Flüchtlingsrat Hamburg - 5. Oktober 2015
Offener Brief: Bleiberecht für die Familien im Hamburger Michel
von Gruppe Gegen Antiromaimus! Dresden
im Netzwerk Asyl Migration Flucht (NAMF) Dresden
Seit dem 17.09.2015 wehren sich mehrere Roma-Familien in der Hamburger
Sankt-Michaelis-Kirche gegen ihre Abschiebung. Es ist ihr letztes Mittel,
alle rechtlichen Möglichkeiten sind ausgeschöpft, alle Eilanträge
abgelehnt. Das Leben in den Abschiebeländern ist für sie ganz
offensichtlich keine Option. Dennoch sollen sie in vermeintlich "sichere
Herkunftsstaaten" wie Mazedonien, Serbien und Bosnien abgeschoben werden.
Die offen rassistische Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung von Roma im sogenannten "Westbalkan" wird bislang nicht als Fluchtgrund anerkannt, ja nicht einmal geprüft [1]. Stattdessen wird in diesem Kontext diffamierend von "Wirtschaftsflüchtlingen" gesprochen, eine Unterscheidung in "richtige und "falsche" Flüchtlinge vorgenommen. Sehr bedenklich finden wir die Einrichtung von besonderen "Erstaufnahmelagern" (Angela Merkel) oder gar die Rede von einer "Konzentration" dieser Menschen (Horst Seehofer, Markus Ulbig).
Sieht man nun, dass es sich bei diesen Geflüchteten vor allem um Roma handelt, dann wird uns schlecht. Roma wurden in ganz Europa seit 600 Jahren nahezu ununterbrochen diskriminiert, entrechtet und verfolgt. Mörderischer Höhepunkt dessen war die Vernichtung von schätzungsweise 500.000 Sinti und Roma in den Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Deutschlands. 70 Jahre danach sind die Parallelen zur aktuellen Situation von Roma alarmierend. Sie alle kennen die Berichte der OSZE, von Human Rights Watch, Amnesty International oder dem UNHCR: Für Angehörige der Roma gibt es keine "sicheren Herkunftsländer". Dies heißt bspw. im Westbalkan konkret: kein gesicherter Zugang zum Wohnungsmarkt, häufig ohne Versorgung mit Strom und fließendem Wasser, Ausschluss vom Arbeitsmarkt, kein Zugang zur Gesundheitsversorgung, extrem erschwerter Zugang zu Bildung, kein Schutz durch Justiz und Polizei, oft sogar behördliche Schikanierung bis hin zu körperlicher Gewalt durch die Polizei [2].
Mitten in Europa existiert ein funktionierendes System der "Apartheid" (Rudko Kawczynski, Rom und Cinti Union Hamburg), unter dem 12 Millionen Mitbürger und Mitbürgerinnen zu leiden haben. Zusammengenommen ist die europäische Roma-Bevölkerung klar von gruppenspezifischer Verfolgung betroffen. Diese Zustände sind alles andere als "sicher". Darüber hinaus ist es fraglich, überhaupt von "Herkunftsländern" zu sprechen, angesichts der Tatsache, dass viele deutlich mehr als 20 Jahre hier gelebt haben, gar teilweise hier geboren wurden. Deutschland hat aufgrund seiner NS-Geschichte eine besondere Verantwortung gegenüber Roma.
Wir wollen, dass die Bundesrepublik Deutschland Menschen Schutz bietet, die Schutz suchen. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist für die Familien im Hamburger Michel das Mindeste. Ihre Verfahren sollen und müssen geprüft werden, wie jedes andere auch. Und dann muss klar sein: Die offen rassistische Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung von Roma im sogenannten "Westbalkan" muss als Fluchtgrund anerkannt werden!
Gruppe Gegen Antiromaimus! Dresden
im Netzwerk Asyl Migration Flucht (NAMF) Dresden
[1] Gutachten, das der aktuellen Verfassungsbeschwerde gegen die Einstufung
der Länder Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als "sichere
Herkunftsländer" zugrunde liegt:
http://norman-paech.de/app/download/5801438372/VB-Einstufungsgesetz-final.pdf
[2] Wenn Sie sich näher über die Situation von Roma in Serbien und Kosovo
informieren wollen, sind die Informations-Broschüren der Kampagne "alle
bleiben!" eine gute Wahl:
Serbien: http://www.alle-bleiben.info/wp-content/uploads/2014/03/serbien_2013_web.pdf
Kosovo: http://www.alle-bleiben.info/wp-content/uploads/2014/12/kosovo_web.pdf
Erstunterzeichner_innen:
Einzelpersonen:
Die Liste der Erstunterzeichner kann eingesehen werden unter:
http://namf.blogsport.de/antiromaismus
Gruppe Gegen Antiromaimus! Dresden
im Netzwerk Asyl Migration Flucht (NAMF) Dresden
http://namf.blogsport.de/antiromaismus
Email: solidarity_not_charity@riseup.net
*
Quelle:
Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg
Telefon: (040) 43 15 87, Fax: (040) 430 44 90
E-Mail: info@fluechtlingsrat-hamburg.de
Internet: www.fluechtlingsrat-hamburg.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2015
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