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SERIE/048: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 01.08.2007 bis 21.08.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

10. Teil - 01.08.2007 bis 21.08.2007


1.8.07

1. August, der Unglückstag. Heute vor 24 Jahre starb, nein verreckte Winnetou [*]. Zum 1. Mal seit meiner Gefangenschaft hier sind P. und M. nicht gekommen. Natürlich es gibt 1000 gute Gründe dafür und trotzdem ist die Enttäuschung abgrundtief. Mo. sagte vorhin "Vielleicht kommen sie nächste Woche". Ja, vielleicht. Vielleicht kommt der Anwalt irgendwann, vielleicht kommt Post, vielleicht auch nicht. Nachtrag: Bin später ins Büro gerufen worden. M. und P. waren da, sind aber wieder weggeschickt worden, weil sie nicht den aktuell gültigen Besuchsschein parat hatten. Die korrekten deutschen Beamten haben nur ihre Pflicht getan. Natürlich!

[*] Anmerkung der Redaktion Schattenblick: Winnetou, war Heide Luthardts Pferd, das ihre Mutter ihr als Jugendliche geschenkt hatte. Es kam im Alter von 10 Jahren auf tragische Weise durch eine Darmverschlingung ums Leben.



6.8.07

Herrliches Wetter. In den letzten Tagen ist nichts von Bedeutung passiert. Von Hrn. F. keine Spur. Heute in 3 Wochen ist Verhandlung. Zum Glück ist heute Montag und eins dieser endlos langen Wochenenden ist vorbei. Eine Gefangene hat einen Kalender mit selbstgemalten Bildern von hiesigen Insassen und ihren Taten gemalt. Er ist wirklich lustig. Von mir ist auch ein Bild darin - natürlich mit Bombe, Love Bin Laden T-Shirt, Anti Bush-Parolen. Passt schon. Auch von A., die ja ihren Freund erstochen hat, ist ein Bild darin, sehr makaber. Hinter ihr sind 2 gekreuzte Messer so plaziert, dass die Klingenspitzen wie Teufelshörner aus ihrem Kopf ragen. Für Außenstehende lustig, aber für sie nicht. Als sie das Bild gesehen hat, war sie sehr sauer. Kann ich auch verstehen, es hat sie vorher niemand gefragt, ob sie mit einem solchen "Portrait" einverstanden ist. Heute nachmittag ist Poesie-Gruppe, bei der ich immer wieder platt bin, wie sich fast alle als fromme gottverbundene Unschuldslämmer ausgeben und gleichzeitig Büromaterial des Pfarrers mitgehen lassen und stolz darauf sind.


8.8.07

Ein schrecklicher Tag. Beim Hofgang gab es fürchterlichen Zoff mit mir und Fr. H., weil wir wegen Regen nach 1/2 Stunde wieder in die Zellen mussten. Nachmittags zitierte sie mich ins Büro, klebte eine Kopie irgendeines Vollzugsgesetzes von außen an die Bürotür, nachdem sie mir - ziemlich sauer - vorgelesen hatte, dass wir nur bei "geeigneten" Wetterbedingungen Hofgang gewährt bekommen müssen. Was "geeignet" ist, liegt natürlich im Ermessen der Beamten. Wenn ich beim nächsten Mal wieder "Theater" machen würde, bekomme ich Schwierigkeiten, sagte sie. Nachmittags war ich beim Orthopäden in Neudeck, sollten M. und P. heute versucht haben, mich zu besuchen, wären sie bereits zum zweiten Mal hintereinander wieder weggeschickt worden. Lange halte ich es hier nicht mehr aus, aber glücklicherweise fällt am 30.8. spätestens die Entscheidung - Kopf oder Zahl.


