Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → TERRE DES FEMMES


MELDUNG/101: Prozessbeginn gegen die Brüder von Hatun Sürücü in Istanbul


Terre des Femmes - Pressemitteilung 26. Januar 2016

Prozessbeginn gegen die Brüder von Hatun Sürücü in Istanbul

Terre des Femmes fordert deutliches gesetzliches Signal gegen Frühehen und Zwangsheirat


Berlin, 26.01.2016. Heute beginnt der Prozess gegen die zwei Brüder von Hatun Sürücü. Vor elf Jahren am 7. Februar 2005 hat die Ermordung von Hatun Sürücü Deutschland erschüttert und eine Debatte über Menschenrechtsverletzungen im Namen der Ehre ausgelöst. Die damals 23-Jährige war von ihrem jüngsten Bruder an einer Berliner Bushaltestelle mit drei Kopfschüssen getötet worden, weil er die vermeintliche Familienehre retten wollte. Er wurde zu einer Haftstrafe in Deutschland verurteilt und nach seiner Entlassung in die Türkei abgeschoben. Die beiden älteren Brüder, die nach dem Mord in die Türkei geflohen waren und nicht an Deutschland ausgeliefert worden waren, stehen nun seit heute in Istanbul vor Gericht. Sie sollen den jüngsten Bruder zur Tat angestiftet haben. TERRE DES FEMMES begrüßt es, dass sich nun auch die beiden anderen Brüder verantworten müssen. Gleichzeitig macht die Frauenrechtsorganisation auf die Schwere der Frühehe und Zwangsheirat aufmerksam. Sürücü war mit 15 Jahren an einen Cousin zwangsverheiratet worden, trennte sich von ihrem Ehemann und führte in Deutschland ein eigenständiges Leben jenseits der Familienvorstellungen.

Der Handlungsbedarf für die Unterstützung Betroffener ist weiterhin hoch: Es vergeht kaum ein Monat, in dem die Medien nicht über einen weiteren Mord berichten, der im Namen der Ehre verübt wurde. Auch werden nach wie vor Mädchen und Frauen zwangsverheiratet - viele sind noch minderjährig wie damals Hatun Sürücü.

TERRE DES FEMMES macht daher im Rahmen des zweijährigen Schwerpunktes "STOP Frühehen" mit Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit auf Zwangsverheiratung Minderjähriger aufmerksam. "Mit unserer aktuellen Petition fordern wir die Bundesregierung auf, sich für die Durchsetzung des Mindestheiratsalters 18 Jahre einzusetzen sowie begleitende Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen", erklärt Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES.

TERRE DES FEMMES ruft dazu auf, die Petition "STOP Frühehen - Bildung statt Heirat!" zu unterzeichnen und an der Gedenkveranstaltung an Hatun Sürücü am Sonntag, 7. Februar, 11 Uhr, teilzunehmen. Am Tatort in der Berliner Oberlandstraße werden unter anderen Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler sowie die Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration des Landes Berlin, Dilek Kolat, erinnern.

"Das Schicksal von Hatun Sürücü bewegt uns bis heute. Wir müssen solche Fälle verhindern und präventiv tätig werden. Dazu gehört auch, durch Gesetze ein deutliches Signal zu setzen", sagt Christa Stolle. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahre 2011 waren knapp ein Drittel der von Zwangsheirat bedrohten Frauen, die in Beratungsstellen Hilfe suchten, unter 18 Jahre.


TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Mädchen und Frauen, die durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, persönliche Beratung, Förderung von Projekten und internationale Vernetzung von Gewalt betroffene Mädchen und Frauen unterstützt. TERRE DES FEMMES klärt auf, wo Mythen und Traditionen Frauen das Leben schwer machen, protestiert, wenn Rechte beschnitten werden und fordert eine lebenswerte Welt für alle Mädchen und Frauen - gleichberechtigt, selbstbestimmt und frei! Unsere Schwerpunktthemen sind Häusliche und sexualisierte Gewalt, Zwangsheirat und Ehrverbrechen, weibliche Genitalverstümmelung, Frauenhandel und Zwangsprostitution. Der Verein wurde 1981 gegründet und finanziert sich durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und Zuschüsse. Die Bundesgeschäftsstelle befindet sich in Berlin.

Weitere Informationen unter:
www.frauenrechte.de

*

Hintergrundinformationen bundesweite Studie zum Thema Zwangsverheiratung in Deutschland

Die erste bundesweite Studie zum Thema Zwangsverheiratung wurde Anfang November 2011 veröffentlicht: Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurde eine wissenschaftliche Untersuchung von der Lawaetz-Stiftung in Zusammenarbeit mit TERRE DES FEMMES und Torsten Schaak - Büro für Sozialpolitische Beratung durchgeführt und von einem Beirat begleitet. Bundesweit wurden 1.445 Beratungseinrichtungen zu ihren Erfahrungen mit Zwangsverheiratungsfällen befragt. 830 dieser Einrichtungen hatten geantwortet und insgesamt 3.443 Zwangsverheiratungsfälle allein im Jahr 2008 genannt - 93% von ihnen Mädchen und Frauen. Ein knappes Drittel der Betroffenen waren minderjährig, 40% 18-21 Jahre alt. Weitere Ergebnisse können Sie in der Kurzversion der Studie auf der Homepage von TERRE DES FEMMES nachlesen.

*

Quelle:
Pressemitteilung vom 26. Januar 2016
Bundesgeschäftsstelle TERRE DES FEMMES e. V.
Brunnenstr. 128, 13355 Berlin
Telefon: 030 40504699-0, Fax: 030 40504699-99
E-Mail: info@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang