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INTERVIEW/132: Klimacamp im Rheinland - gebügelt und verbogen ...    Jörg Bergstedt im Gespräch (SB)


Gespräch am 25. August 2017 im Klimacamp Rheinland

Jörg Bergstedt ist seit vielen Jahren in herrschaftskritischen und radikalökologischen Zusammenhängen aktiv. Unter anderem hat er sich bei Feldbefreiungen, einer Protestform gegen die grüne Gentechnik als Mittel der Kontrolle und Steuerung menschlicher Ernährung, und bei Antirepressionsaktionen einen Namen als Kritiker der herrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung gemacht. Der Schattenblick traf den erfahrenen Aktivisten, der an der rar gewordenen Tugend einer produktiven solidarischen Streitkultur festhält, auf dem diesjährigen Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier und bat ihn um einen Kommentar zum Stand der dort aktiven sozialökologischen Bewegungen.


Anschlagtafel für Aktionstraining, Transparente für Aktionsformen und Solidarität - Foto: © 2017 by Schattenblick Anschlagtafel für Aktionstraining, Transparente für Aktionsformen und Solidarität - Foto: © 2017 by Schattenblick Anschlagtafel für Aktionstraining, Transparente für Aktionsformen und Solidarität - Foto: © 2017 by Schattenblick

Wer zieht die Grenzen radikalen sozialökologischen Widerstandes?
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Jörg wir haben schon einmal vor zwei Jahren miteinander geredet [1]. Wie hat sich das größer gewordene Klimacamp und die sich darüber organisierende soziale Bewegung deiner Ansicht nach entwickelt?

Jörg Bergstedt (JB): Ich würde es so empfinden, daß es der Positivfall dessen ist, was bei dem Zustand der sozialen Bewegung im Moment möglich ist, nämlich eine Massensteigerung. Eine Qualitätssteigerung wiederum kann nur dadurch erfolgen, daß die Zentralen, also die hauptamtlichen Apparate oder die großen Träger, immer bessere Aktionskonzepte entwickeln. Diese Tendenz ist durchaus vorhanden, es handelt sich um erfahrene Leute, die auch dazulernen, aber das alles steht meines Erachtens unter dem Negativstern, daß die Lage sich nicht erkennbar verändert und diese größer werdende Masse über mehr Eigenständigkeit verfügt.

Auch angesichts meiner Kritik wird häufig behauptet, daß die Leute neu einsteigen und sich dann weiterentwickeln. Das kann ich überhaupt nicht erkennen. Es ist jedes Jahr das gleiche, alles bis ins Detail vorgedachte Sachen, riesige Trainings, bei denen die Leute auf völlig einheitliche Verhaltensweisen geschult werden. Sie sind turboglücklich darüber, sich keine eigenen strategischen Gedanken machen zu müssen. Am liebsten, glaube ich, wäre allen, wenn die Sonne scheint, man während des Laufens knutschen kann, auf den Schienen ein Catering angeboten wird, und die Polizei kuschelt noch mit.

Das ist jetzt natürlich deutlich übertrieben, aber es gibt hier keine Konfliktkultur. Es gibt auch keine Interessensgegensätze mehr, denn ein Interessensgegensatz entsteht nur, wenn ich Interessen habe. Hier auf diesem Camp wäre angesichts der Rolle, die Campact hier spielt, zum Beispiel naheliegend gewesen, deren Rolle im G20-Widerstand von Hamburg zu thematisieren. Aber nein, sie werden genauso bejubelt wie alle anderen. Man hat einen Aktionskonsens, zumindest was Ende Gelände betrifft, wo jede Sachbeschädigung ausgeschlossen ist. Wenn ich auf eine Stacheldrahtstrecke stoße, darf ich sie nicht durchknipsen, um weiterzukommen. Ich weiß nicht, was passiert, wenn sich Leute doch nicht daran halten. Zum einen gibt es diesen Konsens, zum andern wird über eine große Organisation, die sich von den Protesten gegen G20 distanziert und das Vorgehen der Polizei - also eine Art Selbsthilfegruppe mit Olaf Scholz - als ganz korrekt dargestellt hat, nicht weiter geredet. Du kannst das auch nicht ansprechen, weil es hier harmonisch zugeht und sich alle mögen.

SB: Was wäre denn eine politisch produktive Streitkultur für dich?

