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LÄNDERBERICHT/119: Mali - "Genitalverstümmelung tötet unsere Mädchen"


Menschenrechte für die Frau 3/2007
Die Zeitschrift von Terre des Femmes

"Genitalverstümmelung tötet unsere Mädchen"
Weibliche Genitalverstümmelung in Mali

Von Gritt Richter


Wir treffen uns im Büro des Nationalen Programms zum Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Bamako, der Hauptstadt Malis in Westafrika. Astou Tenin Traoré hatte mich vor einigen Wochen angerufen, weil sie mit mir unbedingt über die Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen sprechen wollte, und so stehen wir uns heute zum ersten Mal gegenüber.


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Astou Tenin Traoré ist Sénoufo. Die Sénoufo sind eine der etwa 30 in Mali lebenden ethnischen Gruppen, von denen fast alle ihre Mädchen verstümmeln, so zum Beispiel die Bambara, Malinké, Peulh, Sarakolé oder Soninké bis zu 98 Prozent. Weniger verbreitet ist die genitale Verstümmelung nur bei den Sonraï (40,8 Prozent), den Tamasheq (Touareg, 65,3 Prozent) und den Dogon (78,6 Prozent). Durchschnittlich sind in Mali 91,6 Prozent der Frauen und Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt. Ihnen wurde entweder die Klitoris (Typ I) oder die Klitoris und die kleinen Schamlippen (Typ II) entfernt. "Nur" 1 bis 2 Prozent erlebten eine Infibulation, also eine vollständige Verstümmelung ihrer Genitalien mit anschließender Vernähung, die nur eine winzige Öffnung lässt (Typ III). Später unterhalten wir uns bei Astou Tenin Traoré zu Hause in Kalaban Extension, einem Viertel der weitläufigen Hauptstadt, in dem sie mit zwei ihrer Töchter lebt. Meine Gesprächspartnerin wurde selbst im Alter von sieben Jahren verstümmelt. Sie erinnert sich, dass ihre Eltern über die Notwendigkeit ihrer Verstümmelung gesprochen hatten: "Sie sagten, schon unsere Vorfahren hätten diese Tradition praktiziert. Sie habe nichts mit unserer Religion zu tun, solle aber die Mädchen davon abhalten, Jungen hinterher zu laufen."

Damit waren die Eltern von Astou Tenin Traoré damals der gleichen Ansicht wie die meisten MalierInnen noch heute. In der letzten veröffentlichten Studie, der 'Enquête Démographique et de Santé Mal' (EDS) aus dem Jahr 2001, gaben 30 Prozent der Frauen und 29 Prozent der Männer an, die Genitalverstümmelung sei ein Mittel zur Vermeidung sexueller Beziehungen vor der Heirat, also schlicht zur Kontrolle der weiblichen Sexualität. Mit der Ansicht, die Genitalverstümmelung sei nicht im Koran verwurzelt, stößt Familie Tenin Traoré heute jedoch eher auf Unverständnis und Widerstand. Obwohl die weibliche Genitalverstümmelung nicht vom Islam gefordert wird, ist ein Großteil der MalierInnen überzeugt, dass ihre Religion sie fordere (70 Prozent der Frauen und 63 Prozent der Männer, EDS 2001).


Druck aus religiösen Kreisen

Und in der Tat tragen die meisten religiösen Führer Malis, die Imame, nicht zur Aufklärung bei. "Der Islam in Mali verstößt weder Gläubige, die die Beschneidung praktizieren, noch die, die sie nicht praktizieren", führte Imam El Hadj Idrissa Diarra 2002 aus.

In der Realität führte diese Haltung dazu, dass gewisse religiöse Kreise in den letzten Jahren den Druck zur Aufrechterhaltung der Praktik erhöht haben, was die Diskrepanz zwischen der damaligen Ansicht von Astous Eltern und der der meisten MalierInnen heute erklären mag. So gibt es islamische Radiosender, die sich öffentlich für die weibliche Genitalverstümmelung aussprechen, und im Jahr 2006 organisierten religiöse Führer am 6. Februar, dem Internationalen Tag Null Toleranz der Weiblichen Genitalverstümmelung, eine öffentliche Gegenveranstaltung. Auf der anderen Seite setzen sich in jüngerer Zeit religiöse Führer, vor allem aus dem Norden des Landes, wo die Genitalverstümmelung weniger verbreitet ist, für deren Abschaffung ein, - leider finden sie wenig Gehör. Problematisch ist in Mali auch, dass viele Imame der arabischen Sprache nicht mächtig sind, also den Koran weder lesen, noch Interpretationen seines Textes oder der Hadith, der Aussprüche des Propheten Mohammed, vornehmen können.


Immer jüngere Mädchen sind betroffen

Astou Tenin Traoré erzählt weiter: Im Alter von 14 Jahren wurde sie dann von ihren Eltern verheiratet, als vierte Frau eines Händlers, der die Eltern mit viel Geld, Reis und Hirse von sich überzeugt habe: "Ich war nicht einverstanden, aber ich konnte nicht ablehnen, denn das hätte bedeutet, dass ich meine Eltern nicht respektiere." Mit ihrem Mann bekam sie fünf Töchter. Die ersten drei Töchter, heute 20,25 und 15 Jahre alt, ließ sie fraglos von einer traditionellen Beschneiderin verstümmeln; die erste im Alter von zwei Jahren, die zweite und dritte bereits kurz nach ihrer Geburt.

Sie unterzog ihre Töchter demnach in einem viel jüngeren Alter der Tradition, als sie selbst verstümmelt wurde. Dies bestätigt eine Tendenz in Mali, wonach die Praktik an immer jüngeren Mädchen vorgenommen wird. Waren nach der EDS aus dem Jahr 1996 noch 72 Prozent der Töchter der Befragten vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres verstümmelt worden, waren es 2001 nun sogar 80 Prozent. Die meisten Mädchen werden noch vor Beendigung des ersten Lebensjahres verstümmelt.


Kaum ein Wandel in Sicht

Astou Tenin Traoré sagt heute über die Genitalverstümmelung ihrer Töchter: "Ich wusste es nicht besser und hielt deshalb daran fest." Eine schmerzliche Erfahrung für sie und ihre Mädchen, denn sowohl ihre erste als auch ihre dritte Tochter mussten nach der Genitalverstümmelung mit schweren Blutungen ins Krankenhaus gebracht werden. Beide teilen ihr Schicksal mit 17 Prozent der Malierinnen, die nach der Verstümmelung schwere Blutungen erlitten und mit 22 Prozent, die mindestens eine Sofortkomplikation davontrugen (z. B. Blutungen, Infektionen, schwere Vernarbungen, 'EDS 2001').

Und obwohl bereits im Jahr 1998 zwei malische Studien deutlich die Langzeitfolgen der weiblichen Genitalverstümmelung für die Gesundheit der betroffenen Mädchen und Frauen aufgezeigt haben, wird die Praktik in Mali noch immer nicht als massives Problem der Volksgesundheit wahrgenommen. Die Studien haben offengelegt, dass Malierinnen oft unter schweren Vernarbungen im Genitalbereich mit folgender Verengung des Vaginaleinganges leiden, mit fatalen Folgen, zum Beispiel für die Menstruation oder den Sexualverkehr. Und während "nur" jede 20. nicht verstümmelte Frau Komplikationen bei der Geburt hatte, traf dies bereits auf jede 5. Frau zu, die eine Verstümmelung des Typs I erlitten hatte. Bei Typ II und III handelte es sich sogar um jede 3. Frau. Immerhin wird seit dem letzten Jahr in der Ausbildung der MedizinerInnen ein Modul zur Behandlung der Folgen der Genitalverstümmelung gelehrt. Man hofft so, die vom Gesundheitspersonal vorgenommenen Verstümmelungen zurückzudrängen. Die Medikalisierung der Praktik nimmt nämlich trotz eines Verbotes in Gesundheitseinrichtungen aus dem Jahr 1999 leicht zu, vor allem unter der städtischen Bevölkerung Malis.

Nach den angstvollen Erfahrungen mit ihren drei ältesten Töchtern wollte Astou Tenin Traoré beiden jüngeren Töchtern, heute 13 und 12 Jahre alt, das Leiden bei und nach der Verstümmelung ersparen: "Ich sprach mit meinem Mann darüber. Ich wollte aufhören, doch er wollte nichts davon hören. Ich habe ihm gesagt, dass diese Tradition meine Töchter tötet, und wenn er wolle, dass ich auch die beiden jüngsten beschneiden lasse, würde ich mich von ihm trennen." Seit zehn Jahren ist sie nun von ihrem Mann geschieden und stolz darauf, dass ihre zwei jüngsten Töchter, Aramatou und Salimata, unversehrt aufwachsen. Doch zeigen Zahlen der EDS 2001, dass die Töchtergeneration nahezu in gleichem Maße verstümmelt ist wie die Generation ihrer Mütter. Zudem gaben 80 Prozent der Frauen und 73 Prozent der Männer an, dass die Genitalverstümmelung beibehalten werden solle. Der Wandel hin zur Aufgabe der weiblichen Genitalverstümmelung vollzieht sich in Mali nur sehr zaghaft.

Quellen:
Interview: Gritt Richter mit Astou Tenin Traoré, Aramatou Tenin Traoré, Mukan Sissoko und Innocent Oguki am 27. Feb. 2007.

Studie: Richter, G., L'excision au Mali. La pratique, les acteurs et leurs approches. Etat de lieu, Bamako, Octobre 2006, DED Mali.

Zur Autorin:
Gritt Richter arbeitet derzeit als Beraterin "Weibliche Genitalverstümmelung" für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) in Bamako/Mali. Sie war zuvor Referentin zu diesem Thema für TERRE DES FEMMES.


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Quelle:
Menschenrechte für die Frau 3/2007, S. 12-13
Herausgeberin: Bundesverband TERRE DES FEMMES e.V. -
Menschenrechte für die Frau
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2007