Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT


INTERVIEW/183: Frauenstreik - mediale Fronten ...    Kersten Artus im Gespräch (SB)



Das Patriarchat ist ungefähr 8.000 Jahre alt. Das reicht. Es muss ein Ende haben. Der politische Streik ist das Mittel, das wir haben, um Veränderungen durchzusetzen. Und nicht ohne Grund ist er in Deutschland verboten.
Kersten Artus in ihrer Rede zum 8. März 2019 auf dem Rathausplatz in Hamburg [1]

Von 2008 bis 2015 war Kersten Artus Abgeordnete der Partei Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft. Heute ist sie Vorsitzende von pro familia in Hamburg und im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Hamburg aktiv. Am Landgericht Hamburg wird derzeit über die Klage eines Abtreibungsgegners entschieden, der systematisch ÄrztInnen wegen angeblichen Verstoßes gegen das sogenannte Werbeverbot nach Paragraph 219a angezeigt hat, darunter auch die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die im November 2017 deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Da Kersten Artus den Namen des Mannes im Internet öffentlich nannte, wurde sie mit einer Unterlassungsklage belegt.

Das Landgericht Düsseldorf hat in einem gleichgearteten Fall entschieden, daß die Online-Plattform BuzzFeed den Namen des Abtreibungsgegners nennen darf. Dort wurde das öffentliche Informationsinteresse stärker gewichtet als das von dem Kläger in Anspruch genommene Recht auf Anonymität im Rahmen des Persönlichkeitsrechtes. Am 15. März fand die Verhandlung der gegen Kersten Artus gerichteten Klage vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg unter Anwesenheit zahlreicher solidarischer Unterstützerinnen statt, das Urteil wird jedoch erst am 26. April verkündet.

In ihrer Rede zum Frauenstreik und Internationalen Frauenkampftag am 8. März rief sie auch dazu auf, die Paragraphen 218 und 219 endlich zu streichen. Sie bezeichnete den strafrechtlich durchgesetzten Zwang, eine ungewollte Schwangerschaft auszutragen und eine ungewollte Geburt erleiden zu müssen, als "besonders perfide Form der Gewalt", und setzte den Kampf für Frauenrechte gleich mit dem Kampf "für eine Zukunft ohne Armut und ohne Kriege. Für eine Welt, in der man leben darf, wo man möchte. Gegen Rassismus. Gegen Faschismus. Gegen alte und neue Nazis." Schließlich forderte die ehemalige Betriebsrätin die Gewerkschaften auf, sich mehr in der Frauenarbeit zu engagieren und insgesamt feministischer zu werden, indem sie die unbezahlte Arbeit von Frauen stärker thematisieren und in Tarifverhandlungen aufnehmen.

Nach ihrer Rede beantwortete Kersten Artus dem Schattenblick [2] einige ergänzende Fragen.


Nach dem Gespräch im Wind auf dem Rathausmarkt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Kersten Artus
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Artus, könnten Sie kurz erklären, worum es in dem gegen Sie angestrengten Prozeß geht?

Kersten Artus (KA): In dem Prozeß geht es um folgendes: Der Kläger, der zig Frauenärztinnen und Frauenärzte nach Paragraph 219a Strafgesetzbuch angeklagt und denunziert hat, will nicht, daß ich seinen Namen öffentlich nenne. Genau dies habe ich sowohl auf Twitter wie auch auf meinem Blog und auf der Solidaritätswebsite für Kristina Hänel getan, die ich in unserem Solikreis betreibe. Er hat mich dafür abgemahnt, zudem soll ich seine Anwaltskosten tragen, was ich nicht getan habe. Das soll nun vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg geklärt werden. Der Prozeß wird hoffentlich nächsten Freitag zu meinen Gunsten entschieden werden.

SB: Arbeiten Sie mit Kristina Hänel zusammen?

KA: Kristina Hänel und ich arbeiten sehr eng zusammen, und die beklagte Namensnennung reiht sich natürlich in unsere Themen ein. Trotzdem handelt es sich um ein Nebenschauplatz, den dieser Mann aufgemacht hat. Natürlich geht es um Informationsrechte und Freiheiten auch für Journalistinnen oder für Menschen wie mich - aber vor allen Dingen geht es um die Abschaffung des Paragraphen 219a. Und deswegen müssen wir diesen Prozeß jetzt leider führen, aber er steht nicht im Zentrum der Auseinandersetzung. Natürlich sind alle wütend darüber, daß dieser Mann, der das alles angeschoben hat, meint, sich da jetzt anonym raushalten zu können. Das funktioniert natürlich nicht.

SB: Könnte das Exponieren von Männern, die solche frauenfeindliche, antifeministische Aktionen machen, ganz allgemein eine Aktionsform der feministischen Bewegung sein?

KA: Na ja, er konnte sich ja nicht dagegen wehren. Im April letzten Jahres habe ich seinen Namen genannt, und im Juni fiel ihm auf, daß er das nicht möchte. Und als er angefangen hat, gegen seine Namensnennung vorzugehen, und ich seine Bemühungen zusätzlich bekannt gemacht habe, ist das herumgegangen wie nichts Gutes. Sein Name ist jetzt wirklich sehr bekannt, das hat er sich selber zuzuschreiben. Genau dieser Effekt ist es, dem er seine jetzige Bekanntheit zu verdanken hat. Vorher hat sich wirklich niemand für ihn groß interessiert.


