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FLUCHT/017: Wiener Asyl - verhandeln, zermürben, Zugriff ... (SB)


Flüchtlingsproteste in Wien - 6. Februar 2013

Wien auf ganz harter Linie - die ersten Protestflüchtlinge werden abgeschoben


Großaufnahme des Kircheninnenraums, links die Flüchtlinge, rechts ca. 20 Medienvertreter - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Pressekonferenz hungerstreikender Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche am 5. Februar 2013
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Am gestrigen Dienstag, dem 5. Februar 2013, wurde in den frühen Morgenstunden wahr, was die protestierenden Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer schon seit langem befürchtet haben: Mit Hussain M. wurde der erste der seit Dezember gegen das Asylsystem Österreichs protestierenden Flüchtlinge nach Ungarn abgeschoben. Er gehörte zu den vier Protestlern, die von der Fremdenpolizei bereits am 12. Januar 2013 festgenommen und in Schubhaft, wie in der Alpenrepublik Abschiebehaft genannt wird, verbracht worden waren und dort ihren Protest fortgesetzt hatten. Aus diesem Grunde hatte die Wiener Solidaritätsbewegung in den zurückliegenden Wochen auch vor dem Abschiebegefängnis, dem Polizeianhaltezentrum (PAZ) am Hernalser Gürtel, ihren Protest und ihre Unterstützung deutlich gemacht.

Befürchtet wird nun, daß Hussain M. nicht nur nach Ungarn, was für ihn schon schlimm genug wäre, sondern von dort weiter zurück nach Pakistan abgeschoben werden könnte. Wie die Sozialistische Jugend Österreichs in einer Presseaussendung [1] darlegte, sind die Abschiebungen nach Ungarn von verschiedenen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, unter ihnen auch "Asyl in Not", in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert worden, weil in dem jungen osteuropäischen EU-Staat eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge nicht gewährleistet sei. Da auch ein zweiter Flüchtling, Mohammed N., nach Angaben der SPÖ-Jugend soeben seinen Abschiebebescheid erhalten haben soll, steht zu befürchten, daß die Wiener Verantwortlichen den seit Wochen andauernden Flüchtlingsprotest inklusive eines Hungerstreiks, der zu Verhandlungszwecken für zehn Tage unterbrochen und am 1. Februar wieder aufgenommen worden war, keinesfalls lösen, sondern im engsten Wortsinn aus der Welt schaffen wollen, indem die Protestierenden selbst außer Landes gebracht werden.

Einer der Flüchtlinge während der Pressekonferenz in Großaufnahme - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Hinter jedem "Flüchtling" steht ein Mensch mit einer eigenen Lebensgeschichte
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

"Es ist offenbar das Ziel der Polizei, mit einzelnen Abschiebungen schrittweise die protestierenden Flüchtlinge des refugee camps loszuwerden", lautete die gestrige Stellungnahme von Wolfgang Moitzi, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, zu den beiden unmittelbar bevorstehenden und inzwischen möglicherweise bereits durchgeführten Abschiebungen [1]. Nach Angaben der Rechtsaußen-Partei Österreichs, der sogenannten "Freiheitlichen", in Deutschland besser bekannt als die Partei des früheren Landeshauptmanns von Kärnten, dem 2008 verstorbenen Jörg Haider, vom heutigen Mittwochvormittag wurden bereits zwei Abschiebungen durchgeführt [2], so daß zu befürchten steht, daß mit Mohammed N. bereits ein zweiter Protestflüchtling gegen seinen Willen außer Landes gebracht worden sein könnte.

Die FPÖ scheint seit Wochen die Rolle eines bösen Buben einzunehmen, der ungeniert gegen die protestierenden Flüchtlinge wettert, nach härtesten Maßnahmen ruft und auch nicht davor zurückschreckt, diejenigen Österreicherinnen und Österreicher, die sich mit den Flüchtlingsprotesten solidarisieren und den Aktivisten zur Seite stehen, aber auch deutsche Unterstützerinnen und Unterstützer durch die Behauptung zu diffamieren, die Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Wenngleich von den Verantwortlichen in Wien keine Verbalinjurien zu vernehmen sind, steht ihre Politik, wie die jetzigen Abschiebungen belegen, den FPÖ-Positionen weitaus näher, als es zunächst den Anschein hatte.

Drei Polizeifahrzeuge bei der Abfahrt - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Ein Mensch wird abgeschoben - Polizeieinsatz in den Morgenstunden des 5. Februar 2013
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Wie die Sozialistische Jugend Österreichs in ihrer gestrigen Stellungnahme ausführte, berufen sich die Behörden auf die Dublin-II-Verordnung der Europäischen Union, derzufolge stets das Ersteinreiseland für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig sei [1]. Für die Flüchtlingsprotestbewegung in Österreich - und die ebenfalls im Entstehen begriffenen Bewegungen in den übrigen EU-Staaten, wie anzunehmen ist - stellt gerade auch diese Verordnung einen Stein des Anstoßes dar. Solche Abschiebungen sind menschenunwürdig, meint auch die SPÖ-Jugend, die die Legitimität der Dublin-II-Verordnung in Frage stellt und den EU-Staaten zum Vorwurf macht, sich auf diesem Wege aus ihrer Verantwortung zu stehlen. [1]

"Die Strategie der Behörden, sukzessive jene refugees abzuschieben, die sich für Flüchtlingsrechte einsetzen, ist ebenso durchschaubar wie verwerflich", lautete die Kritik einer Flüchtlingsaktivistin zu den jüngsten Abschiebungen. Sie prophezeite den polizeilichen Maßnahmen einen gegenteiligen als den von den Behörden offenbar gewünschten Effekt. Diese Strategie werde ihrer Einschätzung nach nicht aufgehen: "Das ist klar. Die Proteste lassen sich durch Repression nicht kleinkriegen. Im Gegenteil. Sie werden wachsen und immer mehr Zuspruch finden!" [1] Protestiert haben unterdessen auch die österreichischen Grünen. Wie die Menschenrechtssprecherin der Partei Alev Korun klarstellte, belegten die jüngsten Abschiebungen, wie die Innenministerin mit den Fehlern und Mißständen des österreichischen bzw. europäischen Asylsystems umgehe - wer es wage, sie öffentlich zu kritisieren, werde abgeschoben. Und weiter erklärte die Grüne [3]:

"In Ungarn herrschen immer noch bedenkliche Zustände für AsylwerberInnen, die in Haft geraten. Das weiß die Ministerin. Es macht ihr als 'christlich-soziale' Politikerin aber offensichtlich nichts aus, Leute in diese Zustände abzuschieben. Klarer könnte man die Misere des europäischen Asylsystems nicht demonstrieren. Das noch absurdere für die Ministerin ist aber: die Probleme, die die protestierenden Flüchtlinge ansprechen, lösen sich nicht in Luft auf, wenn die Ministerin versucht, die Protestierenden los zu werden. Es braucht Problemlösungskompetenz durch Verbesserungen bei Unterbringung und fairen Asylverfahren statt Machtdemonstration durch Abschiebung", meint Korun.
Links im Bild die Flüchtlinge während der Pressekonferenz, rechts ein Fotograph - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Nach der ersten Abschiebung - die Flüchtlinge der Votivkirche machen ihre Anliegen öffentlich
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Die protestierenden Flüchtlinge machten in einer angesichts der jüngsten Eskalation umgehend in der Wiener Votivkirche am Dienstag durchgeführten Pressekonferenz deutlich, daß ihr Grundanliegen nach wie vor einem menschenwürdigen Asyl gilt. Nach Angaben der katholischen Presseagentur (KAP) forderten sie auf der gestrigen Pressekonferenz abermals Gespräche mit Behörden und Regierungsvertretern; sie möchten "von der Politik ernstgenommen werden" [4]. Auf der Pressekonferenz haben die protestierenden Flüchtlinge KAP zufolge ihre Befürchtung geäußert, ungeachtet der bereits zugesagten Unterstützung letzten Endes auch abgeschoben zu werden.

Vier Flüchtlinge sitzen am Tisch, einer von ihnen spricht - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Gemeint sind sie alle - droht den Protestierenden die Abschiebung?
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Asyl sei kein Verbrechen, habe einer der Flüchtlinge auf der Pressekonferenz in der Votivkirche, die ihnen nun schon seit vielen Wochen eine Heimstatt bietet, erklärt. Die Kirche scheint ihr einziger Schutz zu sein, machten sie doch deutlich, daß sie der ihnen drohenden Abschiebung schutzlos ausgeliefert seien, sobald sie das Gotteshaus, in das sie sich begeben hatten, um auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam zu machen, verlassen würden [4].

Auf der Pressekonferenz hätten die Flüchtlinge nicht nur Kritik am Innenministerium wegen der Abschiebungen nach Ungarn geübt, sondern auch am Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Ein Treffen, das für den vergangenen Sonntag vereinbart gewesen wäre, habe nicht stattgefunden, weil das UNHCR einen Ortswechsel vorgeschlagen hätte, hieß es auf der relativ gut besuchten Pressekonferenz in der Votivkirche. Die Kirchenflüchtlinge hätten auch deutlich gemacht, daß nun daran gedacht werde, die Proteste auf ganz Österreich auszuweiten und Flüchtlinge überall im Lande zu mobilisieren, damit auch sie im Kampf für ein menschenwürdiges Asylsystem aktiv werden [4].

Kirchenpfeiler mit Hungerstreik-Plakat, davor zwei Stühle mit Flüchtlingsporträts mit der Aufschrift 'Ich möchte hierbleiben' - Foto: © 2013 by Daniel Hrncir

Bescheidene Wünsche der Hungerstreikenden
Foto: © 2013 by Daniel Hrncir


Fußnoten:

[1] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130205_OTS0034/sjoe-refugee-aktivisten-akut-von-abschiebung-bedrohte

[2] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130206_OTS0066/fp-gudenus-zu-votivkirchenbesetzern-abschiebungen-der-asylbetrueger-laengst-ueberfaellig

[3] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130205_OTS0079/korun-innenministerium-schiebt-votivkirchen-fluechtlinge-kurzerhand-ab

[4] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130205_OTS0167/votivkirche-fluechtlinge-wollen-von-politik-ernstgenommen-werden


6. Februar 2013