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TREFFPUNKT TEL AVIV/035: Abgeschlagene Friedensmühe - Israels Grenzen (SB)


Interview mit Martin Forberg am 12. Juli 2011


Der Berliner Journalist Martin Forberg ist Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte. Er war im Rahmen des Projekts "Welcome to Palestine" nach Tel Aviv gereist, wo er wie 120 weitere Teilnehmer am Wochenende in einem israelischen Abschiebegefängnis festgehalten wurde. Sonntagnacht wurde er nach Deutschland ausgeflogen. Nach seiner Rückkehr hatte der Schattenblick Gelegenheit, ein Telefoninterview mit ihm zu führen.

Ankunft der Gruppe aus Berlin - © 2011 by Doris Ghannam

Ankunft der Gruppe aus Berlin am 10.07., Berlin-Tegel © 2011 by Doris Ghannam

Schattenblick: Wir haben den Eindruck, daß Regierung und Behörden Israels gegen das Projekt "Welcome to Palestine" schon im Vorfeld eine sehr offensive und weitreichende Strategie in Stellung gebracht und innovativ umgesetzt haben. Würden Sie diese Einschätzung teilen?

Martin Forberg: Im Rahmen der Aktion "Willkommen in Palästina" ist es etwa 80 oder 90 Aktivistinnen und Aktivisten gelungen, in die palästinensischen Gebiete zu gelangen, wo das Projekt bis zum 18. Juli weitergehen soll. Ich habe den Eindruck, daß weit im Vorfeld Versuche unternommen wurden, dieses Vorhaben abzublocken. Während bei der Gaza-Flottille die Blockade bis nach Griechenland vorverlagert wurde, verschob man die Abschließung der palästinensischen Gebiete bis in die verschiedenen Abflugorte. Das hat mich sehr erstaunt und auch schockiert, daß Fluggesellschaften da mitspielen.

Trotzdem glaube ich, daß das politisch kein Erfolg für die israelische Regierung war. Um den Flughafen herum und um diese Internierungen hat es sehr viel Wirbel gegeben, und die praktische Solidarität von Menschen, die einfach die Palästinenser und Palästinenserinnen besuchen wollten, ist meines Erachtens sehr deutlich geworden. Ich glaube, das hat viele Menschen auch in der Bundesrepublik und in anderen Ländern aufmerken lassen, weil es ein großes Echo hervorgerufen hat. Die Strategie der israelischen Regierung bestand darin, über Listen die Einreise zu verhindern. Das ist jedoch nicht in vollem Umfang gelungen. Man hörte am Flughafen Dialoge von Sicherheitsleuten, die einander fragten: "Warum sind denn soviele da?" "Wir hatten die nicht auf der Liste", antwortete jemand auf Englisch, wie ein Kollege von mir mitbekommen hat.

SB: Die israelische Regierung schien bereits im Vorfeld sehr bemüht zu sein, die Deutungshoheit zu übernehmen, indem von "Hooligans", von "Radikalen" oder von "Provokateuren" die Rede war. Offenbar sollte auf diese Weise nicht nur in Israel selbst, sondern insbesondere auch in der europäischen Presse vorab eine Bewertung vorgenommen werden. Glauben Sie, daß das gelungen ist?

MF: Nein, diese Bewertung hat sich als vollkommen haltlos und im Grunde als eine Diffamierung, die bewußte Konstruktion eines Feindbildes erwiesen. Wenn Sie einen Blick in die Mainstream-Medien in der Bundesrepublik Deutschland werfen, ist das vollkommen danebengegangen. Angefangen von Regionalzeitungen bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten wird sehr verständnisvoll und interessiert berichtet. Ich bin der festen Überzeugung, daß das gesamte vorherrschende Bild erschüttert worden ist. Ich hatte ja Gelegenheit, am Freitag, Samstag und Sonntag viele Sicherheitsleute in Tel Aviv zu beobachten. Ich denke, daß auch bei denen das Bild total erschüttert wurde. Sie haben uns jedenfalls nicht als "Hooligans" angesehen.

SB: Wir haben Medienberichten entnommen, daß im Westjordanland im Zusammenhang mit der Aktion "Willkommen in Palästina" die Repressionen verschärft wurden. Haben Sie nähere Kenntnisse darüber?

MF: Ich habe gehört, daß es namentlich bei einer gewaltlosen Aktion in dem Dorf Nebi Saleh - das ist eines der bekannten Dörfer, die sich sowohl mit Demonstrationen als auch Rechtsmitteln gegen die Besatzung, die Siedlungen, die Apartheidmauer wehren -, internationalen Aktivisten wie auch Israelis in besonderer Weise schwergemacht wurde. Sie wurden dort regelrecht wegblockiert.

SB: In den deutschen Medien wurde relativ viel über die angekündigte Aktion berichtet. Die Bundesregierung hat sich unseres Erachtens auffällig zurückgehalten. Man konnte den Eindruck gewinnen, daß sie der israelischen Regierung freie Hand ließ, das sogenannte Problem auf ihre Weise zu regeln. Würden Sie das auch so einschätzen?

MF: Ja. Daß dem so wenig entgegengehalten wird, wundert mich unterdessen nicht. Die deutsche Regierung arbeitet zumindest in zentralen Bereichen mit der israelischen zusammen, so daß man sich, um es einmal böse auszudrücken, der Kollaboration auch der europäischen Regierungen und der Administration der Vereinigten Staaten sicher sein kann. Es ist ein wichtiger politisch-analytischer Aspekt, daß die dortigen Menschenrechtsverletzungen, bei denen die israelische Regierung natürlich nicht allein steht, aber auf Grund der politischen Strukturen dominiert, de facto zu einem großen Teil von europäischen Staaten gedeckt werden. Wenn man beispielsweise an die Blockade des Gazastreifens denkt, gibt es hierzulande zwar Kritik daran, wie auch Beschlüsse dagegen im Bundestag gefällt wurden. Sehr lange wurde jedoch die Blockade gegen die Hamas mitgetragen, die eigentlich ja keine Blockade gegen die Hamas, sondern gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang an den aktuellen Besuch des deutschen Verteidigungsministers de Maizière in Israel erinnern. Gerade angesichts der aktuellen Ereignisse und unserer hautnahen Erfahrungen, wie man dort behandelt wird, geht das meines Erachtens in die genannte Richtung.

SB: Wie waren Ihre Erfahrungen mit den beiden Vertreterinnen der deutschen Botschaft im Gefängnis? Gab es so etwas wie eine Stellungnahme oder ein Engagement von seiten der Botschaft für Ihr Anliegen oder verblieb es ein rein formaler Vorgang?

MF: Ich würde schon sagen, daß es sich um ein wirkliches Engagement handelte. Eine Hilfestellung im praktischen Bereich war es auf jeden Fall: Es wurden Verwandte, Freunde und nahestehende Personen verständigt. Auch sonst hatte ich den Eindruck, daß die beiden mit dem Herzen dabei waren. Allerdings ist uns aufgefallen, daß die sehr wichtige Frage des Kontakts mit Anwälten zurückhaltend beurteilt wurde, indem sie sagten, es gebe 72 Stunden keinen Rechtsanspruch. Soweit ich gehört habe, waren andere diplomatische Vertretungen in dieser Frage mobiler und agiler als die deutsche. Vorwürfe würde ich deswegen jedoch nicht erheben. Ich hatte das Gefühl, daß die Leute vor Ort die Situation recht gut kennen und sich bemühen.

SB: Was haben Sie persönlich im Kontakt mit Vertretern der israelischen Behörden erlebt? Gab es dabei die Möglichkeit, zum Ausdruck zu bringen, worum es Ihnen ging oder wurde das völlig abgeblockt?

MF: Das war im Gefängniswagen mit den berühmten Kakerlaken ein bißchen schwierig. Durch unsere Forderung nach Anwälten und Kontakt zur Botschaft dürfte schon etwas deutlich geworden sein, doch war es anfangs schwer. Später im Zellentrakt des Gefängnisses in Beersheva war es dann teilweise schon möglich, unser Anliegen zu vertreten. Ein sehr wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang, daß die deutsche und die belgische Gruppe im Gefängnis in Beersheva weitaus besser behandelt wurden als andere, die teilweise immer noch im Gefängnis Givon bei Ramleh festgehalten werden. Dort gibt es Berichte über Mißhandlungen, sehr schlechte hygienische Verhältnisse, über Hitze, vor der man nicht geschützt wird, und ähnliches. Angesichts der dortigen Verhältnisse war unsere Situation auf jeden Fall besser.

SB: Wie bewerten Sie den Umstand, daß die israelischen Behörden offenbar Unterschiede in der Behandlung der Gefangenen gemacht haben?

MF: Es gibt dieses spezielle deutsch-israelische Verhältnis, und das hat zum Teil zur Folge, daß man gegen Menschen aus Ländern, die eine aktivere und agilere Palästina-Solidaritätsbewegung haben wie zum Beispiel Spanien und Frankreich, härter vorgeht als gegenüber Deutschen. Es gibt auch Berichte darüber, daß vor allem Staatsbürger muslimisch-arabischer Herkunft eine viel schlechtere Behandlung bis hin zu Brutalität und äußerst erniedrigenden Leibesvisitationen erfuhren. Das galt insbesondere auch für Frauen.

SB: Hatten Sie den Eindruck, daß diese Vorgehensweise gezielt und provokativ eingesetzt wurde?

