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SERIE/083: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 30.05.2008 bis 04.06.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

45. Teil - 30.05.2008 bis 04.06.2008


30.05.08

Letzte Nacht ein wunderschöner, realistischer Traum von Weite, Natur, Tieren, glasklarem Wasser. Dann das fürchterliche Erwachen. Hofgang. Ich drehe einige Runden, bleibe dann an der großen Mauer bei einem Liebstöckel-Strauch ("Maggie Kraut") stehen, rupfe mir zwei Blätter ab. Da geht gerade Beamtin J. mit der Russin N. vorbei. Ich sage "Mein Drogen-Depot" und stecke mir die Blätter in den Mund. Zwei Minuten später gehen beide zu besagtem Strauch und schneiden ihn komplett ab. Zufall? Auf jeden Fall: Commedy pur.


31.05.08

Nach dem Aufschluss laufen wir auf dem Gang herum. S. ruft laut nach unten: "Guten Morgen, Fr. L." Die grüßt erfreut zurück. Ich schaue S., die mit breitem Grinsen an mir vorbeiläuft, vorwurfsvoll an. Sie streckt die Zunge heraus und macht schlabbernde Geräusche. "Ich schleime sie richtig voll", soll das heißen. Nachmittags war langer Hofgang, 2 ½ Stunden (von 12-14.30 Uhr) bei schönem Wetter. Es hat gut getan, aber 14.20 Uhr stand R. (die, die freiwillig hier ist, obwohl sie schon hätte gehen können) und ruft laut "Wir sind zehn vor zwölf rausgegangen, also gehen wir auch zehn Minuten früher rein". Die Sklavenseele. Vielleicht wäre sie am liebsten selber Beamtin. Abends lange erfolglos herum experimentiert.


1.06.08

Habe heute im Fernsehen gehört, daß in D die "Lebensfläche" für einen Deutschen Schäferhund 12 qm betragen muss. Hier werden zwei sich wildfremde, erwachsene Frauen auf ca. 11 qm zusammengepfercht. Jedem was ihm gebührt [*], Schäferhunden und Häftlingen.

[*] im schönen, neuen Großdeutschland

War im evang. Gottesdienst und habe zwei "alte" Bekannte wiedergetroffen, U. und J., beide sind wegen Drogen hier. Offenbar immer wieder. Eine farbige Frau, natürlich auch eine Inhaftierte, sang ein portugiesisches Kirchenlied, was für eine Stimme! Ohne Mikrophon füllte sie die große Kirche bis in den letzten Winkel aus. Der Kirchenchor hat heute wohl das letzte Mal gesungen, die Gefangene, die ihn leitet, wird entlassen, eine Nachfolgerin ist wohl nicht in Sicht. Um 16.00 ist Einschluß. Kurz vorher frage ich per Notruf, ob wir uns noch einmal Tee holen können. "Natürlich". Nichts als Blah-Blah, wir durften es nicht. Angeblich sind gestern die "tz's" nicht geliefert worden, aber ich wette meinen Kopf darauf, dass sie etwas später als üblich gekommen sind, im Posteingang liegen und Sie nur zu faul waren, sie noch zu verteilen, diese "Bitches".

Mitgefangene G. geht mir mit ihrem blöden Gerede unglaublich auf den Geist, das war anfangs schon so, dann ging es eine Weile, im Moment ist es wieder extrem. Naja, ich gehe ihr aus dem Wege. Kommt aus Aichach und hat nach eigener Aussage eine Gärtnerei.


3.6.08

Gestern hat Beamtin L. Nachfilzung gemacht, ob ich auch alle meine Zeitungen (erlaubt: 3 Stück) entsorgt hätte. "Natürlich". Ich fragte sie, ob sie bei allen so gründlich ist oder nur bei mir. Wieder dieses Grinsen "Bei allen natürlich." "Das ist schön."

