ganzen Tag allein in der Zelle sitzen und dazu noch separaten Hofgang haben. Der Zeitraum dieser Strafen dauert von wenigen Tagen bis hin zu einigen Wochen, je nach Schwere des Vergehens.

Schlägereien oder ähnliches habe ich selber nie gesehen, weiß aber, daß es so etwas gibt. Als eines Tages eine junge Frau, die von einer Mitgefangenen beschuldigt wurde, sie bestohlen zu haben, mit zwei "blauen" Augen (im Sinne von "Veilchen") herumläuft, wird behauptet, übrigens auch von ihr selber, sie wäre aus dem Bett gefallen. Diese Geschichte glaubt niemand - trotzdem ist der Fall damit erledigt und alles geht weiter wie bisher.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2008