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KRIEG/027: Brandsatz Nahost - Politmobbing ... (Haneen Zoabi)


Pressemitteilung des Büros der Abgeordneten der Knesset, Haneen Zoabi, vom 11. August 2014

Kampagne staatlich unterstützter politischer Verfolgung gegen das Knesset-Mitglied (MK) Haneen Zoabi



• MK Zoabi zu polizeilicher Untersuchung einbestellt

• Die Aufstachelung zu polizeilichen Ermittlungen und die beispiellose Suspendierung der Abgeordneten Zoabi von der Knesset sind Versuche, die Kritik an den israelischen Militäroperationen verstummen zu lassen und die arabische Minderheit zu diffamieren.

• Antiarabische Stellungnahmen und Aufrufe zur Gewaltanwendung jüdischer Politiker wurden vom Generalstaatsanwalt ignoriert.

Im Interview mit Medien - Foto: © Haneen Zoabi

Haneen Zoabi
Foto: © Haneen Zoabi

MK Haneen Zoabi wurde heute in Lod zu einer polizeilichen Ermittlung einbestellt. Die Polizei wirft ihr vor, sie habe vor dem Bezirksgericht in Nazareth gegen einen öffentlichen Amtsträger - einen Polizeibeamten - gehetzt und ihn beleidigt. Die Untersuchung wurde vom israelischen Generalstaatsanwalt autorisiert.

Diese Ermittlung wegen Aufhetzung gehört zu einer Serie entsprechender Maßnahmen, die nach der Suspendierung der Abgeordneten Zoabi von der Knesset am 29. Juli für einen Zeitraum von sechs Monaten gegen sie ergriffen werden sollen. "Das Ziel besteht darin, die arabischen Bürger so einzuschüchtern, daß sich eine falsche Stille einstellt, die den Eindruck erweckt, daß es in Israel nur eine Meinung zur Behandlung der Palästinenser gibt".


Gefährliche Aufhetzung jüdischer Politiker

Die jüngsten Erklärungen Liebermans, in denen er israelische Juden dazu aufforderte, arabische Geschäfte zu boykottieren, und Aufrufe durch Knesset-Abgeordnete wie Ajelet Schaked zur Ermordung von Zivilisten, die auch palästinensische Frauen betrafen, um zu verhindern, daß sie weiterhin Kinder gebären, sind schwerwiegende Haßverbrechen. Sie stellen eine besondere Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar, weil arabisch-palästinensische Bürger - ein Fünftel der israelischen Bevölkerung - einer verletzlichen nationalen Minderheit angehören.

[Anm. d. Red.: Bei der Aussage der MK Ajelet Schaked, die sie am 1. Juli 2014 auf ihrem Facebook-Account veröffentlichte und auf die MK Haneen Zoabi sich bezieht, handelt es sich Schaked zufolge [1] um ein Zitat des dieses Jahr verstorbenen Journalisten Uri Elitzur, das einem von ihm verfaßten, unveröffentlicht gebliebenen Artikel entnommen wurde.]

Erfahrene Politiker haben zu einer Zeit rassistische Stellungnahmen abgegeben und zur Gewalt aufgerufen, als die Polizei feststellte, daß ultranationalistische Gruppen eine Rekordzahl an Haßverbrechen - die sogenannten Preisschild-Attacken - an Palästinensern in Israel und den besetzten Gebieten begingen. Diese richteten sich insbesondere gegen bekannte Orte der arabischen Minderheit inklusive Kirchen und Moscheen.

Aufhetzende Stellungnahmen jüdischer Politiker haben auch zu einer allgemeinen Atmosphäre antiarabischen Hasses beigetragen, der zu neuen Formen gewalttätiger Angriffe und Sanktionen gegen arabische Bürger durch die jüdische Gesellschaft Israels geführt hat:

• Der 16jährige Mohammed Khdeir wurde in Ost-Jerusalem bei einem besonders brutalen "Rache"-Angriff durch eine Zelle von Ultranationalisten umgebracht.

• Organisierte Trupps rechter Schläger, von denen einige, wie zum Beispiel die Unterstützer des Jerusalemer Fußballvereins Beitar, mit Netanjahus Likud-Partei in Zusammenhang gebracht werden, ziehen durch israelische Städte mit gemischter Bevölkerung und attackieren jeden körperlich, den sie als Araber identifizieren.

• Antikriegsdemonstrationen wurden, namentlich in Haifa und Tel Aviv, von organisierten Gruppen Rechtsradikaler angegriffen, wobei die Polizei häufig zuschaute und die Gewaltanwendung gegen jüdische wie arabische Demonstranten zuließ.

• Hunderte arabischer Demonstranten, unter ihnen viele Kinder, wurden von der Polizei nach Protesten in arabischen Gemeinden aufgegriffen, die sich gegen Israels Angriffe auf Gaza richteten. In vielen Fällen wurde gegen die Rechte der Kinder auf anwaltliche Vertretung oder die Anwesenheit eines Elternteils verstoßen.

• In den israelischen Medien gab es ausführliche Berichte über Unternehmen und kommunale Behörden, die auf ihre Weise einen Boykott nach Art Liebermans durchführten, indem sie arabische Arbeiter entließen und drangsalierten, weil sie sich in sozialen Medien gegen den Krieg geäußert hatten.

• Auch Universitäten haben arabische Studierende drangsaliert und deren Stipendien zurückgezogen, weil diese Kommentare in sozialen Medien gegen die Angriffe Israels auf Gaza gepostet haben.

MK Zoabi erklärte: "Wir haben jetzt eine erschreckende Big-Brother-Situation, in der Studierende und Arbeiter ihren Job verlieren oder unter Hausarrest gestellt werden, weil sie nichts anderes getan haben als einen Aufruf zum Demonstrieren auf sozialen Medien zu 'liken'. Grundlegende demokratische Normen wurden aufgehoben."


Muster der politischen Verfolgung

Daß unterlassen wird, wegen dieser Stellungnahmen, die weit schwerwiegender sind als alles, was MK Zoabi geäußert hat, Ermittlungen aufzunehmen, zeigt, daß die aktuellen Maßnahmen gegen sie Teil eines Musters von politischer Verfolgung und Einschüchterung sind. Diese Verfolgung wurde sanktioniert und begünstigt durch Regierungsbeamte und Staatsanwälte als eine Botschaft an die große arabisch-palästinensische Minderheit, die ein Fünftel der israelischen Bevölkerung darstellt.

Das vielleicht außergewöhnlichste an der durch das Ethikkomitee der Knesset über MK Zoabi verhängten sechsmonatigen Suspendierung besteht darin, daß sie nicht für etwas bestraft wird, das sie gesagt hat, sondern für etwas, das sie sich zu sagen weigerte.

Der Kommentar, der im Mittelpunkt der Anhörung des Ethikkomitees gegen MK Zoabi steht, wurde während eines Interviews mit Radio Tel Aviv am 17. Juni 2014, fünf Tage nach der Entführung dreier israelischer Jugendlicher im Westjordanland, abgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war nicht bekannt, daß die Jugendlichen umgebracht worden waren. Ihre Leichen wurden am 30. Juni gefunden. MK Zoabi brachte den Interviewer und viele Zuhörer gegen sich auf, weil sie sich weigerte, die Entführer einfach als "Terroristen" zu bezeichnen.

In dem Interview am 17. Juni sagte MK Zoabi: "Ist es merkwürdig, daß Menschen, die unter Besatzung leben und denen das Dasein unmöglich gemacht wird, die sich in einer Situation befinden, in der Israel jeden Tag neue Gefangene entführt, ist es merkwürdig, daß sie sich auf diese Weise verhalten? Sie sind keine Terroristen. Auch wenn ich nicht mit ihnen einverstanden bin, sind es Menschen, die keine andere Möglichkeit mehr sehen, ihre Lebenswirklichkeit zu verändern und die sich dazu genötigt fühlen, zu Mitteln wie diesen zu greifen, bis Israel aufwacht und das Leiden sieht, das Leiden der anderen fühlt."

Fast die gesamte Berichterstattung der Medien und sogar die Bezugnahme des Ethikkomitees der Knesset auf diese Stellungnahme ließen denjenigen Teil aus, in dem MK Zoabi sagte, daß sie mit der Entführung "nicht einverstanden" ist.

