Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT


INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)



Rund 27 Prozent der Fläche Nordrhein-Westfalens sind bewaldet, das ist etwas weniger als der Bundesdurchschnitt von 32 Prozent. Unter den 31 Kreisen in NRW gehört der westlich von Köln inmitten des Rheinischen Braunkohlereviers gelegene Rhein-Erft-Kreis zu den am wenigsten bewaldeten Gebieten. Vor der Abholzung des Hambacher Forstes standen noch auf 11 Prozent seiner Fläche Bäume, doch durch die Erweiterung des Braunkohletagebaus Hambach wurde dieser ohnehin kleine Bestand an sozialökologisch wertvoller Natur auf 8 Prozent des Kreisgebietes reduziert.

Auch deshalb lohnt es sich, für den Erhalt jedes Baumes zu kämpfen. Die Biologin Dr. Doris Linzmeier tut dies im Rahmen der von ihr mitbegründeten Initiative 50 Tausend Bäume [1] seit zehn Jahren. Anlaß war die geplante Erweiterung des bei Brühl gelegenen Freizeitparkes Phantasialand in ein zum Villewald, der auf historischem Braunkohleabbaugebiet als eine der frühesten Rekultivierungsmaßnahmen der Region entstanden ist, gehörendes Gebiet.

Über den Erhalt dieser von zahlreichen Gewässern, die in den ehemaligen Tagebauen entstanden sind, und inzwischen bis zu 80 Jahre alten Baumbeständen geprägten Region hinaus engagiert sich Doris Linzmeier für die Schaffung einer kritischen Haltung in der Bevölkerung zum Projekt der sogenannten Green Economy. Am Rande eines Workshops im Bonner Gustav-Stresemann-Institut, in dem Jutta Kill über eine moderne Form des Ablaßhandels zur Beschwichtigung des schlechten Klimagewissens mit Hilfe des Kaufes und Verkaufes von Emissionsgutschriften referierte, beantwortete Doris Linzmeier dem Schattenblick einige Fragen zur Verteidigung eines wertvollen Naturraumes gegen seine Zerstörung zugunsten der kommerziellen Ziele privater Investoren wie das neue Projekt einer Wanderausstellung [2] zur kritischen Aufklärung über die Green Economy.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Doris Linzmeier
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Linzmeier, könnten Sie das Ziel Ihrer Bürgerinitiative einmal umreißen?

Doris Linzmeier (DL): Ich bin von Haus aus Biologin und habe vor etwa zehn Jahren die Bürgerinitiative 50 Tausend Bäume mitgegründet. Ihr Ziel ist es, den Staatswald zwischen Brühl und Erftstadt im Rhein-Erft-Kreis vor dem Zugriff eines privaten Unternehmens zu schützen. Wir konnten einen Teilerfolg erzielen, weil die ursprünglich von Phantasialand anvisierte Fläche auf ein kleineres Naturschutzgebiet begrenzt wurde. Nichtsdestotrotz wollen wir auch dieses Naturschutzgebiet bewahren. Wir haben 2013 eine Umfrage gestartet, ob schon einmal in der Bundesrepublik ein Staatswald mit dem Status eines Naturschutzgebietes für ein privates Unternehmen zum Zwecke der Zerstörung verkauft wurde. Dies trifft nicht zu, doch wenn wir scheitern, würde das einen bundesweiten Präzedenzfall schaffen.

SB: In Ihrer Präsentation hatten Sie erläutert, daß auch Flächen zur Verfügung gestellt werden, die bereits als Ausgleichsflächen für vorangegangene ökologische Verluste fungieren. Wie kann das sein?

DL: Die Waldfläche, um die es geht, ist eine Rekultivierung, also bereits eine Maßnahme der Wiedergutmachung für einen Eingriff in die Natur durch den Tagebau, der Mitte des 19. Jahrhunderts begann und fast hundert Jahre währte. Das heißt, es gibt heute noch Menschen, die den Tagebau und die Staubemissionen aus dieser Zeit noch mitbekommen und die Rekultivierung willkommen geheißen haben. Diese Wiedergutmachung soll jetzt wieder zerstört werden, aber diesmal für ein privates Unternehmen. Auch dafür sollen wieder Ausgleichsflächen geschaffen bzw. soll der Eingriff durch weitere Flächen, die noch zu bepflanzen sind, kompensiert werden.

