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SERIE/073: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 26.03.2008 bis 03.04.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

35. Teil - 26.03.2008 bis 03.04.2008


26.3.08

Heute saß ich in der Kunstgruppe und wollte gerade anfangen, ein Deutschland-Kriegsbild zu malen, da kam Fr. L. herein, "Fr. L. Besuch". M.u.P. waren gekommen und wir haben eine Stunde geredet. Endlich wieder einmal mit normalen Menschen sprechen, was für eine Wohltat. Aber auch im Gefängnis gibt es "normale" und Nette, aber hier drin ist es sowieso eine Ausnahmesituation, mit nichts vergleichbar. Während ich schreibe, plärrt draußen wieder eine von den gestörten Junkies in Kleinkindersprache herum, eine erwachsene Frau, die vielleicht sogar ein Kind hat.

Gestern hatte ich einen Antrag an Hrn. Z. (Abteilungsleiter und Jurist hier im Haus) eingeworfen, mit der Bitte, meine wöchentliche Blutdruckmedikamenten-Ration wieder in die Zelle zu bekommen. Seit der Schlaftabletten-Aktion muss ich die Tabletten ja täglich im Büro nehmen, unter Aufsicht, wie ein kleines Kind. Heute nachmittag kam die Antwort: "Um eine Selbst- und Fremdgefährdung sowie einen möglichen Medikamentenhandel auszuschließen, bleibt die bisherige Regelung bestehen". Sauber!

Heute ist meine Hauptinformationsquelle, die "junge Welt" nicht gekommen, die "AZ", für die ich ebenfalls ein Geschenkabo bekommen habe, schon, aber die ist mir nicht so wichtig. Das ist schon öfter passiert, meist kam sie dann am nächsten Tag nach, hoffentlich diesmal auch.


28.3.08

Gestern ist die "junge Welt" für vorgestern mitgekommen, also alles wieder o.k. Zur Zeit sind viele Zigeunerinnen hier, die ja gern für ein paar Wochen ins Gefängnis gehen, wenn es draußen kalt wird. Sie kommen dann gleich sippenweise und haben es hier warm und trocken. Der Lärmpegel ist dann noch höher als sonst, aber aber sie sind wenigstens nicht so durchgeknallt wie manch andere. Vor einiger Zeit lief ja eine von den gehirngeschädigten Junkies über mir auf dem Flur herum und miaute stundenlang wie eine Katze, in den letzten Tagen heulte auf dem Flur unter mir eine nachts wie ein Wolf. Manchmal kann man nur noch darüber lachen.

Heute mittag habe ich eine Rechnung von der Staatsanwaltschaft München I bekommen 146.284,28 Euro, zahlbar innerhalb von 14 Tagen. davon sind wohl 136.372,63 Euro für DNA-Teste, glaube ich jedenfalls.

Nachmittags habe ich mit A. Tischtennis gespielt. Eine Beamtin ging in Begleitung einer Frau an uns vorbei, die schrecklich aussah, halbtot. Auf dem Rückweg blieb sie kurz bei uns stehen. Sie hat Asthma und musste zum Inhalieren in die KA. Mein Gott, solche Leute sperren sie ein.


30.3.

Gestern kam die Ansage vom neuen bayrischen Innenminister Herrmann, der Warnungen von der US-Regierung bzw. den Geheimdiensten bekam, dass Deutschland und Europa bevorzugte Zielscheibe von "Terroristen" werden würde. Da Deutschland sich mittlerweile unter den Terrorstaaten der Nato ganz vorne eingereiht hat, staunt er über das Echo. Trefflich passend dazu heute morgen ein Bericht über tapfere Soldatenfrauen, deren heldenhafte Männer in Afghanistan versuchen, die Welt wieder einmal am deutsch-europäisch / amerikanischen Wesen genesen zu lassen, bzw. sie für ihre Bedürfnisse kompatibel zu machen, gerne auch mit Massenmord und Folter. Da waren Deutsche ja noch nie zimperlich. Habe heute wieder ausführlich mit A. beratschlagt, wie man den Alptraum hier am besten beendet. Seit Wochen, ja Monaten reden wir darüber, ich habe im Gegensatz zu ihr das Glück, daß ich eine Einzelzelle habe und experimentieren kann, was ich auch tue. Heute nacht ist die Uhr auf Sommerzeit umgestellt worden, draußen herrscht herrliches Frühlingswetter, alles grünt und blüht. Für uns ist um 13.00 Uhr Schluß und wir warten darauf (zumindest ich tue das), daß endlich Zeit wird, schlafen zu gehen.


2.4.

Seit ein paar Tagen fühle ich mich auch körperlich schrecklich, habe Magenschmerzen und bin furchtbar müde und kaputt. Wundern tut mich das nicht, seit mehr als 13 Monaten bin ich jetzt eingesperrt. In letzter Zeit lassen sie meine Leine etwas lockerer, lassen mich mal eine Tasse Tee am Fenster trinken und haben auch das Bild an meinem Türschild - noch - nicht entfernt. Es zeigt einige "Bullen" in voller Kampfmontur, darauf habe ich einen Spruch, den ich aus einem Briefkuvert von der Polizei herausgeschnitten habe, geklebt. "Wir haben ein Herz für Ihre Sicherheit". Neben das aufgedruckte Herz habe ich eine Hand mit einem erhobenen Gummiknüppel gemalt.

Abends wieder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein Bericht über die edlen deutschen Soldaten, die in Afghanistan gegen böse Taliban-Widerstandskämpfer, die die Frechheit haben, sich gegen den Überfall auf ihr Land und dessen Besetzung zu wehren, in die Schlacht gezogen sind. Natürlich auf "Friedensmission" oder was man im Nato-Jargon so nennt.


3.4.08

BR 2 (Bayrischer Rundfunk) 10.00: "'Israel muss von der Landkarte getilgt werden'. Worte, die der iranische Ministerpräsident Ahmadinedschad so nicht gesagt, aber auch nicht dementiert hat." Zitat aus Schöne neue Welt: "Tausend Wiederholungen sind eine Wahrheit".

Heute hat die alte Gewägelchen-Frau D. unter mir wieder randaliert. Dank ihres attestierten kindlichen Hirnschadens kann ich aber nichts mehr passieren.

Nachmittags saßen S. und K. im Aufenthaltsraum vor dem Fernseher und sahen stumm und konzentriert zu, wie dröhnend laut die Werbung lief. Wieder einmal Klapsmühlenfeeling total.




Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2010