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INTERVIEW/080: Klimacamp trifft Degrowth - Geld kann nicht gegessen werden ...   Lyda Fernanda Forero im Gespräch (SB)


Die Bemessung der Natur zum Zwecke ihres Verbrauchs

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Lyda Fernanda Forero ist Ökonomin und widmet sich am Transnational Institute in Amsterdam, das soziale Bewegungen mit wissenschaftlichen und organisatorischen Mitteln unterstützt, im Programm Economic Justice, Corporate Power and Alternatives der Erforschung neuer Entwicklungen bei der Finanzialisierung und Kommodifizierung der Natur und des Lebens. In diesem Rahmen untersucht sie auch den Einfluß internationaler Handelsabkommen auf die gesellschaftliche Entwicklung. Sie stammt aus Kolumbien und hat an der Universidad Nacional de Colombia studiert und gelehrt. Der Schattenblick hatte Gelegenheit, Lyda Fernanda Forero im Anschluß an einen Vortrag auf dem Klimacamp im Rheinland einige Fragen zu stellen.


Beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Lyda Fernanda Forero
Foto: © 2015 by Schattenblick

Bei dieser morgendlichen Keynote Speech stand die Frage der Klimagerechtigkeit im Mittelpunkt. Dabei handelt es sich nicht um ein akademisches Konzept, vielmehr ist diese Forderung in den sozialen Bewegungen der Bauern, indigenen Bevölkerungen und Lohnabhängigen entstanden. Diese Menschen werden durch den Extraktivisismus großer Bergbaukonzerne und Energieunternehmen, also die Ausbeutung fossiler und mineralischer Rohstoffe vor allem in der Tagebauförderung, mit der Vertreibung von ihrem Land, der Zerstörung ihrer sozialen Beziehungen und ihres Verhältnisses zu der sie umgebenden Natur aufs nachhaltigste bedroht. Der Extraktivismus sei immanenter Bestandteil des globalen Welthandels und werde durch Freihandelsverträge gefördert. Obwohl Abbau und Transport der Rohstoffe sehr energieaufwendig sind und in den Ländern des Nordens einen Konsum anheizen, der in dieser Dimension gar nicht erforderlich sei, sorge das herrschende Produktions- und Verbrauchsmodell für das beharrliche Festhalten am Paradigma, der Mensch könne die Natur nach Belieben ausbeuten.

Dafür sei die Macht der großen Konzerne, so Forero, in erster Linie verantwortlich zu machen. Allerdings seien die Staaten daran beteiligt, daß die ökonomischen Gründe für die sozialökologische Krise nicht ausreichend wahrgenommen werden. So suche das Finanzkapital nach einem Ausweg aus der Krise, stehe dabei aber vor dem Problem, zumindest den Eindruck erwecken zu wollen, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Ein Ergebnis des Spagats zwischen Wachstumsprimat und Klimaschutz bestehe in der Schaffung von Karbonmärkten zur Finanzialisierung und Kommodifizierung der Natur. Die Natur zu bemessen und mit einem Preis zu versehen habe mit CO2-Emissionen begonnen und sei dann auf Biodiversität, Ozeane, Trinkwasserressourcen, Wälder und andere Ökosysteme übertragen worden.

Die Natur sei weder ein Handelsgut noch eine Dienstleistung. Dennoch werde sie zu einem Teil jenes Marktes gemacht, der die Krise verursacht hat. Dies führe zu sozialen und ökologischen Konflikten, zu Enteignungen und Menschenrechtsverletzungen. Forero spricht von einer Architektur der Straflosigkeit, die in der uneingeschränkten Verschmutzung der Natur, im Landgrabbing, in Enteignung und Vertreibung in Erscheinung trete. Ein Ausdruck davon sind auch Unternehmensprivilegien wie der Investor-to-State Dispute Settlement Mechanism, der dazu führen kann, daß Staaten Konzerne finanziell dafür entschädigen müssen, wenn sie ihre Investitionen etwa gegen den Widerstand einer Bevölkerung nicht durchsetzen können.

Aus Sicht Foreros stellt das 2012 auf der Konferenz Rio+20 entworfene Konzept der Green Economy den Versuch dar, den breiten Protest gegen Landgrabbing, Klimawandel und Ressourcenausbeutung einerseits zu beschwichtigen und andererseits in die eigenen Interessen einzubinden. Vor diesem Hintergrund hat die Veränderung des gesamten politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Systems unter dem Vorzeichen der Klimagerechtigkeit höchste Priorität. Nein zu sagen sei auf jeden Fall das Gebot der Stunde, selbst wenn man keine Alternativvorschläge machen könne, denn Widerstand zu leisten sei für sich selbst genommen bereits eine Alternative. Wenn die Menschen begreifen, was die Kohleförderung im Rheinischen Braunkohlerevier mit der Kohleförderung in Kolumbien zu tun hat und die Extraktion von Mineralien in anderen Teilen der Welt davon nicht zu trennen sei, dann könne der Widerstand gegen den Extraktivismus auch zur Basis einer Veränderung des politischen Systems werden.

Die Referentin stellte im Namen der vom Extraktivismus betroffenen Gemeinschaften und Gruppen nicht verhandelbare Forderungen auf: Die Souveränität des eigenen Territoriums schützen, denn der Tausch eines Platzes gegen einen anderen, wie er bei Umsiedlungen vollzogen wird, zerstöre die kulturellen Beziehungen zum Land und stelle einen folgenschweren Verlust dar. Ernährungssouveränität herstellen, denn diese zentrale Forderung der Internationalen Bauernorganisation Via Campesina diene auch der Beschränkung des Klimawandels. Forero unterstrich, daß es keiner agroindustriellen Produktion bedürfe, um die Menschheit zu ernähren und gleichzeitig klimaschädliche Emissionen zu reduzieren, als vielmehr der Stärkung kleinbäuerlicher Wirtschaftsweisen und gemeinschaftlicher Lebensformen.

Energiesouveränität wiederum bedeute, daß die fossile Energie im Boden bleibt und erneuerbare Energien gemeinschaftlich erzeugt und organisiert werden. An die Stelle der Produktion erneuerbarer Energien durch große Energiekonzerne soll die selbstbestimmte Produktion von Energie treten. Im Kontext des Kampfes gegen die patriarchalischen Strukturen des Systems gelte es, einer feministischen Ökonomie eine breitere gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. Im gleichen Schritt, wie Frauen Geschlechtergerechtigkeit durchsetzen, werden sie bei der Überwindung des patriarchalen Systems auch neue systemische Lösungen für ökologische Nachhaltigkeit entwickeln.

Gerade weil sich soziale und ökologische Gerechtigkeit aus verschiedenen Perspektiven realisieren ließe, seien keine weltweit gültigen Lösungskonzepte nötig. Wichtig sei dagegen, den Austausch der Ideen zu fördern und von anderen zu lernen, ließe sich auf diesem Weg doch entdecken, daß die unterschiedlichen Wertevorstellungen und Rechtskonzepte letzten Endes wieder zu gemeinsamen Werten und Perspektiven zurückführen. Viele Menschen im globalen Süden lehnten die ihnen auferlegten Entwicklungskonzepte des Nordens jedoch ab, aber gleichzeitig seien Alternativen zum Kapitalismus angesichts der immer drängenderen Zeit von essentieller Notwendigkeit. Das Konzept des Degrowth könnte dabei ein wertvolles Bindeglied werden im Kampf der Menschheit für eine ungeteilte Zukunft, so Forero, die allerdings die Frage aufwarf, wie es dessen Protagonisten mit den gesellschaftlichen Machtverhältnissen halten.


Lyda Fernanda Forero im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Mit dem Blick für das Wesentliche
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Forero, kritisieren Sie die Bemessung der Natur grundsätzlich oder lediglich in der Funktion, Natur in Wert zu setzen?

Lyda Fernanda Forero (LFF): Es ist beides. Sie können Natur nicht messen. Wie ließe sich zum Beispiel der Wert des Bestäubens einer Pflanze durch eine Biene bestimmen? Wer wollte sagen, wie viel Leben Wasser erzeugt? Es ist nicht zu bemessen. Die Absicht, natürliche Prozesse in Zahlen zu fassen, ist der Versuch, ein sehr komplexes System zu vereinfachen. Zu diesem Zweck wird die Natur von der Gesellschaft isoliert und ihrer Beziehung zum Menschen enthoben, obwohl es unmöglich ist, beides voneinander zu trennen. Erschwerend kommt hinzu, daß man ihr einen Preis gibt und sie zur Ware macht, um mit ihr Handel zu treiben. Indem man ihr einen Geldwert zuschreibt, wird ihre Käuflichkeit und Ersetzbarkeit unterstellt. Das macht keinen Sinn, denn das bereits Zerstörte kann nicht ersetzt werden.