Das Büro des Generalstaatsanwalts kündigte am 24. Juli an, daß es bezüglich des Interviews keine polizeiliche Untersuchung wegen Aufhetzung anordnen würde. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt Raz Nizri gestand ein, daß es "schwierig sei, diese Stellungnahmen als Aufhetzung zum Begehen von Entführungen zu betrachten".


Suspendierung von MK Zoabi

Anstatt die Untersuchung des Vorwurfs gegen MK Zoabi zurückzuziehen, entschied das Ethikkomitee in der Anhörung vom 29. Juli, die schwerste Suspendierung seiner Geschichte zu veranlassen. Offensichtlich ging es um die Korrektur dessen, daß der Generalstaatsanwalt die Sache nicht weiterverfolgt, was die rechten Mitglieder des Komitees ihm als Versagen anlasten. So verneinte das Komitee das Recht zur Freiheit des politischen Wortes und entschied, daß die Bemerkungen MK Zoabis "vom Bereich der legitimen Ausdrucksweise abwichen", die Abgeordneten der Knesset zugestanden ist.

Die Suspendierung entzieht MK Zoabi das Recht, in der Knesset Reden zu halten, parlamentarische Anfragen zu unterbreiten oder Debatten in Ausschüssen oder dem Plenum der Knesset zu initiieren.

MK Zoabi erklärt: "Das Ethikkomitee hat mir das Recht entzogen, meine Wähler in der Knesset zu repräsentieren. Indem das Komitee mich dafür bestraft, meinen parlamentarischen Pflichten nachzukommen, hat es ihnen ihre Stimme genommen. Mit dem Versuch, mich zu diffamieren, hat das Komitee die große Gruppe der arabischen Minderheit diffamiert, die ich und meine Balad-Partei repräsentieren."

Daß hinter der Entscheidung des Ethikkomitees eine Diffamierungskampagne steht, wurde von israelischen Rechtsexperten unterstrichen. Aeyal Gross, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Tel Aviv, schrieb vor kurzem in der Tageszeitung Haaretz, daß die Aufgabe des Ethikkomitees darin besteht, für ethisches Verhalten in der Knesset zu sorgen und nicht darin, Stellungnahmen oder das Verhalten von Abgeordneten außerhalb des Parlaments zu maßregeln. "Es ist nicht Aufgabe des Komitees, ein Mitglied der Knesset für politische Stellungnahmen, wie unpopulär sie auch immer sein mögen, zu bestrafen. Das gilt insbesondere dann, wenn sie außerhalb der Knesset abgegeben wurden", schrieb er.

Er merkte zudem an, daß eine andere vom Komitee zitierte Stellungnahme MK Zoabis, die zum "breiten Widerstand" gegen die Besetzung aufrief, mutwillig als Aufstachelung zur Gewalt mißinterpretiert wurde. Die Stellungnahme, merkte er an, sei "kein Aufruf zur Gewalt, wie Zoabi wiederholt betont hat, sondern sei ein Aufruf zu gewaltlosem Widerstand".

Gross wies außerdem auf die diskriminierende Natur der Bestrafung durch das Komitee hin. Als der frühere MK Aryeh Eldad 2008 dazu aufrief, den damaligen Premierminister Ehud Olmert zum Tode zu verurteilen, weil dieser vorgeschlagen hatte, Teile der besetzten Gebiete zu einem palästinensischen Staat zu machen, suspendierte ihn das Ethikkomitee für nur einen Tag. Das war in einem Land, in dem der frühere Premierminister Yitzhak Rabin von einem rechten Extremisten ermordet wurde, der genau diese Art von Rechtfertigung für seine Tat anführte, ein klarer Aufruf zur Gewalt.

Gross zog die Schlußfolgerung: "Diese Entscheidung [gegen MK Zoabi] scheint Teil der breiter angelegten Verfolgung der arabischen Minderheit Israels zu sein. ... Knesset-Mitglieder glauben, daß es nur eine zulässige Ansicht darüber gebe, was das Wohl des Staates ausmacht. Die Mehrheit verfügt nicht nur darüber, worum es sich dabei handelt, sondern versucht auch, jeden, der eine andere Ansicht hat, daran zu hindern, dieser Ausdruck zu verleihen. Das bringt einen Mangel im Verständnis dessen hervor, was das Wesen der Demokratie ausmacht, und setzt praktisch die Diktatur der Mehrheit an ihre Stelle. ... [Die Entscheidung des Komitees] ebnet den Weg zu Faschismus und Tyrannei."


