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SERIE/071: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 29.02.2008 bis 10.03.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

33. Teil - 29.02.2008 bis 10.03.2008


29.2.08

Heute morgen war ich zum Tabletteneinnehmen im Büro. Eine kleine Asiatin kam freudestrahlend herein, sie wird heute entlassen. "Danke, Danke!" fiel sie Fr. L. um den Hals, die umarmte sie herzlich. Ich stand fassungslos daneben, murmle nur "Danke, wofür?" und schüttle den Kopf. Dann legt die Asiatin die Hände zum buddhistischen Gruß zusammen, hält sie vors Gesicht und verbeugt sich ca. zehnmal "Danke, Danke, Danke", Fr. L. tut das gleiche "Bitte, Bitte". Mein Gott!

Im Treppenhaus gebe ich Ma. meine Zeitungen, wir reden kurz und leise miteinander. Fr. L. kommt vorbei "Gehen Sie bitte in den 1. und in den 3. Stock". Natürlich tun wir das. Als ich eingeschlossen werde, macht Fr. L. mich darauf aufmerksam, dass ich Aufenthaltspflicht auf meinem Flur habe, wenn wir so weitermachen, wird das Treppenhaus überhaupt nicht mehr aufgeschlossen, und "Ich verwarne Sie, eigentlich müsste ich Ihnen eine Anzeige schreiben, aber ich verwarne die Leute vorher." Ich fragte, ob es so schlimm ist, ein paar Worte im Treppenhaus zu wechseln. Antwort: "Es ist verboten." Punkt. Gründe brauchen sie hier nicht, wir sollen einfach nur gehorchen.

Nachmittags standen wieder die Frauen über uns auf dem Gang und haben in Klein-Kindsprache miteinander geredet. Was für Leute hier!


1.3.08

Wegen Sturmböhen dürfen die entmündigten Kleinkinder nicht in den Hof gehen. Selber darüber zu entscheiden, ist natürlich ausgeschlossen. Als ich fragte, hieß es "Wir können das nicht verantworten". Kein Kommentar.


2.3.08

Heute waren wir wieder im Hof und haben Tischtennis gespielt, wie üblich. Nachmittags standen A. und ich dann auf dem Flur und haben Fluchtpläne geschmiedet, halb im Spaß, halb im Ernst. Wir standen vor der Dusche, als Russin N. vorbeikam, in die Dusche ging und A. fragte, ob sie ihr den Rücken waschen wolle. Das klang nicht so, als wenn es nur im Spaß gemeint gewesen wäre. Später waren A. und ich unten und holten Tee, ich stand noch keine Minute ganz still am Fenster und schaute hinaus, sofort kam eine Beamtin: "Bitte, beide Damen sofort nach oben. Ich begleite Sie". Uns haben sie offenbar "auf dem Kieker" und ich glaube, ganz besonders mich.


3.3.08

Heute morgen war ich beim Arzt bzw. bei Fr. Dr. D., die aushilft, weil sie sich die Kniescheibe gebrochen und nichts anderes machen kann. Ich habe Voltarengel, etwas für meinen entzündeten Finger, Schmerz- und Schlafmittel verschrieben bekommen. Schlafmittel allerdings nur in flüssiger Form, damit ich es nicht sammeln kann. Die Ärztin war nett, zum Schluss fragte sie mich, ob ich mich immer noch umbringen wolle. Ich leugnete, daß ich das jemals wollte und sie meinte, wenn es jemand wirklich will, kann man es eh nicht verhindern. Die meisten Frauen, die das tun, wollen nicht wirklich sterben, sie wollen nur nicht mehr so weiterleben. Ich sagte, das wäre doch verständlich. Sie: "Das ist durchaus nachvollziehbar, aber die meisten sind froh, dass sie noch leben, wenn sie hier rausgehen." Ich: "Mag sein, aber man geht verblödet hier raus". Sie: "Ja, die Leute verblöden, hier muss man das Gehirn ins Koma legen." "Und was ist dann der Sinn des Strafvollzuges?" "Der Strafvollzug hat keinen Sinn", sagte die Frau Doktor. Kommentar überflüssig.


