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SERIE/034: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - Interview mit Natalja L. (SB)


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - Stimmen aus dem Umfeld

Interview mit Natalja L.



Frage: Würden Sie uns etwas über Ihre Kenntnisse - durch mittelbare oder unmittelbare Kontakte - zum Tod der Heide L. und zu dessen Umständen sagen?

Antwort: Dazu kann ich nicht mehr sagen, als ich es schon getan habe. Heide L. ist sich auch im Knast treu geblieben und hat sich von Anfang an nicht gefügt. Dafür war sie Schikanen ausgesetzt.

Sie muss sehr unter ihrer Situation gelitten haben und war bereits längere Zeit suizidal. Dies war der JVA bekannt. Denn sie äußerte ihre Selbstmordgedanken offen und muss wiederholt in ihrer Zelle gezündelt haben.

Frage: Können Sie aus eigenem Erleben bzw. eigener Erfahrung etwas über die Haftumstände, denen Sie während Ihrer Strafhaft ausgesetzt sind, berichten? Würden Sie das bitte tun, um Außenstehenden ein Bild zu vermitteln, welchen elementaren Einschränkungen mutmaßlich auch Heide L. ausgesetzt gewesen ist?

Antwort: Elementare Einschränkungen sind das Eingesperrtsein selbst, das Abgeschnittensein von der Außenwelt, von den Freunden usw., Bewegungsmangel, wenig gesundes Essen und vor allem sozialer Stress. Sofern jemand keine Arbeit hat, verlässt sie nur zum Hofgang und beim Aufschluss die Zelle. Aufschluss bedeutet, die Zellentüren werden aufgeschlossen, so dass wir auf den Gang oder zu anderen Gefangenen in die Zellen gehen können. Hofgang ist für gewöhnlich täglich 1 Stunde. Das lässt nicht viel Raum für körperliche Bewegung. Im Sommer gibt es bei schönem Wetter teilweise noch Zusatzhofgang.

Besuch darf man insgesamt nur für Stunden im Monat empfangen. Ansonsten können die Gefangenen mit der Außenwelt nur über Briefe kommunizieren, die mitgelesen werden.

Der soziale Stress belastet in besonderer Weise. Unter den Gefangenen in Aichach herrscht leider Konkurrenz und Gegeneinander statt solidarisches Miteinander. In erster Linie wird das durch ein vielschichtiges Privilegiensystem in der JVA hervorgerufen. Die Gefangenen können so gegeneinander ausgespielt werden. Auch, wenn es Ähnliches auch außerhalb der Gefängnismauern zu beobachten gibt, kann man sich die Qualität als Außenstehender nur schwer vorstellen. In der JVA herrschen extreme Bedingungen, unter denen sich Menschen noch mal extremer verhalten. Die Gefangenen sind in fast allen Lebensbereichen abhängig. Überall können sie Vorteile oder Nachteile erhalten. Das fängt schon bei den Zellen an. Von Viererzellen müssen die Gefangenen sich erst zu Zweier- oder Einzelzellen hocharbeiten. Und auch hier gibt es gravierende Unterschiede. Beispielsweise sind manche Einzelzellen größer als manche Zweierzellen. Zudem können die Mitbewohner verträglicher oder schwieriger sein.

Kleine Regelverstöße können gleich streng geahndet werden - wie bei Heide L. - oder mit Nachsicht betrachtet werden. Wer Arbeit bekommen möchte, um dadurch zumindest ein klein wenig Geld verdienen zu können, ist auf die Gunst der Schließer angewiesen. Und letztlich benötigen Gefangene für vorzeitige Entlassungen etc. günstige Bewertungen durch die Beamten.

Das alles führt dazu, dass gerade Gefangene, die zu längeren Strafen verurteilt wurden, sich um die Wette bei den Schließern einschleimen und vor ihnen klein machen. Wer sich nicht einfügt, von dem distanzieren sich viele lieber. Es bewirkt, dass Gefangene andere für wenig vertrauenswürdig halten. Bei Regelverstößen werden Mitgefangene auch verpfiffen. Es kommt sogar vor, dass jemand einfach nur angeschwärzt wird. Echtes Vertrauen gibt es kaum. Viele versuchen zwar, möglichst viel über die anderen zu erfahren, aber erzählen über sich nur Erfundenes. Mensch will dem anderen nur keinen wunden Punkt, keine Schwachstelle preisgeben.