JB: Es gibt natürlich beschissene Streitformen wie diese Grabenkriege, die hier übrigens auch zwischen den verschiedenen Strömungen laufen, von denen aber kaum jemand erfährt. Diese Streitlinien laufen auch im Vorfeld und werden bei Treffen und an Orten ausgetragen, die nirgends angeschlagen sind. So etwas kann man hier gar nicht richtig verbreiten, weil es die Harmonie stören würde. 97 Prozent der anwesenden Leute glauben, daß sich alle einig sind und eine große Einigkeit der Bewegung besteht, aber haben keine Ahnung von den Konkurrenz- und Grabenkriegen.

Das ist zwar Streit, aber da geht es meistens um Geldpfründe, Dominanzen, Vereinnahmung und ähnliches. Das ist keine coole Streitkultur, und im Rest gibt es gar keine Streitkultur. Das liegt meines Erachtens daran, daß es keinen politischen Willen mehr gibt. So beschissen die Konflikte, die es früher gab, ausgetragen wurden, so entsprachen sie doch den Spannungen zwischen verschiedenen linken Strömungen, etwa zwischen Ökos und arbeiterorientierten Leuten. Es gab wirklich gute Herrschaftsanalysen, die hatten ihre Einpunktbezüge, standen manchmal gegeneinander und jeder wollte, daß sein Thema am wichtigsten genommen wird. Aber jetzt existiert ein Brei, der von einer gewissen Gleichgültigkeit getragen wird. Mit einer Kritik an den versteckten Hierarchien hätte man nicht einmal eine Chance. Das stört die Harmonie und das wollen die Leute nicht wissen. Von daher geht es hier im Moment nicht darum, daß eine coole Streitkultur entsteht, sondern daß die Menschen sich überhaupt wieder fragen, was will ich denn, außer mich wohlzufühlen?

SB: Wird dir als älterer Mensch, der in Aktivistenkreisen nicht unbekannt ist, an so einer Stelle nicht manchmal angelastet, daß du eine antiquierte Denke hast?

JB: Ich bin aufgrund meines Politikstils, meiner Art, Aktionen zu machen, Konflikten nicht auszuweichen und mich sehr pointiert auszudrücken, eher jemand, um den diejenigen, die mich kennen, in der Regel einen Bogen machen. Und das kann ich auch verstehen. Würde ich jetzt in eine Runde kommen, wo sich Menschen fragen, wie etwa der Fall Campact, um den ich einfach nicht herumkomme, weil er superaktuell ist und viele davon betroffen sind, einzuschätzen ist, da würde ich schon ein paar Takte zu sagen, und dann wäre die Harmonie gestört.

Ich muß allerdings auch sagen, ich bin jetzt fast 40 Jahre Vollzeitaktivist und habe deutlich an Kraft verloren, diese Kämpfe überhaupt noch zu führen. Anstelle dessen mache ich eher mein Ding. Absurderweise übernehme ich hier zum zweiten Mal nach 2015, als ich an einer Gruppe teilgenommen habe, die die Autobahn gesperrt hat, eine Aufgabe, indem ich die Versammlungsleitung von dem mehr an den Konfliktpunkten stehenden Camp übernehme. Dort hat man sich eine polizeierfahrene Truppe gewünscht, so erbringe ich Ende Gelände wieder eine Dienstleistung.

Wenn ich das jetzt wieder so vergleiche - wir haben ein Direct Action-Training gemacht, mit dem wir Leute unterstützen wollten, die eigene Ideen hatten. Da ist natürlich so gut wie niemand gekommen, weil es nur wenig Leute gibt, die eigene Ideen haben - es wird ein paar mehr geben, als zu uns gekommen sind, und es wird auch welche geben, die uns nicht mehr brauchen, weil sie ihr eigenes Ding machen -, aber es dürften sehr wenige sein, da bin ich mir ziemlich sicher. Als ich den Leuten im Aktionslogistik-Unterstützungszelt erzählt habe, daß ich dieses Training mache und wissen wollte, was an Unterstützung möglich wäre, habe ich nur einen Satz kassiert, und der hieß: Wir unterstützen keine Kleingruppen.

Das ist diese Spaltung, die hier verschleiert wird. Heute, wo ich das zweite Mal eine Rolle hier spiele und diese Bewegungen, an denen ich erhebliche Kritik habe, unterstützen werde, sage ich auch: Ihr unterstützt keine Kleingruppen, aber die Kleingruppen unterstützen euch! Das ist der Unterschied. Das ist solidarisches Verhalten. Solidarität heißt, daß ich auch diejenigen unterstütze, die ich nicht mag. Aber ich will ihnen sagen, was ich an ihnen nicht mag. Hier ist es so, man unterstützt sich nicht gegenseitig, aber man sagt sich auch nicht, was man nicht mag, es ist alles ein bißchen unecht.

Um es nicht zu negativ zu bewerten - ich agiere regional in Gießen viel mit Zusammenhängen, die ich als eher unpolitisch empfinde. So arbeite ich viel mit reichen Kids zusammen, die ihre Projekte aufziehen, und führe viele politische Debatten mit ihnen. Anders als in den Zeiten des Grabenkrieges, wo alle verbohrt waren, sind es quasi unbeschriebene Blätter. Die Menschen sind nicht so, daß sie politische Analyse oder Kritik hassen. Sie haben ganz vieles noch nie gehört, und wir müssen dahin. Wir müssen müssen hier rein und nicht nur kuscheln. Wenn ich es böse formulieren wollte, würde ich sagen, es geht um politische Alphabetisierung. Wir fangen gerade wieder an. Es ist schön, daß sich die Menschen hier mobilisieren lassen und nicht mehr völlig gleichgültig zu Hause herumhängen, aber wir werden sie politisch alphabetisieren, sonst werden sie immer Mitläufer bei Campact bleiben.

SB: In den 70ern sind wir mit einer anderen politischen Kultur der Radikalität großgeworden. Wo ist das geblieben? Wie erklärst du dir, daß es zu einem Bruch in der historischen Erinnerung gekommen ist, daß Dinge anscheinend neu gelernt werden müssen, anstatt anzuknüpfen an bereits gemachte Erfahrungen?

JB: Der Bruch hat ja nicht in dieser Generation stattgefunden. Diese Generation mußt du positiv abheben von der davor. Das war der Totalausfall. Wir haben zwischen den 70er, 80er Jahren und der Zeit jetzt eine Phase gehabt, wo es so gut wie keine jungen Leute in politischen Bewegungen gab. Da bestand politisches Desinteresse, das war diese No Future-Generation und wie sie noch genannt wurde.

Jetzt sind Leute wieder politisch interessiert, doch dieses Loch dazwischen hat den Faden abreißen lassen. Die Ursache dafür liegt natürlich nicht in den Menschen, die jetzt vor uns sitzen, weil sie nichts dafür können. Sie waren noch nicht beteiligt. Es ist unsere Generation, die 70er, 80er Friedens-, Umwelt- und sonstige Bewegung. Ihr gehörten viele an, die eigentlich kapiert hatten, daß man keine Kriege führt. Und wir haben die Partei gegründet, die dann die ersten Angriffskriege geflogen hat. Wir haben die Bioläden gegründet, die heute Kommerztempel mit Kolonialwaren und übelsten Umweltbilanzen sind, die inzwischen ihre Läden an die Autobahnabfahrten verlegen, damit die grünen Wähler mit ihren Öko-SUVs vorfahren können - das ist alles total verlogen.

Gerade in Deutschland haben viele jüngere Leute reiche Eltern. Sie wachsen in dieser Szenerie des verlogenen Überflusses auf, und man kann nur hoffen, daß daraus eine Art Distanzierung von der Generation stattfindet, die verlorengegangen ist. Sie hatten unglaublich verlogene wie verständnisvolle Eltern, da kannst du dich ja nicht reiben. Ich finde, sie sollten den Bruch mit unserer Generation vollziehen. Ich habe ihn gemacht, ich bin in meiner Generation völlig vereinsamt. Wenn ich sehe, was meine Freunde und Freundinnen - es gibt natürlich Ausnahmen - machen, kriege ich im großen und ganzen nur das Kotzen.

SB: Jörg, vielen Dank für die deutlichen Worte.


Fußnoten:

[1] INTERVIEW/083: Klimacamp trifft Degrowth - Fußfalle Profession ...    Jörg Bergstedt im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0083.html


Berichte und Interviews zum Klimacamp 2017 im Rheinland im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT

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20. September 2017


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