Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/024: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 22. Brief - Neudeck 13


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 22. Brief

18.5.08

Neudeck 13


Sechs Wochen sitze ich jetzt schon in Neudeck und müsste dringend einmal zum Friseur, meine Haare sehen schrecklich aus. Dafür muss man natürlich - wie für alles hier - einen Antrag schreiben und das traue ich mich nicht recht, weil ich weiß, daß es üblich ist, der Friseuse, die übrigens auch eine Gefangene ist, etwas an Naturalien zuzustecken. Sie bekommt wohl einen kleinen Obulus vom Haus, aber lt. Aussage anderer Häftlinge steigern Zuschläge in Form von Schokolade, Kaffee, Tabak usw. die Qualität der Arbeit. Leider steht mein gefängnisinternes Guthabenkonto noch auf Null, Überweisungen von der Familie wurden noch nicht verbucht und somit kann ich auch nichts einkaufen. Also warte ich weiterhin ab. Zufälligerweise spricht mich die Friseuse, eine junge Frau, eines Tages beim Hofgang an. Ob ich nicht einmal einen Termin bei ihr beantragen möchte? Wahrscheinlich ist ihrem fachmännischen Auge mein moppähnlicher Kopf aufgefallen. Ich erkläre ihr, was mich bisher davon abgehalten hat und sie reagiert großzügig. Kein Problem, ich könne ihr auch später etwas geben. Gut, also werfe ich noch am gleichen Tag den Antrag ein. Schon wieder ist eine Woche um und mein Anwalt war trotz seiner Ankündigung zu kommen, nicht da. Was soll ich davon halten? Anfangs hatte ich so ein gutes Gefühl, jetzt frage ich mich, ob er der richtige ist. Soll ich wechseln? Bin ich zu kleinlich oder zu ungeduldig? Als wir heute vom Hofgang zurückkommen, ist "meine" Zelle total durchwühlt, sogar das Bettzeug. "Wir haben eine Zellenkontrolle bei Ihnen gemacht", erklärt eine Beamtin. Scheint Routine zu sein. Gefunden haben sie nichts. Jetzt ist es 16.30 Uhr, strahlender Sonnenschein draußen. Wir sind schon wieder eingeschlossen, kurz vorher wurde unser Abendessen ausgegeben, anschließend haben die Beamtinnen mit einem süffisanten "Gute Nacht" die Türen zugesperrt. Friss, Vogel oder stirb. Vielleicht wäre Sterben besser. Dann sind endlich die Osterfeiertage vorbei. Vier Tage hintereinander waren wir 22 ½ Stunden am Tag weggeschlossen, ohne Strom in der Zelle, ohne Radio oder Fernseher und das bei herrlichstem Wetter. Ich träume nachts fürchterliches, wirres Zeug. Von meiner irgendwann bevorstehenden Verhandlung oder daß ich mit völlig irrealen S-Bahnen durch München fahre, Kaffee trinken will, aber nirgendwo einen bekomme und mich an Seilen über Baustellen hinweg hangele. Dann wache ich - immer zwischen 3.00 und 4.00 Uhr - naßgeschwitzt auf, liege hellwach da und schlafe erst kurz vor dem Wecken wieder ein. Jetzt, nach Ostern, ist die Leihfrist für mein Englisch-Lexikon abgelaufen und ich muss es wieder abgeben, mit ihm konnte ich wenigstens ein bisschen lernen und mein Gehirn beschäftigen. Zwar habe ich beim Hauslehrer und in der Stadelheimer Bibliothek einige "richtige" Englisch-Lehrbücher bestellt, weiß aber nicht, ob und wann ich welche davon bekomme. Ständig klingen mir die Worte des Gutachters im Ohr: "Passen Sie auf, daß sie hier nicht rammdösig werden." Eine berechtigte Warnung, immer mehr habe ich das Gefühl, daß eine gewisse Verdummung und Abstumpfung durchaus Teil jenes Programms ist, das uns zu gut funktionierenden, vor jeder Uniform kuschenden Untertanen umerziehen soll. Zum zweiten Mal holt mich die Mitarbeiterin des auswärtigen Sozialdienstes zum Einzelgespräch. Wir unterhalten uns lange, sie macht den Job schon seit vielen Jahren, kennt sich im Gefängnismilieu sehr gut aus und weiß auf fast alle meiner vielen Fragen eine Antwort. Auch hat sie mit meiner Mutter telefoniert. Der hat es sehr gut getan und dadurch ist auch mir leichter ums Herz. In unseren Briefen, die ja vom Untersuchungsrichter gelesen werden, halten wir uns ziemlich bedeckt. Das anhaltend schöne Wetter schlägt mir aufs Gemüt. Seit Tagen ist es sommerlich warm mit strahlendem Sonnenschein und einem leuchtend blauen Himmel. So sehr es den Menschen "draußen" zu gönnen ist, so grauenvoll ist es hier drin, nur dazusitzen und zu warten, daß endlich, endlich die Sonne untergeht. Ein Königreich für eine deftige Schlechtwetterperiode mit Gewitter, Regen, Sturm und vielen, vielen dunklen Wolken, in der das Gefühl, hier lebendig begraben zu sein nicht ganz so ausgeprägt ist wie jetzt. Immerhin, endlich ist Geld auf meinem Konto eingegangen und ich kann das erste Mal am Einkauf teilnehmen, der alle zwei Wochen stattfindet. Herrlich, wieder "richtigen" Kaffee anstatt nur "Caro", ein bisschen Obst, etwas Schokolade. Und natürlich, der Obulus für die Friseuse. Als sie mich holt, macht sie ihre Sache wirklich gut, sehr engagiert und viel besser als viele ihrer Kolleginnen "draußen". Allerdings, ich weiß, weshalb sie hier ist. Sie hat jemanden erstochen und erklärt das selber mit einem "Black-out". Ich mag sie, aber obwohl ich es gar nicht will und nebenher locker mit ihr plaudere, zucke ich innerlich jedesmal zusammen, wenn die lange, spitze Schere in mein Blickfeld kommt. Natürlich geht alles gut und es ist ein schönes Gefühl, endlich wieder einen vernünftigen Haarschnitt zu haben. Später sehe ich, daß sich sogar einige der Beamtinnen vor besonderen Anlässen hier frisieren lassen, mit dem manchmal überraschenden und in einigen Fällen auch sehr erfreulichen Ergebnis, dass sogar wir, die Gefangenen, sie anschließend nicht mehr wiedererkennen.


*


Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2008