Es gibt ja zwei Hierarchien: die von Beamten zu Gefangenen und die zwischen den Gefangenen. Sich gegen eine oder beide Hierarchien aufzulehnen, bringt Unruhe in den Knastalltag. Viele möchten Unruhe vermeiden, weil es ihnen ohnehin schon so schlecht geht. Sie empfinden den, der unangepasst ist, als Störenfried und lassen es ihn spüren. Ganz egal, ob der sich nicht für etwas einsetzt, was sie sich selbst auch wünschen.

Heide L. hat es trotzdem geschafft, von anderen Gefangenen wertgeschätzt zu werden. Trotzdem hat sie sicher auch Ablehnung und Anfeindungen erlebt. Sicher war es nicht leicht für Heide L., sich die Anerkennung zu erwerben.

Frage: Haben Sie speziell bezogen auf Frau Heide L. noch konkretere Hinweise oder Mutmaßungen?

Antwort: Nein und ich möchte keine Mutmaßungen anstellen.

Frage: Müssen Sie bei Ihrem Engagement im allgemeinen und in der Frage Heide L.s im besonderen mit spezifischen Sanktionen gegen sich rechnen?

Antwort: Verglichen mit den Strafen, die Heide L. bekommen hat, überhaupt nicht. Im allgemeinen bin ich nicht schikaniert worden. In der Frage Heide L.s wurde nur informell gegen mich vorgegangen. Informell wurde Mitgefangenen zu verstehen gegeben, sie sollten nicht mit mir reden und auf Distanz gehen. Offiziell war lediglich eine besondere Maßnahme beim Besuch. Mein Besucher (meine Schwester) und ich mussten uns an den Tisch direkt vor den Beamtinnen setzen. Sie wollten wohl hören, was wir miteinander reden.

Frage: Über die alltäglichen Sanktionen hinaus soll speziell Heide L. von Gefängnisverantwortlichen auf besonders zugespitzte Weise drangsaliert und verfolgt worden sein. Wissen Sie etwas darüber?

Antwort: Heide L. wurde in der Tat besonderen Sanktionen ausgesetzt, weil sie standhaft blieb und sich nicht fügte. Wohl gleich bei den Eingangsdurchsuchungen, als sie neu in die JVA Aichach kam, muss sie energisch eine Einzelzelle gefordert haben. Eine Einzelzelle bekam sie sogar. Allerdings wurde Heide L. im Sicherheitstrakt untergebracht, was sie gar nicht wollte. Der Sicherheitstrakt befindet sich im zweiten Stock. Die Zellen in diesem Teil des Knasts sind Einzelzellen. Wer hier eingesperrt wird, darf nicht mit den Gefangenen aus anderen Trakten sprechen. Heide L. war weder eine Gefahr für andere, noch musste sie vor anderen geschützt werden. Also war die Unterbringung im Sicherheitstrakt wohl eine spezifische Sanktion.

Heide L. erhielt verschiedene Disziplinarstrafen für Kleinigkeiten, für menschliches Verhalten. Beispielsweise sprach sie unerlaubt mit Menschen aus anderen Trakten. Gelegenheit dafür bot sich bei der Essensausgabe, zu der sie den Sicherheitstrakt verlassen durfte. Beim gewöhnlichen Aufschluss darf der Sicherheitstrakt nicht verlassen werden. Aufschluss bedeutet, dass mensch aus seinen Zellen auf den Gang darf und andere Gefangene in ihren Zellen besuchen kann. Während dieses Aufschlusses ging Heide L. trotz Verbot in höhere Stockwerke. Von dort kann mensch über die Mauern schauen, was vom zweiten Stock aus unmöglich ist.

Bei ihr wurde über solche Verstöße nicht hinweggesehen. Ihr wurde wohl mehrfach eine Freizeitsperre aufgebrummt. Das bedeutet, sie bekam keinen Aufschluss und musste stattdessen in ihrer Zelle bleiben. Bis auf den Hofgang wurde sie folglich von den Mitgefangenen isoliert. Schließlich wurde sie sogar in den Bunker gesperrt. Während sie im Bunker war, drohte ihr ausgerechnet der Gefängnisarzt, er werde sie brechen.

Frage: Haben Sie eine Vermutung, was in dem letzten, von Heide L. für Radio Lora verfaßten, jedoch zensierten Brief gestanden haben könnte?

Antwort: Der Brief wurde zensiert, ich weiß nicht, was in dem Brief steht. Spekulieren möchte ich nicht. Aber unter den Gefangenen herrscht Einigkeit darüber, dass Heide L. sich gewünscht hätte, dass die Öffentlichkeit von ihrem Tod und seinen Umständen erfährt. Sie hat im Knast genauso wie draußen immer versucht, die Öffentlichkeit zu erreichen.

16. November 2008