Das ist unsere Kritik an der Inwertsetzung der Natur. Kohlenstoff ist ein Beispiel dafür. Indem man davon ausgeht, daß CO2 bemeßbar und damit äquivalent zu anderen Treibhausgasen ist, wird dies in Geldwert übersetzt. Es ist aber lediglich ein Weg, sich die Erlaubnis für weitere klimaschädliche Emissionen zu verschaffen, anstatt die Ursache für die Emissionen zu beseitigen.

SB: Ist Ihre radikale Kritik in indigenen Gemeinschaften entstanden, die einen anderen Umgang mit der Natur pflegen oder sich ohnehin als nicht von ihr getrennt verstehen?

LFF: Sie kommt nicht nur von den Indigenen her, sondern wurde in sozialen Bewegungen diskutiert, denen allerdings indigene Gruppen und lokale Gemeinschaften in Land und Stadt angehören. Ja, sie ist in traditionellen Kosmologien verwurzelt, aber nicht nur durch sie bedingt.

SB: Karl Marx sprach bereits davon, daß man ein Arbeitsprodukt nicht mit dem anderen gleichsetzen könne. Spielt der Marxismus für Ihre Theorie eine Rolle?

LFF: Es ist nicht meine Theorie, sondern sie entspringt einer kollektiven Diskussion. Es geht um die Basis des Marktes, und das lange vor Marx. Wenn man in der Lage sein will, verschiedene Güter zu handeln, braucht man einen gemeinsamen Maßstab, und daraus entstanden Geld und Währung. Jetzt werden jedoch Waren geschaffen, die überhaupt keine Waren sind und für die keine Arbeit geleistet wurde. Man schafft keinen Mehrwert, wenn man die Natur zur Dienstleistung erklärt, um damit Handel zu treiben, weil überhaupt keine Arbeit drinsteckt.

Ich halte es für eine irreführende Debatte, wenn man Äquivalente zur Natur schafft. Indem Konzerne die Natur finanzialisieren und kommodifizieren, treiben sie das Landgrabbing voran. Für die Strategie dieser Landnahme entwickeln sie Instrumente und Mechanismen, um die betroffenen Gemeinschaften von ihrem Anliegen zu überzeugen. Ein wesentliches Instrument dafür ist Corporate Social Responsibility (CSR). Mit diesem Konzept wird der Eindruck erweckt, es ginge um die Interessen der Betroffenen. Tatsächlich geht es darum, die Gemeinschaften zu spalten und das Land zu übernehmen.

SB: Wird in den sozialökologischen Bewegungen Lateinamerikas der Versuch unternommen, einen Rechtsanspruch für die Natur geltend zu machen?

LFF: Die Idee von Mutter Erde wird insbesondere in den Anden-Ländern verfolgt, in erster Linie in Ecuador und Bolivien. Im wesentlichen geht es darum, daß Mutter Erde als Entität Rechte zukommen. Diese sind zu respektieren, und wer sie verletzt, wird zur Rechenschaft gezogen. Wie schwierig das Ganze ist, zeigt sich schon darin, daß die Frage, wer diese Rechte im Namen der Natur einklagen soll, ungeklärt ist. Mit diesem Konzept wird der Natur natürlich eine Art menschlicher Rahmen gegeben.

SB: Üben Sie auch Kritik an Biodiversitäts-Offsets oder dem Projekt Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation (REDD)?

LFF: Ja, aus derselben Perspektive, weil es sich um Mechanismen handelt, die der Kommodifizierung der Natur dienen und zur gleichen Zeit den Zugriff auf das Land vertiefen. REDD ist der Versuch, das Aufnahmevermögen der Wälder für CO2 in eine Dienstleistung zu verwandeln, was nicht möglich ist. Darüber hinaus wird in diesem Rahmen unterstellt, daß Kommunen dafür bezahlt werden, wenn sie sich um die Wälder kümmern. Tatsächlich jedoch wurden die Menschen in einigen REDD-Pilotprojekten dazu genötigt, ihr angestammtes Territorium zu verlassen. Die Idee hinter REDD besteht nicht darin, die Wälder zu erhalten, sondern es wird Geld dafür bereitgestellt, wenn Entwaldung verhindert wird. Damit fließt das Geld an diejenigen, die für die Entwaldung verantwortlich sind. Wenn jemand geplant hat, 100 Hektar Wald zu fällen, sich aber mit 80 Hektar begnügt, dann erhält er für die 20 Prozent, die stehengeblieben sind, eine Prämie. Im Endeffekt stoppt REDD die Entwaldung nicht, sondern stellt Geld dafür zur Verfügung, daß sie etwas langsamer voranschreitet. Und wer kontrolliert dies und profitiert davon? Die Konzerne, die dafür verantwortlich sind, daß Menschen in Ländern wie Brasilien ihr Land verlassen müssen.

