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INTERVIEW/100: Das Anti-TTIP-Bündnis - Rechtsprechung statt Verträge ...    Petra Pinzler im Gespräch (SB)


Eine Perversion des Rechts

Interview auf der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel am 26. Februar 2016


P. Pinzler in Großaufnahme während des Interviews - Foto: © 2016 by Schattenblick

Petra Pinzler
Foto: © 2016 by Schattenblick

Petra Pinzler hat sich um Aufklärung in Sachen TTIP, aber auch die Klärung vieler Sachfragen und einer mit der gesamten Thematik aufs engste verwobenen Analyse der zugrundeliegenden wirtschaftlichen wie (handels)politischen Beziehungen zwischen Staaten und Konzernen seit Jahren verdient gemacht. Zu ihren Buchveröffentlichungen gehören u.a. "Der Unfreihandel: Die heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien" (2015) und "Immer mehr ist nicht genug! Vom Wachstumswahn zum Bruttosozialglück" (2011).

An der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel, organisiert vom Aktionsbündnis "TTIP unfairhandelbar" [1], nahm sie am 26. Februar am Auftaktpodium zum Thema "3 Jahre Bewegung gegen TTIP & CETA: Was hat uns stark gemacht, was haben wir erreicht, und warum haben wir es erreicht?" teil. Im Anschluß an die gutbesuchte Einführungs- und Diskussionsveranstaltung erklärte sie sich bereit, dem Schattenblick einige anknüpfende Fragen zu beantworten.


Schattenblick (SB): Als Sie anfingen, über TTIP zu recherchieren, haben Sie zunächst nicht glauben wollen, was Sie von den Schiedsgerichten gehört hatten. Doch dann habe sich das alles noch als viel schlimmer herausgestellt. Worum ging es dabei?

Petra Pinzler (PP): Ich habe damals die ersten Berichte gelesen über Schiedsgerichte und darüber, was sie in bestimmten Ländern anrichten, wie also die Urteile von Schiedsgerichten dazu führen, daß eine bestimmte Politik nicht mehr möglich ist, und wie Länder verklagt werden aufgrund von nach meiner Einschätzung sehr fadenscheinigen Argumenten mit der Folge, daß dann bestimmte Umweltgesetze nicht mehr gelten können, und wie vor allem arme Länder von großen Bergbaukonzernen - in Lateinamerika ist das schon seit langem der Fall - zu Riesenschadensersatzsummen verurteilt werden. Ich habe das alles gelesen und erinnerte mich dann daran, daß ich in den Jahren zuvor, also vor zehn Jahren, schon einmal etwas davon gehört hatte, aber es war mir nicht wirklich präsent.

Ich habe manche Argumente der NGOs, die ich damals gelesen habe, schlicht nicht glauben können! Ich habe nicht geglaubt, daß sich diese Schiedsgerichte tatsächlich über nationales Recht erheben können. Dann habe ich mit Kollegen angefangen zu recherchieren. Wir haben herausgefunden, daß es tatsächlich nicht nur eine Explosion dieser Klagen vor Schiedsgerichten gibt, auch mit dem Ziel, den politischen Spielraum ganzer Länder einzugrenzen, sondern daß zudem die Urteile immer teurer werden für die Staaten, die eigentlich immer nur verlieren können, während die Unternehmen immer nur gewinnen können.

Wir haben auch entdeckt, daß das Ganze auch in Deutschland mittlerweile ein Problem ist und daß Deutschland bereits einen Fall - Vattenfall I - abgeschlossen hat. Deutschland ist damals nicht verurteilt worden wegen des Kraftwerkes in Moorburg, sondern sie haben sich geeinigt, die Umweltrichtlinien in Hamburg zu verändern. Dann gibt es einen zweiten Vattenfall-Fall wegen des Atomausstiegs, in dem Vattenfall Deutschland auch wieder verklagt hat. Da habe ich gedacht: Das kann doch eigentlich nicht sein, daß es da zwei Schiedsverfahren gibt, die in Washington durchgeführt werden, von denen die Öffentlichkeit hier eigentlich nur ganz wenig erfährt und kaum etwas weiß. Als wir dann noch gesehen haben, daß es mittlerweile Risikofonds gibt, die Geld sammeln, um sozusagen Klagen gegen Länder zu finanzieren und 'mal zu sehen, was dabei so herauszuholen ist, habe ich gedacht, das ist eine Perversion des Rechtssystems. Es gibt in Deutschland funktionierende Rechtssysteme, in den USA und in Kanada auch, da brauchen wir doch so etwas eigentlich nicht!

SB: Vorhin haben Sie gesagt, daß es die Schiedsgerichte, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht ganz so geben würde, wie das ursprünglich geplant war, aber daß sie auch nicht völlig vom Tisch wären. Besteht da nicht die Gefahr, daß ein paar Zugeständnisse gemacht werden, in der Sache aber dann doch dasselbe Projekt weiterverfolgt wird?

PP: Das hängt sehr davon ab, wie die politischen Kräfteverhältnisse sind. Ich glaube, je mehr Leute dagegen demonstrieren und je klarer es vielen Leuten wird, was da passiert, desto unwahrscheinlicher wird es, daß TTIP durchkommt. Fakt ist, daß die Amerikaner die Schiedsgerichte nach wie vor wollen und durch ihre Handelsabkommen auch um die Welt tragen. Das Netz wird enger und wenn die Amerikaner das Transpazifische Abkommen [2] tatsächlich ratifizieren, dann gibt es eine ganze Reihe asiatischer Staaten neben Kanada und den USA, die diese Schiedsgerichte mit diesem Vertrag nicht nur eingerichtet, sondern auch weitergetragen haben.


Blick auf viele Demonstrierende mit Anti-TTPA-Plakaten - Foto: by Neil Ballantyne (Wellington, New Zealand) [CC-BY-2.0, Creative Commons Attribution 2.0 Generic license], via Wikimedia Commons

Weltweite Proteste gegen den sogenannten Freihandel - Rally gegen TPP in Wellington, Neuseeland, am 8. November 2014
Foto: by Neil Ballantyne (Wellington, New Zealand) [CC-BY-2.0, Creative Commons Attribution 2.0 Generic license], via Wikimedia Commons

Das Netz wird also immer dichter. In Europa ist aber erstens noch nicht klar, ob die Amerikaner dieses Transpazifische Abkommen tatsächlich abschließen. Alle Präsidentschaftskandidaten haben gesagt, sie wollen es nicht, das ist noch nicht durch. Dann ist es zweitens so, daß in Europa der Druck, zumindest keine privaten Schiedsgerichte haben zu wollen, doch sehr groß ist. Das wird immer mehr Leuten klar, beispielsweise auch dem Deutschen Richterbund, der damit argumentiert, daß die Reformvorschläge der EU-Kommission, die Schiedsgerichte ein bißchen anders zu machen, eigentlich nicht wirklich Reformen sind, sondern quasi nur Kosmetik. [3] Deswegen hoffe ich, daß sich das noch politisch verhindern läßt, immer mit dem Argument, daß wir das eigentlich überhaupt nicht brauchen.

SB: Wie schätzen Sie denn in bezug auf TTIP das Verhältnis zwischen der EU und den USA ein? Es gibt ja die Ansicht, daß zwischen beiden eine wirtschaftliche Konkurrenz herrsche, aber auch die Vermutung, daß sich durch TTIP eine Freihandelszone als ein gemeinsamer Block bilden könnte im Verhältnis zu noch weiteren Staaten. Könnte an beiden Ideen etwas dran sein? Wie schätzen Sie das ein?

PP: Bisher haben die Amerikaner und die Europäer meistens mit Ländern verhandelt, die politisch weniger stark waren. Deswegen konnten sie bei den bilateralen Handelsverträgen oder auch denen, die sie mit mehreren Staaten abgeschlossen, immer relativ leicht die Bedingungen diktieren. Das haben die Europäer mit den Afrikanern so gemacht, die Amerikaner haben das jetzt mit dem Transpazifischen Abkommen so gemacht und mit einer ganzen Reihe anderer Abkommen auch. Der Stärkere kann bestimmen, wie diese Abkommen aussehen, deswegen haben die schwächeren Länder da wenig zu sagen. Da stehen die Amerikaner und die Europäer schon auch in Konkurrenz zueinander. Nachdem man gemeinsam bei der Welthandelsorganisation nicht weiter kam, hat sich jeder seine Partner gesucht und ein Abkommen nach dem nächsten abgeschlossen. Das passiert auch weiterhin, nach wie vor.

