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SERIE/032: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - Interview mit Marion von Hofacker (SB)


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - Stimmen aus dem Umfeld

Interview mit Marion von Hofacker


Frage:
Wie wir hörten, ging die Veröffentlichung der Briefe, die Heide Luthardt in den Monaten vor ihrem Tod allwöchentlich verfaßte und an Radio Lora sandte, auf eine Anregung Ihrerseits zurück. Können Sie uns erzählen, aus welcher Situation heraus diese Idee geboren und wie ihre Realisierung in die Wege geleitet wurde?


Antwort:
Es wurde für Heides Bekanntenkreis schon recht bald deutlich, daß sie im Gefängnis mit äußerst schwierigen Umständen konfrontiert sein würde. Sie war in jedem Sinne des Wortes ein freiheitsliebender Mensch.

Die Ereignisse begannen genau vor zwei Jahren im November 2006, als wir - die Mitglieder unserer amerikanischen Friedensgruppe - uns in einem Restaurant trafen, um das alljährliche Thanksgiving, den amerikanischen Nationalfeiertag am letzten Donnerstag im November, zu feiern. Nach dem Essen sprachen wir über künftige Projekte, die auf der Tagesordnung standen. Unmittelbar bevor stand das Weihnachtsprogramm für Radio Lora, unseren Münchner Lokalsender, für den ich eine monatliche Sendung mache, in der ich hauptsächlich Texte von "Andersdenkenden" zum Thema des "anderen Amerikas" präsentiere. Ich hatte mich entschieden, die Dezember-Sendung aus Beiträgen von den MAPC-Mitgliedern (MAPC = Munich American Peace Committee) zusammenzustellen, statt Material von "Experten" zu verwenden, und wollte ein Radioprogramm zum Thema Weihnachten machen. Einen Brief an Santa Claus am Nordpol - in dem unsere Unzufriedenheit mit der bestehenden und unsere Wünsche für eine zukünftige US-Regierung zum Ausdruck käme - hielt ich für angebracht. Als ich fragte, wer bereit sei, sich mit einem Beitrag daran zu beteiligen, überraschte es mich, Heides Hand in die Höhe schießen zu sehen, ehe ein anderer meine Bitte überhaupt registriert hatte.

Zu diesem Zeitpunkt kannte ich Heide kaum. Sie kam immer zu den Demonstrationen. Ich wußte, wer sie war, hatte aber genaugenommen kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Doch ich war sehr froh, daß sie uns bei der Weihnachtssendung unterstützen wollte, die am zweiten Montag des Monats fertig sein mußte. Als wir uns trafen, um die Möglichkeiten zu besprechen, versicherte sie, schon eine Idee zu haben und keine Hilfe zu benötigen. Sie versprach, etwas zu schreiben und es zum Zeitpunkt der Aufnahme ins Studio zu bringen. Und das tat sie auch. Ich war über das, was bei ihrem Beitrag schließlich herauskam, angenehm überrascht. Er war witzig, sarkastisch, brachte die Dinge auf den Punkt und alle Pfeile richteten sich auf George W. Bush.

Als Heide eingekerkert wurde, wurde mir klar, daß es ihr sehr schwer fallen würde, mit der Situation im Gefängnis zurecht zu kommen. Irgendwie kamen wir an ihre Adresse heran - vermutlich von anderen Mitgliedern, die sie einmal im Monat besuchten. Dann habe ich angefangen, ihr gelegentlich einen Brief über die Welt "da draußen" zu schreiben, nicht mit der Absicht, ihr behilflich zu sein, sondern einfach weil es schön ist, Post zu bekommen, wenn man nicht auf dem Laufenden ist... Heide hat auf jeden Brief unverzüglich geantwortet. Sie hungerte geradezu nach menschlichem Kontakt.

Nach einer Weile spürte ich, daß Heide hin und wieder entmutigt, deprimiert und verärgert war, ihre Strafe nicht wirklich annahm und die Konsequenzen ihres Handelns nicht akzeptierte. Weil ihr Schreibstil einen besonderen Reiz hatte, der das Lesen ihrer Briefe leicht macht und einem Freude bereitet, schlug ich ihr vor, vielleicht ein Tagebuch zu führen, um mit ihren Problemen fertig zu werden. Sie nahm den Vorschlag an und nutzte später ihre Tagebucheintragungen dazu, Schritt für Schritt nachzuvollziehen, was sie physisch und emotional durchmachte.

Die Briefe über das Radio zu senden war ursprünglich nicht geplant. Doch nachdem ich einen ganzen Stapel davon zuhause hatte und sie erneut las, fiel mir die Einmaligkeit daran auf und brachte mich dazu, Heide zu fragen, ob sie einverstanden wäre, die Briefe im Radio vorlesen zu lassen. Sie stimmte dem bereitwillig zu und achtete sehr systematisch darauf, sie mit Markierungen und Daten in einer bestimmten Reihenfolge zu halten.

Wie ich bereits sagte, weiß ich, daß Heide Luthardt ursprünglich nicht die Absicht hatte, mit ihren Briefen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit außerhalb der Gefängnismauern zu erregen. Es handelte sich dabei um eine persönliche Dokumentation, eine Erweiterung ihrer Tagebuchnotizen, die vielleicht dazu gedacht war, daß andere sie lesen könnten oder dazu, die Einträge des Tagebuchs zu ordnen und zu korrigieren. Auch ihre Sozialarbeiterin ermutigte sie, täglich Aufzeichnungen zu machen. Das gehört zur Therapie.

Als es mit den Radiosendungen losging, beschrieben die Briefe das, was ihr einige Monate zuvor zugestoßen war. Sie waren sozusagen retroaktiv. Sie schrieb über die Vergangenheit. In ihrem Tagebuch hielt sie die Gegenwart fest.

Heide Luthardt war sich ihrer Präsenz in der Öffentlichkeit durchaus bewußt, als sie nach eineinhalbjähriger Gefangenschaft die Gefühle der Sinnlosigkeit, die Wut und die zunehmende Drangsalierung, die sie erlitt, bis an die Zerreißgrenze gebracht hatten.

In einer kleinen Tonskulptur porträtierte sie sich selbst als starken, kräftig gebauten Bären, der auf den Hinterbeinen steht und dessen Vorderpfoten mit Draht gefesselt sind. Eine pathetische Darstellung, die auch ihre Geisteshaltung zum Ausdruck bringt, die sich in all ihren Briefen spiegelt.

Gefesselter Bär (Selbstdarstellung) - von H. L. in Aichach hergestellt

Foto: Gefesselter Bär (Selbstdarstellung) - von H. L. in Neudeck hergestellt


Leider weiß ich nicht, wie die Nachricht vom Tod Heides - jenseits ihres Familienkreises und von verschiedenen Friedensgruppen in München - aufgenommen wurde. Die Bekannten, die sie in München hatte, waren niedergeschmettert. Es gab auch zwei ehemalige Zellengenossinnen, die herausgefunden hatten, daß Heide Selbstmord begangen hatte, und uns kontaktierten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es jemandem, der sie kannte, möglich war, von ihrem Tod unberührt zu bleiben. Selbstmord ist eine fürchterliche Waffe. Danach gibt es so viel Schuld, ganz gleich wie nah man dem Opfer gestanden hat.

14. November 2008