MF: Ich habe ein Beispiel vor Augen, wo eine deutsche Frau arabischer Herkunft auf sehr unwürdige Weise behandelt wurde. Ich denke, daß die israelischen Behörden ein bestimmtes Bild von Menschen palästinensischer oder arabischer Herkunft haben und dementsprechend in der Praxis verfahren. Sie werden ganz allgemein anders taxiert. Das hat durchaus etwas von Diskriminierung und Rassismus. Es herrscht eben auch die Vorstellung vor, sie seien besonders gefährlich. Allerdings gibt es das nicht nur in Israel, das muß man auch klar sagen, sondern ebenso in den USA und Deutschland. In Israel geht man damit aber auf eine besondere Weise um. In unserem Gefängnis, wo auch viele belgische Kollegen mit arabischer Herkunft interniert waren, habe ich zwar keine erniedrigende Behandlung unmittelbar miterlebt, weiß aber von solchen Fällen, die meines Erachtens einer Ideologie entspringen. Ich möchte in Hinblick auf das Verhalten israelischer Behörden gegenüber Menschen arabischer Herkunft auf den deutschen Dolmetscher Dr. Hikmat Al Sabty verweisen, der inzwischen Gott sei dank wieder in Deutschland ist. Ihm wurde zum Beispiel nicht erlaubt, ein Medikament, das sich in seinem Koffer befand, zu bekommen.

SB: Wie wurde das begründet?

MF: Ich weiß nicht, ob es überhaupt begründet wurde. Aber so oder so ist es völlig abstrus. Es kann keine rationale Begründung dafür geben. Einem Bericht seiner Frau zufolge hat er dann teilweise Ersatzmedikamente bekommen, aber eben nicht die eigenen, weil ihm sein Koffer nicht ausgehändigt wurde.

Ankunft Dr. Hikmat Al Sabty in Berlin - © 2011 by Harald Etzbach

11.07.2011, Berlin-Tegel,
Ankunft Dr. Hikmat Al Sabty
© 2011 by Harald Etzbach
SB: Die Lage der Palästinenser wird in den deutschen Medien weitgehend ausgeblendet. Inwieweit kann die Aktion "Willkommen in Palästina" Ihrer Einschätzung nach dazu beitragen, daß hierzulande mehr Menschen ein stärkeres Engagement für die Situation in den palästinensischen Gebieten zeigen.

MF: Das könnte schon sein. In Deutschland wird unsere Aktion inzwischen von großen Friedensorganisationen und auch regionalen Friedensbündnissen unterstützt. Wenn man weiter am Ball bleibt, kann sich daraus ein stärkeres Engagement entwickeln. Ich kann mir das sehr gut vorstellen, weil diese Aktion jetzt dafür gesorgt hat, die israelische Politik in Hinsicht auf die Menschenrechte richtigzustellen. Menschen verstehen auf einmal, daß da etwas ganz schief läuft. Daran, wie die Israelis mit den Aktivistinnen und Aktivisten umgegangen sind, können die Menschen jetzt nachvollziehen, wie die Palästinenserinnen und Palästinenser behandelt werden.

SB: Die Aktion geht noch bis zum 18. Juli weiter. Sind auch in Deutschland Aktionen und Demonstrationen geplant?

MF: In Berlin gibt es am 18. Juli eine Informationsveranstaltung, bei der noch einmal zusammenfassend zum einen über die Aktion "Willkommen in Palästina" und zum anderen über die Gaza-Flottille berichtet wird.

SB: Die Menschen in den besetzten Gebieten bleiben eingeschlossen. Wer sich in Deutschland mit ihnen solidarisiert, erfreut sich einer Bewegungsfreiheit, von der die Palästinenser nur träumen können. Hat man nicht manchmal das Gefühl, mehr tun zu müssen?

MF: Dieses Gefühl, eigentlich mehr tun zu müssen, ist immer da. Mehr könnte man vielleicht erreichen, wenn die Aktivistinnen und Aktivisten in den europäischen Gesellschaften besser vernetzt wären. Dann ließen sich gegenläufige Tendenzen vermeiden. Ich denke, eine bessere Vernetzung wäre eine gute Sache, auch um eine größere Öffentlichkeit zu schaffen. Da gibt es auch viele Vorschläge aus der palästinensischen Zivilgesellschaft. Interessant ist außerdem, daß eine wichtige Organisation, die in die BDS-Kampagne involviert ist, einen Aufruf für ein Waffenembargo gegen Israel gestartet hat. Das ist gerade vor dem Hintergrund der Panzerlieferung an Saudi-Arabien von hohem Interesse. Es ist wichtig und auch nötig, Druck auszuüben. Das ist ein kritischer Punkt, für den, glaube ich, viele Leute zu gewinnen sind. Das zielt auch gegen bestimmte israelische Unternehmen wie Agrexco. Das Vermarktungsunternehmen für landwirtschaftliche Güter hat eine ziemliche Popularität erlangt, nachdem herausgekommen ist, daß es auch Produkte aus den Siedlungen nach Europa liefert. Für viele Menschen, die sich für gewöhnlich bedeckt halten, könnte dies zum Signal werden, um zu sagen, das will ich nicht. Daraus könnte sich eine europäische Kampagne entwickeln. Man müßte aber noch mehr tun. Gerade in Deutschland müßte man die Diskussion mit der Friedensbewegung und den Gewerkschaften forcieren.

SB: Herr Forberg, wir bedanken uns für das Gespräch.

Ankunft der Gruppe aus Berlin - © 2011 by Cynthia Beatt

Ankunft der Gruppe aus Berlin am 10.07., Berlin-Tegel © 2011 by Cynthia Beatt

13. Juli 2011