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BERICHT/131: Fleischprodukte - fressen und vergessen ... (SB)



Die Ausbeutung und Unterdrückung der Tiere durch das Fleischkapital ist kein isolierter Prozess, die Beziehung des Kapitals zu den Tieren ist nicht von anderen Verhältnissen in der kapitalistischen Produktionsweise zu trennen. Vielmehr bildet die Fleischindustrie das Prisma, durch welches sich die kapitalistische Entwicklung in ihrer Gesamtheit erkennen lässt.
Warum wir eine Offensive gegen die Fleischindustrie brauchen [1]

An 35 Orten in der Bundesrepublik wurde am Freitag, den 13. September, gegen die Ausbeutung durch Arbeit in der Fleischindustrie im allgemeinen und die dieses System im besonderen repräsentierende Tönnies Holding protestiert. Am Standort des Hauptwerkes dieses von dem Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzenden des FC Schalke 04 Clemens Tönnies geführten Konzerns in Rheda-Wiedenbrück fand die zentrale Protestveranstaltung statt. Die aktion ./. arbeitsunrecht exponiert seit 2014, als der eingetragene Verein auf Initiative der Publizisten Werner Rügemer und Elmar Wigand gegründet wurde, jedes Jahr ein durch besonders üble Praktiken im Umgang mit Lohnabhängigen hervorstechendes Unternehmen. An einem Datum, an dem der Freitag der Woche und der 13. Tag des Monates zusammenfallen, finden bundesweite Kundgebungen und Demonstrationen statt, um der Öffentlichkeit diesen Mißstand vor Augen zu führen.

Nur einen Tag, nachdem die Tönnies Holding von der Aktion Arbeitsunrecht als Negativbeispiel nominiert worden war, hielt der Unternehmenschef eine inzwischen berüchtigte Rede vor der Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe, nach der heftig darüber gestritten wurde, ob er sich damit des Rassismus schuldig gemacht habe oder nicht. Der vom sogenannten Ehrenrat des Schalke 04 als "unbegründet" bezeichnete Rassismusvorwurf ist bei genauerer Analyse des Gesagten [2] alles andere als das. Der Ansicht ist auch die Aktion Arbeitsunrecht, die Clemens Tönnies in der Vorbereitung des Aktionstages nicht nur als ausbeuterischen Unternehmer, sondern auch Rassisten brandmarkte.


Flyer der Aktion Arbeitsunrecht zu Freitag13 - Foto: © 2019 by Schattenblick

Protest gegen Tönnies in Hamburg-Niendorf
Foto: © 2019 by Schattenblick


Schadensbilanz Schlachtfabrik

In seiner Rede auf der zentralen Demonstration in Rheda-Wiedenbrück kritisierte Werner Rügemer an erster Stelle die Praxis, die Kernbelegschaften seiner Werke weitreichend gegen schlechter entlohnte, sozial nicht abgesicherte und hochflexibel einsetzbare WerkvertragsarbeiterInnen auszutauschen. Gegen den von der Aktion Arbeitsunrecht erhobenen Vorwurf, daß damit Lohnraub begangen werde, hat die Tönnies-Holding beim Landgericht Berlin eine Einstweilige Verfügung erwirkt. Das ist nur ein Beispiel für die häufig angewendete Strategie des Unternehmens, seine KritikerInnen durch Abmahnungen oder andere Rechtsmittel einzuschüchtern und ggf. mundtot zu machen. Die Aktion Arbeitsunrecht hat dagegen Widerspruch eingelegt, so daß Rügemer in seiner Rede [3] weiterhin den Vorwurf des "systematischen Lohnraubes" erheben konnte.

Betrachtet man die Praxis der Werksvertragsarbeit im Kontext EU-europäischer Arbeitsmarktregulation, dann handelt es sich zweifellos um eine für Menschen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, besonders nachteilige Form der Lohnarbeit [4]. Die insbesondere von ArbeitsmigrantInnen aus Bulgarien und Rumänien unter Werksvertragsbedingungen verrichtete Schlachthofarbeit ist ein signifikantes Merkmal für die Organisation der Arbeit im neoliberalen Kapitalismus der EU. So wurde der Staatenbund in seinen konstitutiven Verträgen eigens darauf zugerichtet, die länderübergreifenden Unterschiede in den Standortbedingungen und das diesen zugrundeliegende Produktivitätsgefälle zugunsten des Kapitals zu bewirtschaften, anstatt, wie behauptet, soziale Gleichheit zwischen allen Teilen der Europäische Union anzustreben. Der Freizügigkeit, EU-weit nach Jobs suchen zu können, ist der Zwang immanent, dies ungeschützt vor Formen der Ausbeutung zu tun, mit denen die existierenden Mindestlohnregelungen umgangen werden. Im Fall der Werkverträge betrifft dies zum Beispiel überdurchschnittliche Kosten für die Unterbringung und andere Abzüge etwa für Schutzkleidung, die den ArbeitsmigrantInnen abgenötigt werden.

Die Arbeit in Schlachthöfen gehört weltweit zu den körperlich anstrengendsten Tätigkeiten und geht mit hoher Verletzungsgefahr einher, wie immer wieder vorkommende Arbeitsunfälle belegen, bei denen Finger oder Teile der Hand abgetrennt werden. Auch Gelenkerkrankungen sind weitverbreitet, müssen doch schwere Lasten in immer gleichen Bewegungen von einem Ort zum anderen gehievt oder die Körper der Tiere mit Schneidwerkzeugen durchtrennt werden, was bei aller Mechanisierung durch Bandsägen und das Aufhängen der schweren Körper an Haken, die mit Rollen auf Gleitschienen fortbewegt werden, viel Kraft erfordert. Nicht gering zu schätzen sind auch die psychischen Belastungen des Schlachtens, die selbst bei langjährigen ArbeiterInnen traumatische Folgen hinterlassen können, wie im preisgekrönten Dokumentarfilm "Personaleingang" [5] berichtet wird.

Rügemer ging ausführlich auf die ökologischen Folgen der konzentrierten Mästung und Verarbeitung sogenannter Nutztiere wie die 22.800.000 Schweine und 440.000 Rinder, die das Unternehmen Tönnies nach eigenen Angaben im Jahr schlachten läßt, ein. Am Beispiel des Tönnies-Werkes in Rheda-Wiedenbrück führte er aus, daß die Abwässer der Schlachtung von täglich etwa 30.000 Schweinen zur Bildung von Klärschlamm führen. Allein 70 Prozent dieses entsorgungspflichtigen Abfalls, der in dieser knapp 50.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt in NRW anfällt, stammen laut Rügemer aus dem Tönnies-Werk. Da der Klärschlamm aus Schlachtfabriken unter anderem aus dem Blut und dem Darminhalt der Tiere besteht, kann er zum Beispiel bei der Fütterung aus therapeutischen Zwecken zugesetzte Schwermetalle wie Zink und Kupfer und die Abbauprodukte im Stall verwendeter Medikamente enthalten. Wie Rügemer berichtet, wird diese Giftfracht im Osten der Republik entsorgt, wo man leichter in Geldnot befindliche Gemeinden oder Unternehmen findet, die Gebrauch machen von der dafür geschaffenen "Ausnahmeregelung zur Düngung von Zwischenfruchtflächen in Ostdeutschland".

Doch das ist bei weitem nicht alles an Umweltbelastung, die aus der industriellen Fleischverwertung hervorgeht. Rund 200 LKWs sind erforderlich, um die im Werk Rheda-Wiedenbrück geschlachteten Schweine anzuliefern, was eine erhebliche verkehrslogistische Anforderung für die Region darstellt. Im Umkreis von Dutzenden Kilometern stehen Mastbetriebe, die just-in-time liefern, um den Nachschub für den Produktionsprozeß nicht versiegen zu lassen. Übergreifendes Merkmal dessen ist die Verwandlung eines Lebewesens in Fleischprodukte, denen ihr leiblicher Ursprung nicht mehr anzusehen ist. Das hat durchaus etwas Programmatisches, zeichnet sich der Warencharakter der Tierausbeutung doch gerade durch die Entkopplung der Gewalt des Schlachtens und der Freuden des Konsums daraus hervorgehender Würste, Steaks und Burger aus. Was auf der einen Seite als kognitiv hochentwickeltes, mit dem ganzen Spektrum dem Leben zugewandter Empathie ausgestattetes Schwein eintrifft, wird auf der anderen Seite als tote Ware wieder ausgespuckt, als ob dieses Fleisch nie über ein schlagendes Herz verfügt hätte.

Nicht die Assembly Line in den Autofabriken Henry Fords, sondern die Disassembly Line in den Schlachtfabriken Chicagos markiert den Beginn der Ära des Fließbandes. Das zentrale Produktionsmittel in den Fabriken des warenproduzierenden Kapitalismus steigerte den Rationalisierungsdruck, der auf den ArbeiterInnen lastete, bis zum offenen Widerstand gegen die Maschine. Ihre Körper wurden auf stereotype Bewegung getrimmt, die mit den wissenschaftlichen Mitteln des Taylorismus zum Erreichen höchster Funktionserfüllung detailliert vermessen und in ihrem Freiraum planmäßig eingeengt wurden. Die ArbeiterInnen am Band werden durch die repetitive Mechanik, die ihren Körpern zum Zweck der Effizienzsteigerung aufoktroyiert wird, systematisch verschlissen. In der Schlachtfabrik werden mithin nicht nur die Tiere, sondern auch die Menschen wie ein bloßes Produktionsmittel systematisch verbraucht.

Um Schweine in fünf bis sechs Monaten bis zur Schlachtreife aufzuziehen, werden in der EU heute offiziell keine Antibiotika mehr als Mittel zum schnelleren Fleischaufbau eingesetzt. Dennoch wird rund die Hälfte der weltweit hergestellten Antibiotika bei sogenannten Nutztieren eingesetzt. Da sich die Mast nur lohnt, wenn die Tiere in großen Einheiten aufgezogen werden, kommt es in der EU immer wieder zum Totaleinsatz von Tierantibiotika, reicht doch die Infektion eines einzigen Schweines aus, um einen ganzen, Hunderte von Tieren in drangvoller Enge beherbergenden Stall erkranken zu lassen. Antibiotikaresistente Keime entstehen heute hauptsächlich in der Tierindustrie und stellen eine erhebliche Gefahr für Menschen dar, die bei geschwächter Immunabwehr darauf angewiesen sind, Infektionen mit Medikamenten zu bewältigen, die möglicherweise nicht mehr funktionieren, weil die Erreger inzwischen unter anderem aufgrund der massenhaften Verwendung der Mittel in der Tiermast Immunität gegen sie entwickelt haben. Die Belegschaften von Schlachthöfen sind in weit höherem Ausmaß als der Durchschnitt der Bevölkerung TrägerInnen antbiotikaresistenter Keime, die im Fall einer im Krankenhaus erlittenen opportunistischen Infektion zum Tode führen können. Obwohl die Abwässer aus dem Klärwerk von Rheda-Wiedenbrück in die Ems eingeleitet werden, weigern sich die zuständigen Behörden, in dem ohnehin stark schadstoffbelasteten Fluß Messungen zum Vorkommen dieser Keime anzustellen, wie Rügemer berichtete.

Für die Belastung des Grundwassers, das durch die auf den Feldern ausgebrachte Gülle mit Nitrat überfrachtet wird, bezahlen weder die Mastbetriebe noch die Schlachtfabriken. Obwohl ein großer Teil des Fleisches, das die aufwendige Reinigung des Trinkwassers erforderlich macht, in den Export geht, müssen die KundInnen der Wasserwerke diesen Teil der aus der Produktion von Tiererzeugnissen resultierenden Rechnung an externalisierten Kosten begleichen. Seit Jahren verlangt die EU-Kommission von der Bundesrepublik, den Grenzwert von 50 Milligramm je Liter Wasser einzuhalten, weil er in fast 30 Prozent der deutschen Grundwasserspeicher stark und zum Teil auf einen Stand von bis zu 200 bis 300 Milligramm Nitrat pro Liter überschritten wird.


Transparent zum Wasserverbrauch der Fleischproduktion - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ohne Wasser kein Leben - Klimarevolution am 15. März in Hamburg
Foto: © 2019 by Schattenblick


Des einen Sattheit ist des anderen Hunger

Ausbeutung von besonders benachteiligten ArbeiterInnen, rabiate Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, im Massencharakter industrieller Verwertung subjektiven Lebens kaum auslotbare Tierausbeutung - schon diese Schadensbilanz hätte eine Beteiligung an den Protesten gegen Tönnies gerechtfertigt, die dem Mobilisierungsgrad von Fridays For Future entsprochen hätte. Dabei hat das mit der Fleischproduktion angesprochene Problem eine furchterregende Dimension, an die hierzulande nur wenig gedacht wird, weil die Unterversorgung mit Nahrungsmitteln vor allem die Bevölkerungen im Globalen Süden betrifft.

Die Ursachen dieses Problems sind zudem eng mit den Ursachen der Klimakatastrophe und Luftverschmutzung verknüpft, werden doch beim Anbau der Futtermittel erhebliche Mengen an besonders klimaschädlichem Lachgas und gesundeitsschädlicher Feinstäube freigesetzt. Distickstoffmonoxid (N2O) ist als Treibhausgas 300mal so wirksam wie CO2 und wird unter anderem beim Einsatz von Stickstoffdünger auf Anbauflächen freigesetzt. Das Problem synthetisch erzeugter Düngemittel für die Welternährung wie den Klimawandel wird in seinem ganzen Ausmaß gerade erst wahrgenommen [6], um so dringlicher ist der daraus bestehende Handlungsbedarf.

