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INTERVIEW/002: Walter Herrmann - sozialer Aktivist und Initiator der Kölner Klagemauer (SB)


Interview mit Walter Herrmann am 13. Juli 2011 in Köln

Kölner Klagemauer vor Kölner Dom - © 2011 by Schattenblick

Aufbegehrender Basisaktivismus
vor klerikaler Suprematie
© 2011 by Schattenblick
Der Kölner Klagemauer für Frieden und Völkerverständigung ergeht es wie vielen Menschen und Gruppen in der Bundesrepublik, die sich für die Befreiung der Palästinenser vom israelischen Siedlerkolonialismus einsetzen. Das Antisemitismusstigma hat sich, völlig konträr zu seiner ursprünglich intendierten Verwendung gegen judenfeindlichen Rassenhaß, zu einem Mittel im politischen Kampf verselbständigt, das die Interessen der israelischen Regierung auf apologetische Weise umdeutet. Diese sich gerne ideologiekritisch gerierende - und damit um so demagogischer gegen die Interessen ausgebeuteter und unterdrückter Menschen zu Felde ziehende - Instrumentalisierung hat sich längst von den Grundlagen des Nahostkonflikts gelöst und richtet sich auch gegen Menschen, denen aus ihrem sozialen Anliegen ein Strick gedreht werden soll. Die sich im Mikrokosmos dieses territorialen Konflikts abzeichnende Widerspruchslage zwischen einer weitgehend von äußerer Hilfe abhängigen, unter militärischer Besatzung respektive Belagerung lebenden Armutsbevölkerung und der weit besser gestellten, alle Freiheiten eines westlichen Staates in Anspruch nehmenden Zivilgesellschaft Israels wie der in beiden Kollektiven vorhandene Antagonismus zwischen Oligarchie und erwerbsabhängiger Bevölkerung greift auf das ideologische Schlachtfeld der bundesrepublikanischen Metropolengesellschaft über und stabilisiert dort die Hegemonie des Kapitals, das liberale Freiheiten propagiert und die Herrschaft seiner Verwertungsordnung meint.

Wenn der Antisemitismusvorwurf, wie es im Falle der Kölner Klagemauer geschieht, dazu dient, eine mißliebige Form des sozialen Widerstands mit einem diskriminierenden Gesinnungsverdacht zu überziehen, dann spricht die undifferenziert bezichtigende Weise, in der dies geschieht, für sich selbst. Die Virulenz, mit der linke Herrschafts-, Militarismus- und Kapitalismuskritik als potentiell antisemitisch stigmatisiert wird, bedarf des expliziten Nachweises der Gültigkeit dieses Anwurfs nicht. Kulturindustriell und symbolpolitisch in Stellung gebracht wird die Deutungsmacht des hegemonialen Blocks aus Kapitalinteressen und Staatsgewalt gegen die verbliebenen Reste einer Linken, die immer mehr Angriffsfläche dafür bietet, den zutiefst gerechtfertigten Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung gegen sich selbst zu kehren, um zuguterletzt ihren Frieden mit Staat, Kapital und Nation zu machen.

Wo ausschließlich mit Wort und Bild operierender Widerstand mundtot gemacht werden soll, hat man sich von demokratischen Gepflogenheiten verabschiedet und dem kalten Vollzug des Gewaltprimats zugewendet. Diese Bedrohung friedlicher Streitkultur durch eine Form doktrinärer Gleichschaltung ruft allerdings auch Unmut unter AktvistInnen und BürgerInnen hervor, steht doch nichts geringeres als die Freiheit ihrer Stimme zur Disposition dominanter Interessen. So scheint der Aachener Friedenspreis, dessen friedenspolitische und antimilitaristische Positionierung sicherlich nicht wenigen in diesem Land ein Dorn im Auge ist, noch nicht gegenüber dem Vorwurf kapituliert zu haben, mit Walter Herrmann, dem Initiator der mit diesem Preis gewürdigten Kölner Klagemauer, einen angeblichen Antisemiten zu unterstützen [1]. In seinem Kampf um die Platane vor der Alten Feuerwache, einem Bürgerzentrum, bei dem aufgrund eines Bauprojektes die Befürchtung einer möglichen Gentrifizierung im Raum steht, hat Herrmann zumindest einen Teilerfolg errungen und die Bedrohung des riesigen Baumes wirksam publik gemacht. Zwar ist der Erhalt des dort für die Kölner Klagemauer angemieteten Lagerortes akut in Frage gestellt, doch das Verhalten des Vorstands des Bürgerzentrums gegenüber Herrmann und Mitstreitern wie Klaus Franke hat auch zu Solidaritätsbekundungen für diese geführt [2].

In einer Zeit angeblicher Facebook-Revolutionen mögen die Aktionsformen des 72jährigen Künstlers und Aktivisten antiquiert wirken. Vielleicht haben aber gerade die persönliche Begegnung und das freie Gespräch, die archaische Verwendung von Material und Text, Zukunft in einer Welt, deren Kommunikationsformen in ihrer elektronischen Virtualisierung immer abhängiger werden von hochentwickelten Infrastrukturen, die zu kontrollieren längst vordringliches Anliegen staatlicher wie privatwirtschaftlicher Akteure ist. Für die Vereinnahmung sozialen Widerstands durch gegenteilige Interessen gibt es zahlreiche Beispiele. Um die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Anliegens oder die Rückbesinnung darauf ist es eher schlecht bestellt. Die angeblich um Freiheit und Demokratie besorgten KritikerInnen der Kölner Klagemauer müßten sich schon einige Mühe geben, Walter Herrmann in dieser Hinsicht zu übertreffen, wie das Interview belegt, das er dem Schattenblick gegeben hat.

Walter Herrmann - © 2011 by Schattenblick

Walter Herrmann
© 2011 by Schattenblick

Schattenblick: Walter, aus welchem Anlaß stehst du jetzt vor der Alten Feuerwache, wogegen richtet sich dein Protest?

Walter Herrmann: Wir haben ja unsere Räumlichkeiten in diesem Bereich, wo ein Neubau entstehen soll, das Pförtnerhäuschen und die Lagerhalle, wo wir z.B. das hölzerne Pferd untergebracht haben und verschiedene andere Sachen für die Klagemauer. Das Pförtnerhäuschen brauchen wir für unsere Aktion auf der Domplatte unbedingt, da haben wir das notwendige Material, auch Decken und andere Sachen für die Obdachlosen. Die Aktion für die Obdachlosen hat für uns einen hohen Rang. Es fing ja auch mit der Klagemauer zur Wohnungsnot an. Wenn man uns das wegnimmt, ist nicht nur die Kölner Klagemauer auf der Domplatte gefährdet, sondern auch Juttas Suppenküche auf der Domplatte, die es schon seit 14 Jahren gibt.

SB: Welche Rolle spielst du bei dieser Suppenküche?

WH: Ich habe die Frau, die das macht, zufällig getroffen. Nachdem die Kölner Klagemauer 1996 auf der Domplatte abgeräumt worden war, demonstrierte ich mit einem Schild in der Schildergasse, auf dem "Kaltes Köln - nicht mal eine Wärmestube" zu lesen war. Dort kam zufällig Frau Jutta Schulte vorbei, die ein Restaurant in Wesseling in der Nähe von Köln hatte. Wir unterhielten uns über die Situation der Obdachlosen und was man für sie tun kann. Unsere Idee war damals, ein älteres Schiff auf dem Rhein anzumieten, das sich als Nachtcafé und Wärmestube nutzen ließ. Später entwickelte sich daraus die Initiative für das Gulliver, eine Überlebensstation für Obdachlose am Bahnhof, die unter einem Brückenbogen eingerichtet wurde. Mit denen stehen wir nach wie vor in bestem Kontakt. Sie helfen auch mit bei unserer Aktion auf der Domplatte mit der Suppenküche von Jutta für die Obdachlosen, die alle zwei Wochen stattfindet. Zunächst jeden zweiten Sonntag, inzwischen jeden zweiten Freitag, und zwar regelmäßig seit 14 Jahre. Ich übernehme ein Stück des Weges für den Transport der Suppe, das ist ein 60-Liter-Suppentopf, und habe zusätzlich noch eine Installation, um auf diese Aktion aufmerksam zu machen.

SB: Macht es die Obdachlosenpolitik der Stadt Köln nach wie vor erforderlich, daß sich Privatinitiativen um die Menschen kümmern müssen?

WH: Ja. Die haben zwar ein Obdachlosenasyl in der Graf-Adolf-Straße, und ich habe auch selber da verschiedene Male übernachtet. Aber es ist einfach katastrophal, wenn man in einem Raum mit zehn oder vierzehn Leuten eingepfercht ist, und unten an der Tür nur ein Wärter steht. Wenn Randale ist oder man beklaut wird, hat man niemanden, den man ansprechen kann, um seine Sachen zu schützen. Das ist auch der Grund, warum so viele Obdachlose diese Möglichkeit nicht wahrnehmen. Aber die Stadt macht geltend, ein Angebot für Obdachlose zu haben, wo sie, geschützt gegen Regen und Wind, unterkommen können. Doch das ist nur vorgeschoben. Fakt ist, daß andere Städte auch keine ansprechenden Angebote für die Obdachlosen haben. Wenn sie etwas Gutes für die Obdachlosen tun, so befürchten sie, daß diese aus anderen Städten kommen, um das Angebot wahrzunehmen. Wir sind der Meinung, daß man andere Möglichkeiten finden muß. Das wichtigste ist eine Art Wärmestube vor allem in der Winterzeit.

Es war auch Winter, als ich Jutta Schulte getroffen habe. Sie hat dann gesagt, da sie ein Restaurant besitzt, kann sie ja Obdachlosen Essen anbieten. Wir haben uns auf die Domplatte verständigt, weil zu diesem Zeitpunkt, nachdem die Kölner Klagemauer geräumt worden war, ein Treffpunkt für die Obdachlosen fehlte, zumal diese systematisch aus der Umgebung des Doms vertrieben wurden. Das war nicht gerechtfertigt. Diejenigen, die wie Obdachlose aussahen, mußten ihre Ausweise zeigen und bekamen dann gesagt: "Heute will ich dich nicht mehr sehen", einfach so, und die Obdachlosen konnten sich nicht dagegen wehren. Dann haben wir erst recht ausgemacht, die Suppe auf der Domplatte zu verteilen und es darauf ankommen zu lassen. Das war Weihnachten 1996.

Als wir im Januar damit anfingen, war natürlich das Ordnungsamt schnell zur Stelle. Sie wollten uns den Suppentopf wegnehmen. Das war schon eine krasse Geschichte. Die Leute auf der Domplatte, Touristen und andere, fanden das unmöglich, daß man den Obdachlosen die Suppe wegnimmt. Wir fragten: "Was wollt ihr mit den 60 Litern Suppe im Ordnungsamt? Wollt ihr die alle auslöffeln?" Tatsächlich haben sie sich ein bißchen geschämt, weil die Leute sie fotografiert haben. Dann haben sie den Suppentopf doch stehenlassen. Für diesmal war es dann geregelt. Aber als das nächste Mal wieder die Suppenküche anstand, waren die Leute vom Ordnungsamt samt ihrem Abteilungsleiter wieder zur Stelle, und die Polizei hatten sie auch dabei. Aber wir haben das wieder so hinbekommen, daß wir sie beschämt und die Passanten sich eingemischt haben: "Was wollt ihr denn hier? Das sind arme Leute, ihr gönnt denen nicht mal die Suppe! Was ist denn Köln für ein Laden?" Ja, und dann ließen sie es bleiben, und seitdem können wir auf der Domplatte Suppe ausschenken.

SB: Du sollst nun dein Pförtnerhäuschen verlassen. Auf welcher Grundlage wird diese Forderung erhoben? Wurde dir der Vertrag gekündigt?

WH: Ja, wir haben vor zehn Jahren einen Mietvertrag gemacht für das Pförtnerhäuschen. Da sind Kärtchen von der Klagemauer und andere Materialien untergestellt, die für die Klagemauer notwendig sind, und eben Sachen für Obdachlose wie Kleider, Isomatten, Schlafsäcke und dergleichen. Das Pförtnerhäuschen ist für uns unverzichtbar. Im Mietvertrag steht, daß man monatlich von der Feuerwache aus kündigen kann und keine Gründe dafür angeben muß. Diese Kündigung kann man dennoch als Repressalie ansehen, denn sie erfolgt im Zusammenhang mit meinem Engagement gegen ein 6,5 Millionen teures Bauprojekt auf dem Gelände der Alten Feuerwache. Das betrifft auch den Bereich, wo wir unser Pförtnerhäuschen haben, und die Lagerhalle, wo z.B. das hölzerne Pferd steht, mit dem wir viele Aktionen für die Obdachlosen gemacht haben. Das wäre praktisch das vorläufige Ende der Klagemauer, wenn es so geschähe.

SB: Du vermutet also andere Motive. Euer Protest ist sozial gerechtfertigt, aber juristisch befindet ihr euch in einer schlechten Position?

WH: Ja, wir müssen das politisch irgendwie durchkämpfen, und es gibt viele Sympathien für unsere Sache. Viele, die die Klagemauer kennen, schätzen sie auch. Wir haben mit der Klagemauer verschiedene Themen aufgearbeitet. Ganz wichtig war unsere Aktion gegen den Verkauf der städtischen Wohnungen der DAG. Das waren 41.000 Wohnungen, die an einen Hedgefonds gehen sollten. Das dagegen gerichtete Bürgerbegehren ist aus formalen Gründen gescheitert. Die Leute hatten eigentlich schon aufgegeben. Dann haben wir von der Klagemauer richtig Dampf gemacht in der Schildergasse, waren Tag für Tag dort mit unserer Installation, sammelten Unterschriften und klärten die Leute darüber auf, für welchen Spottpreis dieser Hedgefonds die Wohnungen bekommen sollte. Diese Aktion machte auch Leute auf das Problem aufmerksam, die eigentlich mehr dem CDU-Lager zugehörten. Die ganze Sache mit dem Verkauf wurde von Rolf Bietmann von der CDU betrieben, und der hatte noch die FDP im Boot, die damals in Köln das Sagen im Rat hatte. Über ältere Leute, die guten Kontakt zur CDU hatten, erfuhr ich dann, daß einer der CDU-Ratsmitglieder nicht für den Verkauf stimmen wollte. Ich habe auch seinen Namen erfahren. Das habe ich dann dem Fraktionschef der SPD mitgeteilt und ihm vorgeschlagen, daß er im Rat eine geheime Abstimmung beantragen soll. Das hat er gemacht, und dann hat sich gezeigt, es war fifty-fifty. Derjenige, von dem ich wußte, hatte nicht zugestimmt. Und dann hatte Bietmann noch einmal alle seine Leute zu sich kommen lassen, weil er dachte, nun wäre alles geregelt, und hat vier Wochen später noch einmal zum gleichen Thema abstimmen lassen. Dabei ist das gleiche Ergebnis herausgekommen, und dadurch ist dieser Verkauf gescheitert.

Dann hatten wir, um die Situation der Obdachlosen ins Bewußtsein zu rufen, auf der Domplatte Bankhausen errichtet. Wir hatten von dem Pfarrer Franz Meurer schöne dicke, großflächige Kartons bekommen. Damit haben wir zusammen mit den Punks Hütten gebaut, auch kleinere Hütten für die Hunde. Ein Mädchen, das sehr kreativ war, hat die Hütten bemalt. Es standen zwölf solcher Hütten auf der Domplatte. Wir hatten das als Versammlung angemeldet, und das Amtsgericht hatte das für die Dauer von drei Wochen genehmigt. Also konnten die nicht so ohne weiteres räumen. Aber die Leute hatten mitbekommen, daß es Obdachlose gibt, wo doch die offizielle behördliche Linie lautet, Obdachlose gibt es gar nicht, die wären ja alle gut untergebracht. Und nun wurde das Gegenteil offensichtlich. Auf diese Weise haben wir um einen Bauwagenplatz gekämpft.

