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SERIE/033: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - Interview mit Marie und Peter Voß (SB)


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - Stimmen aus dem Umfeld

Interview mit Marie und Peter Voß


Frage: Sie beide haben Frau Luthardt regelmäßig und über einen langen Zeitraum hinweg sowohl in der Untersuchungshaft als auch später in der JVA Aichach besucht. Können Sie unseren Lesern beschreiben, wie die dortigen Verhältnisse - etwa die Räumlichkeiten im Gefängnis - auf Sie als Besucher gewirkt haben?

Antwort: In Neudeck recht bedrückend und eng, in Aichach angenehme, helle Besucherräume.

Frage: Wie würden Sie aus Ihrem unmittelbaren Eindruck heraus sowie aufgrund der mit Frau Luthardt geführten Gespräche die Bedingungen ihrer Haft beschreiben? Was glauben Sie, wie Frau Luthardt ganz allgemein, aber auch in Hinsicht auf die zusätzlich gegen sie verhängten Repressalien ihre Haftsituation verkraftet hat?

Antwort: Für Frau Luthardt offensichtlich sehr belastend, auch weil wenig bis keine intellektuelle Ablenkung geboten wurde. Einen Teil der Repressionen hat sie möglicherweise wissentlich provoziert.

Frage: Wissen Sie Genaueres darüber, für welche "Vergehen" sie wie bestraft wurde?

Antwort: Weigerung, sich vor versammelter Mannschaft in den Anus schauen zu lassen (sie forderte und erreichte einen Arzt). Heimliches Sammeln von Tabletten. Wiederholter Aufenthalt an Orten, die nicht zugelassen waren, um aus dem Fenster schauen zu können.

Frage: Können Sie die Wochen und Tage unmittelbar vor Heide Luthardts Tod beschreiben? Hat es Ihres Wissens nach in dieser Zeit besondere haftbedingte Umstände oder von den Gefängnisverantwortlichen verhängte Sanktionen gegeben, die zur Verschärfung ihrer Lebenssituation beigetragen haben könnten?

Antwort: Sie hatte sich mehrere Wochen verschärfte Haft eingehandelt. Trotzdem äußerte sie bis zuletzt die Hoffnung auf Freigang. Der erste Antrag auf stundenweisen Freigang mit der Sozialarbeiterin wurde abgelehnt, was aber anscheinend nicht ungewöhnlich ist. Auch bei unserem letzten Besuch war der mögliche Freigang ein Thema.

Frage: Die Nachricht vom Suizid der Frau Luthardt kam für Sie beide wie für viele andere, die sie kannten, überraschend und schockierend. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Antwort: Bei dem Besuch vier Wochen zuvor war ihr nichts anzumerken. Auch in ihren Briefen kündigte sich nichts an.

Frage: Nach Angaben einer Mitgefangenen hat Frau Luthardt ihre suizidalen Absichten wiederholt offen geäußert und soll bereits mehrfach zuvor versucht haben, durch "Zündeln" bzw. die dabei entstehenden giftigen Gase ihr Leben zu beenden. Können Sie aus eigener Kenntnis etwas dazu sagen oder Vermutungen zu der Frage anstellen, ob Frau Luthardt schon seit längerem suizidgefährdet gewesen sein könnte und ob dies gegebenenfalls den Gefängnisverantwortlichen bekannt war?

Antwort: Unter den angesammelten Tabletten waren offenbar auch Schlaftabletten, was Frau Luthardt uns erzählte. Unsere Tochter hatte nach einem Besuch eine Ahnung, daß ein Suizid möglich sein könnte. Sie hat uns das aber vor Frau Luthardts Tod nicht erzählt.

Frage: Seit Weihnachten 2007 hat Heide Luthardt Briefe an den Münchner Sender Radio Lora geschickt, in denen sie die ersten Monate ihrer Gefangenschaft beschreibt. Diese Dokumente vermitteln das Bild eines Menschen, der selbst unter schwierigen Umständen darum kämpft, seine Würde zu wahren. Deckt sich dieses Bild mit Ihren Eindrücken?

Antwort: Ja. Es war aber auch eine Möglichkeit, ihre Situation zu verarbeiten.

Frage: Können Sie unseren Lesern etwas dazu sagen, mit welcher Absicht Frau Luthardt sich um die Veröffentlichung ihrer Briefe, die sie seit Dezember 2007 bis zu ihrem Tod Woche für Woche versandte, bemüht hat?

Antwort: Das Bedürfnis, ihre Erlebnisse mitzuteilen. Sinnvolle Beschäftigung.

Frage: Der letzte Brief, der den Sender erreicht hat, datiert vom 15. Juni 2008. Das war eine Woche vor Frau Luthardts Tod. Es soll danach noch einen allerletzten Brief gegeben haben, der jedoch der Zensur zum Opfer fiel. Wissen Sie Näheres darüber?

Antwort: Nein.

Frage: Abschließend möchten wir Ihnen gern noch einige Fragen zu dem Prozeß gegen Heide Luthardt im November 2007 stellen.

Können Sie unseren Lesern ein Bild von der Atmosphäre im Gerichtssaal vermitteln? Wie haben Sie, aber auch andere Zuschauer auf das gegen Frau Luthardt verhängte Strafmaß von 3 3/4 Jahren reagiert?

Antwort: Daß das Strafmaß so ausfallen würde, war schon vor Prozeßbeginn weitgehend klar. Die 3 dreiviertel Jahre bekam sie nicht nur für die Bombenattrappen, sondern auch für Graffiti mit Hakenkreuzen im Wiederholungsfall. Zuschauer waren überwiegend Amerikaner und Deutsche aus Frau Luthardts Friedensgruppe und Journalisten.

Frage: Frau Luthardt hat ihre Taten in den Briefen damit begründet, die Menschen in der Bundesrepublik wegen der deutschen Kriegsbeteiligung "aufrütteln" zu wollen. Würden Sie sagen, daß diese Motivation vor Gericht deutlich geworden ist?

Antwort: Sie hat es zu erklären versucht. Sie hatte aber gegenüber dem Richter einen schweren Stand, weil dieser ihr - wohl nicht ganz zu Unrecht - eine Trittbrettfahrerrolle unterstellte, denn es gab bis zur siebten Bombenattrappe keinen Hinweis auf ein politisches Motiv. Ungünstig wirkte sich für sie auch aus, daß sie wenig Mitgefühl für diejenigen zeigte, die die 'Bomben' fanden ("es ist doch nichts passiert"). Einen Entschuldigungsbrief an eines dieser Opfer begann sie mit einer politischen Erklärung.

Frage: Wie bewerten Sie die Rolle von Frau Luthardts Pflichtverteidiger in diesem Zusammenhang?

Antwort: Er hat wohl getan, was er tun konnte, teilweise auch erheblich mehr. Manchmal war er aber sichtlich überfordert. Er hielt immer wieder Termine mit Frau Luthardt nicht ein.

Frage: Haben Sie noch Kenntnisse oder Erinnerungen daran, ob bei der Strafzumessung Heide Luthardts Beweggründe, aber auch ihre Bereitschaft, ein vollständiges Geständnis abzugeben, strafmildernd oder möglicherweise auch -verschärfend berücksichtigt wurden?

Antwort: Eher strafmindernd.

15. November 2008