Kersten Artus bei der Rede auf dem Rathausmarkt - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Es ist Gewalt, wenn andere über mein Leben entscheiden und nicht ich selbst."
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Die feministische Bewegung ist inzwischen sehr breit aufgestellt, wie die grobe Einteilung in zweite und dritte Generation zeigt. Sie haben in Ihrer Rede den Begriff des Patriarchats erwähnt, von dem Sie sagten, daß es nach 8000 Jahren Zeit für sein Ende sei. Halten Sie es für einen Verlust, daß der Begriff heute nicht mehr so viel Verwendung findet wie in früheren Zeiten des Feminismus?

KA: Das kann ich so nicht bestätigen. Als ich diesen Satz vorhin in der Rede vortrug, kam spürbar der meiste Applaus auf, von daher ist der Begriff schon bekannt. Er steht für die Herrschaftsstruktur, in der wir uns befinden, und daß es sich um eine strukturelle Diskriminierung handelt, denke ich, ist allen hier Anwesenden bewußt. Aber es ist natürlich richtig, wir müssen diese Sichtweise und auch unsere Geschichte von Generation zu Generation weitergeben. Das hat beim 219a hervorragend funktioniert. Es sind ganz viele junge Frauen, die sich dagegen wehren, sich in ihrem Medium, dem Internet, mit dem sie aufgewachsen sind, nicht frei informieren zu können. Und sie haben sich wunderbar mit älteren Feministinnen verbunden, auch mit den Ärztinnen, die seit vielen Jahrzehnten auch aus politischen Gründen diese Abbrüche machen, um für Frauengesundheit einen wichtigen Beitrag zu leisten. Da sind in den letzten anderthalb Jahren viele neue Verbindungen entstanden, was gar nicht im Sinne der Abtreibungsgegner ist, aber diesen Effekt haben sie erzielt. Das hat gezeigt: Wir wehren uns gemeinsam, und das auf eine sehr solidarische Art.

SB: Hier auf dem Rathausmarkt ist Jens Spahn immer wieder Thema. Rechte wie er und Alice Weidel, die sich zu ihren gleichgeschlechtlichen Beziehungen bekennen, hätte man sich früher, als Schwulsein unter jungen Menschen meist mit Linkssein gleichgesetzt wurde, kaum vorstellen können. Wie sehen Sie das?

KA: Die geschlechtliche Identität und die sexuelle Art und Weise zu leben, sich auszuleben, hat wirklich nichts mit dem politischen Bewußtsein zu tun, das hat man auch beim 175a gesehen. Ich habe selber bewußt von einer Verschränkung von Klasse und Gesellschaft gesprochen, und das meine ich auch so. Trotzdem solidarisiere ich mich mit allen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität unterdrückt werden - dies würde auch für Jens Spahn gelten, wenn er denn sexuell unterdrückt würde. Aber in der Sache Frauengesundheit, sexuelle und reproduktive Rechte sind wir uns trotzdem spinnefeind und kämpfen auch gegeneinander. Und Frau Weidel interessiert mich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Da schaue ich eher auf die SPD, was diese Partei in der Großen Koalition tut und warum sie sich wirklich diesen Fundamentalisten so angebiedert hat, um weiter an der Macht zu bleiben und jetzt in ihren Europawahlkampf zu starten. Das finde ich, ehrlich gesagt, extrem problematisch. Und daß unser ehemaliger Bürgermeister, Olaf Scholz, Jens Spahn diese fünf Millionen für eine völlig sinnlose Studie genehmigt hat, die feststellen soll, daß es angeblich ein psychisches Syndrom nach einem Schwangerschaftsabbruch gibt, ist wirklich hanebüchen und dem gilt meine vollste Kritik.

SB: Wie weit ist es Ihrer Ansicht nach zweckmäßig, sich, wie etwa der Ökofeminismus, mehr mit der Frauenbewegung in den Ländern des Globalens Südens zu befassen, wo es häufig um Fragen wie die Verfügbarkeit von Land und Ressourcen geht?

AK: Das hängt unmittelbar miteinander zusammen, weil der Sexismus in dieser Gesellschaft ja wirklich strukturell überall durchwirkt. Wenn wir über Ökofeminismus oder über feministische Außenpolitik sprechen - Sie können das wirklich an jeder Frage festmachen -, sehen wir immer die strukturellen Diskriminierungen von Frauen und anderen unterdrückten Geschlechtern, und deswegen sind wir auch alle miteinander verbunden. Trotzdem ist es sinnvoll, die Kämpfe im einzelnen zuzuspitzen, sich dann aber auch solidarisch zu verbünden, wie das jetzt mit dem Bündnis gegen den Pflegenotstand geschieht. Da haben wir die gleichen Gegner und die gleichen Gegnerinnen. Da müssen wir uns miteinander verbinden.

Deswegen war es mir noch einmal wichtig, den politischen Streik zu thematisieren, der ja nicht umsonst in Deutschland verboten ist. Wenn wir gemeinsam auf die Straße gehen, bekommen wir das auch hin. Aber wir müssen stärker und größer werden, und da nutzt es nichts, wenn wir hier 100 und da 100 sind, sondern wir da müssen uns verbinden. Aber es wird immer Motoren geben, so wie wir das jetzt bei der jungen Schwedin sehen. Es gibt immer Vorbilder, es gibt immer Inspiration, und die sind natürlich wichtig und auch gut. Dann bewegen sich die Menschen und wachen auf.

SB: Frau Artus, vielen Dank für das Gespräch.


Seitentransparent des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung 'My Body My Choice' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://blog.kerstenartus.info/2019/03/08/das-patriarchat-ist-8000-jahre-alt-das-reicht/#more-9548

[2] BERICHT/119: Frauenstreik - der gleiche Kampf ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0119.html


17. März 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang