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FLUCHT/097: Getretene Würde - eigentlich was jeder möchte ... (Martin Lejeune)


Nach meinem Tod werde ich in Palästina sein

Interview mit Reem Ahmed Sahwil am 18. Juli 2015 in Rostock

von Martin Lejeune


Foto: © Martin Lejeune

Reem Ahmed Sahwil
Foto: © Martin Lejeune

Am Samstag habe ich Reem Ahmed Sahwil (14) und ihre Familie besucht. Es war sehr bewegend. Reem ist ein wunderbarer Mensch, der viel gelitten hat in ihrem jungen Leben. Auf ihren Schultern liegt eine große Last. Sie hat viel Angst vor der Zukunft. Sie ist staaten- und heimatlos. Sie ist sehr krank. Sie mag keine Ärzte, weil sie jede Woche zu ihnen in Behandlung muß. Trotzdem ist sie eigentlich kein weinendes Mädchen, als das sie der Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Sie ist ein lachendes Mädchen. Ihr ganzes Wesen lacht. Auch ist sie eine gute Schülerin. Deutsch lernte sie innerhalb eines halben Jahres. Sie hat nur Einsen und Zweien in der Schule, bis auf eine Drei in der Mathematik. Sie lacht und singt gern. Und sie weiß, daß sie in ihrem Leben wohl niemals mehr nach Palästina wird zurückkehren können.


Martin Lejeune: In einigen Zeitungen stand, daß du aus dem Libanon kommst. Fühlst du dich denn als Libanesin oder als Palästinenserin?

Reem Ahmed Sahwil: Ich fühle mich als Palästinenserin. Ich bin eine Palästinenserin und ich stehe auch dazu, und ich war auch wütend, sehr wütend, als ich gelesen habe, was in den Medien gesagt wurde, wie geschrieben wurde, daß ich Libanesin sei, denn das stimmt nicht.

Martin Lejeune: Und weißt du wie viele palästinensische Flüchtlinge es gibt?

Reem Ahmed Sahwil: Ich weiß es nicht genau, jedoch sind es sehr, sehr viele.

Martin Lejeune: Ist dieses Recht auf Rückkehr ein Gesprächsthema bei deiner Familie und bei deinen Freunden?

Reem Ahmed Sahwil: Auf jeden Fall, es ist ein sehr wichtiges Thema.

Martin Lejeune: Was kannst du dazu sagen?

Reem Ahmed Sahwil: Ich möchte auf jeden Fall dahin und ich glaube auch daran, daß ich auf jeden Fall dahin gehen werde.

Martin Lejeune: Wie war denn die Reaktion bei dir in der Schule auf dein Auftreten?

Reem Ahmed Sahwil: Sie waren alle beeindruckt, sehr beeindruckt, weil ich so klar und offen geredet habe.

Martin Lejeune: Und wie hat denn deine Familie reagiert?

Reem Ahmed Sahwil: Sie fanden es toll, daß ich mir so etwas zugetraut habe. Denn sie haben es von mir nicht erwartet.

Martin Lejeune: Ich habe von deinem Vater gehört, daß der Grund, wieso ihr nach Deutschland gekommen seid, war, daß die medizinische Versorgung deiner Erkrankung im Libanon nicht möglich war. Ist es hier besser mit der Versorgung?

Reem Ahmed Sahwil: Ja, auf jeden Fall, also hier kriege ich alles, was ich möchte in Bezug auf die medizinische Versorgung.

Martin Lejeune: Wie sehr belastet Dich Deine Erkrankung?

Reem Ahmed Sahwil: Es ist in letzter Zeit so geworden, daß ich nicht mehr gerne zum Arzt gehe.

Martin Lejeune: Wie oft gehst du denn pro Monat zum Arzt?

Reem Ahmed Sahwil: Mindestens zwei bis dreimal.

Martin Lejeune: Ich habe gehört, daß du gestern dein Zeugnis bekommen hast. Wie waren deine Noten?

Reem Ahmed Sahwil: Perfekt. Ich habe vier Einsen: in Deutsch, in Hauswirtschaft, in Musik und im Darstellenden Spiel. Dann habe ich noch vier Zweien: in Geschichte, in Englisch, in Geographie und in Biologie. Die einzige Drei war in Mathe, weil Mathe mir auch nicht so liegt.

Martin Lejeune: Was möchtest du denn werden später?

Reem Ahmed Sahwil: Ich möchte gerne Lehrerin oder Dolmetscherin werden.

Martin Lejeune: Magst du denn Sprachen und wie schnell hast du Deutsch gelernt?

Reem Ahmed Sahwil: Schnell, und zwar innerhalb von sechs Monaten.