Auch das fand nach der Räumung der Klagemauer statt, als wir erneut das soziale Thema der Obdachlosigkeit aufgegriffen haben. Zusätzlich zur Klagemauer hatten wir auch den St. Martinszug der Obdachlosen kreiert. Den haben wir 13mal durchgezogen. Mein Mitkämpfer Konrad Höcker hatte dafür ein hölzernes Pferd gebaut, auf dem gut acht Kinder sitzen können. Das kann man ziehen. Es hat Rollen und ist ein schönes Teil, das in der Halle der Alten Feuerwache steht. Hin und wieder holen wir unser Protestpferd bei Protestaktionen heraus.

Das ging immer voraus. Kinder saßen darauf mit Lampions, und dann sind wir mit dem Pferd dorthin gezogen, wo die Obdachlosen systematisch vertrieben wurden: in die Einkaufszone und dann in die große Halle im Hauptbahnhof. Da fand immer die Schlußaktion statt. Klaus der Geiger mit seinen wilden Liedern, der aber auch Mozart spielte, war dabei, ein Anwalt hat mit seiner Geige mitgemacht. Das war eine irre Szene gewesen. Die Grauen Panther mit ihren Kerzen waren dabei, die Punks saßen mit ihren Hunden auf dem Boden, ein tolles Schauspiel. Das war 1998, nachdem wir den Aachener Friedenspreis bekommen hatten. Es kam mal vor, daß so viele Leute da waren, daß die Polizei ein Problem darin sah und behauptete, die Zugänge zur U-Bahn würden durch unsere Leute versperrt. Dann tauchten so viele Polizisten auf, daß uns ein bißchen mulmig wurde. Aber dann sahen wir auf der Anzeigetafel, wo die Züge aus Amsterdam, aus Wien usw. angekündigt werden, auch die Ankündigung unserer Aktion: "Wir grüßen den Martinszug der Obdachlosen." Konrad ging der Sache nach und fand heraus, daß jemand, der an den Computern arbeitete, aber Feierabend hatte und in der Halle war, fassungslos darüber war, was sich da entwickelte. Also sowohl die armen Teufel, die Punks und die Obdachlosen mit ihren Klamotten waren da, aber auch gutsituierte Leute, die auch etwas geboten bekamen. Es war ein Zusammenkommen verschiedener sozialer Schichten, und das hat ihn so fasziniert, wie er später erzählte, daß er einfach, ohne rückzufragen bei seinem Chef, hochgegangen war, um das im Computer einzugeben.

Dann hatten wir in einer Winterperiode immer am Freitag eine Aktion in der U-Bahn gemacht, wo die Obdachlosen ebenfalls herausgetrieben wurden. Wir waren dann mit dem Pferd und den Obdachlosen eingezogen. Ebenfalls dabei waren Vater Kreutzmann und Eva tom Moehlen, die Frau, die uns schon immer begleitet hat. Sie ist heute 93 Jahre alt, war also schon damals in einem höheren Alter und hätte die Mutter oder Großmutter der Polizisten sein können, die den Befehl hatten, uns rauszuschmeißen. Die Polizisten kamen herein, schauten, sahen diese alte Dame und diesen Pfarrer mit ihren Schlafsäcken zwischen den Obdachlosen und gingen den anderen Eingang wieder hoch. Ihr Einsatzleiter war uns eigentlich gewogen. Er teilte den KVB-Herren mit, daß sie uns bei dieser Witterung nicht rausschmeißen könnten. Daraufhin verständigte man sich darauf, den Obdachlosen die Möglichkeit anzubieten, auf der Zwischenetage zu lagern. Aber dann hat die KVB hinterhältigerweise alles mit Wasser naßgespritzt. Daraufhin intervenierte der Einsatzleiter und sagte, so gehe das nicht, da könnten ja Leute, die zur U-Bahn gehen, ausrutschen. Also wies er die KVB-Mitarbeiter an, innerhalb von zehn Minuten alles wieder trocken zu wischen. Und dann hatten wir einen guten Platz.

Die ganze Periode durch kamen wir immer mit dem Pferd, mit dem Karren mit Decken und dem Karren mit Proviant in dieses Lager. Wir trafen abends um 19 Uhr ein und blieben bis morgens 7 Uhr. Dann haben wir aufgeräumt. Manchmal hatten wir auch eine Dixi-Toilette mitgebracht. Das war eine spektakuläre Aktion. So etwas hatte Köln noch nie gesehen.

SB: Was hat dich dazu gebracht, für sozial unterprivilegierte und unterdrückte Menschen einzutreten?

WH: So weit ich mich erinnern kann, war ich immer auf Seiten der Schwächeren, derjenigen, denen schlimm zugesetzt wird und die wenig Möglichkeiten haben, sich zu wehren. Ich komme vom Land, und wir hatten Äcker. Einer dieser Äcker befand sich auf dem Gelände, das einst Florian Geyer gehörte, der die Bauern gegen den Erzbischof von Würzburg angeführt hatte. Die vielen Geschichten aus diesen Bauernkriegen formten die Identität meines Dorfes. Kein anderes Thema beherrschte die Leute so sehr wie die historischen Bauernkriege.

SB: Auch heute noch?

WH: Es gibt in der Geschichte des Dorfes nichts, was dem an Bedeutung gleichkommt. Florian Geyer gehörte zu den Rittern, hatte sich aber auf die Seite der Bauern geschlagen und wurde dann umgebracht. Das hatte schon starke Symbolkraft. Zur gleichen Zeit lebte Tilman Riemenschneider in Würzburg, der war Ratsherr und stand auch auf Seiten der Bauern, was ihm der Erzbischof von Würzburg übel anrechnete. Er ließ ihm die Arme brechen. Riemenschneider wurde gequält und gefoltert. Ich war auf einem Gymnasium in Würzburg, das seinen Namen trägt. Einen Künstler dieser Art findet man selten. Er hat mich sehr beeindruckt. Ich denke, daß von da der Weg für mich ungefähr klar war.

Walter Herrmann - © 2011 by Schattenblick

Zum Rebellen wird man nicht geboren
© 2011 by Schattenblick
Ich schloß das Gymnasium ab, machte eine Lehrerausbildung und arbeitete in diesem Beruf. Aber das hat mich nicht befriedigt. Als dann die Studentenbewegung in Gang kam, zog ich nach Köln und studierte Psychologie und Soziologie. Ich gründete an der Uni die Basisgruppe Psychologie. Wir beschäftigten uns mit Erziehungsheimen, insbesondere mit dem Erlenhof in der Nähe von Köln. Das war ein ziemlich repressives Heim, in das Jugendliche kamen, die auffällig geworden waren und dort sehr eingeschränkt und unterdrückt wurden. Daher liefen immer wieder einige Heimzöglinge weg. Wir hatten eine Aktion "Erlenhof" gemacht, woraufhin viele Jugendliche dort verschwanden und dann natürlich in Köln auftauchten. Es war dann meine Aufgabe, für sie Unterkünfte zu besorgen. Über das Studentenparlament hatte ich dann auch die Mittel bekommen für ein Behelfshaus in der Nähe der Universität, das als Kontaktzentrum für entwichene Jugendliche diente. Wir hatten mehrere Räume, auch eine Art Büro und einen schönen Aufenthaltsraum, den die Jugendlichen selbst gestaltet hatten. Ich habe dann Siebdruckgeräte besorgt, mit denen wir gemeinsam Plakate produzierten, so daß die Jugendlichen eine schöne Beschäftigung hatten. Es war eine sehr anstrengende Zeit, weil ich immer wieder versuchen mußte, die Leute unterzubringen. Ich war dann einer derjenigen gewesen, die die SSK, die Sozialistische Selbsthilfe Köln, gründeten. Wir besetzten Häuser, und ich war bei der ersten Häuserbesetzung in Köln dabei.

SB: In welchem Jahr war das?

WH: Das war 1970 in der Kwatta-Fabrik in Ehrenfeld in der Roschstraße 16. Wir nannten uns deswegen auch Aktiv R 16. Die Räume standen leer. Es waren nur Sachen vom Schauspielhaus untergebracht, und so zogen wir dort ein und hatten auch einen guten Kontakt zur Bevölkerung. Dies trug dazu bei, daß die Räumung nicht gleich vollzogen wurde. Damals gab es mehrere Hausbesetzungen, und die Polizei war noch nicht so darauf eingestellt. Heute ginge das nicht mehr so. Der SSK hat dann in der Liebigstraße ein Haus besetzt und schließlich eines am Salierring. Dies gab uns mehr Möglichkeiten, die Leute unterzubringen. Das hat mich sehr lange beschäftigt, doch dann erlitt ich eine Wirbelsäulenerkrankung. Ich mußte mich mit Schwimmen usw. regenerieren und habe mich auch wieder gefangen.

Dann habe ich mich im Kunstbereich umgetan. Ich habe eine Freundin in Polen. Wir hatten damals vor, in Krakau, wo es uns sehr gut gefiel, künstlerisch zu arbeiten. Ich hatte an der Fachhochschule für Kunst und Design in der Mainzer Straße freie Malerei und textile Künste belegt. Ich habe an einem Hochwebstuhl frei gewebt - Landschaften und alles mögliche. Das hat mich irgendwie befriedigt. Zu dieser Zeit habe ich mich an der Stollwerck-Besetzung beteiligt. Ich arbeitete mit Siebdrucken und unterstützte die Szene, so gut ich konnte. Auf der Art Cologne habe ich Unterschriften gesammelt für den Annosaal, das war zunächst das Theater von Jürgen Flimm. Wolfgang Niedecken hat dort seine ersten Proben gemacht. Durch meine Recherche in der Uni habe ich erreicht, daß der Annosaal vom Landeskonservator zum Kulturdenkmal erklärt wurde. Ein Stollwerck-Bruder, der Techniker war, hatte für den damals sehr bekannten Männerchor Theobromina ein schönes Gewölbe in diesen Saal eingebaut. Aber dann hat der Stadtdirektor sich polnische Arbeiter besorgt, die die denkmalgeschützte Decke abgesägt und heruntergebrochen haben, so daß nur noch Geröll übrig blieb. Auf diese Weise wurde eine tolle Kunstszene in Stollwerck zerstört.

Nicht viel später fand die Episode mit der Zwangsräumung statt. Nach einem längeren Aufenthalt bei meiner Freundin in Polen stand ich bei meiner Rückkehr vor meiner gekündigten und zwangsgeräumten Wohnung. Der Zusammenhang war folgender: Neben der Wohnung war eine Kneipe, die spät in der Nacht noch Lärm machte. Ich sorgte dafür, daß sowohl das Ordnungsamt als auch das Amt für Umweltschutz zu später Stunde Lärmmessungen vornahmen. Festgestellt wurde, daß die Dezibel-Werte weit über das erlaubte Maß lagen. Daraufhin kürzte ich die Miete um 80 Mark und gab dieses Geld einem Freund, bei dem ich schlief, weil ich wegen des Krachs in meiner Wohnung nicht mehr übernachten konnte. Als ich weg war, kam die Kündigung. Laut dem Hausbesitzer hätte ich diese 80 Euro widerrechtlich einbehalten, aber das war zulässig. Wenn der Wert der Wohnung beeinträchtigt ist, kann man die Miete kürzen. Aber das hatte er nicht angegeben, sondern behauptet, ich wäre mit der Miete im Verzug gewesen, so daß er das Räumungsurteil gegen mich durchbekam.

Weil man damit rechnete, daß ich Widerstand leisten würde, hatte man mir den Termin nicht mitgeteilt. Auf Betreiben des Wohnungsamts wurde alles, was ich in der Wohnung hatte, geräumt. Ich habe nichts davon zurückbekommen, auch nicht die Briefe meiner Freundin, nichts. Das war ein ziemlicher Schlag für mich. Das war auch der Anlaß, eine Aktion gegen das Wohnungsamt zu machen. Ich habe dann im Wohnungsamt Kontakt aufgenommen mit Leuten, die vor der Zwangsräumung standen oder schon geräumt waren, und hab dann mit Freunden versucht, Zwangsräumungen zu verhindern. Wir gingen zu den Terminen und bestanden darauf, die Räumung nicht zu vollziehen, was manchmal auch erfolgreich war. Dazu hatten wir die Presse eingeschaltet. Ich verteilte dann jeden Donnerstagabend vor dem Wohnungsamt Flugblätter, auf denen ich anhand eines konkreten Falls darlegte, wie die Mieter vom Wohnungsamt reingelegt worden waren und die Zwangsräumung vollzogen wurde. Das war auch eine sehr wichtige Aktion.

Dann habe ich mir zu meinem 50. Geburtstag erlaubt, im Wohnungsamt eine Wohnung zu nehmen. Das lief folgendermaßen ab: Ich war ja im SSK damals, und zusammen mit Klaus dem Geiger, der Straßenmusik machte und auch bei politischen Protesten immer zugegen war, kündigten wir eine "Wohnungsnahme im Wohnungsamt" an. Die Polizei war schon ringsherum aufgestellt, aber es gelang uns trotzdem, verschiedenes hochzutragen, zum Beispiel Kleister, Eimer, Tapetenrollen und Möbelstücke usw. (lacht) Mit diesen Sachen gestalteten wir einen Warteraum zu einem Wohnzimmer um, zu einer schön tapezierten Musterwohnung. Da war auch die Presse anwesend. Es war ein super Fest gewesen. Wir hatten auch Körbe mit Proviant und Getränken dabei, mit denen wir die Leute, die im Korridor warteten, versorgten. Es war sehr schön. Eine Mitarbeiterin vom Wohnungsamt, die den Raum neben diesem Wartesaal hatte und gerade mit ihrem Freund telefonierte, machte die Tür einen Spalt auf und hielt den Hörer rein, als Klaus der Geiger gerade spielte (lacht), um zu zeigen, was für eine Superstimmung dort herrschte.

Vorher war noch der Chef des Wohnungsamtes mit den Polizeioberen gekommen, um uns klarzumachen, daß in zehn Minuten Schluß wäre und wir gehen müßten. Aber weil Presse da war und wir lustig weitermachten, hatten sie keine Chance gegen uns. Man hatte sogar später noch Hemmungen, uns zu räumen. Diese Wohnung bestand drei Wochen lang, und der Amtsleiter hat uns angeboten, die Sachen abzuholen. Ja, das war zu meinem 50. Geburtstag. Den mußte ich feiern, und das ist dort geschehen (lacht).

SB: Du stehst politisch links und warst in linken Zusammenhängen tätig. Warst Du je parteigebunden oder anderweitig organisiert?

WH: Die K-Gruppen kamen ja erst später. Damals war es hauptsächlich der SDS, der einen breiter Protest organisierte. Ich habe mich weniger in Hörsälen aufgehalten und statt dessen lieber die Basisgruppe Psychologie gegründet. Wir wollten mit Jugendlichen arbeiten und sie sozialpädagogisch betreuen, wofür man auch psychologisches Geschick benötigt, das wir dadurch erlernten. Es war ein wichtiges Thema für uns, mit sehr viel praktischer Arbeit verbunden.

SB: Habt ihr psychische Schädigungen in einen gesellschaftlichen Zusammenhang gebracht, also eine Form von Herrschaftskritik geübt?

WH: Ja, natürlich, gegen die Erziehungsheime, die diese Unterdrückungsmethoden anwandten. Das hat ja dazu geführt, daß Wohngemeinschaften gebildet wurden, um eine Alternative zu schaffen. Auch denjenigen, die in der Kwatta-Fabrik einzogen, wurde später eine Wohngemeinschaft angeboten. Wir setzten uns dafür ein, diese Erziehungsheime abzuschaffen und dafür mehr Wohngemeinschaften zu gründen. Dazu haben wir sicher einen wichtigen Beitrag geleistet. Ich war immer ein Praktiker, das Theoretisieren war nicht meine Sache. Das habe ich anderen überlassen. Ich war z.B. bei der Vietnam-Konferenz in Berlin, wo Rudi Dutschke und andere redeten. Das hat uns natürlich einen Schub gegeben in der Gesellschaftskritik. Aber ich habe mich dann immer wieder für die praktische Arbeit an der Basis entschieden, wo ich sehen konnte, was ich hinkriege, und Entwicklungen erfolgten, auf die ich mich stützen konnte. Irgendwie brauchte ich das auch.

So habe ich nach wie vor, nicht nur wegen der Suppenküche, alle zwei Wochen auf der Domplatte sehr viel Kontakt zu den Obdachlosen. Wenn sie mich irgendwo sehen, sprechen sie mich an, und ich kann dann dazu beitragen, ihre Situation zu verändern. Ich war selbst in der Situation, auf der Straße leben zu müssen. Nach der Räumung meiner Wohnung in der Südstadt lag ich zwei Jahre auf der Straße. Ich hatte ein Fahrrad und übernachtete meistens in einem Park. Also ich weiß sehr genau, wie es ist, auf der Straße zu leben. Das hat mir auch eine gewisse Autorität bei den Obdachlosen verschafft.

Das Eintreten für die Armen ist heute und in Zukunft eine wichtige Basis für die Kölner Klagemauer. 1992 war der französische Priester Abbé Pierre bei uns, der in der Résistance gekämpft und sich dann für die Obdachlosen eingesetzt hatte. Dieses Engagement führte zur Gründung der Emmaus-Gemeinschaft. Den Karton, den er bei uns an der Klagemauer beschrieben hat, haben wir als Transparent aufgehängt, damit jeder weiß, was die Klagemauer ist und was sie will: "Überall zuerst den Schwächsten oder denen, die am meisten leiden, zu dienen, das ist die Quelle jedes lebendigen Friedens". Und dazu hat er noch geschrieben "in der Familie, in der Stadt, auf der ganzen Welt". Das ist der Maßstab, an dem man uns messen kann.

Auch jetzt beim Thema Palästina und Israel stehen wir auf Seiten derer, denen die Rechte genommen werden, die sich nicht wehren können, wo die internationale Gemeinschaft zuschaut und alles zuläßt, was eigentlich jeden aufregen müßte. Es sind nur wenige mutig genug, um hier klar Position zu ergreifen, und diejenigen, die es tun, werden dann als Antisemiten beschimpft. Das ist eine Unverschämtheit.

Wir setzen uns für Frieden und Menschenrechte ein. Wenn die Menschenrechte nicht gewahrt werden, gibt es auch keinen Frieden, also müssen wir für die Menschenrechte aller kämpfen, ganz gleich, welcher Nation sie sind. Im Nahen Osten sind es im Moment die Palästinenser, denen furchtbares Unrecht geschieht. Das kann keiner abstreiten. Auch wenn wir jetzt so stark angegriffen werden, dürfen wir nicht aufgeben, sonst hätte die Israel-Lobby gewonnen.

Die erste Klagemauer - das war vor meiner Zwangsräumung und der Geschichte mit Stollwerck - bauten wir am Kaiser-Wilhelm-Ring auf, wo sich ein Park mit ganz phantastischen Bäumen, Linden und Platanen befand. Wir nannten das ganze Grundstück "Platania" und haben es besetzt. Klaus der Geiger war dabei und viele Freunde aus der 68er-Bewegung. Ein Herr Richard Blömer, damals ein Matador der CDU in Lindenthal, einem vornehmen Viertel in Köln, in dem er bei den Wahlen immer mit 60 Prozent abschnitt und stets ein Landtagsmandat bekam, machte einen Deal mit einem Möbelhaus. Das brauchte eine Tiefgarage für seine Kunden, und es war klar, daß die Bäume weg sollten. Unsere Besetzung sollte dies verhindern, aber bei Nacht und Nebel wurde alles mit Polizei umstellt, und eine Firma aus Holland fing damit an, einen Baum nach dem anderen abzusägen. Ich war mit anderen auf die Bäume geklettert, doch sie holten uns mit Leitern wieder herunter und sägten die ganze Nacht hindurch. Die Leute in der Gegend konnten wegen des Höllenlärms nicht schlafen. Als die Anwohner am Morgen heraus kamen, weinten sie, weil alle Bäume am Boden lagen.

Dann holte ich, ohne groß zu überlegen, aus einem Supermarkt Kartons und besorgte mir Tapetenmesser und Edding-Stifte. Ein türkisches Ehepaar, das am Kaiser-Wilhelm-Ring eine Bude betrieb, stellte mir Tisch und Stühle zur Verfügung. Dort schnitt ich Kartonteile zu, auf denen die Leute ihre Proteste schrieben. Die ganze Abzäunung wurde mit Kärtchen behängt, was immense Wirkung entfaltete. Bei der Wochen später durchgeführten Räumung brach man mir das Handgelenk, weil ich mich festgehalten hatte. Das war das Stichwort für die Klagemauer. Aber ich habe diese Aktion am Kaiser-Wilhelm-Ring nicht vergessen.

Drei, vier Monate später war Landtagswahl, und da habe ich es diesem Blömer besorgt. Ich ließ extra für die Wahlplakate mit seinem Porträt Streifen schneiden, auf denen auf schwarzem Grund mit weißer Schrift draufstand: "Dieser Kandidat gehört zu der Clique, die den Park am Kaiser-Wilhelm-Ring abholzen ließ." Diese schwarzen Streifen klebte ich ihm über die Augen auf seinen Plakaten, und zwar Nacht für Nacht. Ich war immer von zwei bis vier Uhr unterwegs mit meinem Fahrrad, hatte einen Eimer mit Kleister dabei und überklebte die Transparente. Er mußte ein eigenes Team besorgen, das dann wiederum meine Zettel überklebte. Das ging hin und her, und die Leute haben das genau mitgekommen. Bei der Landtagswahl stellte die SPD eine ganz unbekannte Frau auf, weil sie niemandem aus ihren Reihen eine Chance für ein Mandat in diesem Viertel zutraute. Blömer hatte sich auf der Landesliste auch nicht absichern lassen, weil er immer obenauf war. Als das Wahlergebnis bekannt wurde, kam das große Erwachen - er hatte mehr als zehn Prozent verloren, weswegen er kein Direktmandat bekam und aus dem Landtag herausflog. Ich bin manchmal eben sehr nachtragend (lacht).

Als ich auf der Straße lag, erinnerte ich mich daran und errichtete eine Klagemauer zur Wohnungsnot in der Schildergasse. Bei dem Brunnen vor dem Kaufhof sind Plätze, an denen ich Latten befestigte, dazwischen Kordel zog und Kartontäfelchen bereitstellte, auf denen die Passanten schreiben konnten. Wir ließen uns auch von der Aktion im Wohnungsamt inspirieren. Zunächst brachten wir mit der SSK Möbelstücke dorthin, um eine Wohnung zu symbolisieren. Wir hatten ein Transparent zwischen den Lampen über die Straße gehängt, auf dem "Wohnen ist Menschenrecht" stand. In dieser Zeit fing ich an, die Klagemauer um den Brunnen herum aufzubauen.

Sie wurde immer wieder vom Ordnungsamt geschleift, wobei sich die Beamten beeilen mußten, weil die Leute sich über diese Maßnahme empörten. Dabei verloren sie immer einen Teil unserer Utensilien, so daß wir gleich wieder weitermachen konnten. Diese Aktion führten wir zwei Jahre lang durch. Ich muß dazu noch sagen, daß wir mit der Klagemauer zur Wohnungsnot auch sechs Wochen in Bonn auf dem Münsterplatz standen, dann in Koblenz und in Leipzig, da war Klaus der Geiger dabei. Sie wurde sehr stark wahrgenommen, insbesondere in der damals noch existierenden DDR.

