Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/057: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 18.11.2007 bis 29.11.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

19. Teil - 18.11.2007 bis 29.11.2007


18.11.07

Jetzt bin ich schon über eine Woche hier. Auf der Station B III, dem Zugang geht es zu wie im Taubenschlag, Leute kommen, Leute gehen. Neulich wurde eine junge Frau, die kaum sprechen konnte weil sie schon 2 Schlaganfälle hatte und die im 8. Monat schwanger war eingesperrt (für 5 Tage), weil sie schwarzgefahren war und 50 Euro Geldstrafe nicht bezahlen konnte. Mein Gott. Hier sind sehr viele Junkies, die sich teilweise schon seit Jahren von "draußen" kennen, untergebracht und natürlich auch andere Frauen, auch etliche ältere. Einige sehen schrecklich aus, teilweise haben sie nur noch ein oder zwei Zähne im Mund. Zahnersatz ist hier Fehlanzeige, schnell werden kaputte Zähne gezogen, weil die Behandlung nicht kosten darf. Trotzdem, oder gerade deshalb ist ein Teil dieser Frauen sehr nett und herzlich.

Heute hatte ich ein bißchen Ärger wegen dem Hofgang. Es ist ziemlich kühl und alle außer mir wollen nach höchstens 1 Std. wieder "rein". Ich natürlich nicht. Einige waren sauer, weil es auf der Zugangsabteilung so ist, daß, wenn sie reingehen während ich noch draußenbleibe, für diese Zeit eingesperrt werden, also für ca. 1/2 Stunde. Heute konnten sie dank der Beamtin allerdings draußen bleiben. Ich kann verstehen, dass sie das nicht toll finden, sehe aber auch nicht ein, daß ich ständig auf den wertvollen Hofgang verzichte. Na, mal sehen, wie es weitergeht. Vorige Woche hatte mir Fr. S., wohl eine der nettesten Beamtinnen hier gesagt, dass ich mich auf einen längeren Aufenthalt im "Zugang" einstellen soll, weil es schwierig wird, auf den anderen Stationen eine Einzelzelle zu bekommen. Ich sagte ihr, daß mir das auf jeden Fall die liebere Lösung ist. Fr. S. zeigte auch großes Verständnis für meine "Randale" in der Kleiderkammer. Ich habe jetzt einen Fernseher bestellt, Mutti hat mir die "AZ" und die "junge Welt" abonniert und mein Radio habe ich auch bekommen. Immerhin. Auch sonst ist es hier wesentlich besser als in Neudeck, viel mehr Aufschluß, Beamte viel lockerer, Essen viel besser, duschen kann man, wann man will. Trotzdem ist es ein schrecklicher, deprimierender Ort und ich habe ständig Selbstmordgedanken. Mut geben mir nur meine Freunde und ihre Post sowie die Gewissheit, dass mein Motiv inhaltlich gut und richtig war, besonders angesichts der aktuellen deutschen Kampfhandlungen in Afghanistan und der Kriegstreiberei gegen Iran von Bush, der u.a. Fr. Merkel hinter sich weiß.


20.11.07

Ich lebe so dahin und glaube, ich verblöde immer mehr. Es gibt hier einige wahnsinnig aggressive und auch dumme Frauen, eine schreckliche Mischung. Mich lassen sie in Ruhe, aber schon allein der Ton in dem sie sich unterhalten, macht mir irgendwie Angst. I mag solche Leute nicht und gehe ihnen aus dem Weg. Erschreckend ist auch, wie die Gedanken mancher Insassinnen hier außschließlich um Drogen kreisen, teilweise von ganz jungen Frauen, die schon mehrere Entzugs-Therapien hinter sich haben. Heute habe ich mitbekommen, daß einige meiner "Kolleginnen" Antrag auf Hafterleichterungen, Urlaub usw. gestellt hatten - alles abgelehnt von dem Herrn, von dem ich meine Disziplinarstrafe bekommen habe. Schöne Aussichten.


26.11.07

Gestern bin ich 53 Jahre alt geworden. Totensonntag. Mir haben viele hier gratuliert und ich habe eine Tafel Schokolade geschenkt bekommen, was ich wirklich nett fand. Man wird bescheiden hier. Es sind aber auch fürchterliche Leute hier, dumm, primitiv und aggressiv und welche, die ausschließlich von Drogen reden. Unschuldig sind offenbar sowieso alle, außer mir. Am Freitag waren M.V., P.V. und B. hier. B. kannte ich ja nur vom Schreiben. Er hat mir gut gefallen, ein netter, ruhiger und angenehmer Mensch. Es liegen wohl etliche Mahnungen in meinem Briefkasten, u.a. eine über 7000 Euro. Egal, das können sie eh vergessen. Mit der Wohnung steht es noch etwas auf der Kippe, einen geeigneten Untermieter zu finden, ist nicht so einfach aber M.u.P. engagieren sich sehr. Die Guten. Vorige Woche konnte ich das erste Mal seit 9 Monaten mit Mutti telefonieren, ich glaube, sie hat sich sehr gefreut. Die Sozialarbeiterin meinte, das ginge einmal monatlich und ich hoffe, es klappt noch vor Weihnachten wieder.

Heute gab es wieder Gezicke beim Hofgang. Es war wie immer, nach einer halben Stunde wollten alle außer mir wieder rein und es war "dicke Luft", weil ich meckerte. Wohl ist mir bei dem Aggressionspotential, das hier herumläuft allerdings nicht, wenn ich mich querstelle. Ich fragte dann Fr. S., eine Beamtin, die wirklich im Rahmen des Möglichen in Ordnung ist, ob ich nicht ohne Aufsicht immer noch ½ Stunde im Hof herumlaufen könnte. Antwort: "Fr. Luthardt, das kann ich nicht machen, das darf ich nicht, und bei Ihnen schon garnicht".


29.11.07

Heute bin ich vom Zugang auf die D I (im Sicherheitstrakt) verlegt worden. Hier ist alles doppelt überwacht und abgeschottet. Das RAF-Mitglied Brigitte Mohnhaupt hat hier mehr als zwanzig Jahre ihres Lebens verbracht. Und nun ich als "Light-Terroristin". Naja, irgendwie ist's ja auch ein Kompliment. Meine "Kolleginnen" hier sind mir allerdings nicht sonderlich sympathisch und Fr. S., die Beamtin auf dem "Zugang" vermisse ich schon, ihr habe ich zu verdanken, daß ich hier eine Einzelzelle bekommen habe.


Mouseclick zum Zoomen

Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


*


Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2010