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BERICHT/078: Das Anti-TTIP-Bündnis - Ein großes Spektrum ... (1) (SB)


... an Bündnissen und Aktionsformen

TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel


Da das aktivistische Element quasi das Wasser darstellt, in dem sich die gegen Freihandelsabkommen protestierenden Menschen wie Fische bewegen, sollte seine Präsentation in Kassel nicht zu kurz kommen. Nach einem Tag der Diskussionen auf dem zentralen Podium und in den Workshops fand ein Aktionsaustausch statt, der wie eine Führung durch eine improvisierte Ausstellung organisiert war. Auf zwei Etagen des Veranstaltungsortes in der Universität Kassel hatten die Aktivistinnen und Aktivisten diverser lokaler und regionaler Initiativen Stände aufgebaut, an denen sie über ihre Arbeit berichteten und dies auch in Bild und Ton dokumentierten. Da die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Rundgangs zumeist selbst in verschiedene Aktionsbündnisse eingebunden sind, entspann sich dabei ein reger Austausch über die Erfahrungen, die mit den jeweiligen Aktionsformen, ihrer Resonanz in der Öffentlichkeit und den Medien gemacht wurden.


Aktivist vor Schild Köln TTIP-frei - Foto: © 2016 by Schattenblick

Foto: © 2016 by Schattenblick

Wie ein Ohrwurm gräbt sich die Melodie des bekannten Schlagers ins Gehör, der mit dem Refrain "Eiskalt pfeifen sie auf die Demokratie" einen zeitgemäßen Inhalt erhalten hat. Wen wundert es, daß sich das Kölner Bündnis gegen TTIP [1] karnevalistisch gibt, könnten doch öffentliche Aufzüge dieser Art nicht besser geeignet sein, auch das Anliegen politischen Protestes zu transportieren. Doch das breite, mehrheitlich linke Organisationen und Parteien umfassende Bündnis der Domstadt wartet nicht nur mit köllschem Humor auf oder verwandelt den traditionellen Tanz in den Mai am 30. April in eine Tanzparade gegen TTIP. Mit einem Bürgerantrag hat es erreicht, daß der Kölner Stadtrat im März 2015 mit großer Mehrheit eine Resolution gegen CETA, TTIP und TISA verabschiedete. Köln ist mithin die erste Millionenstadt der Bundesrepublik, die sich offiziell zur TTIP-freien Zone erklärt hat.


Plakat der Attac-Regionalgruppe Hunsrück-Nahe - Foto: 2016 by Schattenblick

Foto: 2016 by Schattenblick

Das Trojanische Pferd, antiker Inbegriff einer mit Trug und List arbeitenden Kriegslist, hat die Attac-Regionalgruppe Hunsrück-Nahe [2] zum Symbol ihres Kampfes gegen Freihandelsabkommen auserkoren. Die Aktivistinnen und Aktivisten haben das Holzpferd, das auch in Kassel auf dem Vorplatz der Universität vor einer verdeckten Invasion transatlantischer Kapitalinteressen warnte, gemeinsam entworfen und erbaut. Während der Arbeit entwickelte sich ein Gruppenprozeß, der den Zusammenhalt der rund 20 Aktivistinnen und Aktivisten festigte. Das Trojanische Pferd gastiert nun auf lokalen und regionalen Märkten, auf Konzerten und anderen öffentlichen Ereignissen, wo es einen guten Anlaß bietet, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Sogar die Kölner Karnevalisten fragten an, um es auf dem traditionellen "Zoch vor dem Zoch" zu präsentieren, wo Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker deutlichere Worte für die soziale und gesellschaftliche Misere finden als auf dem Rosenmontagszug im allgemeinen üblich.


Bilder von Aktionen auf Laptop - Foto: 2016 by Schattenblick Bilder von Aktionen auf Laptop - Foto: 2016 by Schattenblick

Fotos: 2016 by Schattenblick

Auch die Stadt Leipzig hat sich gegen TTIP positioniert, und die große Resonanz auf die Aktionen des Netzwerkes Vorsicht Freihandel! [3] belegt, daß die Kritik an derartigen Abkommen keine Minderheitenmeinung ist. Als Beispiel für gelungene Performances im öffentlichen Raum wird eine TTIP-Mauer aus Kartons gezeigt, gegen die die Menschen anrennen, um sie schließlich umzustürzen. In einem anderen straßentheaterartigen Szenario wanken Freihandel-Zombies, schon an ihren Augenbinden, auf denen die Großbuchstaben der Freihandelsverträge prangen, zu erkennen, hinter ihren ausgestreckten Armen her durch Demonstrationszüge. Dabei murmeln sie sattsam bekannte Freihandelsparolen und zeigen so, daß die Beendigung untoter Ausbeutungspraktiken überfällig ist. Millionäre für TTIP protzen in Abendkleid und Smoking, das Champagnerglas in der Hand und arrogante Sprüche auf den Lippen, so aufdringlich mit ihrem Reichtum, daß sich einige Menschen tatsächlich herausgefordert sehen und grob werden. Auf die Frage, wie es in Leipzig um Legida stehe, erklärt eine Aktivistin, daß die AfD ihnen eine Zusammenarbeit vorgeschlagen habe. Dies hätte das Netzwerk allerdings rigoros abgelehnt, weil es ganz andere Gründe für den Widerstand gegen Freihandelsabkommen habe.


Mann vor Schultafel und Schaubildern - Foto: © 2016 by Schattenblick

Marburger Aktivist erklärt Kritischen Stadtspaziergang und Demonstration
Foto: © 2016 by Schattenblick

Am Stand des Marburger Bündnisses gegen TTIP [4] wird das Konzept "Kritischer Stadtspaziergang und Demonstration" vorgestellt. Es sei nicht nur auf die hessische Universitätsstadt zugeschnitten, sondern könne in jedem Ort durchgeführt werden, erklärt der Aktivist. Bei diesem Rundgang, an dem durchaus um die 400 Menschen teilnehmen, gehe es vor allem darum, die Probleme, die TTIP erzeugt, an praktischen, die jeweilige Kommune betreffenden Beispielen deutlich zu machen, um die Freihandelspolitik von ihrer abstrakten Abgehobenheit auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. So werden Referate an bestimmten Stationen gehalten, die spezifische Folgen etwa der Privatisierung, des Abbaus von Sozialleistungen und Kultursubventionen oder der Entdemokratisierung anschaulich machen. Dazu werden eigens entworfene Flyer verteilt, was in Marburg zur Folge hatte, daß die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Rundgängen am Schluß stets um einiges höher war als am Anfang.


Aktivistin erklärt Fotoaktion - Foto: © 2016 by Schattenblick

Präsentation der Fotoaktion
Foto: © 2016 by Schattenblick


Bildprojektionen der Fotoaktion - Foto: 2016 by Schattenblick Bildprojektionen der Fotoaktion - Foto: 2016 by Schattenblick

Fotos: 2016 by Schattenblick

Eine Aktivistin aus Aachen hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, warum so viele Menschen politisch resignieren, anstatt sich zu wehren. Um das Problem, das ihrer Ansicht nach durch eine zu geringe Präsenz des Themas TTIP in den Massenmedien und seinen zu hohen Abstraktionsgrad verursacht ist, zu beheben, hat sie eine Fotoaktion ins Leben gerufen. Mit ihr soll dem Widerstand ein Gesicht gegeben werden, so daß die Menschen sich mit ihrem Anliegen nicht alleingelassen fühlen. Kurze Statements, die die Opposition zu Freihandelsabkommen begründen, werden zusammen mit dem Bild der jeweiligen Person präsentiert, um zu den Menschen, die die Fotos betrachten, einen emotionalen Bezug herzustellen.


Aktivistin zeigt Bilder von Protestaktion - Foto: © 2016 by Schattenblick

Blick in eine andere Welt
Foto: © 2016 by Schattenblick

Am Stand der Organisation Powershift berichtet eine Aktivistin über eine Protestaktion, die anläßlich einer Veranstaltung des marktliberalen Jacques Delors Institutes im Allianz Kulturforum in Berlin am 28. September 2015 stattfand. Das mit politischer, diplomatischer und journalistischer Prominenz hochkarätig besetzte Podium wurde von zehn Aktivistinnen und Aktivisten mitten in der Veranstaltung durch einen ungewöhnlichen Meinungsbeitrag aufgeschreckt. Zu diesem Zweck hatte die Gruppe, die fünf Stunden vor dem Gebäude in der Nähe des Brandenburger Tores ausharren mußte, um Einlaß zu erhalten, einen französischen Protestsong umgetextet, der nun unter anderem von Sängerinnen des politischen Protestorchesters Lebenslaute lautstark vorgetragen wurde. Wer im Publikum den Text, in dem die "die Wut der Basis" bekundet und "Schluß mit euren TTIP-Lügen" gefordert wurde, nicht verstand, wußte zumindest anhand der hochgehaltenen Plakate, daß es sich bei den Protestlern um keine Freunde des Freihandelsabkommens handelte.


Publikum und Aktivistin - Foto: © 2016 by Schattenblick

Am Stand von Powershift
Foto: © 2016 by Schattenblick

Ein Politprofi wie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der weiß, wie man unvorhergesehene Interventionen an sich abperlen läßt, war dadurch zwar nicht ohne weiteres aus der Ruhe zu bringen. Er forderte die Störer auf, mit ihm zu diskutieren, und es kam auch zu einer Stellungnahme einer Aktivistin, doch in einer derart auf Podium und Publikum ausgerichteten Situation kann ein Gespräch auf Augenhöhe und mit fairer Beteiligung aller Interessenten kaum zustandekommen. Entscheidend war, daß ein Zeichen gesetzt wurde, das nicht ohne weiteres ignoriert werden konnte, so daß es auch in dem offiziellen Zusammenschnitt der Veranstaltung [5] seinen Platz fand, der ansonsten auf prototypische Weise jenen Duktus und Habitus zelebriert, der auf den Kommandohöhen in Staat und Wirtschaft gang und gäbe ist.


Zwei Männer und eine Frau - Foto: © 2016 by Schattenblick

Greenpeace-Aktivistin und -Aktivisten aus Frankfurt und Berlin
Foto: © 2016 by Schattenblick

"Wenn TTIP kommt, geht die Demokratie baden" - das Frankfurter Bündnis gegen TTIP, CETA & TISA nahm am 18. April 2015, dem weltweiten Protesttag gegen TTIP, ein Bad im Main unter einer vielbegangenen Brücke, um seine Opposition gegen das Freihandelsabkommen zu kommunizieren. Das im Wasser treibende und von Aktivistinnen und Aktivisten in roten Taucheranzügen flankierte Banner mit der Aufschrift "Save Democracy - Stopp TTIP" wurde von einem Schiff begleitet, das ebenfalls mit einem Transparent versehen war. Die Aktion [6] habe gute mediale Resonanz erzeugt, denn in der bundesweiten Tagesschau wie in der Hessenschau wurde über sie berichtet, zudem habe man mit der Kundgebung viele Leute erreicht, die sich ansonsten nicht an Demonstrationen beteiligen.


Protestpicknick auf Tempelhofer Feld - Foto: by stoppt-ttip-berlin.de, freigegeben als CC BY-SA 4.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode]

Foto: by stoppt-ttip-berlin.de, freigegeben als CC BY-SA 4.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode]

Am 5. September 2015 fand auf dem Tempelhofer Feld, dem zu einer Freifläche für allgemeinen Nutzen umgewidmeten alten Berliner Flughafen, ein Protestpicknick unter Beteiligung von 1500 Menschen statt. Es handelte sich um eine von Stoppt-TTIP-Berlin [7] angemeldete Demonstration, bei der große Buchstaben auf einer ehemaligen Landebahn plaziert wurden, auf denen sich die Demonstranten mit ihren Picknickkörben niederlassen konnten. Auf einer Strecke von 400 Metern waren die Lettern "STOPP TTIP CETA TISA" ausgelegt. 30 Personen hatten drei Stunden lang die Buchstaben ausgemessen und in eine lesbare Form gebracht, wobei sie sich mit Megafonen verständigten. Man holte eine Genehmigung für einen Drohnenflug ein, um das Ganze aus der Luft zu fotografieren, zudem gab es eine Hebebühne für die Presse, damit diese ihre eigenen Bilder machen konnte.

(wird fortgesetzt)


Drohnenperspektive der Aktion auf Tempelhofer Feld - Foto: by stoppt-ttip-berlin.de, freigegeben als CC BY-SA 4.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode]

Foto: by stoppt-ttip-berlin.de, freigegeben als CC BY-SA 4.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode]


Fußnoten:


[1] http://no-ttip-koeln.de/

[2] http://www.attac-netzwerk.de/hunsrueck-nahe/

[3] http://vorsichtfreihandel.blogsport.de/

[4] https://marburggegenttip.wordpress.com/

[5] http://www.delorsinstitut.de/allgemein/ttip-event/
Siehe Min 10.10 und Min 12.20

[6] http://greenpeace-frankfurt.de/index.php/ttip-freihandelsabkommen?start=5

[7] http://www.stoppt-ttip-berlin.de/


TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel im Schattenblick
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14. April 2016


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