SB: Wart ihr mit der Klagemauer auch im Ausland?

WH: Ja, in Amsterdam, da waren wir sechs Wochen, und das war an sich die schönste Zeit mit der Klagemauer, weil wir so viel Unterstützung aus der Bevölkerung erhielten. Zuerst wurden wir zu Kirchentagen eingeladen, so in Leipzig bei der Nikolaikirche, in Frankfurt, Mainz usw. Dann wurden wir von einem Studenten in eine Stadt in den Niederlanden eingeladen. Es war nur für einen Tag, an dem es regnete. Als wir überlegten, ob wir wieder nach Köln zurückfahren, kam mir die Idee mit Amsterdam, dort war ich noch nie, also fuhren wir hin. Ich hatte auf dem Kirchentag eine Wohngemeinschaft aus dem Catholic Worker Movement kennengelernt. Bei ihnen konnten wir unsere Sachen lagern und von dort aus eine Klagemauer machen, an der sich ein Obdachloser mit dem Spitznamen Nachteule beteiligte. An einem schönen Platz vor dem Beginenhof am Spui bauten wir Wände mit Kärtchen auf, die wir aus Köln mitgenommen hatten.

Das mußte dem Stadthaus gemeldet worden sein, denn die schickten jemand, der uns aufforderte, die Aktion genehmigen zu lassen. Ich erklärte ihm, daß es um Frieden und Völkerverständigung geht, er könne sich das ansehen. Wenn er meinte, die Klagemauer müsse weg, dann könne er das selber machen, ich würde nichts abbauen. Das war der Anfang eines längeren Gesprächs, zu dem sich der Leiter der Offenen Tür vom Beginenhof gesellte, der uns zur Seite stand. Zwei weitere Leute von einer alternativen Zeitung und ein Ratsmitglied einer christlichen Partei beteiligten sich an dem Gespräch. Obwohl ich kein Holländisch verstand, merkte ich, daß es zu unseren Gunsten verlief. Der Mann vom Stadthaus machte dann keine Probleme mehr, aber am nächsten Tag sollten wir uns beim Chef seiner Behörde melden. Das hat dann die Franziskanische Friedensmacht übernommen, die wir von Köln aus kannten und deren Mitglieder immer freitags gegen die Banken demonstrierte. Damit war alles klar, wir konnten bleiben.

Wir erhielten viel Unterstützung von verschiedenen Seiten, doch als wir die Klagemauer auf dem Kunstmarkt aufbauten, der auf dem Spui abgehalten wurde, rief jemand nach der Polizei. Eine Polizistin und ein Polizist teilten mir mit, daß unsere Aktion nicht gestattet wäre. Ich meinte, es könne ja nicht groß stören, und ich hätte nicht vor, abzubauen. Dann wußten die jungen Beamten ersteinmal nicht, was sie machen sollten. Sie sagten, ich könne ja mit ihnen zum Polizeipräsidium gehen, um dies weiter zu besprechen. Ich wollte jedoch die Klagemauer nicht im Stich lassen (lacht). Dann machte der Polizist etwas sehr interessantes, er schloß ein Handgelenk von mir mit Handschellen an das Handgelenk seiner Kollegin. Wir saßen dann auf einer Bank wie ein frischvermähltes Pärchen (lacht). Dann kam ein höherer Polizeioffizier, der machte freundliche Stimmung, um die Sache einvernehmlich zu regeln. Er sagte, wir hätten nichts zu befürchten. Aber seine Chefin, die Polizeipräsidentin, würde gern mit mir sprechen. Ich begleitete ihn zum Präsidium, und die Polizeipräsidentin bewirtete mich mit Kaffee und Tee. Sie hatte schon im holländischen Fernsehen über unsere Aktion erfahren und wollte mehr darüber wissen. Was sie hörte, gefiel ihr. Abschließend bat sie mich, die Geschichte mit dem jungen Polizisten nicht publik zu machen, denn eine Kommission würde in zwei Wochen über seine Amtsführung beraten, und das wäre dann sehr ungünstig für ihn. Das sagte ich ihr zu, und danach hatten wir keine Probleme mehr in Holland. Das war 1998, im selben Jahr, in dem wir den Aachener Friedenspreis bekamen.

Klaus Franke und Walter Herrmann - © 2011 by Schattenblick

Klaus Franke und Walter Herrmann
© 2011 by Schattenblick

Manchen Menschen ist es unverständlich, wie sich die Klagemauer auf der Domplatte halten konnte. Wir hatten das Glück, daß der Kunstexperte Al Gorman Köln besuchte, um vom Museum Ludwig Bilder aus der Weimarer Zeit für die Ausstellung "Zwischen den Kriegen", die im Herbst 1991 in der Stadt Louisville in Kentucky stattfand, zu erhalten. Er war von der Klagemauer, die damals schon eine große Form hatte, fasziniert. Die vielen Texte, die die Leute gegen Krieg und für Völkerverständigung auf die Kartons geschrieben hatten, beeindruckten ihn. Er betrachtete dies als besonderes Beispiel für politische Kunst und organisierte in Louisville parallel zu der Ausstellung zur Weimarer Zeit eine Ausstellung "Neudeutsche Kunst" mit dem zentralen Thema der Kölner Klagemauer. Diese Klagemauer wurde in anderen Städte der USA präsentiert und dann von einer amerikanischen Friedensaktivistin weiterbetrieben.

Vor Fronleichnam 1991 wurde die Klagemauer das erste Mal vom Ordnungsamt geräumt. Fronleichnam ist hier ein hohes Fest, da durfte dieser Schandfleck nicht bestehen, und die Sache schien gestorben. Doch durch die offizielle Einladung aus den USA konnte die Stadt nicht anders, als uns die Sachen zurückzugeben und uns weitermachen zu lassen. So läßt sich erklären, daß die Klagemauer von 1991 bis 1996 trotz eines Prozesses von Staat und Kirche gegen uns, den wir verloren haben, in großer Form stehen konnte. Das haben wir praktisch Al Gorman zu verdanken, so haben uns viele Zufälle weitergeholfen. Dann war die Klagemauer im Bewußtsein der Leute verankert, und wir haben den Widerstand organisieren können, also immer wieder Klagemauer-Aktionen abgehalten. Wir haben verschiedene Aktionsformen gewählt, und das hat kein Ende genommen.

Als die Klagemauer geräumt worden war, wurde ein Beschluß im Hauptausschuß des Rates gefaßt, daß nichts mehr, was mit Klagemauer zu tun hat, auf der Domplatte erscheinen darf. Wenn ich nur mit einem Schild auftrat, auf dem stand, daß eine Klagemauer zur Demokratie gehört, oder wir Plakate wie "ein Dom ohne Klagemauer ist wie eine Kirche ohne Glauben" präsentierten, deren Text wir den Kärtchen, die die Leute geschrieben haben, entnahmen, bekam ich Platzverweis mit der Begründung, ich bräuchte dafür eine Sondernutzung, die ich natürlich nicht bekäme. Weil ich nicht freiwillig ging, schmiß die Polizei mich immer wieder in den Streifenwagen und nahm mein Schild weg. Das hat sich immer wiederholt, und ich habe den Leuten erklärt, daß das mit Demokratie nichts mehr zu tun hat. Das hat natürlich auch die Polizisten in Rage gebracht. Einmal brauchten sie dreizehn Streifenwagen, um Herr der Lage zu werden, weil sich viele Leute auf unserer Seite eingemischt hatten. Das steigerte sich, aber ich habe nicht aufgegeben.

