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INTERVIEW/177: Umwelttreff - politische Präferenzen ...    Lukas Nicolaisen im Gespräch (SB)



Abschlußkundgebung vor dem Brandenburger Tor - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Wir haben es satt!"
Foto: © 2019 by Schattenblick

Nach der Demonstration "Wir haben es satt!" am 19. Januar in Berlin, zu der sich rund 35.000 Menschen eingefunden hatten, lud die Heinrich-Böll-Stiftung zu einem Vernetzungstreffen ein. Dort stellte eine Reihe von Initiativen und Einzelpersonen ihre Tätigkeit im breiten Themenkomplex von Klima, Agrar und Umwelt vor. Unter ihnen Lukas Nicolaisen von FARN, der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz, die im Oktober 2017 von den Naturfreunden und der Naturfreundejugend gegründet wurde.

Die Fachstelle untersucht die historischen, aber auch aktuellen Verknüpfungen des deutschen Natur- und Umweltschutzes mit extrem rechten bzw. völkischen Strömungen. Darüberhinaus untersucht sie aber auch den Mainstream-Natur- und -Umweltschutz mit besonderem Blick auf demokratiefeindliche bis menschenrechtsverachtende Denkmodelle und Konzepte, so Nicolaisen. FARN beobachtet nicht nur, sondern geht auch auf die Menschen zu, insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene, um sie über rechtes Gedankengut aufzuklären, sie zu beraten und im Natur- und Umweltschutz engagierte Menschen zu qualifizieren. Im vergangenen Jahr hat FARN rund 50 Veranstaltungen organisiert und dort zwischen 1200 bis 1500 Personen erreicht.

Diese erfahren, daß sich rechtsextreme Einzelpersonen und Gruppierungen überall im Natur- und Umweltschutz engagieren und daß dies schon lange geschieht. Nicolaisen: "Man findet sie in der Anti-Akw-Bewegung, in der Anti-Gentechnik-Bewegung, man findet sie aber auch im Engagement für ökologische Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung und auch in neueren Diskursen, also der Postwachstumsdebatte und regionalen Wirtschaftkreisläufen. Selbstherstellen und Nachhaltigkeit sind Themen, die von rechts besetzt und bespielt werden." Die verbreitete Vorstellung, daß Umwelt- und Naturschutz von jeher von politisch links stehenden Kräften besetzt sind, träfe nicht zu. Historisch war das sogar eher ein rechtes Thema. Rechtsextreme sähen das so, daß ihnen Natur- und Umweltschutz "in der zweiten grünen Welle, also 1970/1980, von den Linken weggenommen worden" sei und jetzt zurückerobert werden müsse.

Zum Teil seien die Positionen zwischen Links und Rechts gleich, beispielsweise in der Ablehnung der Gentechnik, doch wenn man auf die dahinterstehende Motivation schaue, würden rechte Forderungen "immer verknüpft mit einer Vorstellung von Ungleichwertigkeit, mit Sozialdarwinismus, Chauvinismus und Autoritarismus". Ein typischer Slogan sei "Naturschutz ist Heimatschutz". Ziel der Veranstaltungen von FARN sei es, Position zu beziehen und Distanz herzustellen, weil: "Wir wollen eine gerechte Welt und das gute Leben für alle und eben nicht nur für die Deutschen oder das deutsche Volk oder das europäische Volk."


Plakat an einem Trecker mit der Aufschrift 'Sexismus und Rassismus bleiben uns vom Acker! Hof-KOLLEKTIV Bienenwerder' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Klare Ansage des Bienenwerder Hof-Kollektivs [siehe Anm. 1] Foto: © 2019 by Schattenblick

Im Anschluß an den Kurzvortrag beantwortet Lukas Nicolaisen dem Schattenblick noch einige Fragen:

Schattenblick (SB): Gibt es bei den Naturfreunden, die im Spektrum der Umweltorganisationen eher links stehen, auch eine Unterwanderung von Rechten und den Versuch, die Organisation zu okkupieren?

Lukas Nicolaisen (LN): Bei den Naturfreunden ist das wohl genauso wie bei allen anderen Verbänden auch. Im Grunde sind die Mitglieder auf irgendeiner Ebene ein Abbild der Gesellschaft. Das heißt, auch die Naturfreunde sind natürlich nicht frei davon, mit Leuten zu tun zu haben, die einen konservativen, vielleicht auch rechtsextremen Einschlag haben. Ich nehme dann immer an, daß die Leute nicht in der Lage waren, das Leitbild der Naturfreunde zu lesen. Denn wenn man sich das Leitbild anschaut, müßte man eigentlich wissen, daß man bei einem linken Arbeiterverband ist. Dann müßte man wissen, für welche Werte die Naturfreunde stehen und daß man in dem Laden falsch ist. Aber ich glaube, die meisten tun das nicht, sondern kommen nur dazu und denken, wir wollen wandern, die Natur erleben oder so ähnlich. Irgendwann gibt es dann Clinch und es wird ihnen klar, wo sie gelandet sind und daß sie da nicht so gut zu Hause sind.