17 Prozent des Kalorienbedarfs aller Menschen werden im Fall von Fleisch und Milch auf 77 Prozent des globalen Agrarlandes erwirtschaftet. Davon sind zwar zwei Drittel Weiden, doch das restliche Drittel betrifft Ackerland, dessen Erträge unter hohen kalorischen Verlusten in der Tierproduktion "veredelt" werden. Laut der Welternährungsbehörde FAO finden 30 Prozent des weltweit angebauten Getreides als Futtermittel in der Tierproduktion Verwendung, andere Quellen gehen von einem noch höheren Anteil aus. Von 1,5 Milliarden Rindern, 1,2 Milliarden Schweinen, 1 Milliarde Schafen und 22 Milliarden Hühnern sollen rund 70 Prozent in der industriell organisierten Intensivtierhaltung leben.

Dementsprechend geht die Zahl sogenannter Nutztiere, die auf Grünland weiden und nicht mit artfremdem Mastfutter ernährt werden, immer weiter zurück. So benötigen moderne Hochleistungskühe, die inzwischen die vier- bis fünffache Menge der natürlicherweise für ihren Nachwuchs erzeugten Milch produzieren, energiereiches Kraftfutter, weil ihr Stoffwechsel nicht mehr in der Lage ist, allein aus Gras eine Tagesleistung von 40 Liter Milch zu erbringen. Das ist mit ein Grund dafür, warum immer mehr Milchkühe ihr stark verkürztes Leben in reiner Stallhaltung verbringen müssen, deren Nutzung zudem durch den Rationalisierungsdruck in der Landwirtschaft vorangetrieben wird.

Nach China ist die EU der zweitgrößte Sojaimporteur der Welt, und das vor allem, um die eigene Fleisch-, Milch- und Eierproduktion mit kostengünstigen Futtermitteln zu versorgen. Die Haupterzeugerländer befinden sich neben den USA in Lateinamerika, woraus sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Konsum von Tierprodukten und der Zerstörung Amazoniens durch Waldrodungen für Ackerbau und Weideflächen ergibt [8]. Fast 90 Prozent des aus Lateinamerika importierten Sojas wird als Futtermittel verwendet. Seine Umwandlung in tierliches Protein dient nicht nur der Versorgung der EU-Bevölkerung, die mit 85 Kilo Fleisch- und 260 Kilo Milchprodukten im Jahr etwa das Doppelte des globalen Durchschnitts an Tierprodukten verzehrt. Die hochproduktiven Agrarindustrien der EU exportieren ihrerseits Tierprodukte in großem Ausmaß in alle Welt. Das geht zu Lasten der Landwirtschaft in den Zielländern, die durch hochsubventionierte Agrarimporte aus der EU vom Markt gedrängt wird, belastet die ohnehin schlechte Ökobilanz der Tiererzeugnisse durch lange Wege und stellt im Fall des Transportes lebendiger Tiere eine besonders skandalöse Form von Tierquälerei dar.


Transparent zu den unbekannten Zutaten der deutschen Wurst - Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Wurst im Blick - "Wir haben es Satt"-Demo am 19. Januar in Berlin
Foto: © 2019 by Schattenblick


Für Tiere ist jeder Tag schwarz

Da sich im Verbrauch sogenannter Nutztiere und ihrer züchterischen Zurichtung auf die instrumentellen Zwecke der Fleisch-, Eier- und Milchindustrie, in der massiven Vernichtung des Gros wildlebender Tiere und in der herausragenden Bedeutung der agroindustriellen Landwirtschaft für die soziale Reproduktion weltweit verschiedene Formen von Unterdrückung und Zerstörung kreuzen, kann das Mensch-Tier-Verhältnis als wesentliche Achse der um Emanzipation und Befreiung geführten Kämpfe verstanden werden. Mit dem Fokus auf Ausbeutung durch Arbeit hat die Mobilisierung gegen Tönnies den Blick auf einen wichtigen, in den mit Klimawandel und Tierausbeutung befaßten Bewegungen häufig unterschätzten Teil des Problems in den Blick genommen. Die Quintessenz einer Gegenposition gegen die verschiedenen damit angesprochenen Gewaltverhältnisse ist zweifellos antikapitalistisch. Sie berührt aber auch die Kämpfe gegen Kolonialismus, Rassismus, Speziesismus und Patriarchat, sie umfaßt migrantische, indigene, feministische und queere Bewegungen, sie betrifft die Verteidigung der Rechte auf Ernährungssouveränität, soziale Gleichheit, grenzüberschreitende Bewegungsfreiheit und selbstbestimmte Geschlechtlichkeit, sind die herrschenden Verhältnisse in Fabrik und Büro, in Staat und Militär, in Gesellschaft und Familie doch nach wie vor von patriarchaler weißer Dominanz geprägt. Auch wenn sich der Zusammenhang etwa von Tierausbeutung und sozialem Geschlecht nicht auf den ersten Blick erschließen mag, ist dieses Verhältnis in vielerlei Hinsicht virulent, wie etwa sexistische Ausfälle in der Produktwerbung zeigen, bei denen der maskuline Blick auf Frauen und Fleischkonsum in direkten Zusammenhang gebracht werden.

Im Sinne der Multidimensionalität dieses Gewaltverhältnisses ist es eher kontraproduktiv, die Praktiken der Schlachtfabrik Tönnies mit Begriffen wie "Schweinerei" und "Sauerei" zu beschreiben, werden die dort hauptsächlich getöteten Tiere doch damit auf doppelte Weise erniedrigt. Die Verwendung auf Tiere bezogener Schimpfworte und abwertender Begrifflichkeiten hat mit den damit genannten Lebewesen nichts und mit den Menschen, die diese Worte verwenden, alles zu tun. Schweine zum Beispiel sind sehr reinliche Tiere und werden nur durch die menschengemachten Enge, in der sie gehalten werden, dazu gezwungen, die von ihnen bevorzugte Distanz zwischen dem Platz, wo sie ihre Ausscheidungen lassen, und ihrem sonstigen Lebensraum aufzugeben. Tiere als Negativreferenz menschlicher Verhaltensweisen zu nutzen bestätigt ihre menschengemachte Erniedrigung, anstatt ihnen zumindest die Würde eines subjektiven Lebens zuzugestehen.

Wie in der Berichterstattung des Online-Mediums Oelder Anzeiger zu sehen [9], haben sich dem Protest in Rheda-Wiedenbrück viele TierrechtlerInnen angeschlossen. Um wirksamen Widerstand gegen die Machenschaften der Fleischindustrie zu entfalten, kann auf diesen Teil des Protestpotentials auf keinen Fall verzichtet werden. AktivistInnen, die ihren Kampf gegen Tierausbeutung mit sozialen Anliegen verbinden und sich gegen die Ausbeutung von ArbeitsmigrantInnen wenden, sind in der Tierrechtsbewegung eher dünn gesät. Die dort vorherrschende Tendenz, sich nur um die Rechte und Interessen gegen ihren Willen verbrauchter und getöteter Tiere zu kümmern, verkennt die starke Interdependenz der verschiedenen Gewaltverhältnisse. Was in der Tierrechtsbewegung auf den Begriff Total Liberation gebracht und in der Tradition schwarzer Feministinnen als Intersektionalität bezeichnet wird, sind ebenso relevante Konzepte zur Überwindung herrschender Gewaltverhältnisse wie diejenigen sozialrevolutionären und kommunistischen Ansätze, die sich kritisch mit dem Scheitern der revolutionären Linken auseinandersetzen und überlegen, wie mensch es besser machen kann. Die Vielfalt konkret zu bestimmender Schrittfolgen der Emanzipation ist alles andere als beliebig, wenn sie nur praktisch in Angriff genommen wird.


Rot-schwarze Fahnen und Transparent bei Aktion Freitag13 - Foto: © 2019 by Schattenblick

Stand von FAU und IWW beim Aktionstag gegen Tönnies in Hamburg-St. Pauli
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.tierrechtsgruppe-zh.ch/?p=4785

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0016.html

[3] https://arbeitsunrecht.de/wp-content/uploads/2019/09/190913_Rede-Werner-Ruegemer_System-Tonnies-Freitag13b_in-Teilen.pdf

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0115.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/medien/redakt/mrrz0036.html

[6] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1110.html

[7] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1193.html

[8] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1204.html

[9] https://oelder-anzeiger.de/demo-gegen-toennies/?fbclid=IwAR08gESUgFZXbhH7FTqzE5b585LNvYIdBBQtHitxul2f6msk8GEx1QIyjPY


17. September 2019


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