Heute morgen wird stolz im Staatsfernsehen (ARD, ZDF) berichtet, das jetzt die "Deutsche Eingreiftruppe" nach Afghanistan verabschiedet wurde.[*] Keine großen Proteste aus der Bevölkerung, die Propaganda-Märchen von "Friedensmissionen" und "humanitären Einsätzen" sprich Kriegen scheinen zu wirken. Wie sagte Reserve Hauptmann W. (mein Ex-Chef): "Die Deutschen waren schon immer in jedem Krieg ganz vorne mit dabei", warum sollte sich das ändern? Zum Kotzen, wieder sind deutsche Mörder in aller Welt unterwegs und wieder sind sie selber und die verantwortlichen Politiker stolz darauf. Ich hasse dieses Land, in dem die Masse jetzt zur Fußball-EM wieder Fahnen schwenken und "Deutschland, Deutschland" grölen wird. Wenn doch nur endlich einmal eines meiner abendlichen Experimente glücken würde. Gestern war's nicht schlecht.

[*] "Was stört uns, wenn ein Afghane verreckt, solange nur eine deutsche Kugel in ihm steckt". Der deutsche Herrenmensch zeigt der Welt wieder einmal wo es langgeht.
Nie wieder wird dieser Staat einen Cent an mir verdienen!

Kunstgruppe, ich wollte gerade anfangen zu malen, da kam einen Beamtin "Frau Luthardt, Strafraport". Ich hatte gedacht, der Kelch wäre an mir vorübergegangen, den Beamtin F. mir neulich schon angekündigt hatte. Ob ich gern provoziere, fragte Hr. Z.. "Vielleicht kommt es manchen Leuten so vor, es ist aber nicht so gemeint". Ein "leichtes Vergehen" = 3 Wochen Freizeitarrest! 2 Wochen davon zur Bewährung. Lächerlich! Dann fragte ich noch, warum ich auf der D I bleiben muss, obwohl ich nicht will. "Das muss ich Ihnen nicht erklären." "Natürlich nicht, ich würde es nur gerne verstehen." "Weil ich der Meinung bin, daß Sie auf dem Einser ganz gut aufgehoben sind". "Naja, schön, daß wenigstens einer von uns beiden der Meinung ist." "Ja, genau". "Schönen Tag noch". "Ihnen auch".


4.6.08

Gestern nachmittag hatte ich zu meiner Verwunderung noch keine Freizeitsperre, heute mittag hing schon das Schild an "meiner" Zelle - bis zum 10.6., also eine Woche. Zum Glück scheint die Bewährung, die Herr L. mir neulich noch aufs Auge gedrückt hatte, irgendwie (vielleicht in den Tiefen des Computers) untergegangen zu sein. Hoffentlich taucht sie nicht irgendwann, irgendwo wieder auf. Jetzt ist es kurz vor 14.00 Uhr und ich denke, dass sie mir gleich den Fernseher wegnehmen werden. 14.30 Uhr ist es dann soweit. Gut, dass ich mein Radio habe. Mittags spielt niemand mehr mit mir Tischtennis oder Federball. Schade, es hatte mir immer sehr gut getan. Beim Hofgang habe ich auf einer Treppenstufe gesessen und Zeitung gelesen. Kurz vor 13.00 Uhr fing es an zu regnen, alle wollten natürlich hoch, ich habe es ignoriert und blieb einfach sitzen und Beamtin J. ließ mich auch, stellte sich derweil im Türrahmen unter. War nett von ihr. Als ich dann rauf ging standen alle im Gang, lachten und feixten. Ich sagte "Da freut Ihr Euch". Irgendwer antwortete "Du doch auch." Sie dachten, ich bin nur nicht mit hineingegangen um die Beamtin zu ärgern. Diese Idioten, sie verstehen garnichts! Uns trennen Welten.

19.20 geht "meine" Tür auf, eine junge Beamtin steht da "Wollen Sie sich noch Tee holen?" "Wenn ich kann." "Sonst hätte ich Sie nicht gefragt" Sie lächelt. Was ist los, ändern sie jetzt ihre Taktik und versuchen es mit Freundlichkeit? Zufall? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.


Gefängnistagebuch von Heide Luthardt


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2010