5.3.08

Heute kam eine Durchsage, dass Briefe und Post nur noch in Deutsch geschrieben und empfangen werden dürfen. Ich ging ins Büro. "Briefe in Englisch kann ich aber schon noch bekommen?" "Nein, hier ist Deutsch Amtssprache". "Sehr weltoffen", sagte ich. "Ich weiß schon, mir san hier in Deutschland". "Sie können sich ja eine Sondergenehmigung von Hrn. Z. geben lassen". Mal sehen, vielleicht tue ich es sogar. Die deutsche Leitkultur wird vorangetrieben, seitdem Großdeutschland wieder Weltmacht spielen will. Wie kleinkariert und peinlich das ist.


7.3.08

Heute morgen gab es wieder einmal Margarine und Marmelade. Als ich schon wieder oben im 1. Stock war, sah ich vom Gang, dass eine umgekippte Frau auf dem Boden lag. Die Leute gingen an ihr vorbei, als wenn es das alltäglichste von der Welt wäre. Gleich kam eine Schwester angelaufen, die - natürlich - schon die Akte der betroffenen Frau unter dem Arm hatte - wir sind schließlich in Deutschland / Bayern. Sie wurde in einen Rollstuhl gesetzt, sobald sie wieder halbwegs bei Sinnen war und in die KA geschoben.

Später bekam ich eine "Kostenerhebung" vom Polizeipräsidium Schwaben: 2070,00 Euro für einen der Polizeieinsätze. Fordern können sie viel, was sie bekommen, steht auf einem anderen Blatt.


9.3.08

Wieder stundenlange Biathlon-Übertragungen, wieder laufen und schießen. Alles nur Zufall. Gestern habe ich gelesen, daß das "Eiserne Kreuz" in Deutschland wieder an Soldaten verliehen werden soll - für besondere Tapferkeit im Dienst am Vaterland. Es ist soweit - Blut und Ehre zählen wieder in Deutschland!

Ständig schwarz-rot-gold im Fernsehen und Berichte aus dem 2. Weltkrieg, vorwiegend mit Deutschen als Opfern, außer Juden, die zu Wort kommen, wenig über die, die Opfer der Deutschen wurden. Habe ich Paranoia oder sehe ich die Kriegspropaganda richtig. Ich weiß, daß ich mich nicht gänzlich irre.

Mo. hat sich schon ewig nicht mehr gemeldet, Ma. holt seit ein paar Tagen "ihre" Zeitungen nicht mehr bei mir ab, E. winkt mir höchstens noch heimlich zu, schaut sich dabei meist ängstlich um. Dürfen sie nicht, oder wollen sie nicht?


10.3.

Habe heute Ma. angesprochen, ob sie keine Zeitungen mehr wolle. Sie hat sich später welche geholt, war sehr vorsichtig und machte Andeutungen, daß sie Ärger bekommen hätte.

Heute bekam ich Antwort auf meinen Antrag an Hrn. Z., Briefe an meine amerikanischen Freunde weiterhin in Englisch schreiben zu "dürfen". Abgelehnt, sie hätten ihren Lebensmittelpunkt schon zu lange in Deutschland. Peinlich! Arme M.V., arme M.H. Übrigens war diese Anordnung (daß Deutsch geschrieben werden muss, weil es Amtssprache ist Art. 34 Abs. 1 Ziffer 6 BayStVollzG) vom 4.3.08 eine der ersten Amtshandlungen vom neuen Gefängnisdirektor, Regierungsdirektor M. Er hatte früher hier im Haus schon einmal die Funktion von Hrn. Z. (der gegen ihn vergleichsweise milde sein soll) und wurde mir von Fr. T. schon als Hardliner angekündigt. Das Verbot, in "fremden" Sprachen zu schreiben, ist möglicherweise erst der Anfang vom Anfang.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2010