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INTERVIEW/123: Flüchtlingssolidarisch - alternativlos, der soziale Einsatz ...    Salinia Stroux im Gespräch (SB)


Basisaktivismus vor den griechischen Flüchtlingslagern

Interview am 28. Februar 2017 in Hamburg


Die deutsch-griechische Aktivistin Salinia Stroux engagiert sich seit langem intensiv für Geflüchtete insbesondere in Griechenland. Aufgrund ihrer Tätigkeit im Rahmen des Refugee Support Program Aegean von Pro Asyl wie auch des Graswurzelprojekts Welcome2Europe, wo sie mit einem Infomobil durch das Land tourt, kennt sie die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern aus eigener Anschauung sehr genau. Bei der Podiumsdiskussion des Aktionsbündnisses "Hamburg hat Platz!" [1] am 28. Februar in der Fachschule Sozialpädagogik in Hamburg-Altona berichtete sie über die Situation in den Elendslagern und insbesondere den sogenannten Hotspots auf den Inseln in der Ägäis, wo die Flüchtlinge unter extremsten Bedingungen interniert und isoliert sind.

Im Anschluß an die Veranstaltung beantwortete Salinia Stroux dem Schattenblick einige Fragen zu ihrem Engagement mit dem Infomobil, zur Einstellung der einheimischen Bevölkerung gegenüber den Geflüchteten, zur Flüchtlingspolitik der Syriza-Regierung und zu der Verantwortung Deutschlands und der EU für die Verhältnisse in Griechenland.


Beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

Salinia Stroux
Foto: © 2017 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Sie sind schon seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit aktiv. Wie ist es dazu gekommen, daß Sie sich für Geflüchtete engagieren?

Salinia Stroux (SS): Ich bin im Prinzip in dieses Engagement hineingeboren, weil meine Mutter seit ich mich erinnern kann solidarisch unterwegs und in der Flüchtlingsarbeit tätig war. Daher habe ich schon als Jugendliche viel Zeit mit Unterstützung, mit Solidarität, mit Menschen, die aus ihren Ländern geflohen sind, verbracht.

SB: Sie hatten berichtet, daß Sie in Griechenland im Grunde zweigleisig tätig sind. Worum geht es in dem Teil Ihres Engagements, der nicht unmittelbar mit Pro Asyl zusammenhängt?

SS: Wir haben einen relativ alten Bus, mit dem wir durch die Gegend fahren. Manchmal benutzen wir ihn auch nicht, wenn wir es für unangemessen erachten. Wir bewegen uns dorthin, wo sich viele Geflüchtete aufhalten, und das ändert sich je nach Situation in Griechenland geographisch. Wir sind regelmäßig nach Patras und Igoumenitsa gefahren, das sind Hafenstädte, wo Flüchtlinge versuchen, nach Italien rüberzukommen. Im letzten Jahr sind wir viel zu den verschiedenen Lagern gefahren, haben uns davor hingestellt und die Leute beraten. Auf den Inseln, auch im Evros-Gebiet waren wir lange unterwegs, das sind immer einzelne Touren, mal mit, mal ohne Auto in unterschiedlicher Besetzung. Einige von uns haben selber einen Hintergrund als Geflüchtete, andere nicht. Wir sprechen zum Teil die Sprachen dieser Menschen, haben aber zumindest alle Erfahrung darin, auch ohne Sprache zu kommunizieren. Wir beantworten Fragen für Leute, die ansonsten keinen Zugang haben und nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Das können ganz einfache Fragen sein, wie man zum Arzt kommt, bis hin zu sehr komplizierten rechtlichen Fragen zum Dublin-System, Fingerabdrücken, was passiert, wenn ich jetzt hier einen Asylantrag stelle, dann aber irgendwann nach Deutschland komme, oder Fragen zu Familienzusammenführungen, wie ich aus der Haft rauskomme und ähnlichem. Wir haben mittlerweile dreimal einen Welcome2Greece-Guide erstellt, das sind die Informationen, die auch auf der Internetseite Welcome2Europe Info [2] zu finden sind, weil nicht alle Flüchtlinge Zugang zum Internet haben oder es auch teilweise sehr unpraktisch ist, sich das auf dem Handy anzuschauen. Deswegen haben wir das als kleine Booklets gedruckt in Arabisch und Farsi, Englisch und Französisch, die aktualisiert werden und die wir verteilen können. Und natürlich sprechen wir mit den einzelnen, die speziellere Fragen haben, ausführlich darüber. Das ist der eine Teil.

Der andere Teil der Arbeit besteht darin, daß wir uns viel mit den Geflüchteten unterhalten und uns die Situation vor Ort ansehen. Wir sind seit 2008 unterwegs, ich bin Halbgriechin, für mich ist Griechenland auch meine Heimat. Je nachdem, um welche schweren Menschenrechtsverletzungen und dramatischen humanitären Zustände es geht, die von den Flüchtlingen an uns herangetragen werden, bringen wir entweder ihre Texte oder Briefe an die Öffentlichkeit oder schreiben selber etwas, das kann alles mögliche sein von kurzen News bis hin zu ausführlichen Berichten. Es findet also in beiden Richtungen ein Informationsfluß statt. Dadurch, daß wir mit dem Infomobil eben mobil und flexibel sind, ist es ein zentraler Teil unserer Arbeit, auf den wir großen Wert legen, auch zur Vernetzung beizutragen. Wenn wir beispielsweise nach Igoumenitsa fahren und dort Leute kennenlernen, die solidarisch Hilfe anbieten und Geflüchtete unterstützen, liegt es uns auch am Herzen, sie wiederum mit anderen solchen Gruppen in Griechenland oder auch im Ausland zu vernetzen oder die Geflüchteten mit den Unterstützern zu vernetzen, Vernetzungsarbeit ist ein wesentlicher Teil des Aktivismus mit dem Infomobil und mit Welcome2Europe.


Salinia Stroux beim Vortrag mit Mikrophon in der Hand - Foto: © 2017 by Schattenblick

Informationsfluß in beiden Richtungen ...
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Wie hat sich die Stimmung und Einstellung zu Flüchtlingen in der griechischen Bevölkerung über die Jahre verändert?

SS: Wir haben gegenwärtig eine Phase, in der sich eine vergleichsweise starke Solidarität gerade von den Menschen zeigt, die selber sehr stark von der Wirtschaftskrise betroffen sind - eine sehr überraschende, sehr breite und sehr tiefe Solidarität. Es gibt andererseits auch Probleme mit kleineren gewalttätigen rassistischen Gruppen. Auf den Ägäisinseln, wo im Februar 2016 die Hotspots unter diesem Titel eröffnet wurden, ist das ein neues Phänomen, daß man sich mit Faschisten auseinandersetzen muß, daß es Angriffe auf Geflüchtete und Unterstützerinnen gibt. Insgesamt betrachtet gab es aber eine viel schlimmere Phase, wo es in Griechenland ein ganz massives Problem war, wo die Geflüchteten wirklich Angst hatten, auf die Straße zu gehen und fast jeder zweite von ihnen in Griechenland ein Opfer rassistischer Gewalt war. Darunter fällt meist auch Polizeigewalt, weil diese rassistisch motiviert ist.

SB: Wie kommt es, daß sich die Situation etwas entspannt hat?

SS: Das hat sicher mit der Regierung zu tun. In den letzten Jahren gab es keine Regierung, die weiter links stand als die gegenwärtige. Es hat auch damit zu tun, daß wichtige Personen aus dem Kreis der Faschisten in Griechenland vor Gericht gebracht wurden. Auch wenn dabei keine großen Erfolge erzielt wurden, war es doch zumindest eine Art Symbolik, die es vorher nicht gab. Straflosigkeit war immer ein großes Problem. Im Prinzip konnte die Rechte keine Massen mobilisieren, doch wurde sie immer durch eine große Zahl von Polizisten unterstützt, die auch rechts wählten. Die faschistische Partei der Goldenen Morgenröte hatte zwischenzeitlich sehr viele eher AfD-ähnliche Unterstützer, aber teilweise auch weitaus schlimmere. Das ist heute im Alltag der Geflüchteten nicht mehr das brennende Problem. Es existiert aber weiterhin, und es kann vor allem auf den Inseln unangenehme oder sogar gewalttätige Situationen geben.

SB: Wie sind die Zusagen zu bewerten, die die Syriza-Regierung gegeben hat? Es wurde ja die Auflösung aller Zeltlager und die Errichtung fester Häuser für die Flüchtlinge angekündigt.

SS: Das ist eine ganz aktuelle Meldung, die erst gestern oder vorgestern in der Presse stand. Der Migrationsminister Ioannis Mouzalas hat von Plänen gesprochen, 10.000 Plätze in Wohnungen zu schaffen und alle Menschen aus den Lagern zu evakuieren, die 2017 geschlossen werden sollen. Das ist natürlich nicht sehr realistisch. Als Syriza an die Regierung kam war davon die Rede, alle existierenden Abschiebelager zu schließen. Die Lager existieren jedoch bis heute, zwar mit weniger Insassen, doch ist administrative Haft nach wie vor ein Problem, es wird nur nicht drüber geredet. Mouzalas war es auch, der das ganze letzte Jahr immer wieder angekündigt hat, daß das Lager Elliniko in Athen geschlossen wird, weil dort unmenschliche Bedingungen herrschen, und die Leute in bessere Unterkünfte gebracht werden. Doch das Lager gibt es bis heute. Was von diesen Ankündigungen letztlich umgesetzt wird ist fraglich, zumal angesichts der 65.000 Flüchtlinge, die sich derzeit in Griechenland aufhalten, die angekündigten 10.000 ein Witz sind. Etwa 33.000 Menschen leben auf dem Festland in Lagern, auf den Inseln ist es schwer zu beurteilen: Etwa 7000 sind es in den Hotspots, aber es gibt auch noch andere Lager, zum Beispiel Souda auf Chios, das zwar kein Hotspot, aber ebenfalls ein Elendslager ist. Zwischen 7000 und 15.000 Menschen befinden sich auf den Inseln in Lagern, das hat nichts mit den 10.000 des Ministers zu tun. Ich denke, daß er sich dabei auf eine andere Ankündigung bezieht, die ein oder zwei Tage zuvor gemacht wurde. Die griechische Regierung prognostizierte auf Grundlage ihrer Berechnungen, daß im Laufe der nächsten drei Jahre die Asylanträge von etwa 10.000 Menschen in Griechenland anerkannt würden, die dann im Land bleiben dürften. Ich denke, es ist kein Zufall, daß zweimal dieselbe Zahl genannt wurde. Ob letztlich nur 10.000 in Griechenland bleiben, müssen wir sehen, es sind ungefähr 4800, die bislang Familienzusammenführung beantragt haben. Es werden schon einige auf legalisierten Wegen weiter in andere europäische Länder kommen, aber wie viele letztlich übrigbleiben und wann das passiert, ist derzeit ungewiß. Im Moment sind ja diese Asylverfahren, die in Richtung Relocation, Dublin-Familienzusammenführung oder Asyl gehen, so zäh und so langsam, daß sich das noch Jahre hinziehen kann. Es steht noch völlig in den Sternen, und ich würde es eher als politisch motivierte symbolische Aussage werten.


Salinia Stroux im Profil vor dunklem Hintergrund - Foto: © 2017 by Schattenblick

Beim Interview
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Die Menschen in Griechenland sind aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit unmittelbar mit den Problemen der Armut befaßt. Können Sie Menschen in Deutschland, die dazu in der Regel einen ungleich größeren Abstand haben, vermitteln, was in Griechenland passiert?

SS: Das ist eine schwierige Frage, weil die Menschen, mit denen ich zu tun habe, alle mehr oder minder gleich gepolt sind. Ich habe auch in Deutschland mit sehr vielen Geflüchteten zu tun, meine Freunde hier kenne ich auch aus Griechenland. Ich habe es mit der nächsten Realität zu tun, mit der sie sich auseinanderzusetzen haben, und viele aus meinem Freundeskreis sind Anwälte, Unterstützerinnen und ähnliches. Von daher gibt es da schon das Wissen und das Verständnis. Wenn man von Einzelschicksalen berichtet, von bestimmten Personen erzählt und die Momente vermittelt, die einen besonders berührt haben, dann begreift es meiner Erfahrung nach eigentlich jeder. Ich kann mich, glaube ich, glücklich schätzen, in letzter Zeit gar nicht mit Leuten zu tun gehabt zu haben, die überhaupt nichts verstehen würden.

SB: Die meisten Geflüchteten kommen aus Afghanistan und Syrien, sind also Flüchtlinge aus Kriegen, für die die westlichen Staaten mitverantwortlich sind. Müßten diese Staaten nicht sehr viel mehr dazu beitragen, daß diese Menschen in sichere Heimatländer zurückkehren können?

SS: Natürlich. Es ist halt eine Frage der Motivation, wer eigentlich was will. Wir als Zivilgesellschaft, als Einzelpersonen, müssen im Alltag unsere kleinen Kämpfe austragen und sie gewinnen, das ist meine Haltung, um dann auch größere Veränderungen herbeizuführen. Das von oben zu erwarten ist relativ illusorisch. Es gibt viele Punkte, die einfach so sonnenklar sind, daß niemand sagen kann, er sehe das nicht. Es ist daher die Frage, ob man es sehen will und thematisiert oder ob man es anders darstellt. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der Ort A immer etwas mit Ort B zu tun hat. Es ist nicht vom Himmel gefallen, daß irgendwo Krieg herrscht. Es hat auch mit uns zu tun, was in Griechenland passiert. Deutsche Grenzschutzbeamte stehen in Samos und tragen zu dieser Abschottung bei. Es sind Schiffe der NATO, die dort patrouillieren. Es sind europäische Asylexperten, die in den Hotspots tätig sind, die Interviews führen, die Entscheidungen formulieren und den Griechen vorschlagen, die einfach so übernommen werden. Es ist eine europäische Politik und ein europäischer politischer Kampf, der sich an den Außengrenzen Europas austobt. Das hat mit jedem von uns zu tun.

SB: Demnach könnte man die Frage aufwerfen, ob die EU Teil der Lösung oder vielmehr Teil des Problems ist?

SS: Es ist kein griechisches Problem und auch keine alleinige griechische Schuld. Geht es beispielsweise um Menschenrechtsverletzungen, dokumentiert man eventuell, was ein griechischer Beamter macht oder ein griechisches Gesetz besagt oder nicht besagt, was eine griechische Behörde einhält oder nicht einhält. Doch in Griechenland wird europäische Politik gespielt, Entscheidungen der griechischen Regierung sind nicht losgelöst vom europäischen Kontext und Themenfeldern wie der Wirtschaft und ähnlichem zu betrachten.

SB: Kann man von einer eingeschränkten Souveränität der griechischen Regierung sprechen, was die Aufnahme von Flüchtlingen und den Umgang mit ihnen betrifft?

SS: Ich würde nicht sagen, daß die Souveränität Griechenlands eingeschränkt ist. Aber es bestehen insbesondere finanzielle Abhängigkeiten und es herrscht ein enormer Druck seitens der EU, Maßnahmen in der Wirtschaft und eben auch in der Migrationspolitik umzusetzen. Diese beiden Felder hängen zusammen, und wenn man in einem Bereich droht, erreicht man vielleicht etwas in dem anderen. Genau wie alle anderen Regierungen ist auch die griechische nicht losgelöst von dem gesamten Kontext.

SB: Waren Sie denn mit der Veranstaltung heute zufrieden?

SS: Ja. Ich fand sie sehr lebendig und zielgerichtet und halte das für einen ausgezeichneten Ansatz, den man vorantreiben muß, zumal er so formuliert wurde, daß eine breitere Unterstützung möglich ist.

SB: Frau Stroux, vielen Dank für dieses Gespräch.


Hell erleuchteter Glasbau zwischen älteren Gebäudeteilen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Blick auf das Atrium der Fachschule Sozialpädagogik FSP2
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Siehe den unten angegebenen Bericht zur Veranstaltung "Hamburg hat Platz!"

[2] www.w2eu.info


Beiträge zur Podiumsdiskussion "Hamburg hat Platz" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT:

BERICHT/087: Flüchtlingssolidarisch - gegen den Strich gebürstet ... (SB)
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INTERVIEW/122: Flüchtlingssolidarisch - nicht nur Kollateralschäden ...    Karl Kopp im Gespräch (SB)


13. März 2017


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