Die derzeitige polizeiliche Ermittlung

Generalstaatsanwalt Yehuda Weinstein kündigte am 25. Juli an, daß er die Polizei angewiesen hat, offiziell gegen MK Zoabi wegen des Verdachts zu ermitteln, andere zu Gewalt aufgestachelt und einen Polizeibeamten beleidigt zu haben.

Den Anwälten MK Zoabis wurde kein Material übergeben, das für die Ermittlungen relevant ist. Dennoch legen israelische Medienberichte nahe, sie habe einen arabischen Polizeibeamten außerhalb des Bezirksgerichts von Nazareth als "Verräter" bezeichnet. In der dort am 6. Juli erfolgten gerichtlichen Anhörung ging es um die Frage, ob Anklage gegen arabische Demonstranten, unter denen sich viele Minderjährige befanden, wegen des Werfens von Steinen erhoben werden sollte.

MK Zoabi wird sich zu diesen Behauptungen im Rahmen der Ermittlungen äußern. Es sollte jedoch hervorgehoben werden, daß die Polizisten in diesem Zusammenhang nicht als neutrale Einrichtung der Strafverfolgung gehandelt haben. Sie haben ihre Kompetenzen aktiv mißbraucht und den Menschen das Recht auf das Abhalten friedlicher Demonstrationen versagt.

Demonstranten wurden eingeschüchtert und von der Polizei drangsaliert. Es wurden eindeutig falsche oder konstruierte Beweise benutzt, um Anklage erheben zu können. Es gab viele Berichte von Demonstranten, darunter auch Kindern, darüber, daß sie nach ihrer Festnahme geschlagen wurden. Die Polizei umging die Rechte der Minderjährigen auf anwaltliche Vertretung und die Anwesenheit eines Elternteils während des Verhörs. Anwälte berichteten darüber, daß die Polizei überraschend Verhaftungen von Kindern mitten in der Nacht vornahm. All diese Handlungen brechen israelisches Recht.

Laut der Rechtshilfeorganisation Adalah wurden mehr als 600 Personen seit Anfang Juli wegen des Vorwurfs der Beteiligung an Protesten festgenommen.

MK Zoabi wurde bei mehreren Gelegenheiten in jüngerer Zeit, insbesondere am 18. Juli bei einer Demonstration gegen den Krieg in Haifa, persönlich mit mißbräuchlichem Verhalten der Polizei konfrontiert. Dort wurde sie von Polizeibeamten verbal wie körperlich mißhandelt und für eine halbe Stunde mit Handschellen gefesselt. MK Zoabi hat offiziell Beschwerde gegen das Verhalten der Polizei auf der Demonstration eingelegt. Bis jetzt wurden keine Ermittlungen aufgenommen.


Schlußfolgerung

Eine jüngst vom Fernsehkanal der Knesset durchgeführte Meinungsumfrage ergab, daß 89 Prozent der jüdischen Israelis der Ansicht sind, daß MK Zoabi die Staatsbürgerschaft entzogen werden sollte. Diese überwältigende Feindseligkeit wurde durch eine Aufhetzungskampagne des rechten Flügels, dem auch Regierungsbeamte angehören, gefördert und durch die israelischen Medien unterstützt.

MK Zoabi erklärt: "Ich werde nicht wegen meiner Handlungen verurteilt, sondern durch den aggressiven nationalistischen Konsens, der in der Knesset, in den Medien und der israelisch-jüdischen Öffentlichkeit herrscht.


Fußnoten:

[1] http://www.thedailybeast.com/articles/2014/07/07/israeli-politician-declares-war-on-the-palestinian-people.html

Pressemitteilung des Büros der MK Haneen Zoabi vom 11. August 2014 im englischsprachigen Original siehe
http://mondoweiss.net/2014/08/investigation-jingoistic-consensus.html

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Quelle:
Pressemitteilung des Büros der Knesset-Abgeordneten Haneen Zoabi vom 11. August 2014
In einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2014