So, und dann hat man überlegt, was man zusammen machen kann. Doch bei diesem 'Zusammenmachen' sehe ich die große Gefahr, daß das Argument, daß man mit einem gemeinsamen Block sozusagen die besten Standards für die Welt setzt, ein leeres Versprechen ist, und daß dieser Block tatsächlich dazu führt, daß andere Länder, die schwächer sind, und andere Regierungen, die ihnen gegenüber auch schwächer sind, noch weniger dabei mitreden können, wie denn die Handelsregeln für das nächste Jahrhundert aussehen sollen, und daß man beispielsweise die Investitionen von Unternehmen besonders schützt durch Schiedsgerichte. Der Gewerkschaftsvertreter hat ja vorhin sehr klar gemacht, daß Verstöße gegen die Menschenrechte da nicht sanktioniert werden. Das ist bisher in fast allen Abkommen so. Manchmal steht ein bißchen Prosa drin, aber die Arbeitnehmerrechte werden nicht geschützt. Es gibt Abkommen mit Kolumbien - ein europäisches und ein amerikanisches -, bei denen es überhaupt keine Rolle spielt, daß dort immer noch massiv Gewerkschafter umgebracht werden.

SB: Ein wichtiges Thema bei TTIP ist der drohende Verlust nationaler Souveränitätsrechte. Beispielsweise in Griechenland wurde längst eine ganz andere Realität geschaffen wurde durch Gründe, die formal gesehen mit Investitionsschutz nichts zu tun haben. Ist da womöglich bereits eine Entwicklung im Gange, die durch TTIP und ähnliche Abkommen im Grunde nur noch weiter befördert bzw. legalisiert werden würde?

PP: Ich habe sehr lange gedacht, daß internationale Regeln bzw. eine Internationalisierung in vielen Dingen etwas Positives ist. Im Umweltschutz beispielsweise wissen wir, daß wir globale Regeln für die Einsparung von CO² brauchen und den Klimawandel tatsächlich nur gemeinsam angehen können. Inzwischen bin ich bei manchen Punkten ein bißchen skeptischer. Das betrifft vor allen Dingen die Handelsabkommen, weil ich ein Riesenproblem darin sehe, daß die fast nicht mehr rückabwickelbar sind. Für mich ist eine lebendige Demokratie immer etwas, wo möglicherweise auch bestimmte Fehler gemacht werden, aus denen man dann lernen kann und sie wieder rückgängig macht.

Wir haben zum Beispiel eine Weile lang sehr, sehr viel privatisiert, zum Beispiel die Stromnetze oder auch die Wasserversorgung. In Berlin haben wir gemerkt, das wird zu teuer, also haben wir sie wieder rekommunalisiert. Wir haben einen Fehler gemacht und wir können ihn rückgängig machen. Bei den Handelsabkommen aber ist es so, daß man in dem Augenblick, in dem sie in Kraft treten auf völkerrechtlicher Ebene, da eigentlich nicht mehr raus kann. Ich kann mich an kein völkerrechtliches Abkommen erinnern, das je gekündigt worden ist. Und wenn man sich dann vorstellt, daß TTIP tatsächlich eines Tages in Kraft tritt und wir Deutschen merken, na ja, da sind ja bestimmte Regeln drin, die mögen wir aber gar nicht, dann ist es fast undenkbar, das wieder zu kündigen. Deutschland müßte die anderen Europäer davon überzeugen, und dann müßte die EU das Abkommen mit den Amerikanern kündigen, und das möglicherweise wegen zwei, drei Regeln, die jemand in Deutschland blöd findet, was einfach absolut unwahrscheinlich ist. Das ist für mich die ganz große Gefahr, also nicht nur, daß man solche Handelsregeln macht, sondern daß man sie nicht mehr rückgängig machen kann.


Petra Pinzer während ihres Redebeitrags - Foto: © 2016 by Schattenblick

Eine große Gefahr für die Demokratie - nicht mehr rückwickelbare Handelsabkommen
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Sie haben zur Handelspolitik in der Podiumsdiskussion schon gesagt, daß es nach Ihrer Auffassung eine gänzlich andere Handelspolitik geben müßte. Nun gibt es globalisierungskritische, antikapitalistische Bewegungen, die sich in diesem Sinne klar positioniert haben. Begriffe wie Antikapitalismus werden hier auf der Konferenz nach meinem Eindruck kaum in den Mund genommen. Könnte das so ein bißchen ein Kalkül sein, um die Anti-TTIP-Bewegung möglichst breit aufzustellen?

PP: Ich glaube, man muß bei dieser Art von Kritik an TTIP und an Handelsabkommen versuchen, nicht alle Probleme der Welt auf einmal zu lösen. Wie ich vorhin schon erwähnte, habe ich vor vier, fünf Jahren ein wachstumskritisches Buch geschrieben, in dem ich gesagt habe, daß die Art von Wachstumsmodell, die wir im Moment haben, nicht mehr funktioniert und dazu führen wird, daß wir den ökologischen GAU erleben. Dieses Modell forciert den Klimawandel, weil es den Ressourcenverbrauch so sehr beschleunigt. Ich habe gesagt, daß wir anders wirtschaften müssen und dazu stehe ich immer noch.

Ich würde das aber nur begrenzt mit TTIP verknüpfen, weil das ganz viele Leute ausschließt, nämlich alle, die die Frage "welches andere Wirtschaftsmodell brauchen wir?" für sich noch nicht beantwortet haben und dann rein intuitiv zurückzucken und sagen würden: "Nein, das klingt mir jetzt irgendwie viel zu komplizert und mit Antikapitalismus, nee, laßt mich lieber in Ruhe." Ich habe aber ein Problem mit ein paar Dingen, die bei TTIP drinstehen. Für mich ist es eine Tür, die man sehr erfolgreich geöffnet hat und wo viele Leute angefangen haben, darüber nachzudenken, was denn da eigentlich nicht stimmt, und so können sie dann auch den nächsten Schritt für sich gehen. Ich glaube nicht, daß man bei einer Bewegung oder einem Protest gegen ein Thema sozusagen immer gleich alles mit reinpacken sollte.

SB: Eine letzte Frage noch: Mit welchen Erwartungen sind Sie zu dieser Konferenz gekommen? Erhoffen Sie sich für die Bewegung aktionistische Impulse?

PP: Ich hoffe, daß erst einmal ganz viele Leute voneinander lernen, denn es gibt wirklich unglaublich viele unglaublich kompetente Leute in dieser Bewegung, das hat mich immer wieder erstaunt. Es gibt ein wahnsinniges Fachwissen, und selbst ich komme kaum hinterher, weil ich mich auch nicht nur mit TTIP befasse, alles zu lernen und zu lesen, was es da immer wieder an neuer Expertise in den verschiedenen Bereichen gibt. Ich finde, es ist eine unglaublich tolle Form des gemeinsamen Crowd-Learnings. Das erhoffe ich mir hier und auch, daß die Leute dann motiviert nach Hause fahren. Wenn ich etwas an der Bewegung toll finde, dann dieses Vibrieren und der gemeinsame Wunsch, etwas zu verändern, und wenn man das dann getan hat, kann man das auch feiern und den nächsten Schritt machen.

SB: Haben Sie vielen Dank, Frau Pinzler, für das Gespräch.


Blick auf das Podium, davor rotes Banner 'TTIP-Strategie- und Aktionskonferenz' - Foto: © 2016 by Schattenblick

TTIP ist unfairhandelbar - Auftaktpodium der TTIP-Strategie- und Aktionskonferenz
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.ttip-unfairhandelbar.de/

[2] Das Transpazifische Abkommen (TTP - Transpacific Partnership) wurde von 12 Pazifikanrainerstaaten (USA, Japan, Australien, Brunei, Chile, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam) am 4.2.2016 - von Protesten begleitet - in Auckland (Neuseeland) unterzeichnet. Das Abkommen tritt innerhalb von zwei Jahren in Kraft nach seiner Ratifizierung in allen 12 Mitgliedsländern oder nach Ablauf von zwei Jahren, wenn es von mindestens 6 Staaten, die mindestens 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aller Teilnehmerstaaten stellen, ratifiziert wurde.

[3] Deutscher Richterbund, Stellungnahme Nr. 4/16 zur Errichtung eines Investitionsgerichts für TTIP - Vorschlag der Europäischen Kommission vom 16.09.2015 und 12.11.2015 vom Februar 2016. Herunterladbar von www.drb.de unter → Stellungnahmen → 2016 → Nummer 04/16


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