Eines Tages hatten sie die Schnauze so voll von mir, daß sie nach meiner Festnahme ins Polizeipräsidium meldeten, jetzt kommt der Walter Herrmann, der hat einen von uns an der Hand verletzt, den könnt ihr jetzt einmal mit einem Empfangskomitee übernehmen. Dies gestaltete sich dann so, daß zwei Polizisten meine Arme nach hinten zogen und mich so aufstellten, daß ich nur auf Zehenspitzen in die Zelle gehen konnte. Dort schmissen sie mich auf den Boden, einer setzte sein Knie auf meinen Hinterkopf, verlagerte sein Gewicht darauf, bis mein Nasenbein brach und eine Blutlache entstand. Ich kam dann mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus. Dort hat mich Pfarrer Franz Meurer besucht und Fotos von meinem entstellten Gesicht gemacht. Franz Meurer ist ein Sozialangestellter, der in Köln sehr bekannt ist und gegen den auch der Kardinal nichts machen kann. Der ist eine Autorität und immer unser Unterstützer gewesen.

Das war praktisch die Wende. Die Leute vom Aachener Friedenspreis wandten sich dann an Amnesty International in London, die zwei Leute schickten, um eine Videoaufnahme mit meiner Aussage zu machen. Dann hat sich der Petitionsausschuß des Landtags mit meinem Fall beschäftigt. Die Vorsitzende des Petitionsausschusses, eine Politikerin der Grünen, vor der ich hohen Respekt habe, verlagerte die Sitzung ins Polizeipräsidium. Dort konnte ich einer großen Zahl von Leuten berichten, was vorgefallen ist. Sie sind mit mir in den Zellentrakt gegangen, um genau zu protokollieren, was dort geschah. In dem daraufhin verfaßten Bericht wurde festgestellt, daß die Polizei sich unmöglich verhalten hat.

Als ich in Bonn die Klagemauer zur Wohnungsnot aufgestellt hatte, lernte ich einen Politiker der SPD kennen, der Vorsitzender des Mietervereins von Bonn war und gleichzeitig im Innen- und im Justizausschuß des Landtages saß. Er war von der Klagemauer zur Wohnungsnot fasziniert und sorgte dafür, daß wir in die Presse kamen. Er war auch maßgeblich dafür verantwortlich, daß die Heinrich-Böll-Stiftung ein Buch über die Klagemauer herausgab. Außerdem leitete er im Landtag in die Wege, daß ein Bonner Polizeidirektor, der sich für Obdachlose eingesetzt hatte, den Kölner Polizeidirektor, der bisher in der Innenstadt das Sagen hatte, ersetzte. Die Linie war: Wir können uns nicht mehr leisten, daß in Köln so etwas abläuft. Es muß wieder ein liberalerer Geist herrschen. Köln hat durch diese Polizeieinsätze, die viel Aufsehen erregten, an Ansehen verloren. Es war ja stupide, so gegen mich zu verfahren, das hat dem Image der Stadt sehr geschadet. Daraufhin wurden im Landtag die Weichen für einen personellen Wechsel in der Polizeidirektion gestellt. Dem neuen Polizeidirektor ging es darum, das Verhältnis zwischen der Polizei und den Bürgern zu verbessern. Schließlich hat er der Klagemauer den Versammlungsstatus zugesprochen, was sehr mutig war, weil das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht gegen uns entschieden hatten. Bis dahin waren wir ja nur ein politischer Informationsstand, der braucht die Genehmigung der Stadt.

Zu dieser Zeit wurden wir von katholischer Seite nach Berlin zum Ökumenischen Kirchentag eingeladen. Man wollte die Klagemauer bei einem Podium zum Thema "Eine Welt Gerechtigkeit" dabei haben. Das lief auch sehr gut, aber ich war schon zuvor nach Berlin gekommen, um die Klagemauer dort zur Probe aufzubauen. Ich hatte das wie in Köln als Versammlung angemeldet, doch dies wurde vom Berliner Polizeipräsidenten abgewiesen. Wir sind dann trotzdem erschienen, daraufhin gab es einen Polizeieinsatz, der auch fotografiert wurde. Später mußten sie die dabei beschlagnahmten Sachen zurückgeben, weil die Kirchentagsleitung sich für uns verwendete. In einer Eilentscheidung hat dann eine Richterin zu unseren Gunsten entschieden, daß unsere Präsenz doch als Versammlung anzusehen wäre. Diese Entscheidung wurde am gleichen Tag auf Einspruch des Berliner Polizeipräsidenten durch das Oberverwaltungsgericht gekippt. Im Hauptsache-Verfahren, in dem das Verwaltungsgericht nicht gegen die Meinung des Oberverwaltungsgerichts angehen konnte, wurde ersteinmal dessen Meinung übernommen, also gegen uns entschieden. Das hat uns aber die Möglichkeit gegeben, höher zu gehen, ansonsten wäre es beim Oberverwaltungsgericht für uns zuende gewesen. Man gelangte zu dem Schluß, daß das im Grunde auf einer höheren Ebene politisch geklärt werden müsse. Auf diesem Weg hat uns dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Versammlungsstatus zugesprochen. Mit dieser großen Entscheidung, die auch für andere nützlich sein kann, wurde die Klagemauer legalisiert. Auf diese Weise hat etwas, das zunächst einmal zu unseren Ungunsten verlief, dann die Wendung zum Besseren gebracht.

SB: Wie kommt es deiner Ansicht zu der Kampagne, die seit einiger Zeit gegen die Klagemauer geführt wird?

WH: Ich bin der Ansicht, daß die israelische Regierung etwa wegen des Massakers 2008/2009, das unter dem Titel "Operation Gegossenes Blei" verübt wurde, in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden müßte. In anderen Fällen ist das geschehen - warum nicht in diesem Fall? Solange sie dafür nicht zur Verantwortung gezogen wird, kritisieren wir die israelische Regierung. Sie hat ja schon zuvor im Libanon ähnliches gemacht und hatte nie Sanktionen zu befürchten. Das darf nicht sein, es ist unser aller Aufgabe, dagegen etwas zu unternehmen, und ich bin da sehr konsequent. Solange nicht Anklage erhoben wird, solange dies durch das Veto der USA im Weltsicherheitsrat verhindert wird, solange sind wir aufgefordert, das zum Thema zu machen. Das lassen wir uns auch nicht wegnehmen.

Pförtnerhäuschen der Alten Feuerwache - © 2011 by Schattenblick

Kein Platz mehr für das Nachtasyl der Klagemauer
© 2011 by Schattenblick
Die Israel-Lobby kann es natürlich nicht fassen, daß diese Dinge hier auf der Domplatte gezeigt werden. In Israel sieht man solche Bilder nicht, und dann tut man so, als wären die israelischen Soldaten die moralischsten der Welt. Die israelischen Soldaten, die als Besucher kommen, sind dann auch ersteinmal fassungslos. Zudem hat der Bürgermeister von Tel Aviv, der Partnerstadt Kölns, vom hiesigen Oberbürgermeister verlangt, daß die Klagemauer verschwindet. Fakt ist, daß die Stadt dazu nicht die Möglichkeit hat, weil wir durch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Versammlungsstatus erhalten haben und wir keine Genehmigung der Stadt Köln brauchen. Und jetzt hat dieser Oberbürgermeister mit den Parteien und israelischen Lobbygruppen, da waren auch die Repräsentanten der katholischen und evangelischen Kirche dabei, einen runden Tisch gegen die Klagemauer inszeniert und eine Resolution losgelassen, als handelte es sich dabei um eine antisemitische Aktion.

Wir bringen natürlich Opferbilder, aber warum sollten wir die nicht bringen. Wir bringen aber auch Leute wie Daniel Barenboim, der Israel auch kritisiert, oder FriedensaktivistInnen wie Rachel Corrie, die sich in Rafah gegen den Abriß der palästinensischen Häuser einsetzte und einfach mit dem Bulldozer umgebracht wurde. Wir präsentieren eine Serie über jüdische Dichterinnen und haben viele Juden auf unserer Seite. Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Palästina gehört dazu, Evelyn Hecht-Galinski ist eine starke Unterstützerin, aber auch andere wie Felicia Langer und Reuven Moskowitz. Dann haben wir auch Stéphane Hessel als Unterstützer, der in der Résistance gegen die Nazis gekämpft hat, in KZs gefoltert wurde, später Botschafter Frankreichs in der Uno war, der letzte Überlebende des Gremiums, das mit der Erarbeitung der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen beauftragt wurde. Der 93jährige Hessel stellt sich voll hinter uns. Als er uns besuchte, schrieb er einen Text auf einen Karton, mit dem er daran erinnert, daß Israel seine Existenz der Uno verdankt. Aber was die Uno seit über 60 Jahren von Israel verlangt, ist seinen Regierungen völlig egal. Wenn sich ein solcher Mann mit dieser Geschichte hinter die Klagemauer stellt, dann müßte das eigentlich für alle anderen ein Zeichen sein, daß wir mit Antisemitismus und mit Nazis nichts zu tun haben.

