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INTERVIEW/190: Kreuzfahrtschiffe - zu Lasten der Natur...    Wolfgang Meyer-Hentrich im Gespräch (SB)


Gespräch am 2. Juli 2019 in Kiel


Die Fiktion des "Traumschiffs" war für das deutsche Fernsehpublikum ein beliebter Dauerbrenner, lange bevor auch die hiesigen Konsumenten des modernen Massentourismus begannen, dank Pauschalangeboten zum Discounterpreis selber zu Tausenden die Kreuzfahrtschiffe zu stürmen und von dort aus die Anlegehäfen heimzusuchen. Aus einem Millionärsprivileg hat die florierende Branche ein boomendes Freizeitvergnügen für breite Bevölkerungsteile gemacht, dessen gravierende Schadensfolgen schon seit einigen Jahren in Fachkreisen thematisiert, doch erst in jüngster Zeit von den Medien wahrgenommen werden.

Der Kölner Autor und Journalist Wolfgang Meyer-Hentrich hat darüber mehrere Bücher geschrieben, in denen er eindringlich vor der Umweltverschmutzung durch diese Schiffsgiganten, der Ausbeutung von Arbeitskräften an Bord und dem Kreuzfahrtimperialismus in aller Welt warnt. Die Vermarktungsstrategien der Unternehmen liefen auf Greenwashing hinaus, und die technologischen Verbesserungen blieben in ihrer Umsetzung weit hinter den in Aussicht gestellten Möglichkeiten zurück. Nachhaltiger Massentourismus, wie er immer wieder bis in Kreise der Grünen hinein herbeiphantasiert werde, bleibe zwangsläufig ein Widerspruch in sich.

Wenige Wochen nach der spektakulären Blockade eines Kreuzfahrtschiffes am Pfingstsonntag in Kiel stellte Wolfgang Meyer-Hentrich auf Einladung der dortigen "Initiative gegen Kreuzfahrt" am 2. Juli im Klingelhörsaal der Christian-Albrechts-Universität sein neu erschienenes Buch "Wahnsinn Kreuzfahrt" vor. [1] Im Anschluß an die Lesung und rege Diskussion beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Bei der Buchvorstellung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Wolfgang Meyer-Hentrich
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Früher sind Menschen auf Reisen gegangen, um fremde Länder kennenzulernen, sich zu bilden und anderen Menschen zu begegnen. Warum unternehmen die Leute heute eine Kreuzfahrtreise, wo sie doch das gleiche Unterhaltungsprogramm eigentlich auch zu Hause erleben könnten?

Wolfgang Meyer-Hentrich (WMH): Das Prinzip der modernen Kreuzfahrten kommt aus Amerika. Dort geht es vor allem um Freizeitvergnügen, Unterhaltung, darum, sich den Tag möglichst effektiv spaßmäßig zu gestalten, und das ist heute Weltmaßstab bei dieser Form von Massentourismus. Das, was früher in den 60er, 70er Jahren in Amerika angefangen hat, ist heute überall auf der Welt der Standard für Kreuzfahrtschiffe. Es geht nicht um ferne Länder, fremde Kulturen, es geht nicht um Natur, sondern es geht vor allem um Erlebnisurlaub auf dem Meer in schwimmenden Ferienparks, und das Ganze ist so preiswert, daß es längst für jedermann bezahlbar wird.

SB: Kontrastiert man den Kreuzfahrttourismus mit den Flüchtlingsströmen, mutet dies wie zwei völlig voneinander geschiedene Welten und Kategorien von Menschen an. Die einen unternehmen Reisen in alle Welt ohne Rücksicht auf Verluste, während andere mit allen erdenklichen Gewaltmitteln daran gehindert werden, den umgekehrten Weg zu nehmen.

WMH: Da sehe ich zunächst insofern keine Parallelen, als es in dem einen Fall das Elend ist, was die Menschen zur Flucht treibt und in Bewegung bringt, im anderen Fall hingegen die Sucht nach Vergnügen. Das, was die Leute Erlebnisurlaub oder einen All-inclusive-Urlaub nennen, kann man nicht mit dem Flüchtlingselend vergleichen. Der Kreuzfahrttourismus bedeutet indessen Gefahr für Natur und Menschen, und das in vielerlei Hinsicht.

SB: Wie sind die Bestrebungen der Kreuzfahrtkonzerne einzuschätzen, bestimmte Ressorts in aller Welt aufzukaufen und exklusiv für ihre Kunden zu reservieren?

WMH: Die Kreuzfahrtindustrie ist soweit, daß sie Flughäfen und Häfen kauft und sich ihre eigene Infrastruktur schafft. Ihr Bestreben geht dahin, von der Produktion bis zum Endverbrauch alles in eigener Hand zu organisieren. Das Prinzip des modernen Massentourismus ist generell die kanalisierte, organisierte Bewegung von Menschen. Es geht um die Kollektivierung der Freizeit, und diese Kollektivierung der Freizeit ist keine individuelle Angelegenheit, weil der Individualreisende solche Massenunternehmungen nicht mag. Die Kreuzfahrtunternehmen sprechen vor allem die Leute an, die organisiert und kanalisiert reisen und sich auch keine Gedanken darum machen wollen, wie sie ihren Urlaub gestalten. Die werden zu Hause abgeholt, sie werden irgendwohin geflogen und haben dann ihren Spaß.