SB: Glauben Sie, daß Ihre Kritik unter den großen ökologiepolitischen Akteuren und Organisationen, die im grünen Kapitalismus oder der Green Economy das maßgebliche Mittel sehen, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, auf Verständnis stößt?

LFF: Es gibt einige, die den negativen Einfluß des Prozesses der Kommodifizierung auf diese Entwicklung nicht wahrhaben wollen. Aber gleichzeitig gibt es Organisationen, die die Analyse vertiefen und wichtige Verbündete in dieser Diskussion sind. Es sind vielleicht nicht die dominanten Umweltschutz-NGOs, aber es gibt gerade hier in Europa viele kritische Organisationen.

SB: Wäre es angesichts der Konfrontation zwischen Umweltschutzbewegungen und den Belegschaften der Energieunternehmen nicht wichtig, der Frage nach der Bedeutung von Lohnarbeit für den Kampf gegen den Klimawandel mehr Aufmerksamkeit zu schenken?

LFF: Wir müssen miteinander reden und Argumente austauschen. An einigen Plätzen geschieht dies bereits. Es gibt Gewerkschaften, die besorgt sind wegen des Klimawandels und realisieren, daß sie auf dem gleichen Planeten leben. Wir brauchen dringend Lösungen und können mit dem gleichen Produktionsmodell nicht weiter fortfahren, wie es zum Beispiel bei der Kohle der Fall ist. Einige realisieren dies. Wir brauchen jedoch eine Diskussion für den Übergang, wie dieser verlaufen soll und wie man Alternativen für Jobs finden kann. Unter dem Begriff Just Transition wird dies bereits getan. Es gibt zwar einige Gewerkschaften, die sich dagegen sträuben, aber ich glaube, das Bewußtsein für die Krise ist in den meisten Gewerkschaften angekommen. Wir haben noch keine Lösung, aber dieses Gespräch muß stattfinden.

SB: Sind die Menschen in Kolumbien eher mit ökologischen Problemen konfrontiert, oder stehen sie vor allem vor der Schwierigkeit, ökonomisch zu überleben?

LFF: Die Überlebensfrage ist von der Umweltfrage nicht zu trennen. Wenn die Lebensgebiete der Menschen zerstört werden, dann handelt es sich um sozialökologische Konflikte. Die Kämpfe, die sie für die Verteidigung des Landes führen, sind auch die Kämpfe um ihr Leben. Der Kampf ums Überleben ist auch ein Kampf um die Unversehrtheit des eigenen Territoriums. Diese wird von Unternehmen, die Rohstoffe fördern, die auf industrielle Weise Feldfrüchte anbauen oder Gemeinschaften von ihrem Land vertreiben, um dort einen Staudamm zu errichten, angegriffen. Es geht darum, den täglichen Kampf ums Überleben zu führen und den eigene Lebensraum zu erhalten. Die Frage der Gesellschaft und der Umwelt ist nicht voneinander zu trennen.

SB: Ist im Bewußtsein der Menschen in Lateinamerika etwas von den antikolonialistischen Kämpfen der siebziger Jahre oder von der Befreiungstheologie übriggeblieben?

LFF: Diese Dinge haben sich weiterentwickelt. Natürlich gibt es eine linke Tradition, aber wie im Falle der Befreiungstheologie hat sich die einmal vorhandene Bedeutung relativiert. Die Konflikte von damals sind immer noch die gleichen, aber dies wird nicht mehr mit den Begriffen oder Forderungen jener Zeit artikuliert. Man nimmt so etwas wie die Befreiungstheologie nicht explizit wahr, aber man kann erkennen, daß die davon ausgehenden Ideen intakt geblieben sind.

SB: Frau Forero, vielen Dank für das Gespräch.


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4. September 2015


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