12.8.07

Sonntag. Nachdem es in den letzten Tagen viel geregnet hat und deutlich abgekühlt war, ist heute wieder ein schöner Sommertag. Aber was heißt hier drinnen schön. Ich bekomme kaum Post, auch von Mutti und H. nicht. Es ist wieder ein Gebrüll und Gepfeife im Hof wie im Zoo. Mich nervt alles, sogar Mo., mit der ich mich eigentlich gut verstehe, auch mit An. und C. Morgen in 2 Wochen ist die Verhandlung, jedenfalls der erste Tag und jedesmal, wenn ich ernsthaft etwas darüber sage, wird es von den anderen ins Lächerliche gezogen. Nein, hier hat man keine echten Freunde, nur "Kumpels" mit denen man sich die Zeit bestmöglich vertreibt. Es wird auch unwahrscheinlich viel gelogen, jeder erzählt andere Versionen von etwas und ich denke oft an den Tag meiner "Einlieferung" hier, als mir die Beamtin in der Kleiderkammer sagte: "Glauben Sie hier drinnen niemandem irgendetwas". Recht hat sie. Mein Anwalt F. hat sich natürlich trotz seiner großen Sprüche und Vorankündigungen nicht blicken lassen. Wenn er Ende nächster Woche noch nicht da war, muss ich ihm schreiben. Fr. T. bezeichnete ihn neulich als Schaumschläger, womit sie wohl nicht falsch liegt. Sie sagte auch, dass es vielen Frauen hier so geht und Hr. F. wohl kein Einzelfall ist. Wenigstens ein kleiner Trost. Wie heißt es: Geteiltes Leid... Schade, dabei hatte ich anfangs so ein gutes Gefühl.


19.8.07

Gestern war Hr. F. da, am letzten Tag seines Urlaubs, immerhin. Er stellt mich schon darauf ein, daß es ganz schön heftig und hart gegen mich zugehen wird, meinte aber, eigentlich müssten sie mir Bewährung geben. Tja, eigentlich. Kommende Woche will er mit mir üben, "guantanamomäßig". Auch meinte er, ich soll mindestens 30 Minuten über meine Taten reden, am Stück. Ich habe mir einiges zusammengeschrieben, aber 30 Min. werden das niemals nimmer. Heute haben wir, d.h. unsere Vierer-Bande beim Umschluß "Verhandlung" geübt. Mo. war Staatsanwalt, An. Richter und C. Verteidiger. Es war interessant und außerdem haben wir Tränen gelacht. Hinterher kam A. noch und hat mir mit der Bastelschere ein bißchen die Haare geschnitten, was supernötig war und jetzt wieder gut aussieht. Morgen will sie mir noch den letzten Schliff geben. In 2 Wochen ist die ganze Scheiße vorbei - so oder so. Jetzt habe ich vielleicht durch den Streß wieder ein Ekzem im Vaginalbereich, sehr unangenehm. Hoffentlich geht es von allein wieder weg.


21.8.07

Heute war A.H. da, er hat mich noch einmal beraten und mir sehr gute Ratschläge und Tips gegeben. Zu meiner Beruhigung hat er - genau wie es auch mein Gefühl ist - nicht dafür plädiert, so lange wie möglich (lt. Hrn. F. mindestens 1/2 Stunde) zu reden. Er hat in den letzten Tagen noch einmal lange mit Hrn. F. telefoniert und meinte, ich hätte sehr viel Glück gehabt, ihn als Anwalt zu bekommen. Jetzt sind es nur noch 3 Tage! Was habe ich von einem Super-Anwalt, wenn er nicht kommt.

Anschließend war Fr. T. da. Sie nervt mich momentan, hat mir erzählt, Mutter hätte ihr gesagt, sie wäre froh, dass ich jetzt im Gefängnis bin. Gut, sie kann nichts dafür, was Mutti sagt und die hätte mich ja am liebsten schon früher eingesperrt, damit ich ihr nicht "weglaufe" und ihrem "Machtbereich" entkomme.

Zum Glück ist mein Ekzem heute wesentlich zurückgegangen und fast weg. Trotzdem war ich beim Arzt, der dann natürlich nur noch eine leichte Rötung und Schwellung gesehen hat und mir eine leichte Heilsalbe mitgegeben hat. Wenn es so weggeht und nicht wiederkommt - wunderbar.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2010