Martin Lejeune: Und welche Sprachen sprichst du noch?

Reem Ahmed Sahwil: Arabisch und Englisch.

Martin Lejeune: Willst du denn noch andere Sprachen lernen?

Reem Ahmed Sahwil: Ich würde noch gerne Französisch lernen, was ich auch nächstes Jahr anfangen werde.

Martin Lejeune: Worin unterscheidet sich das Leben im Libanon und in Deutschland außer bezüglich der medizinischen Versorgung?

Reem Ahmed Sahwil: In der Schule hier sind die Lehrer viel netter und die Sicherheit ist besser.

Martin Lejeune: Wie schwierig ist die Sicherheitslage im Libanon?

Reem Ahmed Sahwil: Auf jeden Fall sehr viel schwieriger als in Deutschland, weil die Politiker sich immer streiten und sich nie wirklich einig sind.

Martin Lejeune: Hast du denn jetzt auch eine Reaktion von Angela Merkel oder aus der Politik, also bezüglich deiner Zukunftsangst, die Du hast? Hat sich irgend etwas ergeben, irgendeine Lösung von deinem (Aufenthalts-)Problem?

Reem Ahmed Sahwil: Nein, nicht wirklich, ich habe in den letzten Tagen gehofft, daß es besser wird.

Was ich aber sagen möchte: Frau Merkel war ehrlich, und das finde ich schon mal gut, denn ich mag ehrliche Menschen, das heißt ich mag auch Frau Merkel, da sie ehrlich zu mir war.

Und wenn sie mich angelogen hätte und mir Hoffnung gemacht hätte, und die Enttäuschung später gekommen wäre, wäre ich noch trauriger und es wäre noch schlimmer für mich gewesen.

Martin Lejeune: War sie realistisch?

Reem Ahmed Sahwil: Ja, und ich fand ihre Meinung auch in Ordnung.

Martin Lejeune: Und hast du jetzt eine Lösung angeboten bekommen für dich und deine Familie, also von Seiten der Stadt Rostock zum Beispiel?

Reem Ahmed Sahwil: Ja ein wenig, ich habe etwas gehört, jedoch habe ich keine handfesten Beweise.

Martin Lejeune: Also sind es alles nur Ankündigungen durch Hörensagen?

Reem Ahmed Sahwil: Ja, aber ich möchte einen richtigen Beweis dafür haben.

Martin Lejeune: Und ich habe gerade mit deinem Vater über Sa'sa' gesprochen. Weißt du denn, woher deine Familie kommt?

Reem Ahmed Sahwil: Ja natürlich, das ist ein Dorf in Palästina.

Martin Lejeune: Was ich noch mal fragen wollte, du wurdest ja in einigen Medien als Libanesin dargestellt, obwohl du Palästinenserin bist und in der Diskussion ging es ja um dein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Möchtest du denn nach Palästina zurückgehen?

Reem Ahmed Sahwil: Jetzt bin ich erstmal in Deutschland und da bin ich auch froh darüber und ich möchte erstmal hier bleiben, aber für die Zukunft und später nach meinem Leben möchte ich dort zurück. Also nach meinem Tod werde ich dort sein, in Palästina.

Martin Lejeune: Und welche Bedeutung hat Palästina für dich? Oder was hat das Recht für Rückkehr eine Bedeutung für dich? Denn viele Palästinenser erwähnen immer wieder, ein Recht auf Rückkehr zu haben.

Reem Ahmed Sahwil: Ich bin der Meinung, daß Palästina mein Land ist und ich stehe auch dazu, und das ist auch das Land, das für mich viel wichtiger ist als Libanon.

Martin Lejeune: Wird viel diskutiert in deiner Familie oder deiner Umgebung und beteiligst du dich an diesen Diskussionen?

Reem Ahmed Sahwil: Ja natürlich. Ich bin zwar nicht dort geboren und meine Eltern auch nicht, aber ich glaube an Palästina und es ist mir sehr wichtig.

Martin Lejeune: Verfolgst du auch die Nachrichten in Palästina?

Reem Ahmed Sahwil: Ja natürlich, die Kriege und alles andere.

Martin Lejeune: Möchtest du denn mal dein Heimatdorf besuchen?

Reem Ahmed Sahwil: Ja. Ich wünschte, ich wäre dort.

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Quelle:
Text und Foto: © 2015 by Martin Lejeune
Freier Journalist, Berlin
E-Mail: info@martinlejeune.com
Homepage: www.martinlejeune.com
Facebook: www.facebook.com/lejeune.berlin
Blog: martin-lejeune.tumblr.com
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2015

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