SB: Gibt es denn, abgesehen von der unwissentlichen "Unterwanderung" auch gezielte Manöver, die Naturfreunde zu zerstören?

LN: Also wenn, dann machen sie es bisher so geschickt, daß wir es nicht mitkriegen. Das wäre sehr beunruhigend. Also, bisher nicht.

SB: In deinem Vortrag hast du bereits angedeutet, wie man Rechte erkennt. Könntest du etwas mehr dazu sagen?

LN: Das ist gar nicht so einfach, weil die Forderungen an Natur- und Umweltschutz sehr ähnlich sind: Keine Gentechnik, Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe, Anti-Akw. Das taucht irgendwie alles auf, bis hin zur Forderung einiger rechter Kreise nach erneuerbaren Energien.

Gerade in der heutigen Zeit, wo der Rechtsruck wieder so massiv ist, sollten sich alle mehr angewöhnen, nachzufragen. Du bist gegen Gentechnik? Ja, warum bist du denn dagegen? Was sind deine Motive? Denn wenn man sich die Motivlage anschaut, wird schnell klar, ob man es mit Rechten zu tun hat. Bei der Anti-Gentechnik geht es häufig darum, besonders bei der NPD, den "Volkskörper" oder "das Volk" gesund zu erhalten. Das sind natürlich keine Ziele einer liberalen, linksgerichteten Umweltschutzbewegung. Wir leben leider wieder in einer Zeit, in der man anfangen muß, nicht zu glauben, wenn das gleiche Wort benutzt wird, daß alle das gleiche meinen. Sondern man muß noch mal nachfragen: Was meinst du genau?

SB: Wäre das auch nützlich, um die eigene Position zu schärfen?

LN: Auf jeden Fall. Das kann dazu führen, daß sich Verbände nochmal wieder hinsetzen und sagen müssen: Okay, wir sind gegen Gentechnik, das steht auf unserer Seite. Aber steht da eigentlich klar genug, warum und weshalb? Kommen da auch die sozialen Aspekte mit hinein, also was das für die Länder des globalen Südens bedeutet, wenn gentechnisch manipuliertes Saatgut vertrieben wird? Berücksichtigen wir eigentlich alle Aspekte, die für ein liberales demokratisches Verständnis nötig wären?

SB: Hat der Versuch der Okkupation von rechts auch damit zu tun, daß die traditionellen Umweltverbände die soziale Frage vernachlässigt haben?

LN: Das ist eine schwierige Frage. Also erstmal bin ich ja noch ziemlich jung und kann sozusagen gar nicht überblicken, was in der Vergangenheit in den Verbänden alles gelaufen ist. Vielleicht wurde es vernachlässigt und ist immer nebenher behandelt worden. Ich habe den Eindruck, man hat gedacht, daß das ein Randthema ist, mit dem sowieso nur noch einzelne Leute befaßt sind.

Es gibt aber auch die Annahme, daß die Rechten nur so tun, als seien sie Natur- und Umweltschützer, und die Strategie verfolgen, eine Tür in die gesellschaftliche Mitte zu finden. Ich halte es für einen Fehler, nicht genau in die eigene Geschichte zu schauen und sich zu fragen, wo denn tatsächlich Anknüpfungspunkte und Schnittmengen sind, und wie wir eigentlich zu einem Haeckel, einem Paul Schultze-Naumburg oder einem Ernst Rudorff stehen [siehe Anm. 2]. Wo ist da eigentlich unser Position? Wäre es nicht nötig, da noch mal anders auf die Geschichte zu blicken und selbstkritisch zu fragen, ob man dazu, auf die Geschichte bezogen, Distanz herstellen müßte?


Demozug mit Schildern 'Omas gegen Rechts' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Essen ist politisch
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Liegt die Möglichkeit der Okkupation von rechts vielleicht auch daran, daß Begriffe wie "Natur", "nachhaltig" und "Öko" unscharf sind und man alles mögliche hineininterpretieren kann?

LN: Ja, auf jeden Fall, das betrifft vor allem den Begriff "Natur". Auf unseren Bildungsveranstaltungen lassen wir die jungen Leute gerne erstmal sich darüber austauschen, was dieser Begriff überhaupt bedeutet. Was ist eine Naturlandschaft, was eine Kulturlandschaft? Da ist oft sehr schnell zu merken, daß die Vorstellung, was Natur ist, überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was wir hier draußen als Natur wahrnehmen. Natur wird als etwas Unberührtes, Ursprüngliches wahrgenommen, was unverändert und unbeeinflußt von Menschen ist. Doch so etwas gibt es hier bei uns in Deutschland und im europäischen Raum überhaupt nicht.

Oder der Begriff Kulturlandschaft. Was heißt das überhaupt? Gibt es die nur in Deutschland? Was soll damit überhaupt ausgedrückt werden? Wer benutzt den Begriff Kulturlandschaft und was will er damit sagen? Ich stimme zu, diese Begriffe sind ziemlich unscharf und offen für Interpretationen.

SB: Du hast heute abend Aufklärung über rechte Bewegungen betrieben. Gibt es mehr Möglichkeiten, gegen Rechts aktiv zu werden? Machen die Naturfreunde weitergehende Aktionen?

LN: Ja, sicherlich. Ich würde mich jetzt allerdings nicht allein auf die Naturfreunde beziehen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich gegen Rechts zu engagieren. Ich halte es zum Beispiel für eine sehr gute Idee, an Argumentationstrainings teilzunehmen. Oft ist das der springende Punkt: Man sitzt irgendwo, jemand bringt einen doofen Spruch und man denkt, oh Gott, das ist mir in meinen Freundes- und Bekanntenkreis passiert, wie kann ich denn jetzt darauf reagieren? Diese Sprachlosigkeit zu überwinden, an StammtischkämpferInnen-Ausbildungen teilzunehmen - was die Naturfreunde auch unterstützen -, sich von der mobilen Beratung Argumentationstrainings ranholen. Ich glaube, die Sprachlosigkeit ist das schlimmste. Daß man dasitzt und nicht weiß, was man sagen soll, daß man nicht weiß, wie man einen Widerspruch bringen kann. Das wäre etwas, was getan werden kann.

Außerdem halte ich heutzutage nichts für so wichtig wie die Vernetzung. Nicht im eigenen Süppchen bleiben, nicht denken, wir sind NABU oder NAJU, BUND oder Naturfreunde und müssen ein Alleinstellungsmerkmal haben und uns ganz dringend nach außen abgrenzen. Sondern wir müssen viel mehr miteinander reden und klarmachen, wo wir zusammen stehen, wo unsere gemeinsame Position ist, wo wir ganz klar gegen Rechts sind und wie wir uns gegenseitig stärken können.

SB: Gab es bei der heutigen Demo irgendwelche rechte Strömungen?

LN: Ich habe im Vorfeld recherchiert und erstmal nichts gefunden. Ich weiß, daß dazu auch das Organisationsteam von "Wir haben es satt!" in den letzten Jahren viel getan und sich darauf vorbereitet hat, gute Strategien zu erarbeiten, wie damit umzugehen ist. Ich werde im nachhinein auf jeden Fall dazu weiter recherchieren. Oft zeigt sich erst im Nachgang, wenn Leute anfangen, darüber zu berichten, daß doch irgendwelche Rechten bei einer Veranstaltung waren. Aber ich glaube, solange sie nur da sind, keinen Platz für sich beanspruchen und medial keine Aufmerksamkeit erzeugen, daß es so aussieht, als würden sie eine Mehrheit stellen oder als wären sie eine große Gruppe, die da mitredet, ist noch alles in Ordnung.

Man muß nur aufpassen, daß die Positionen von denen nicht nach ganz vorne getragen werden, wie es vor ein paar Jahren auf der TTIP-Demo mit der Identitärenbewegung der Fall war. Die waren mit Plakaten "Europa bewahren" und "Europa beschützen" durch die Gegend gelaufen, was prompt medial aufgegriffen wurde. Anschließend war den Veranstaltern vorgeworfen worden, sich davon nicht deutlich distanziert zu haben.

SB: Wie schätzt du die heutige Demo ein - wie ist sie gelaufen?

LN: Super! Ich war überrascht über die Menge an Menschen, die gekommen war. Die Stimmung hier ist total großartig. Ich finde es toll zu sehen, daß die Leute danach noch nicht genug haben, sondern daß sie noch hierher kommen und sich noch mehr Input holen. Ich hatte das Gefühl, das sind durch die Bank weg super interessierte, engagierte Menschen, und habe einfach ein gutes Gefühl, mit diesen Menschen weiter an einem demokratischen Natur- und Umweltschutz zu arbeiten.

SB: Vielen Dank, Lukas, für das passende Schlußwort.


FARN-Poster mit einem Schwarm Zugvögel als Hintergrund. Darauf Schriftzüge 'Natur kennt keine Grenzen' und 'Wir beziehen Position gegen rechten Einfluß auf Natur- und Umweltschutz' - Bild: Jürgen Hamann

Bild: Jürgen Hamann


Fußnoten:


[1] Im Jahr 2011 hat der Schattenblick das Bienenwerder Hof-Kollektiv besucht. Herausgekommen ist dazu ein Bericht und eine Audio-Reportage:
Lesen: https://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0003.html
Hören: http://schattenblick.de/ton/albatros/report/armd0003.html

[2] Ernst Haeckel (1834-1919), Mediziner, Zoologe und Philosoph, Vertreter des Darwinismus und einer eugenischen Sozialpolitik.
Paul Schultze-Naumburg (1869-1949), Architekt, der einen auf der Rassenideologie begründeten "volksgemäßen" Wohnungsbau propagierte.
Ernst Rudorff (1840-1916), Komponist, Musikpädagoge und Naturschützer, der sich gegen die Mitgliedschaft von Juden und Frauen in dem von ihm gegründeten "Deutschen Bund Heimatschutz", einem der ältesten deutschen Naturschutzorganisationen, wandte.


30. Januar 2019


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