SB: Welchen Einfluß übt die Kampagne gegen die Klagemauer auf die Situation hier in der Alten Feuerwache aus?

WH: Wir hätten diese Repressalien in der Sache mit dem Neubau nicht zu befürchten, doch jetzt werden wir zusätzlich von diesen Israel-Lobbyisten angegriffen. Da gibt es eine Gruppe in der Alten Feuerwache namens AK Antifa, die haben einen offenen Brief an den alten Vorstand gerichtet mit der Aufforderung, uns die Räume wegzunehmen, weil wir Antisemiten wären. Einer, der diese Gruppe in die Alte Feuerwache gebracht hat, sitzt ist jetzt im Vorstand. Man kann sich denken, daß es eine Rolle spielt, wenn wir als Antisemiten gebrandmarkt werden. Sie haben uns ja auch immer bespuckt auf der Domplatte, wenn wir dort für die Sache der Palästinenser eintraten, und haben unsere Plakate rausgerissen, das ist im Grunde genommen eine üble Bande. Dieses Vorstandsmitglied hat auch das Hausverbot gegen mich unterschrieben, so sieht man, wie die ganze Sache läuft.

SB: Bekommt ihr aus der Bevölkerung Zuspruch, kommen Leute, die sagen, daß du durchhalten sollst?

WH: Man braucht nur am Wochenende auf die Domplatte zu gehen. Das ist ja unser Schutz, daß so viele Leute auf unserer Seite stehen. Wenn welche kommen, die uns da ans Leder wollen, uns irgendetwas wegreißen wollen, zerstören wollen, brauchen wir nur mit der Trillerpfeife zu pfeifen. Da sind genügend Leute da, die denen klarmachen, daß sie das zu respektieren haben. Wir haben von der Bevölkerung her volle Unterstützung.

Konrad Höcker in memoriam - © 2011 by Schattenblick

Konrad Höcker in memoriam
© 2011 by Schattenblick
Ich möchte gerne an meinen Mitstreiter Konrad Höcker erinnern. Er war seit den frühen 90er Jahren, als wie die Mahnwache gegen den Irakkrieg gemacht haben, auf unwahrscheinliche Art und Weise mit von der Partie. Er ist derjenige, der das hölzerne Pferd gemacht hat, über das es viele Geschichten gibt. Er hat auch viele Kontakte zu anderen Unterstützern vermittelt. Konrad Höcker ist jetzt leider gestorben. Das letzte, was er geschrieben hat, war: "Jetzt müßt ihr ohne mich weitermachen." Daher ist es auch sein Vermächtnis, daß wir weitermachen. Er stand auch voll hinter unserem Eintreten für die Palästinenser. Ich werde natürlich das Thema Hiroshima/Nagasaki machen, wie immer am Hiroshima-Tag. Aber daß ich jetzt wegen dem Druck, der auf uns lastet, das Thema wechsele, das widerspricht meinem Rebellentum und meiner Selbstachtung. Ich lasse mir von anderen nicht vorschreiben, welches Thema ich mache.

Ich kann auch erklären, wie ich zum dem Thema Palästina gekommen bin. Ich lebe in einem Haus mit zwei Frauen, die der Gruppe "Frauen in Schwarz - Frauen für Frieden" angehören. Sie hatten zu einem Vortrag im Haus der evangelischen Kirche eingeladen, wo Faten Mukarker, eine christliche Palästinenserin aus Beit Jala bei Bethlehem, über die desolate Situation dort berichtet hat. Faten Mukarker ist eine ruhige Person, sie hat auch ein Buch über die bedrängte Lage in ihrer Heimat verfaßt. Bei ihrem Vortrag waren Personen im Publikum, die es darauf anlegten, ihr Schwierigkeiten zu bereiten. Diese Leute beriefen sich auf die Bibel und versuchten so, sie in die Defensive zu drängen. Als Faten Mukarker ruhig weiter berichtete, gingen die meisten, und es blieben nur wenige Zuhörer da. Die in Bethlehem aus Olivenholz geschnitzten Kunstwerke, die sie mitgebracht und ausgestellt hatte, um die Künstler zu unterstützen, wurden von diesem Publikum keines Blickes gewürdigt. Als ich dann sah, wie sie die Sachen zusammenpackte, habe ich mehrere Minuten einfach nur zugesehen. Das hat mich irgendwie einfach umgeworfen. Diese Ignoranz gegenüber einer Frau, die ganz alleine für ihre Sache eintritt, die sich so viel Mühe macht und alles in einer sehr friedlichen und ruhigen Form vorbringt. Sie wird einfach so an die Wand geschmissen, als wäre sie nichts, als hätte sie sich vom Acker zu machen. Dann ging ich einfach zu ihr hin und sagte, sie solle nicht denken, daß sie sich die Mühe umsonst gemacht hätte, ich würde das auf der Domplatte zum Thema machen. Drei Wochen später hatte ich dieses Thema, und ich bin weiterhin mit ihr in Kontakt, ich bleibe auch dabei. Das lasse ich mir von keinem sagen, daß dies Antisemitismus sei und daß ich jetzt ein anderes Thema nehmen sollte.

Ich hatte ja zunächst diese Kriege begleitet, angefangen beim Golfkrieg, dann Jugoslawienkrieg, dann Irak, Afghanistan, da hatte ich nicht so viel auszustehen. Aber wenn man hier in Deutschland Israel kritisiert für die schlimmen Dinge, die dort geschehen, dann wird man schnell in diese Ecke gestellt, wird angespuckt und geprügelt. Doch wenn man mich anspuckt und verprügelt, dann wird man nicht das erreichen, was man erreichen will, im Gegenteil, das weckt Kräfte in mir. Aus Selbstachtung gebe ich da nicht auf, und damit müssen die rechnen. Also an einer Sache beständig bleiben, das ist vielleicht etwas, was mich auszeichnet, wenn ich das so sagen kann. Nur so kann man etwas erreichen, steter Tropfen höhlt den Stein. Wenn ich nur einmal oder gelegentlich für die Palästinenser eingetreten wäre, hätte sich niemand groß drüber aufgeregt. Aber dadurch, daß ich das beständig mache, schlägt es hohe Wellen, die schon auf internationaler Ebene registriert werden. Aus Tel Aviv wird politischer Druck ausgeübt, im Internet wird gegen uns gehetzt. Und dann sagen wir, die Leute können sich das hier auf der Domplatte genau ansehen, und dann sollen sie sagen, was daran antisemitisch wäre. Allein um uns zu rechtfertigen, machen wir weiter. Auch wenn wir in der Alten Feuerwache verlieren sollten, können die sich nicht ausmalen, daß die Klagemauer auf der Domplatte mit dem Thema Palästina verschwindet, obwohl sie das erhoffen und Druck machen.

SB: Walter, ich bedanke mich für das lange Gespräch.

Fußnoten:

[1] http://www.az-web.de/artikel/1756926

[2] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16763

Zur Kölner Klagemauer siehe auch:

Schattenblick -> INFOPOOL -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> REPORT
BERICHT/002: Die "Kölner Klagemauer" im Abseits ideologischer Stigmatisierung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0002.html

Gefährdete Platane bei Alter Feuerwache - © 2011 by Schattenblic

Die Platane bleibt!
© 2011 by Schattenblick

22. Juli 2011