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ASIEN/004: Aserbaidschan - Beschränkungen der Meinungsfreiheit vor Parlamentswahl (ROG)


Reporter ohne Grenzen e.V.
Deutsche Sektion von Reporters sans frontières

Pressemitteilung vom 16. September 2010

Aserbaidschan:
NGO-Bündnis alarmiert über Beschränkungen der Meinungsfreiheit vor Parlamentswahl


Die schwierige Situation der Presse- und Meinungsfreiheit in Aserbaidschan könnte sich vor der Parlamentswahl im November 2010 weiter verschärfen. Zu dieser Einschätzung kommen Reporter ohne Grenzen (ROG) sowie acht weitere Nichtregierungsorganisationen nach einem mehrtägigen Besuch in dem vorderasiatischen Land. Während ihres Besuch vom 7. bis 9. September trafen Vertreter der Organisationen, die sich im Vorfeld der Parlamentswahl zur "Internationalen Partnerschaftsgruppe für Aserbaidschan" zusammengeschlossen haben, mit aserbaidschanischen Medienmitarbeitern, Bürgerrechtlern und Regierungsbeamten zusammen.

Gezielte Übergriffe und Drohungen gegen kritische Pressevertreter sowie die juristische Verfolgung von Journalisten und Bloggern haben aus Sicht des NGO-Bündnisses zu einem drastischen Rückgang der Medienvielfalt in Aserbaidschan geführt. Gerade im Vorfeld der am 7. November geplanten Präsidentschaftswahl sei das äußerst beunruhigend.

Viele Angriffe gegen Medienvertreter blieben ungesühnt. Aserbaidschanische Journalisten und Blogger sind gezwungen, in einem "Klima andauernder Straffreiheit und unter ständigem Druck durch die Behörden zu arbeiten", heißt es in der am 15. September veröffentlichten gemeinsamen Erklärung des Bündnisses. Diese Faktoren hätten ein Klima erzeugt, in dem Selbstzensur weit verbreitet sei, erklären die Organisationen weiter.

Die Partnerschaftsgruppe appelliert an die Behörden, in allen Fällen von Gewalt und Drohungen gegen Medienvertreter und politische Aktivisten umgehende, gründliche und unabhängige Ermittlungen einzuleiten. Die Organisationen fordern außerdem die bedingungslose und umgehende Freilassung des Journalisten Eynulla Fatullajew sowie der beiden Blogger Emin Milli und Adnan Hajisade. Alle drei wurden wegen untergeschobener Taten verurteilt, die sie nicht begangen haben.

Im Fall des inhaftierten Journalisten Eynulla Fatullajew zeigt sich besonders drastisch, wie in Aserbaidschan vorgeblich normale Strafverfolgung missbräuchlich eingesetzt wird, um regierungskritische Medienmitarbeiter gezielt zum Schweigen zu bringen. Fatullajew wurde im Jahr 2007 aufgrund verschiedener Veröffentlichungen aus den Jahren 2005 und 2007 zu einer mehrjährigen Haftstrafe sowie einer zusätzlichen Geldstrafe verurteilt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Aserbaidschan wegen der Nichteinhaltung grundlegender Verfahrensrechte und forderte die aserbaidschanische Regierung ausdrücklich auf, den Journalisten freizulassen - bisher ohne Folgen. Vielmehr wurde Fatullajew zwischenzeitlich erneut verurteilt, da in seiner Häftlingskleidung eine größere Menge Rauschgift gefunden worden sei. Fatullajew beteuert, dass die Drogen ihm untergeschoben wurden.

ROG hat sich bereits mehrfach an den Anwaltskosten von Eynulla Fatullajew beteiligt und dessen Familie finanziell unterstützt. Die Eltern des Journalisten haben aufgrund der Verfolgung ihres Sohnes ihre Arbeit verloren.

Auch die vielfachen internationalen Appelle, die beiden Blogger Milli und Hajisade freizulassen, blieben bislang ungehört. Die beiden jungen Männer, die sich in einem Video über korrupte Politiker lustig gemacht hatten, wurden im Juli 2009 zusammengeschlagen und erheblich verletzt. Nachdem sie deswegen Anzeige erstattet hatten, wurden nicht die Täter, sondern sie selbst festgenommen und wegen "Hooliganismus" und "willkürlicher körperlicher Gewalt" angeklagt. Ihr Prozess wurde von zahlreichen internationalen Akteuren beobachtet und als unfair kritisiert. Dennoch wurden sie zu 30 beziehungsweise 24 Monaten Haft verurteilt.

In 15 abschließenden Empfehlungen an die aserbaidschanische Regierung zur Verbesserung der Lage der Medien fordert das NGO-Bündnis auch die Aufnahme von medienrechtlichen Bestimmungen in die Wahlvorschriften: So soll beispielsweise ein gleicher und gerechter Zugang aller Wahlkandidaten zu den staatlichen Medien gewährleistet werden.

Die "Internationale Partnerschaftsgruppe für Aserbaidschan" hat sich in diesem Sommer gegründet, um internationale Aufmerksamkeit auf die Verstöße gegen Presse- und Meinungsfreiheit in Aserbaidschan zu lenken. Neben ROG gehören der Allianz folgende Organisationen an: ARTICLE 19, Freedom House, Index on Censorship, International Federation of Journalists, Media Diversity Institute, Open Society Foundations, Press Now and World Association of Newspapers and News Publishers.


Lesen Sie hier die gemeinsame Erklärung der Partnerschaftsgruppe vom 15. September (Englisch):
http://bit.ly/Aserbaidschan_ROG

Eine weitere ausführliche Erklärung wird die Gruppe voraussichtlich Ende Oktober veröffentlichen.


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Quelle:
Pressemitteilung, 16.09.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2010