Zu den Flächen, die sich Phantasialand ausgesucht hat, gehören Areale, die heute als Ausgleich für den Tagebau dienen und damit doppelt verwendet werden sollen. Man spricht auch von Öko-Punkten oder sogenannten Biodiversitätsgutschriften. Phantasialand zahlt, weil es keine Flächen findet, einem anderen Unternehmen Geld dafür, daß es diese Gutschriften erwirbt. Eines dieser Unternehmen könnte RWE sein, zumindest war es im Gespräch. RWE kauft im Vorfeld des raumgreifenden Tagebaus Flächen auf, wertet sie ökologisch auf und verkauft dann für diese Flächen sogenannte Gutschriften an Unternehmen bzw. Projektentwickler, die diese Fläche nicht haben oder nicht finden können. Das ist eine einfache Art und Weise der Kompensation.

SB: Wie kommt es, daß RWE diese Art von Kompensationsflächen anbieten kann?

DL: RWE hat durch den Tagebau schon viele Flächen aufgekauft. Nehmen wir dazu als Beispiel den Tagebau Hambach, der nicht vollständig kompensiert werden kann. Deswegen wird dort auch das größte Loch Europas bleiben. Und dann gibt es natürlich auch viele Flächen, die nicht als Ausgleich dienen können. Im übrigen hat RWE ein eigenes Unternehmen, das Flächen ökologisch aufwertet und die dadurch geschaffenen Gutschriften an andere Projektentwickler verkauft.

SB: Würden Sie sagen, daß Naturzerstörung überhaupt nicht kompensieren werden kann, oder halten Sie die Kompensation für ein sinnvolles Mittel der Begrenzung des Klimawandels?

DL: Erstmal halte ich es für sinnvoll, das zu erhalten, was man hat. Doch in unserem Fall wird die Eingriffsausgleichsregelung, wie es offiziell heißt, ad absurdum geführt, denn es hat ja schon einmal ein Ausgleich stattgefunden. Klar, wir leben in einer Industrienation, und da ist es natürlich auch wichtig, daß Menschen in Arbeit und Lohn kommen. Dazu muß die Wirtschaft wachsen, aber wir müssen auch einen Mittelweg finden und schauen, daß wir in unseren Industrienationen auch Flächen erhalten. Vor allem Flächen, die bereits ausgeglichen werden, aber auch alte Flächen wie den Hambacher Forst.

Angesichts der Diskussion, daß wir kurz vor dem Ausstieg aus der Braunkohle stehen, stellt sich doch die Frage, warum man diesen kleinen Bereich des Hambacher Forstes noch opfern soll? Man muß einfach abwägen und da muß die Wirtschaft auch mitziehen, was natürlich schwer ist. Ich denke, wir haben es mit unterschiedlichen Glaubensbekenntnissen zu tun. Wir haben auf der einen Seite die Wirtschaftsbefürworter und auf der anderen die Umweltschützer, und dazwischen all die Leute, die es zu überzeugen gilt.

SB: Eigentlich könnte ein Staatswald nur in einem demokratischen Konsens anderweitig genutzt werden.

DL: So sehe ich das auch. Es ist Staatswald, es ist Allgemeingut. Das für ein privates Unternehmen zu opfern halte ich für ein Unding.

SB: In NRW haben wir derzeit eine Regierung, die sich nicht mehr auf ein Kohleausstiegsziel festgelegt hat. Wie könnte sich das auswirken?

DL: Ich denke, daß die momentane Regierung mit der schwarzgelben Koalition schon auf seiten der Wirtschaft steht und gern mit dem Totschlagargument der Arbeitsplatzsicherung kommt. Da sehe ich für Umweltschutzbelange schwarz.

SB: Sie streiten seit zehn Jahren aktiv für den Erhalt des Waldes. Ein solches Engagement nimmt nicht jeder Mensch auf sich, weil es auch viel Zeit frißt. Wie hat sich das für Sie ausgewirkt auch angesichts der Tatsache, daß ihr Vorhaben bisher nur zum Teil gelungen ist?

DL: Da ist tatsächlich etwas dran, man wächst mit seinen Aufgaben. Mir war es immer wichtig, nicht nur dieses eine Problem zu sehen, mit dem wir uns ganz konkret befassen, sondern es als Beispiel zu betrachten für viele Konfliktfelder im Umweltschutz, gewissermaßen über den Tellerrand zu schauen. Ich habe in dieser Zeit viel gelernt. Wir haben eine Kooperation mit dem Internationalen Umweltstudiengang der Uni Köln, wo wir versuchen, die Erfahrungen, die wir gemacht, aber auch das, was wir jetzt durch Jutta Kills Workshop gelernt haben, an die Studenten weiterzugeben. Das nimmt natürlich auch viel private Zeit in Anspruch, aber es lohnt sich, ist die Sache wert. Natürlich ist es auch ein Privileg, fast schon ein Luxus, den man sich leistet, weil es nicht jeder machen kann.

SB: Auf dem Klimacamp im Sommer waren die Konflikte in der Region deutlich spürbar. Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie eine wachsende Ablehnung der Bevölkerung gegen die Fortsetzung des Braunkohletagebaus oder geben große Unternehmen wie RWE und die vielen Angestellten dort den Ton an?

DL: Das ist schwer zu sagen, weil die großen Unternehmen auch eine ganz andere Form der Öffentlichkeitsarbeit haben. Als Außenstehender zu bestimmen, wer jetzt das größere Gewicht hat, ist nicht leicht. Ich glaube, es ist eine Pattsituation. Auf der einen Seite stehen die Leute, die das Wirtschaftswachstum befürworten und an die Arbeitsplätze denken, auf der anderen diejenigen, für die der Umweltschutz wichtig ist. Dazwischen haben wir die unentschlossenen Menschen, wo beide Seiten versuchen, sie von ihrem Standpunkt zu überzeugen.

George Monbiot, ein britischer Aktivist, hat es einmal so ähnlich ausgedrückt: Ich glaube, die Welt wird immer zweigeteilt sein. Die Diskussion, die wir heute führen, haben wir vor 30 Jahren auch schon geführt. Es stellt sich immer wieder die Frage, was können wir tun, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und die Umweltzerstörung zu stoppen. Ein Patentrezept gibt es nicht. Jeder muß darauf achten, daß wir sorgsam mit den Ressourcen umgehen. Wichtiger noch ist zu erkennen, wohin es ansonsten führt. Wenn jeder seinen Beitrag leistet, können wir zumindest erreichen, das Ganze zu mindern.

SB: Sie haben auch eine Ausstellung zum Thema Green Economy entwickelt. Können Sie die inhaltliche Stoßrichtung einmal darstellen?

DL: Durch das Thema der Ausgleichsmaßnahmen, das auch uns betrifft, sind wir auf die Green Economy gestoßen und haben dazu eine Ausstellung mit fünf Stellwänden, einmal in englisch und einmal in deutsch, gemacht. Die englische Version wurde dankenswerterweise von der Heinrich Böll Stiftung finanziert. Die Ausstellung soll auf Wanderschaft gehen. Wir versuchen, bestimmte Beispiele aus der Grünen Ökonomie anschaulich zu machen und zu zeigen, was zum Beispiel hinter dem Emissionshandel und den Waldprojekten, die als REDD bezeichnet werden, steckt und was die Biodiversitätsgutschriften bedeuten. All das versuchen wir in diesen fünf Stellwänden darzustellen. Die Aufstellung soll auch wachsen. So würden wir auch gerne Frauen porträtieren, die eine Rolle in der Green Economy spielen, oder den Uranhandel in Namibia nocheinmal thematisieren. Das sind Dinge, die wir in der Zukunft noch angehen wollen.

SB: Sind sie auf dieses Thema in Folge Ihres Engagements gegen die Erweiterung von Phantasialand gekommen?

DL: Das war ein Aspekt, aber ich muß auch sagen, daß Jutta Kill dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat. Wir sind über eine gemeinsame Bekannte in Kontakt gekommen. Ich habe dann ihre Essays und Arbeiten gelesen und mir dann gedacht, es wäre interessant, all das zu komprimieren und zu versuchen, es so darzustellen, daß es auch der einfache Bürger versteht.

SB: Frau Linzmeier, vielen Dank für das Gespräch.


Zwei beschriftete und aufrollbare Tafeln mit Bildanteilen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Zwei Stellwände der Ausstellung "GREEN ECONOMY - Was kostet die Welt?"
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.bi-50tausendbaeume.de/index.php/hintergrund.html

[2] http://www.bi-50tausendbaeume.de/index.php/green-economy.html


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)


4. Dezember 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang