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FLUCHT/060: Getretene Würde - geflüchtet, verschaukelt und ignoriert ... (RAV)


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.

GEMEINSAMER OFFENER BRIEF, 22. Juli 2014

Wollen Sie Flüchtlinge schützen - oder wollen Sie es nicht?



Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wowereit,
sehr geehrte Frau Senatorin Kolat,
sehr geehrter Herr Senator Henkel,
sehr geehrter Herr Mazanke,

Das "Einigungspapier Oranienplatz", das nach langen Verhandlungen zwischen der Senatorin Kolat im Auftrag des Berliner Senats und Delegierten der Flüchtlinge erarbeitet wurde, ist am 18. März 2014 als "friedliche Lösung" des Flüchtlingsprotests präsentiert worden. Doch was für eine Lösung wird hier für wen präsentiert?

Die Flüchtlinge, die seit Oktober 2012 in Berlin für ihre Rechte demonstriert haben, räumten am 8. April 2014 freiwillig ihr Protestcamp am Oranienplatz. Ein Großteil der Flüchtlinge aus der Gerhart-Hauptmann-Schule zog unter massiver Polizeipräsenz Ende Juni 2014 aus der Schule aus. Die Orte des Protestes sind damit aufgegeben worden. Das ist eine Lösung: allerdings ausschließlich eine ordnungspolitische für den Berliner Senat.

Eine Lösung für die Flüchtlinge, die das "Einigungspapier Oranienplatz" betrifft, ist dagegen nicht in Sicht. Wer sind diese Flüchtlinge? Wir sprechen von über 500 Menschen, die ihre Herkunftsländer verlassen mussten, die teilweise lebensgefährliche Fluchtwege hinter sich haben, um Europa zu erreichen, die massive Gewalt erlebt haben, die in ihrer großen Mehrheit aufgrund dieser Erfahrungen an schweren Traumatisierungen leiden. Und wir sprechen über Menschen, die seit fast zwei Jahren immer wieder versuchen, auf diese unhaltbaren menschenunwürdigen Zustände hinzuweisen.

Während Sie, Frau Senatorin Kolat, in dem Einigungspapier formulierten, dass für die Teilnehmer/innen der "Vereinbarung Oranienplatz" "auf Antrag eine umfassende Prüfung der Einzelfallverfahren im Rahmen aller rechtlichen Möglichkeiten erfolgt", "die Ausländerbehörde die Antragstellerinnen und Antragsteller beratend unterstützt" und "die Flüchtlinge [...] Unterstützung und Begleitung bei der Entwicklung ihrer beruflichen Perspektiven" erhalten, lehnen Sie, Herr Senator Henkel, jegliche Zuständigkeit für diese Menschen ab. Aus dem "Einigungspapier" ergäbe sich keinerlei Verpflichtung zur umfassenden Einzelfallprüfung.

Diese ablehnende Haltung des Innensenats setzen Sie, Herr Mazanke, entgegen den Vorgaben aus dem "Einigungspapier" durch die momentane Praxis gegen die Flüchtlinge gewendet um: Die Anträge auf Aufenthaltserlaubnis können zwar bei der Berliner Ausländerbehörde gestellt werden, werden in Berlin aber entweder NICHT bearbeitet, oder es findet eine Würdigung der einzelnen Schicksale durch die Berliner Ausländerbehörde im Einzelfall NICHT statt. Vielmehr bekommen die Flüchtlinge teilweise schon bei ihrer ersten Vorsprache die Ablehnung ihrer Anträge in die Hand gedrückt. Selbst die Umverteilungsanträge nach Berlin werden aufgrund Ihrer pauschal verweigerten Zustimmung abgelehnt.

Das Hauptanliegen der Flüchtlinge und deren Gründe, die Vereinbarung zu schließen, werden damit ignoriert. Das ist ein falsches Spiel auf dem Rücken der Betroffenen, bei dem ausschließlich der Innensenat und die Berliner Ausländerbehörde die restriktiven Spielregeln bestimmen.

Die Betroffenen sind so dazu gebracht worden, den Oranienplatz und die Schule zu räumen und sich registrieren zu lassen. Sie sind damit in Vorleistung gegangen. Die versprochene Gegenleistung allerdings wird verweigert. Das ist das Gegenteil einer "Senatspolitik der ausgestreckten Hand", und es ist vor allem kein "politischer und humanitärer Erfolg für Menschen, die viel Leid erlebt haben", wie Sie, Herr Regierender Bürgermeister, in Ihrer Regierungserklärung vom 10. April 2014 das "Einigungspapier Oranienplatz" bezeichnet haben.

Sie, Frau Senatorin Kolat, haben in dem "Einigungspapier" außerdem erklärt, Sie unterstützten "die Flüchtlinge, ihre politischen Forderungen in die Gremien im Land Berlin, auf die Bundesebene und nach Europa zu tragen" und die Umsetzung des "Einigungspapiers" begleiten zu wollen. Wo ist Ihre Stimme geblieben?

Sie, Herr Bürgermeister Wowereit, haben in Ihrer zitierten Regierungserklärung erklärt, dass es "die Aufgabe von Innenverwaltung und Ausländerbehörde [ist], diese Prüfverfahren konstruktiv zu begleiten. [...]. Niemand hat den Flüchtlingen Zusagen über das Ergebnis dieser Verfahren gemacht und hätte es auch nicht machen können. Sehr wohl aber Vertrauenszusagen: dass nicht pauschal geurteilt wird, sondern jedes einzelne Schicksal einzeln betrachtet wird. [...]. Für diese sorgfältige Prüfung mit humanitärem Blick gibt es nun die nötige Zeit." Das Gegenteil aber passiert nun. Wo ist Ihre Stimme geblieben?

Sie schulden den Betroffenen eine Erklärung.

Wir möchten dringend mit Ihnen in einen Austausch treten über die Umsetzung des Papiers, über eine mögliche Lösung für die Menschen. Um den von Ihnen und Ihrer Kollegin, Senatorin Kolat, gegebenen Zusagen die dringend notwendigen Umsetzungen folgen zu lassen, müssen Sie von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und "Vertrauenszusagen" damit praktisch werden lassen. Dazu suchen wir mit Ihnen das Gespräch. Das Gutachten von Prof. Dr. Fischer-Lescano, das von der Integrationsbeauftragten in Auftrag gegeben wurde, bietet dafür eine hilfreiche Grundlage.

Mit freundlichen Grüßen

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V

Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. | Köln | www.grundrechtekomitee.de | Pro Asyl e.V. | Frankfurt/M. | www.proasyl.de | VDJ. Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. | Krefeld | www.vdj.de | Flüchtlingsrat Berlin e.V. | Berlin | www.fluechtlingsrat- berlin.de | Yonas Endrias, Ibrahim Kanalan, Natascha Kelly (Mitglieder im Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen) | Berlin | www.berlin.de/lb/intmig/beirat | Migrationsrat Berlin Brandenburg e.V. | Berlin | www.migrationsrat.de Reach Out. Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus und Rassismus | Berlin | www.reachout.de

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Quelle:
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014