Das sieht man den Leuten teilweise auch an, so wie sie reisen. Sie kommen in Shorts oder in Jogginghose aufs Schiff und fahren mit den gleichen Shorts und der gleichen Jogginghose auch wieder nach Hause. Vielleicht darf ich diesen Satz noch anfügen: Die legere Freitzeitkleidung ist zur globalen Uniform des Massentourismus geworden. Die Menschen ziehen sich auch nicht mehr individuell an, sondern erscheinen überall in der Welt gleich vom Aussehen her, ob das in Australien ist, ob das vor Hongkong ist, ob das in den USA ist, in der Karibik oder ob das in Japan oder China ist. Die Menschen tragen überall die gleiche Art von Freizeitklamotten, die auch durchaus von den gleichen Herstellern kommen. Und daran erkennt man sie dann auch oft.

SB: Auf welche Quellen konnten Sie im Zuge Ihrer Arbeit an dem Buch bei der Recherche zurückgreifen? War es schwierig, sich Insiderinformationen zugänglich zu machen?

WMH: Das wichtigste ist tatsächlich langjährige Erfahrung, auch Insidererfahrung, anders hätte ich dieses Buch nicht realisieren können. Das alles nur von außen zu schreiben, halte ich zwar für möglich, aber dann wird es, glaube ich, nicht gut. Wenn das Buch eine gewisse Resonanz nach sich gezogen hat, ist das meines Erachtens nicht zuletzt auf den Eindruck des Lesers zurückzuführen, daß hier jemand spricht, der den Laden auch von innen kennt. Neu war für mich dabei, weil ich doch nicht mehr unbedingt der Computer-Generation angehöre, die Internet-Recherche. Es existiert zu diesem Thema sehr wenig geschriebene Literatur in Gestalt von Büchern, die mein erster klassischer Zugang sind. Da in dieser Hinsicht nur ganz wenig zu finden ist, war ich auf das Internet angewiesen und mußte dort breitflächig recherchieren. Aber man findet alles - wer sucht, der wird im Internet immer fündig.

SB: Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Lesungen gemacht? Wie waren in der Reaktion des Publikums Zustimmung und Einwände verteilt?

WMH: Das Thema Kreuzfahrten polarisiert in hohem Maße. Das merke ich bei den Lesungen, aber auch dort, wo beispielsweise Zeit-Online Leserkommentare veröffentlicht. Dort gab es zu einer Veröffentlichung rund 270 Leserkommentare, die sehr konträr ausfielen. Die einen fragen, ob sich etwa nur Reiche solche Kreuzfahrten leisten dürfen, oder werfen mir vor, ihnen das Kreuzfahrtwesen vermasseln zu wollen: Der feine Herr hat jetzt genug Kreuzfahrten gemacht und wird plötzlich vom Saulus zum Paulus. Oder er predigt Wasser, trinkt aber Wein. Diese Argumentation ist mir nicht unvertraut, aber sie stört mich nicht, denn ich habe ja niemand verraten, ich habe nicht die Seiten gewechselt. Ich habe vielmehr meinen Horizont erweitert und bin zu Erkenntnissen gekommen, die nicht mit den Ansichten übereinstimmen, die ich vor fünfzehn Jahren hatte. Es ist normal, daß man seine Ansichten und Einsichten im Laufe der Zeit ändert und etwas, was man früher gut gefunden hat, dann auf einmal nicht mehr gut oder sogar schädlich findet, wenn man sich intensiver damit auseinandersetzt.

WMH: Was antworten Sie Leuten, die Ihnen vorwerfen, Sie wollten ihnen ja nur die günstigen Kreuzfahrten vermiesen oder gar wegnehmen?

WMH: Denen kann ich nur raten zu versuchen, meine Argumentation zu verstehen und das, was sie an diesen Kreuzfahrtreisen gut finden, vielleicht auch mal zu hinterfragen. Ich kann nur hoffen, daß die Medien und auch die Politik das Bewußtsein der Menschen dahingehend verändern, daß sie zu ähnlichen Einsichten gelangen wie ich und daraus Konsequenzen ziehen.

SB: Haben Sie in diesem Sinne die Erfahrung gemacht, daß Pressemedien und Sender sich stärker als in der Vergangenheit dieses Themas annehmen und auf Sie zugehen, um diese Problematik mit Ihnen zu erörtern?

WMH: Ja, ich erfahre durchaus eine breite positive Medienresonanz, wobei sich das aber erstaunlicherweise immer im Feuilleton und nicht in der Reiseredaktion abspielt. Alle Interviewwünsche, alle Buchvorstellungen oder Buchrezensionen gehen nur von der Feuilletonseite aus und nicht von den Reiseredaktionen. Von den Reiseredaktionen kommt dann eher Kritik, weil sie eben mit der Tourismusbranche sehr eng verschlungen sind. Im Grunde interessiert sich nur das Feuilleton für diese kritische Sicht auf den heutigen Kreuzfahrttourismus.

SB: Bei Ihrer Buchvorstellung hier in Kiel saßen heute abend überwiegend junge Leute im Publikum. Entspricht es Ihren Erfahrungen, daß dieses Thema in seiner kritischen Bearbeitung vor allem bei jungen Menschen besonders gut ankommt?

WMH: Das ist so, Punkt.

SB: Herr Meyer-Hentrich, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


[1] BERICHT/130: Kreuzfahrtschiffe - Dekadenz auf Schrauben ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0130.html


12. Juli 2019


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